Nicht nur »von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«
Gina Pietsch, Berlin
Marlene Dietrich zum 30. Todestag, eine Hommage
Nein, sie war viel mehr, auch wenn man sie sich gern so vorstellt, wie sie’s in ihrem berühmtesten Lied sang. Hemingway, der sie besser kannte, sagte von ihr:
Sie ist tapfer, schön, zuverlässig, liebenswürdig und großzügig. Grausam und ungerecht ist sie nie, aber zornig, ja, das kann sie sein, und dumme Menschen gehen ihr auf die Nerven, daraus macht sie jeweils keinen Hehl, es sei denn, der betreffende Dummkopf befinde sich in einer Notlage. Wer auch nur einigermaßen in Not ist, kann auf ihr Mitgefühl zählen.
Am 27. Dezember 1901, wurde sie, die eigentlich Maria Magdalena Dietrich hieß, geboren, in Berlin Schöneberg als zweite Tochter des Kaiserlichen Polizeileutnants Louis Erich Otto Dietrich und dessen Ehefrau Josefine Wilhelmine Elisabeth. Es war ein wohlhabendes Elternhaus mit Klavierunterricht, Geige und Gouvernante. Sie beginnt ihre Schulzeit mit der 2. Klasse, da sie bereits lesen, rechnen und schreiben konnte. So fast immer unterfordert, mochte sie die Schule nicht – bis Mlle. Marguerite Breguand ihre Lehrerin wurde und ihre heimliche Liebe, die freilich, da Französin, mit Ausbruch des Krieges zur Feindin erklärt und aus der Schule entfernt wurde. Nach ihrer Beschreibung scheint sie diesen Verlust schmerzhafter empfunden zu haben als den Tod ihrer Väter. Der erste Vater starb früh, 1907, der Stiefvater, wieder ein Leutnant, rund zehn Jahre später, im Ersten Weltkrieg. So wurde dieser erste große Krieg ein bleibendes Erlebnis für die Gymnasiastin und Musikstudentin Marlene, prägend ihr weiteres Leben und besonders ihr Verhalten im Zweiten Weltkrieg.
Als Mädchen und junge Erwachsene lebte sie in einer Frauenwelt. Die schöne Mutter, die die Knöpfstiefel der Tochter immer besonders eng schnürte, der schlanken Fesseln wegen, war Idol, Behüterin und Lehrerin. Körperliche Selbstbeherrschung wird ihr eingeschärft, Nachlässigkeit in Gefühlen und Empfindungen werden bewertet mit Das tut man nicht. Später wirst Du mir dankbar sein. Und Halt deinen Mund, wenn du nichts Interessantes zu sagen hast. Das Leben bettet einen nicht auf Rosen, es ist weder Honig- noch Zuckerschlecken, aber das Leben ist gut, wenn du drum kämpfst, dass es gut wird.
So die Sprüche der Mutter der später weltberühmten Schauspielerin, Sängerin und Kämpferin gegen den Faschismus.
Solidarität mit Befreiern und der Kontakt zum Publikum
Die Konzertgeigerin, die sie werden wollte, begann mit einem Studium an der Musikhochschule in Weimar, der Stadt ihres Idols Goethe, blieb jedoch auf der Strecke, einer Sehnenentzündung wegen, aber die Schauspielerin setzte sich wohl dank ihrer großen Liebe und intensiven Beschäftigung mit Goethe und Rilke durch. Max Reinhard mit seiner Schauspielschule war der große Hilfesteller und, wie er später häufig betonte, ihr »Entdecker«. Das aber korrigiert sie, leider, wie sie sagt, denn, so sagt sie auch, Ich hatte kein besonderes Talent und wußte das auch. Ihr eigentlicher »Entdecker« war 1930 Josef von Sternberg mit seinem Blauen Engel, in dem sie die Lola Lola spielte. Aber dazu später. Vorerst gibt es kleine Rollen an Berliner Bühnen, von denen vier von Max Reinhardt geleitet wurden. Sie macht nützliche Bekanntschaft mit einer Reihe wichtiger Leute, erlebt eine glückliche Heirat mit dem Assistenten von Joe May, Rudolf Sieber und ein anderes Glück, ein Baby – Maria. Sie ist eine liebevolle Mutter, stillt ihre Kleine neun Monate und spielt Theater mit glücklicher Fügung in Georg Kaisers »Zwei Krawatten«, wo Hans