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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»Vielleicht nennst du mich einen Träumer«

Gina Pietsch, Berlin

 

John Lennon, 9. Oktober 1940 – 8. Dezember 1980

 

John und Yoko ließen sich 22:50 nach Hause fahren ins Dakota Building in New York. Der fünfundzwanzigjährige Mark Chapman erwartete sie schon und schoss fünfmal auf John. Vier Schüsse trafen. Wenige Stunden zuvor hatte er sich noch eine Schallplatte von John signieren lassen. So das Ende der Geschichte. Aber alle, die über Lennon schreiben, betonen, dass er, oder sie, also die Beatles, nicht Geschichte sind, sondern lebende Musik. Von dem, was sie veröffentlicht hatten, wurde eine Milliarde verkauft. »Einflussreichste Künstler aller Zeiten« nennt sie eine ihrer kundigsten Biografinnen, Lesley-Ann Jones, und begründet das mit vielen Superlativen – weil man sie immer für die »vollkommenste und einzig unüberbietbare Kraft in Rock und Pop« hält – weil es bei ihnen niemals »nur« um Musik ging – weil sie Menschen über Klassen, Rassen, Generationen und Geschlechter mühelos einten – weil sie ein perfekter Spiegel der Kultur und des Klimas ihrer Zeit waren – weil sie den »neuen« Stimmen ihrer Zeit, den Frauen, den Behinderten, der Arbeiterklasse, den ethnischen Minderheiten, den Kriegsgegnern eine Stimme gaben – weil sie sich in die Köpfe und Herzen von unübersehbar vielen Menschen spielten – weil sie ihr Konzept der Liebe und des Friedens von Anfang bis Ende begleitete. 

Liverpool

John, der beliebteste Beatle, der komplexeste, widersprüchlichste, übermäßig selbstbewusste, narzistische, unbeholfene, phlegmatische, wahnsinnig extravagante, aber auch erstaunlich zurückhaltende, der später mit seinem Ruhm und Reichtum um sich warf – Gegengift gegen Not und Elend und trotzdem schwer auszuhalten, weil gerade dieser Reichtum ihm unmöglich machte, das zu sein, was ihm, dem Sohn eines Matrosen, wichtig war, nämlich, ein WORKING CLASS HERO zu sein. Der Song erschien 1970 auf dem Album der John Lennon/Plastic Ono Band, seinem ersten Album nach der Auflösung der Beatles. In einem Interview sagt er dazu: Ich denke, es ist ein revolutionäres Lied ... Ich denke, es ist für die Menschen, die wie ich aus der Arbeiterklasse kommen und in der Mittelschicht oder in deren Maschinerie untergehen. Es ist meine Erfahrung, und ich hoffe, es ist eine Warnung für die Menschen. John war nicht der einzige Beatle oder Rocker, der aus der Arbeiterklasse kam. Vernachlässigung, Missbrauch, erlebte Armut war oft die Quelle ihrer Kunst. Der Refrain des Liedes lautet denn also: A working class hero is something to be. Der Song ist nicht der erste politische Song Lennons. Das begann mit REVOLUTION 1968 und ihm folgten noch viele. Ich bedauere bis heute, dass man das in meinem Ländchen, der DDR, nicht erkannte. Walter Ulbricht, den ich schätze, ließ auf dem 11. Plenum den Satz fallen: »Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.« Die Puhdys sahen das glücklicherweise anders und ehrten 1981 Lennon auf ihrem Album »Schattenreiter« mit dem schönen Song »Hey, John, Deine Lieder schweigen nicht«. Die Straßenumbenenner nach der (Konter)Revolution übertrieben es dann freilich mal wieder, indem sie 1994 die ehemalige August-Bebel-Oberschule in Berlin Mitte unter dem Motto »Beatle statt Bebel« in John-Lennon-Gymnasium umbenannten. Ich kanns nicht beweisen, aber ich glaube, John hätte das nicht gefallen.

