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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Nicht zu vergessen: Alfred Matusche

Armin Stolper, Berlin

Aus der Vielzahl sehr guter Beiträge, die im Juli-Heft der Mitteilungen versammelt sind, benenne ich für mich vor allem den von Hermann Klenner "Karl Marx - ein Ochsenkopf von Ideen" - prächtig und wieder ein Schlag ins Kontor aller hirnrissigen Antikommunisten! - und den von Horsta Krum, der uns über die schändlichen Machenschaften des Vatikans im Jahre 1933 ausführlich aufklärt; den von Egon Krenz nenne ich nur deshalb nicht, weil ich ihn schon in der jungen Welt gelesen und ich die Lektüre des Ulbricht-Buches noch vor mir habe. Und besonders habe ich mich gefreut, dass im Kalendarium auch an den 40. Todestag von Alfred Matusche und seine Tätigkeit als Dramatiker gedacht wird. Dadurch wurde ich erinnert, dass ich den Mitteilungen längst einen Text hätte anbieten sollen, der die Leser mit dem verdienstvollen Schaffen dieses eigenwilligen, schwierigen und doch so fruchtbaren Dichters hätte vertraut machen können. Obwohl ich das Grab meines Freundes Alfred, das sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in der Chausseestraße befindet, seit seinem Tode pflege, schlecht und recht, ich mich mit ihm bis zur Stunde in meinen eigenen Arbeiten befasse, ist mir der Gedanke dazu nicht gekommen. Dazu aber hätte es längst Anlass gegeben; letztmalig, als 2009, im Jahr des 100. Geburtstages von Alfred Matusche, im Verlag André Thiele in Mainz am Rhein ein von Gottfried Fischborn herausgegebener Band mit sämtlichen Dramen des Autors sowie eine Festschrift für den Dichter mit zahlreichen Beiträgen von Wissenschaftlern, Theaterleuten und Freunden Matusches erschienen. Zwei wunderbare Bücher, gut gestaltet, gut gedruckt und eine große Hommage für den Dichter! Aber glaubt ihr, daß über diese Veröffentlichung ein Wort in unseren linken Blättern gesagt worden ist? Jedenfalls ist mir keine bekannt geworden. Diesen Verlust hätten wir in den Mitteilungen längst wettmachen können, aber ich befasse mich zwar ständig mit dem Werk des Mannes, bei dem ich als junger Dramaturg und Stückeschreiber in die Lehre gegangen bin, nur an ein paar Zeilen über ihn für die Mitteilungen habe ich auch nicht gedacht.

Was Matusches Tätigkeit als Dramaturg anlangt, so will ich nur sagen: Alfred war nie, wenn er am Deutschen Theater zu Kipphardts und Langhoffs Zeiten mit seinem Stück "Die Dorfstraße" uraufgeführt wurde, als Dramaturg tätig, auch nicht, als er am Maxim-Gorki-Theater für eine gewisse Zeit fest angestellt war und dort die Uraufführung seines Stückes "Nacktes Gras" erlebte, und auch in Potsdam, wo er zusammen mit Siegfried Hoechst "Minna von Barnhelm" herausbrachte und von Rüger und Winkelgrund aufgeführt wurde, auch nicht, als er in Karl-Marx-Stadt lebte, und wo seine Stücke "Lied meines Weges" in der Regie von Jochen Ziller, (langjähriger Freund von ihm), "Prognose" und "Van Gogh" (Regie und Hauptdarsteller Peter Sodann, mit dem er in diesen Jahren befreundet war) aufgeführt wurden - immer war Matusche an den verschiedenen Bühnen als Dichter und Mitarbeiter an seinen eigenen Stücken tätig. Und um das Thema: Dramaturg im Zusammenhang mit Matusche abzuschließen, kann ich nur sagen, dass er gegen diese Leute, mich eingeschlossen, zunehmend einen Horror entwickelt hatte. Dramaturgen waren seiner Ansicht nach Leute, die den Dichter zu Änderungen veranlassen wollten, die zwar im Sinne einer größeren Eindeutigkeit seiner Stücke sein mochten, die sich aber immer gegen die ursprünglichen Absichten desselben richteten!

Ob er, unser alter Freund, damit völlig recht hatte, lasse ich dahingestellt. Und so viel ihm die Theater der DDR schuldig geblieben sein mögen - viel zu wenige haben sich mit den Besonderheiten und Schwierigkeiten seiner Stücke befaßt - wer zu ihm gehalten hat, waren Leute wie der Dramaturg Peter Gruber am Henschelverlag, das Fernsehen der DDR, die Akademie-Zeitschrift "Sinn und Form", dort besonders Armin Zeißler, das Ministerium für Kultur der DDR, von dem er im Jahre seines Todes den Lessingpreis erhielt, sowie Kurt Seeger vom Deutschen Theater Berlin. Einmal hat ihn das westdeutsche Fernsehen in die Öffentlichkeit gebracht und zwar mit "van Gogh", der auch in der Regie von Peter Sodann am Moskauer Jermilowa Theater aufgeführt wurde. Völlig in Vergessenheit geraten scheint, daß Alfred Kurella nach der Sendung von "Die gleiche Strecke" im Fernsehen der DDR dem Dichter einen Brief schickte, in dem er ihm zu der Leistung, die ihm literarisch und politisch geglückt war, gratulierte.

Ach Alfred, es gäbe viel über Dich, unsere Liebe zu Dir, über die Missverständnisse, die nicht ausblieben, über unsere gemeinsamen Ziele und Hoffnungen, die Enttäuschungen und Bitternisse eingeschlossen, zu sagen. Dieser Tage, beim Schreiben eines Textes für mein Buch "Kaschpars närrische Antike" wurde ich an den Satz des griechischen Dichters Menander erinnert, der Dich besonders heimgesucht hat und der lautet: "Wie liebenswürdig ist der Mensch, wenn Mensch er ist". Er könnte als Leitspruch über Deinem Leben und als Motto für alle Deine Stücke stehen, die uns viel bedeuten könnten und noch mehr, wenn sie die Theater dieses Landes nicht so schmählich mit Nichtaufführen auszeichnen würden. Zur Zeit läuft im Berliner Ensemble eine Reihe, in der Stücke aus der DDR vorgestellt werden, und zwar unter der Devise:

Verboten und vergessen. Dort hat man auch Matusches "Kap der Unruhe" gebracht, ein Stück, das allein zu DDR-Zeiten an zehn Bühnen Inszenierungen erlebte. Und welche zeitgenössischen Wirkungen die Bühnen mit Stücken dieses Dichters wohl erzielen können, bewiesen die Aufführungen von "Welche von den Frauen?" und "Der Regenwettermann" in der Regie von Hans-Joachim Frank am theater 89 im Jahre 1995.

Entschuldigt, dass meine Leserzuschrift in Sachen Matusche so lang ausgefallen ist und dass ich nicht schon früher auf diesen Dichter zu sprechen gekommen bin, der 1955 zu dem polnischen Publizisten Jan Koprowski gesagt hatte: "Der Sozialismus fasst hier mühsam und langsam Wurzeln. Nur die Naiven können leichte und sofortige Erfolge erwarten. Das Leben ist komplizierter als eine Zeitung. Aber Schritt für Schritt kommt mit den Beweisen auch die Überzeugung."

Berlin, am 10. Juli 2013