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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zum Platz des Hannah-Arendt-Instituts in der »Erinnerungsschlacht«

Prof. Dr. sc. phil. Horst Schneider, Dresden

Wenige Wochen, bevor unser Dresdner Genosse Professor Horst Schneider am 23. Mai verstarb, sandte er uns einen Text über ein in Dresden ansässiges Institut, dessen politischer Auftrag in deutlichem Widerspruch zu seinem im Namen verkündeten wissenschaftlichen Anspruch steht. Wir waren daran interessiert, den Beitrag zu drucken und wollten noch einige redaktio­nelle Dinge mit ihm besprechen. Doch wir mussten erfahren, dass er nicht mehr unter uns weilt. Mit seinen Angehörigen, Freunden und Genossen trauern wir um Horst Schneider und werden ihn nicht vergessen. Der Krieg hatte ihn für sein weiteres Leben zum Antifaschisten gemacht, und er blieb Kommunist bis zu seinem Ende. Als Neulehrer und späterer Hochschullehrer und als Außenpolitiker wirkte er für seinen Staat – die DDR. Seinen Überzeugungen blieb er auch nach 1989 treu. Davon zeugen nicht zuletzt die von ihm veröffentlichten Bücher und Publikationen, so auch der folgende Artikel.

1. Warum und wie ist das Hannah-Arendt-Institut entstanden? Historische und politische Voraussetzung

Das Gründungsdatum des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung ist der 17. Juni 1993. Mit diesem Institut entstand eine Einrichtung, die für die »Erinnerungsschlacht« eine Art Speerspitze sein will. [1]

Die erste Frage ist: Warum ist das Institut entstanden? Wer hielt es für nötig? Offiziell geht das Institut auf einen Beschluss des Sächsischen Landtags vom 21. November 1991 zu­rück. Die Gründung steht im Zusammenhang mit der Annahme der sächsischen Verfas­sung. In der Präambel steht – als Unikat unter den Länderverfassungen – die Formel von den »leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherr­schaft.« [2] Die in Auschwitz Ermordeten und die am Münchner Platz hingerichteten Kriegs­verbrecher haben hinter der ideologischen Nebelwand von den »zwei Diktaturen in Deutschland« den gleichen Opferstatus. Zu bemerken ist dabei, dass das Grundgesetz die­se Formel nicht beinhaltet und die DDR nie beansprucht hat, ein kommunistischer Staat zu sein. Kurz gesagt: In Sachsen ist die umstrittene Totalitarismusdoktrin Verfassungsnorm und damit Staatsdoktrin, eine missratene Geburt der »Wende«. Im Gesetz vom 21. Novem­ber 1991 heißt es: »In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität sind die Struktu­ren von SED-Diktatur und SED-Regime sowie die Folgen für die deutsche Einheit zu analy­sieren.« Die Weichen für eine weitreichend verhängnisvolle Entwicklung Hunderttausender DDR-Bürger waren gestellt. Ihnen gegenüber wurde der menschenrechtliche Grundsatz der Gewissens-, Glaubens- und Meinungsfreiheit verletzt.

2. Welche Aufgaben erfüllt das Hannah-Arendt-Institut in welchem Auftrag?

Im Grundgesetz wird die Freiheit der Forschung proklamiert. In der bundesdeutschen Wirklichkeit existiert sie kaum. Die Aufgaben werden vom Staat vorgegeben und ihre Erfül­lung wird vom Staat kontrolliert. Für die bürgerliche Geschichtsschreibung war die »Wen­de« eine radikale Zäsur. Die marxistische Historiographie, ihre Institutionen und ihre Ver­treter wurden rücksichtslos »abgewickelt« und nicht nur die DDR, sondern auch die Erinne­rung an sie sollten verteufelt werden. Die Richtung legte Innenminister Schäuble im Okto­ber 1990 mit Unterstützung von sieben Geschichtsprofessoren in einer geheimen Direkti­ve fest, die darauf abzielte, den »Mythos« einer antifaschistischen DDR zu zerstö­ren. [3] Was Klaus Kinkel als Justizminister von den »unabhängigen« Richtern forderte – die Delegitimierung der DDR – das verlangte Schäuble von willigen Historikern. Das waren schon vor 1990 Totalitarismusforscher wie Ernst Nolte gewesen. Aber bis zur »Wende« wa­ren das isolierte Außenseiter, nach 1990 bestimmten sie den Mainstream.