Johns politische Songs sind geprägt unter anderem durch seine Liverpooler Herkunft. Liverpool war eine stolze wohlhabende Stadt, allerdings mit Tausenden Hilfsarbeitern ohne soziale Absicherung und vielen alleinstehenden Müttern. Der Krieg tat das Übrige. Die Stadt war wie London schrecklich bombardiert, in 60 Luftangriffen 1941. Johns GIVE PEACE A CHANCE hatte also sehr mit Kindheitserlebnissen zu tun, und auch mit der patriotischen Namensgebung durch die Mutter – John Winston Lennon, was zu Ehren Churchills geschah. John war zutiefst überzeugt, dass Popmusik sehr viel mehr Aufgaben hatte, als zu unterhalten. Das führte in Outfit und Songstrukturen dazu, dass seine Mitstreiter Regeln der Popkultur brachen und mit ihren Talenten und Sichtweisen, der einzigartigen Rockerstimme Johns, den starken Melodien Pauls und überhaupt der magischen Mischung der vier in einsame Höhen der musikalischen und textlichen Qualität gelangten. Vom Publikum auf dem Höhepunkt des Beatle-Ruhms in aller Welt angehimmelt, warf John alles hin und erfand sich neu, nicht zum ersten Mal, verstärkte, was alles schon angelegt war, als Aktivist und politischer Künstler. Dafür gibt es natürlich biografische Hintergründe, verlassen vom Vater, der gestrengen Tante Mimi zur Erziehung übergeben von der als desorientiert geltenden Mutter Julia. John liebte seine Mutter Julia, nein, betete sie an. Sie war ja auch ein Freigeist mit Charme, herzlich, gastfreundlich. Er hat viel mit ihr gemeinsam, Musikalität – sie bringt ihm das Banjospiel bei und kauft ihm die erste Gitarre – Rebellentum, beider früher Tod mit gerade vierzig. Er macht seinem Frust in Texten früh Luft, herzergreifend in MOTHER, auch aber seiner Liebe zu Julia und Yoko, beide eingesponnen in seinem Liebeslied JULIA. Über Julias Tod kam er nie hinweg. »Danach war er nicht mehr fähig, normale Beziehungen zu Frauen aufzubauen«, so seine erste Ehefrau Cynthia Powell, mit der er nie richtig glücklich wurde. Aber Yoko Ono, die zweite Ehefrau, die als Japanerin in England und Amerika Rassismus auszuhalten hatte, scheint ihn gerettet zu haben. Und dann war da ja noch der Mimi-Mann, der ihn das Fahrradfahren lehrt und Johns Liebe zu Büchern – Alice im Wunderland in Sonderheit – weckt, Onkel Georg, eine liebevolle, geduldige Autorität für John. Wichtig, da der Junge in der Schule keinen Respekt vor Autoritäten hatte. 

St. Pauli

Ich war schon immer anders, wird er später von sich sagen und damit wohl seine Süchte nach Alkohol, Heroin und Sex gemeint haben und sein geringes Selbstwertgefühl, sogar noch nach den ersten Erfolgen. Dass er seinen Sohn Julian gequält und Frauen geschlagen haben soll und sich sexistisch geäußert haben in seinen frühen Texten, muss er wohl gewusst haben. Als einer der wenigen, die schreiben, sah er denn auch seine, diese Texte als sexistisch an. Diese Erkenntnis, dürfte wohl insbesondere geschuldet sein Yoko Ono, der Seelenverwandten, seiner wirklich großen Liebe, die er mit 26 kennen lernt. Texte schrieb er übrigens schon auf der Quarry Bank High School, Parodien, Nonsenstexte und Karikaturen seiner Lehrer. Seine schulischen Leistungen waren allerdings unterdurchschnittlich. Johns wirkliche Karriere begann nach seiner Gründung der Beatles in besonderer Weise in Hamburg. John äußert, dass er in Liverpool geboren, aber in Hamburg erwachsen geworden sei. Von 10.000 Bühnenstunden wird allgemein gesprochen, die sie verbrachten in Clubs in St. Pauli, sieben Nächte in der Woche, die nur mit Drogen auszuhalten waren, menschunwürdige Unterkünfte ohne Waschgelegenheiten. Die Schinderei konnte 1962 beendet werden, als die ersten Singles mit LOVE ME DO und PLEASE PLEASE ME aus Lennon/McCartneys Feder veröffentlicht wurden. Ihr wichtigster Manager und Freund Brian Epstein erkennt die Chancen sofort, bringt sie mit dem überragenden Produzenten George Martin zusammen, verpasst ihnen vier hübsche, ordentliche Anzüge und die diskussionswürdige Pilzkopffrisur. Der eigensinnige Lennon lässt das zum heutigen Erstaunen über sich ergehen, jedenfalls bis 1966. Die Erfolge in Amerika haben alle Pläne Epsteins, Martins und der Band bestätigt. 