Albers der Hauptdarsteller, Mischa Spoliansky der Komponist und Josef von Sternberg an der Kamera zugange waren. Die »Entdeckung« hatte begonnen, denn 1930 im »Blauen Engel« führte von Sternberg Regie. Marlene sang sich mit Friedrich Hollaenders Songs aus diesem Film in die Herzen des deutschen Publikums und bald in das der Welt. Emil Jannings, der sie zu erwürgen androht, ist bekannt als charakterliches Ekel, aber mit dem 40fachen ihrer Gage ausgestattet, spielte die Titelfigur des zugrunde liegenden Buches von Heinrich Mann, also »Professor Unrat«. Geredet wurde hinterher freilich fast nur noch von dem Entlein, das durch Sternbergs Prägung ein Schwan geworden war. Ihre Persönlichkeit war von extremer Kultiviertheit und einer fast kindlichen Einfachheit. Nie zuvor bin ich einer so schönen Frau begegnet, die so falsch eingeschätzt und unterbewertet wurde, eine Frau, die die Welt verzaubern sollte, so Sternberg über sie. Und sie über ihn nach sieben Filmen in Amerika: Er hat mich geschaffen. Erster Schaffensakt in Amerika war »Marokko«, der ihr die Oscarnominierung als beste Hauptdarstellerin 1930 einbrachte, in Deutschland dafür fünf Jahre später verboten wurde wegen eines Kusses, den die Dietrich im Frack einer im Saal sitzenden Frau gibt. Das zeugt von der Prüderie, nicht aber von der Blödheit der Nazis, sie unterzubewerten oder falsch einzuschätzen, wie Sternberg öfter beobachtet hatte. Ein Graf von Welczeck, Botschafter von Hitler in Frankreich jedenfalls, verspricht ihr 1936 einen »triumphalen Einzug in Berlin durch das Brandenburger Tor«, Goebbels buhlt mit Riesengagen und freier Wahl bei Drehbüchern und Mitarbeitern um sie. Sie lehnt ab und begründet ihre Ablehnung, in Nazideutschland zu drehen, mit Goebbels’ Ablehnung, Josef von Sternberg die Arbeit in Deutschland zu gestatten, weil er Jude ist. In Amerika dreht sie weiter mit den größten Regisseuren, Hitchcock, Lubitsch, Welles, Wilder. Mitte der dreißiger Jahre wurde sie zum »Kassengift«, das heißt, ihre Filme waren unbeliebt geworden. Aus der Sackgasse verhalf ihr ein Imagewandel, den sie im Film »Der große Bluff« vollzog: von der unnahbaren Göttin wurde sie zur sich prügelnden Barfrau – die schärfste Prügelszene zwischen Frauen bis dahin –, die schlüpfrige Lieder mit rauchiger Stimme zum Besten gibt, so das wunderbare über die »Boys in the backrooms«. Mit Billy Wilder dreht sie später die großartigen Filme »Eine auswärtige Affäre« und »Zeugin der Anklage«, für die sie sich nicht nur die Nase verbreitern ließ, sondern sich auch von ihrem wunderbaren Partner Charles Laughton das sogenannte Cockney-English, also das der Londoner Vorstadt, beibringen ließ. Daneben war sie, die Mutter ihrer Tochter Maria, Mutter für Kollegen, die nach Amerika geflohen waren und nicht umgehen konnten mit Land, Leuten und Leinwand in Hollywood. Doch das reichte ihr nicht. Nachdem sich ihr Geliebter Jean Gabin in Amerika freiwillig zu den französischen Befreiungsstreitkräften gemeldet hatte, brannte Marlene Dietrich ebenfalls darauf, ihren Anteil für den Kampf gegen den Hitlerfaschismus zu leisten. Sie entschloss sich, wenn sie schon nicht wie ein Mann kämpfen durfte, dann doch als Sängerin für die GIs möglichst nahe der Front aufzutreten. Während der Ardennenoffensive entkam sie dabei nur knapp einer Gefangennahme. Wegen ihrer bedingungslosen Solidarität für die kämpfenden »boys« wurde sie eine der beliebtesten und begehrtesten Akteurinnen der amerikanischen Truppenbetreuung in Afrika, Italien und Frankreich. Später resümierte sie, nie wieder solch einen intensiven Kontakt zu ihrem Publikum gehabt zu haben.