Die Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Institutes wissen um ihre Rolle. Von vielen möglichen Zitaten wähle ich eines des dritten Direktors, Professor Dr. Besier, aus, der öffentlich be­kannte: »Staatliche Erinnerungspolitik ist kein Zufallsprodukt, sondern unterliegt einer ge­zielten Steuerung; diese beabsichtigt intentionale Prozesse des Erinnerns wie des Verges­sens in einer Gesellschaft.« [4] Wer ist der Steuermann? Was soll die »Gesellschaft« verges­sen, was wird ihr als Erinnerung verordnet? Als Kind der »Wende« konzentrierte sich das In­stitut auf die Verfälschung der Geschichte der DDR. Professor Dr. Günther Heydemann (Di­rektor des Hannah-Arendt-Instituts von 2009 bis 2016) entdeckte 2011, dass zum »Dikta­turenvergleich« ja auch der Faschismus gehört. Es ist reichlich kühn, Betrug und Selbstbe­trug zugleich, wenn Frank Richter (1989 Vertreter der katholischen Kirche in der Gruppe der Zwanzig und langjähriger Direktor der Landeszentrale für politische Bildung) in seiner Festrede am 2. Oktober 1999 im Landtag erklärte: »Wir sind froh darüber, keinem staatli­chen Erinnerungsmonopol mehr gegenüber zu stehen.« [5] Das sagte die Person, in deren Einrichtung die Bücher von »Forschern« des Hannah-Arendt-Institutes am stärksten ver­breitet werden. Ein Thema im Sächsischen Landtag am 21. Januar 2000 hieß: »Die politische Instrumentalisierung des Dresdner Hannah-Arendt-Institutes«.

Diese staatlich verordnete psychologische Kriegsführung hinter der Nebelwand der »Aufar­beitung der DDR-Geschichte« kostet Steuermittel. Professor Henke (Direktor des Hannah-Arendt-Instituts von 1995 bis 2001) sprach von 1,5 Millionen Euro im Jahr. Die Landtags­abgeordnete Kerstin Köditz (DIE LINKE) hat in der Anfrage 6/44-79 vom 28. April 2016 er­mittelt, was das Institut aus dem Staatshaushalt bekommt. Das war eine jährlich anstei­gende Summe von 1,050 Millionen Euro 2005 bis 1,334 Millionen Euro 2016. Dazu kom­men Fördermittel, deren Höhe schwankt und in den letzten zehn Jahren fast 700.000 Euro betrug. Außerdem gibt es Einnahmen aus speziellen Fonds, wie z. B. aus dem »weltoffenen Programm«, bis zu 100.000 Euro pro Jahr. Im Jahresbericht 2016 des Instituts werden die Ausgaben mit 1.68 Millionen Euro angegeben, wovon 1.429 Euro aus dem sächsischen Staatshaushalt finanziert wurden. Sind diese Ausgaben Investitionen in eine glückliche Zukunft oder trugen sie zu jener Situation bei, die Frank Richter im Juni 2016 [6] zu der Frage veranlasste: »Woher die Wut und das gnadenlose Urteilen? Woher kommt der Hass?« Warum fühlen sich viele ausgegrenzt, abgehängt und ohnmächtig? Was sagt die Totalitaris­musforschung dazu?

3. Warum ist der Name des Instituts ein Missbrauch des Namens Hannah Arendt?

Das ist von vielen Autoren nachgewiesen worden. Heute stelle ich nur fest: Hannah Arendt hat sich, wie mir Professor Henke, der zweite Direktor des Instituts, nach Konsultationen mit Spezialisten am 1. April 1998 schriftlich bestätigte [7], nie negativ über die DDR geäu­ßert. Sie hat ihre Urteile über die Sowjetunion nach dem 20. Parteitag der KPdSU modifi­ziert. Bei Besuchen in der BRD hat sie den Antikommunismus und die Fortexistenz nazis­tischer Ideologie verurteilt. Schließlich war sie seit 1951 eine scharfe Kritikerin des Mc­Carthyismus in den USA. Ihr Verständnis totalitärer Systeme wird bei den Dresdner Totali­tarismusforschern mehrheitlich unkenntlich gemacht.

4. Die Direktoren des Hannah-Arendt-Instituts

Keiner der bisher vier Direktoren hat sich mit Arbeiten über Hannah Arendt ausgewiesen. Alexander Fischer amtierte von 1993 bis 1995. Er wurde durch seinen frühen Tod gehin­dert, sich dem Thema zu nähern.