1964 werden sie mit SHE LOVES YOU und I WANT TO HOLD YOUR HAND im amerikanischen Fernsehen dreiundsiebzig Millionen Zuschauer auf einmal erreichen, damals die höchste Zuschauerzahl aller Zeiten. Ein Interwiev, das John einer britischen Journalistin gab, gefährdet allerdings den weiteren Erfolg. Lennon äußert sich zum Christentum: Das Christentum wird vergehen. Es wird verschwinden und eingehen. […] Wir sind heute beliebter als Jesus … In Großbritannien wird das wenig beachtet, das oft bigotte Amerika allerdings ist entrüstet, es gibt Schallplattenverbrennungen, und die Auftritte der Beatles werden begleitet vom Ku-Kux-Klan. John erklärt endlich, dass ihm die Äußerung leid tut, und so konnte es weitergehen, nicht mehr aber in der gewohnten Art. Am 29. August 1966 geben die Beatles ihr letztes Konzert vor zahlendem Publikum in San Francisco.

JohnandYoko

Und da kam Yoko, ein Mysterium, gebildeter als John, ihm aber ebenbürtig, wie noch keine vorher. Sie war eine angesehene avantgardistische Konzeptkünstlerin, Pazifistin und Feministin, von der Reaktion als Schlampe angesehn, die Johns Ehe und diese Welt-Band zerstört hatte. Gerade Letzteres gilt heute als Quatsch, denn die Krise in der Band begann, bevor Johns Yoko und Pauls Linda kamen. John ganz besonders wollte nun etwas anderes machen, und, wenn auch von Yoko sehr unterstützt, er bewies, dass das richtig war. Glücklicherweise produziert die Band erst einmal weiter. Großartige Alben entstehen, »The White Album« 1968, »Abbey Road« 1969 und mehr, alle von überragenden Songs getragen. 

Und mehr großartige entstanden nach Auflösung der Band und der nun auch künstlerischen Zusammenarbeit mit Yoko in der John Lennon/Plastic Ono Band. Wenn er in dieser Band das großartige MOTHER singt, hat das mit seiner Mutter Julia zu tun, aber wohl auch mit Yoko, die er, sicher nicht nur der sechs Jahre wegen, die sie älter ist als er, »Mother« nennt. Klaus Voormann, einer der besten Kenner Lennons, sagte: »Er war nicht mehr John, er war JohnandYoko: die Hälfte von einem Ganzen … er selbst und glücklich.« »Sie ist eine militante Freiheitskämpferin« und »Sie hat mein Leben vollkommen verändert«, und meint seine Einstellungen auf vielen Gebieten. Sein Egoismus, Sexismus, Gewalttätigkeit, Blasiertheit anderen gegenüber. All das macht größeren und wichtigeren Gedanken und Handlungen Platz. 

Am 20. März 1969 heirateten John Lennon und Yoko Ono. »Als wir heirateten, wussten wir, dass unsere Flitterwochen sowieso öffentlich sein würden, also beschlossen wir, sie zu nutzen. Unser Leben ist unsere Kunst. Das war das Bed-In. Wir saßen im Bett und redeten mit den Reportern. Es war urkomisch. Im Endeffekt machten wir einen Werbespot für den Frieden.« Das freilich war nicht irgendein »Werbespot«, sondern das später auf jeder Anti-Vietnam-Kriegs-Demonstration auf den Straßen gesungene GIVE PEACE A CHANCE, das bei der größten Demo in der Geschichte der USA mit einer halben Million Menschen vor dem Weißen Haus in einer zehnminütigen Version von Pete Seeger angestimmt wurde. 

Vom FBI überwacht, politisiert sich John stärker. Nie war er wirklich unpolitisch, aber unter Yokos Einfluss wird er radikaler in seinen Songs. REVOLUTION 9 steht z.B. für die Pariser Maiunruhen 1968, das heftig diskutierte WOMAN IS THE NIGGER OF THE WORLD wird eins der zentralen Lieder des Feminismus, oder ACROSS THE UNIVERSE oder BACK IN THE USSR. Ich kann leider nicht alle nennen, die ich möchte. Nur noch die Erwähnung des Songs, der die religiösen Gefühle seines Mörders Mark Chapman angeblich verletzt haben soll, auf Johns wahrscheinlich bestem Soloalbum und dem bis heute vielleicht beliebtesten, hochpolitischen, aber eben wunderschönen Titelsong IMAGINE mit Zeilen wie diesen:

 

Stell dir vor, es gäbe keine Landesgrenzen.

Komm – es ist gar nicht so schwer.

Es gäbe nichts, wofür jemand töten oder sterben muss 

und auch keine Religionen.

 

Stell dir all die Völker vor, 

die in Frieden miteinander leben würden.

 

Vielleicht nennst du mich einen Träumer,

aber – ich bin nicht der Einzige.

Ich hoffe, dass du eines Tages dazugehören wirst

und die Welt eins sein wird. 

 

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