Späte Würdigung in Berlin
Die Nachkriegszeit in Amerika lässt sie traurige Erfahrungen machen. Sie erzählt:
Wir landen in La Guardia. Es regnete – natürlich! Niemand war da, uns zu empfangen. Wir schleppten uns ab mit unserem Gepäck, wurden von Kopf bis Fuß durchsucht und mußten unsere kostbare Kriegsbeute abgeben. Dann fanden wir uns ohne einen Pfennig Geld am Taxistand wieder und wußten nicht wohin. Wer in den Vereinigten Staaten kein Geld hat, ist das Hinterletzte, Abschaum der Menschheit. Wir konnten noch so oft erklären, daß wir aus dem Krieg zurückkämen, das war den Leuten egal. Niemand hörte uns zu.
Ab 1953 war sie fast ausschließlich als Sängerin auf der Bühne und feierte weltweite Erfolge. Auf einer Europatournee kehrte sie 1960 nach Deutschland und Berlin zurück. Wie Marlene selbst betonte, war ihr Publikum in Deutschland begeistert von ihrer Show. Allerdings traf sie nicht nur auf die Begeisterten, sondern sah sich als angebliche »Vaterlandsverräterin« auch erheblichen Anfeindungen von Teilen der Bevölkerung und der Presse – bis hin zu Bombendrohungen – ausgesetzt.
Ihr politisches und soziales Engagement gegen das NS-Regime fand international deutlich früher eine Würdigung als in ihrem Heimatland Deutschland. Schon 1947 erhielt Marlene Dietrich die Medal of Freedom, den höchsten Orden der USA für Zivilisten. 1950 folgte die Verleihung des »Ritter der Ehrenlegion« durch die französische Regierung.
Am 6. Mai 1992 starb Marlene Dietrich in Paris, offiziell an Herz- und Nierenversagen. Auf dem Städtischen Friedhof Schöneberg III in Berlin, Stubenrauchstraße 43–45, in einem schlichten Grab nahe der Grabstätte ihrer Mutter wurde sie beigesetzt.
Noch 1996 gibt es in Berlin Kontroversen um die Benennung einer Straße nach ihr. Der Berliner Bezirk Tiergarten gibt 1997 dem zentralen Platz zwischen den neu erbauten Potsdamer-Platz-Arkaden, Hotel Grand Hyatt und Musicaltheater den Namen Marlene-Dietrich-Platz. Die Widmung lautet: »Berliner Weltstar des Films und des Chansons. Einsatz für Freiheit und Demokratie, für Berlin und Deutschland«. Zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2001 entschuldigt sich das Land Berlin offiziell für die Anfeindungen. Postum erhält sie am 16. Mai 2003 die Ehrenbürgerschaft Berlins. Und das war das mindeste, was Berlin schuldete, ihr, die ihre Autobiografie betitelt hatte mit »Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin«.
Hinweis: Mehrere von Gina Pietsch in den »Mitteilungen« veröffentlichte Beiträge findet man gesammelt auch auf ihrer Seite www.ginapietsch.de unter der Überschrift »Gina schreibt über ...«, darunter:
... Bertolt Brecht – Als ich wiederkehrte (Heft 10/2018, zur Wiederkehr Brechts im Oktober 1948)
... Gerhard Gundermann – Gundi (Heft 2/2020, zum 65. Geburtstag am 21. Februar)
... Mikis Theodorakis – Zeuge seiner verratenen Heimat (Heft 7/2020, zum 95. Geburtstag am 29. Juli)
... Helene Weigel – Der brotbackenden, netzestrickenden, suppenkochenden Kennerin der Wirklichkeit (Heft 5/2021, zum 50. Todestag am 6. Mai)
... Bertolt Brecht – Der »grüne« Brecht (Heft 8/2021)
... Friedrich Hollaender – Fritzchen, wenn du Geburtstag hast (Heft 10/2021, zu seinem 125. Geburtstag am 18. Oktober)
Mehr von Gina Pietsch in den »Mitteilungen«:
2021-10: Fritzchen, wenn du Geburtstag hast
2021-08: Der »grüne« Brecht
2021-05: Helene Weigel