Klaus-Dieter Henke hatte zur Besatzungspolitik der USA und Frankreichs promoviert und habilitiert. Vor seiner Berufung nach Dresden war er wissenschaftlicher Direktor in der Gauck-Behörde. Henke wurde durch rechtswidrige Intrigen zu Fall gebracht. Gerhard Be­sier, Direktor von 2003 bis 2008, war Kirchenhistoriker, hat über den Vatikan in der Nazi­zeit und mehrere Bände über die Kirchen in der DDR geschrieben. Da er MfS-Akten ver­wendete, kam mancher Bischof und Pfarrer zu Schaden. Als Besier gestolpert war, nahm ihn die PDS in ihre Reihen und in die Landtagsfraktion auf. Sein lnsiderwissen hat Besier mit einem Buch vermarktet [8].

Günther Heydemann, der von 2008 bis 2016 amtierte, hat schon mehrere Skandale über­standen, darunter den um den Vorzeigehistoriker Michael Richter, der als IM des MfS ent­tarnt wurde.

Am 1. Oktober 2017 wird Professor Dr. Thomas Lindenberger Direktor, der unter den Pots­damer Klitterern der DDR-Geschichte über »Herrschaft und Eigen-Sinn der Diktatur« nach­gedacht hat.

5. Welchen Platz nimmt die Totalitarismusforschung in der Arbeit des

Hannah-A­rendt-Instituts ein?

Nach seiner eigenen Satzung betreibt das Institut Grundlagenforschung am Beispiel totali­tärer Diktaturen. Damit sind natürlich das Dritte Reich und die DDR gemeint. Diese For­schung hat eine lange Geschichte und sie hat differenzierte Ergebnisse erbracht. Beim Stichwort Totalitarismus bot Google Mitte 2016 276.000 Zugriffe an. Im psychologischen Krieg gegen den Sozialismus erhielt die Doktrin einen zentralen Platz. 1962 wurde in der BRD die Totalitarismus-Doktrin zum Unterrichtsprinzip. [9] Es gab viele Verfechter dieser Doktrin und viele Nuancen. Der namhafteste Vertreter war Ernst Nolte, der Mitte der acht­ziger Jahre den Historikerstreit auslöste. Seine These: Faschismus sei Antimarxismus. Der Nationalsozialismus sei die Antwort auf den Kommunismus. Allerdings war Nolte damals noch Außenseiter und isoliert. Im November 2016 dienten Noltes Thesen dem SPIEGEL im Beitrag »Trump ist ein Faschist« dazu, mit ihrer Hilfe zu messen, wie weit Trumps Politik totalitäre Züge aufweist. [10]

Von vielen Begriffsbestimmungen für Totalitarismus wähle ich die von Zbigniew Brzezinski aus, der als Berater von USA-Präsidenten entscheidenden Einfluss auf die Politik der NATO ausgeübt hat, die auch Karl Heinz Roth in den Mittelpunkt stellte. [11] Brzezinski formulierte als Merkmale:

- eine Ideologie mit Ausschließlichkeitsanspruch

- einen monolithischen Machtapparat mit einem starken »Führer«

- eine massenmobilisierende Einheitspartei

- die Unterdrückung von Widerstand und Opposition

- eine Zentralverwaltungswirtschaft

Eine amtliche Definition des Totalitarismus versucht das Kleine Lexikon der Politik [12]: »Totali­tarismus (T.) bezeichnet eine Form der Herrschaft, die Gesellschaft und Individuen einer totalen, weder durch Grundrechte noch durch Gewaltenteilung beschränkten Kontrolle un­terwerfen will. Idealtypisch charakterisiert den T. eine umfassende, alle Lebensbereiche vereinnahmende Ideologie, ein hierarchisch aufgebauter, ausgerichteter Staatsapparat, der von einer Einheitspartei beherrscht wird, eine von Staat und Partei gelenkte Wirtschaft, die Steuerung und Zensur der Medien, Militarisierung der Gesellschaft und Ausgrenzung und systematischer Terror gegen angeblich systemzersetzende Kräfte.«

Eine der aggressivsten Auslegungen der Doktrin fand ich 2009 in der Osteransprache von Militärbischof Walter Mixa [13]: »Die Unmenschlichkeit des praktizierten Atheismus haben im vergangenen Jahrhundert die gottlosen Regimes mit ihren Straflagern, ihrer Geheimpolizei und ihren Massenmorden in grausamer Weise bewiesen.« Mixa vergaß: Hitler war Katholik. Der Vatikan segnete nicht nur Hitlers Politik und Kriege. Mussolini, Franco, Pinochet sind ohne die Unterstützung des Vatikans undenkbar. Das wies auch Gerhard Besier nach. [14]

Wie nützlich die Totalitarismus-Doktrin beim Kampf gegen sozialistische Alternativen ist, will ich mit einem Zitat von Franz Josef Strauß aus dem Jahr 1968 belegen [15]: »Die freie Welt braucht die Mitarbeit Deutschlands zu ihrem eigenen Schutz, zur Verteidigung ihrer Frei­heit gegen die totalitäre Bedrohung aus dem Osten.« Und die Gefahr kommt immer noch aus dem Osten, nun aus der Erinnerung an sie.

Die Spezifik der Arbeit des Hannah-Arendt-Instituts besteht darin, Seiten und Ereignisse der DDR-Geschichte so zu interpretieren, dass sie als Bausteine für die Verurteilung des Totalitarismus in den Farben der DDR verwendet werden können.

Das ist jedoch nicht das Monopol der Dresdner Forscher. An der »Aufarbeitung« der DDR-Geschichte beteiligen sich:

- mehr als 1.200 Forschungsprojekte

- etwa 250 Archive und Bibliotheken

- ca. 50 Institutionen der politischen Bildung

- 65 Gedenkstätten und Museen

- 20 Fachzeitschriften

Seit 1990 sind etwa 7.000 Bücher erschienen, die die DDR verteufeln, davon sind ca. 140 am Hannah-Arendt-Institut entstanden.

Prüfen wir, mit welchen Begriffen im 2016 erschie­nenen Buch »Sachsen von 1943 bis 1949« [16] die DDR bedacht wird: Unrechtsstaat, SED-Diktatur, kommunistische Machthaber, sowjetische Terrorherrschaft, kommunistischer Machtapparat, totalitäre Parteidiktatur, kommunistische Machtergreifung in der Dresdner Stadtverwaltung, schleimige Kommunisten, Satrapie des sowjetischen Imperiums, sowje­tische Terrorherrschaft, Diktaturdurchsetzung, Sowjetisierung, Bolschewisierung usw. Die Bodenreform sei ein Element der kommunistischen Diktaturdurchsetzung gewesen. Was auch bei uns im Osten geschah: Der antikommunistische Stempel liegt immer bereit. Und die Wirkung lässt sich nicht bestreiten. Auf dem Magdeburger Parteitag der Linkspartei Anfang Juni 2016 urteilte Hans Modrow: »Die Linke ist bis in die Regierungstätigkeit hin­ein, anstatt seriöse historische Arbeit zu leisten, zur bereitwilligen Dämonisierung der DDR bereit.«

6. Auf welche Arbeitsergebnisse darf das Hannah-Arendt-Institut verweisen?

Das Institut wird bald das 25-jährige Bestehen feiern. Im »Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur« vom 16. Januar 2013 wird die Arbeit des In­stituts in einem langen Abschnitt gewürdigt, insbesondere die Zusammenarbeit mit der politischen Bildung, mit den Gedenkstätten und in der Lehrerweiterbildung. Lob findet, dass Mitarbeiter des Instituts Ideengeber für die Regierung sind und die öffentliche Mei­nung beeinflussen helfen.

Die Bilanz der Arbeit der etwa zwanzig (wechselnden) Mitarbeiter lässt sich unschwer überblicken, denn das sind vor allem Bücher und die hauseigene Zeitschrift »TotaIitarismus und Demokratie«.

Die quantitative Bilanz ist beachtlich. Bis 2016 sind das ca. 170 Publika­tionen in drei Schriftenreihen. Die Reihe »Schriften des Hannah-Arendt-Instituts« umfasst 71 Titel, in der Reihe »Berichte und Studien« sind es 61. Gemeinsam mit der »Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der politischen Gewaltherrschaft« wurden 24 Schriften unter dem Titel »Lebenszeugnisse und Leidenswege« herausgegeben.

Für die Absicht dieser Reihe steht Hans-Dieter Scharfs »Von Leipzig nach Workuta und zu­rück«. Roman Herzog hatte am 13. Februar 1995 die »Saldierung der Opfer« streng verur­teilt. In dieser Reihe findet sie höchst einseitig aus der manipulierenden Sicht des Hannah-Arendt-Instituts statt.

Heute kann es nicht darum gehen, die 140 Bücher und zahlreichen Artikel differenziert zu rezensieren. Einige Titel zeigen ungeschminkt die Absicht der Au­toren, wie z. B. »Ein Gespenst geht um in Europa« – gestohlen mit dem Ziel der Verklärung aus dem »Kommunistischen Manifest«. Bei der Herausgabe hat sich Uwe Backes mit Ste­phane Courteois, dem Verfasser des berüchtigten »Schwarzbuchs«, zusammengetan.

Eine beträchtliche Zahl von Büchern haben mit der Erforschung des Totalitarismus nichts zu tun.

Die produktivsten Haus- und Hofhistoriker des Instituts sind (waren) mit zehn Büchern Mike Schmeitzner und Michael Richter. Richter rühmte die »friedliche Revolution« und lehnte den Begriff »Wende« ab.

Schmeitzner konzentrierte sich, auch 2016 noch einmal, auf die Nachkriegsjahre in Sachsen [17], die er als Zeit der »Diktaturdurchsetzung der Kommunisten« verunglimpfte. Als Richter und Schmeitzner ihre Bücher vorstellten, durften sie Biedenkopf, Iltgen, Vaatz, Kunckel und andere sächsische Spitzenpolitiker begrüßen. Schmeitzner und Richter verfassten im Auftrag Biedenkopfs gemeinsam die Lügenstory über den Giftmord, den Innenminister Fischer an Ministerpräsident Friedrichs begangen haben soll. Dabei haben sie alle Grundregeln historischer Forschung missachtet. [18]

Wolfgang Leonhard hatte (1997) Indizien erfunden, Biedenkopf davon gehört und einen »Forschungsauftrag« erteilt und in Totalitarismusforschern »willige Helfer« gefunden, die er fürstlich prämierte.

Mike Schmeitzner, der sein Studium Ende der achtziger Jahre an der Pädagogischen Hoch­schule Dresden begonnen hatte, veröffentlichte auch eine Studie über den »Fall« Martin Mutschmann, den sächsischen Nazi-Gauleiter, und über braune Karrieren in Sachsen. Am Druck der »Karrieren« beteiligte sich die Dresdner Sparkasse, unwissend und unfreiwillig auch ich.

Wir sollten unser Vorhaben der Auseinandersetzung mit der Totalitarismus-Forschung in größere geschichtliche Zusammenhänge stellen. 1995 verkündete Richard Schröder, der damals als Anerkennung für seinen Anteil an der Zerstörung der DDR als Professor für Theologie und Philosophie an der Humboldt-Universität tätig sein konnte: »Wir« müssten eine gemeinsame Geschichte erarbeiten. Warum? Wenn er tatsächlich Geschichte meinte, geht das nicht. Sie ist vergangen und nicht korrigierbar. Wenn er die »Aufarbeitung« der DDR-Geschichte meint, also das Geschichtsbild, hat er hinterhältige Absichten, wie von Autoren der Konrad-Adenauer-Stiftung dargelegt wurde [19]:

Mit der Geschichte lassen sich Skandale kreieren, die Welt in »anständig« und »unanständig«, in »gut« und »böse« einteilen, lassen sich Debatten inszenieren, die über Wochen die Feuille­tons beschäftigen und mediale Präsenz ermöglichen. Mit der Geschichte lässt sich von den »harten Problemen«, die Detail und Umsetzung erfordern, ablenken zugunsten geistesge­schichtlicher Großwetterlagen, in die man Zeitdiagnostisches nach Belieben einspeisen kann. Denn ihr Potential ist für alles gut: für das falsche Zitat, die unzutreffende Parallele, für das gewollte Missverstehen, den übertriebenen Vergleich, für vermeintliche Ursachen und unterstellte Wirkung, für Ästhetik und Moral, für Vorbild, positiv, oder negativ, für die Sehn­sucht nach »historischer« Verortung, angesichts zunehmender Innovationsdynamik gar nach »ldentität«.

Politische Wirkung gewinnen Vergleiche, Akzente, Bewertung von Abläufen oder die Beurtei­lung von Personen erst wirklich, wenn sie sich zu zeithistorischen Bildern verdichten.

Anders formuliert:

Solche Historiker machen das Geschichtsbild zur billigen Hure und verkaufen es auch als Film, Skandalstory, Zukunftsroman usw.

Seit der »Wende« läuft das Tribunal, das Innenminister Schäuble und Justizminister Kinkel gefordert hatten. Das Tribunal wird eine Dauererscheinung: Jede Stasi-Akte, mit der Theo­logen oder Historiker wedeln: eine Anklage. Jeder Fragebogen kann zum Urteil mutieren. Jede Skandalmeldung oder Denunziation kann für den Betroffenen das Ende als Bürger be­deuten. Vorruhestand, ABM usw. fungieren als Entsorgungslager. Die reduzierte Rente wur­de zur Dauerstrafe. Jetzt sagen einige: Die politische Kultur im vereinten Deutschland steht auf dem Prüfstand. Ich behaupte: In der BRD gab es schon von Anfang an den ideologi­schen Notstand. Meine Polemiken jedenfalls, die ich jetzt fortsetze, begannen 1962.

Anmerkungen:

[1] Horst Schneider: Das Hannah-Arendt-Institut im Widerstreit politischer Interessen. Berlin, Spotless Verlag, 2005.

[2] Verfassung des Freistaates Sachsen; Präambel. – Anmerkung der Redaktion: Vergleichbares findet sich nur in der Präambel der Verfassung des Freistaats Thüringen: »In dem Bewusstsein des kulturellen Reichtums und der Schönheit des Landes, seiner wechselvollen Geschichte, der leidvollen Erfahrungen mit überstandenen Diktaturen und des Erfolges der friedlichen Veränderungen im Herbst 1989 …«.

[3] Bedeutung und Funktion des Antifaschismus, Texte zur inneren Sicherheit. Der Bundesminister des Inneren, Bonn, Oktober 1990.

[4] Gerhard Besier: 20 Jahre Bundesrepublik, Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Münster, 2012.

[5] Frank Richter: Festrede zum Tag der Einheit 1999.

[6] Frank Richter: DNN, 17. Juni 2016.

[7] Text des Briefes: Horst Schneider, a.a.O., S. 9.

[8] Gerhard Besier: Fünf Jahre unter Linken. Ein Selbstversuch, Berlin: Verlag am Park, 2014.

[9] Horst Schneider: Die Totalitarismus-Doktrin und der westdeutsche Geschichtsunterricht, in Zeitschrift »Geschichtsunter­richt und Staatsbürgerkunde«, 2/64.

[10] Jakob Augstein: Der Faschismustest. Der SPIEGEL, 47/2016, S. 128.

[11] Karl Heinz Roth: Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie. Hamburg, 1999.

[12] Dieter Nohlen, Florian Grotz, Helmut Schmidt: Kleines Lexikon der Politik. 6. Auflage. München: Verlag C. H. Beck, 2015, S. 673.

[13] junge Welt, 3. Juni 2016.

[14] Gerhard Besier: Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Faszination des Totalitären. München, 2004.

[15] Franz Josef Strauß: Entwurf für Europa. Stuttgart: Seewald Verlag, 1966.

[16] Mike Schmeitzner, Francesca Weil (Hg.): Sachsen 1943 bis 1949. Schriften des HAIT 60. Göttingen, 2016.

[17] Mike Schmeitzner: Demokratisierung oder Diktaturdurchsetzung? Zur Systemtransformation in der SBZ/DDR 1945-1950. Vortrag zur Tagung »Das Kriegsende in Sachsen. Militärische Gewalt – Vertreibung – Neubeginn«. TU Chemnitz, Juli 2015.

[18] Michael Richter/Mike Schmeitzner: »Einer von beiden muss so bald wie möglich verschwinden«. Der Tod des Minister­präsidenten Rudolf Friedrichs vor dem Hintergrund des Konfliktes mit Innenminister Fischer, eine Expertise des Hannah-Arendt-Instituts im Auftrag der Sächsischen Staatskanzlei, Leipzig 1998. – Horst Schneider: Keine Indizien für einen Giftmord. Anmerkungen zum Tod von Rudolf Friedrichs am 13. Juni 1947, Deutschland Archiv 6/1997.

[19] Jürgen Aretz u. a.: Geschichtsbilder, Weichenstellungen deutscher Geschichte nach 1945. Konrad-Adenauer-Stiftung, Freiburg, 2003, S. 14/15.