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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Nachhaltigkeit á la cubana

Dr. Edgar Göll, Berlin

 

Ökosozialistische Entwicklungen in einem Land

 

Die von Luxemburg, Castoriadis und anderen formulierte Alternative »Sozialismus oder Barbarei« ist derzeit so akut wie kaum zuvor. Angesichts der weltweiten, an vielen Orten immer stärker erlittenen Krisenphänomene wird das Überleben unserer Gesellschaften davon abhängen, rechtzeitig umzusteuern und mit passenden Aktivitäten eine Transforma­tion zur Nachhaltigkeit voranzubringen. Die dringliche Überlebensfrage lautet dabei: Erfolgt die Transformation »by design« oder »by disaster«, also durch bewusste Gestaltung oder erst durch Katastrophen? Und ohne eine aktiv gestaltende Rolle staatlicher Institutionen ist das bislang nicht erreicht worden. Eines der wenigen Beispiele guter Gestaltung mit staatlicher Macht bietet das sozialistische Kuba.

Wie zahlreiche andere Länder steht Kuba vor komplizierten Herausforderungen vor allem in der Wirtschaft und bei der Versorgung der Bevölkerung. Hinzu kommt, dass der karibi­sche Inselstaat vom Klimawandel besonders stark betroffen ist, zum Beispiel durch aus­bleibenden Regen, durch zerstörerische Wirbelstürme, durch den Anstieg des Meeress­piegels und die Versalzung des küstennahen Grundwassers.

Frühe Orientierung an Nachhaltigkeit

Die kubanische Regierung hat die Bedeutung von Umweltschutz und nachhaltiger Entwick­lung (obwohl dieser Begriff erst Ende der 1970er Jahre wissenschaftlich geprägt und fun­diert wurde) schon unmittelbar nach der Revolution 1959 erkannt. Und im Kontext des UN-Gipfels für Umwelt und Entwicklung 1992 wurde dies sogar in der Verfassung veran­kert – was etwa in Deutschland bis heute versäumt wurde. In der kubanischen Verfassung heißt es: »Der Staat schützt die Umwelt und die natürlichen Ressourcen des Landes. Er er­kennt ihre enge Verbindung zur nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung an, die das menschliche Leben wertvoller macht und das Überleben, Wohlbefinden sowie die Sicherheit der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen sichert. Die Anwendung die­ser Politik obliegt den zuständigen Organen. Es ist die Pflicht eines jeden Bürgers, zum Schutz der Gewässer, der Atmosphäre, dem Erhalt des Bodens, der Flora, Fauna und des gesamten Reichtums der Natur beizutragen.«

Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist seither in viele Bereiche der Politik und der Gesellschaft Kubas integriert worden. Allerdings folgt daraus nicht, dass alle Ziele erreicht werden. Auch in Kuba gibt es die Kluft zwischen Soll und Ist. Dennoch sind in vielen Bereichen deutliche Erfolge festzustellen.

Paradebeispiel »Revolucion energetica«

Genug Energie zu haben, war in Kuba nach dem Ende des »Rates für gegenseitige Wirt­schaftshilfe« der sozialistischen Staaten ein großes Problem, denn dadurch fielen in den 1990er Jahren auf einen Schlag 85 Prozent des Außenhandels weg, das Bruttoinlandspro­dukt schrumpfte um ein Drittel. Damit begann die »Spezialperiode«, die den Menschen vie­le Einschränkungen abverlangte, unter anderem wegen des Rückgangs der Ölimporte. Die bedrohliche Lage veranlasste die kubanische Regierung, sich auf eigene Stärken zu besinnen, zumal gleichzeitig die US-Sanktionen gegen Kuba, mit denen das seit 1961 bestehende sozialistische Gesellschaftssystem destabilisiert werden sollte, noch einmal verschärft wurden.

Es wurde mit alternativen Energiequellen experimentiert, zum Beispiel mit Biomasse aus Zuckerrohrrückständen, Wind- und Sonnenenergie. Nach mehreren Hurrikanen und dem sich verschlimmernden Klimawandel beschloss die kubanische Regierung, das Energiesys­tem umzubauen. 2005 wurde das Modernisierungsprogramm »Revolutión Energetíca« kon­zipiert. Dazu sagte Staatspräsident Fidel Castro: »Wir warten nicht, bis Treibstoffe vom Himmel fallen, denn wir haben zum Glück etwas sehr viel Wichtigeres entdeckt: Energie­einsparung – was so viel wert ist, wie große neue Ölvorkommen zu entdecken.«

Zu dem Maßnahmenbündel gehörte der flächendeckende Austausch von »Energiefressern« in den Haushalten. So wurden über neun Millionen Glühlampen durch Energiesparlampen ersetzt – meist kostenlos. Dasselbe geschah mit anderen Haushaltsgeräten wie Ventila­toren, Elektrokochern, Dampfdrucktöpfen und Kühlschränken. Für letztere gab es günstige Kredite. Weitere Bausteine auf dem Weg der Energiewende waren die Verstärkung des Stromnetzes, um die Netzverluste zu reduzieren, der Neubau von Kraftwerken in verschie­denen Regionen und die Dezentralisierung der Stromerzeugung, der Ausbau von regenera­tiven Energien sowie die Anhebung der Stromtarife für Haushalte mit hohem Verbrauch. Wichtig war auch die Rücksicht auf einkommensschwache Haushalte: sie erhielten sehr günstige Darlehen für den Kauf der energiesparenden Geräte. Außerdem war die kubani­sche Energiewende mit einer umfassenden Informations- und Bildungskampagne flankiert, auch über Klimaschutz: 17.000 Radiosendungen, 1.600 Zeitungsberichte, 1.100 Diskus­sionen in Stadtteilen und 564 Festivals an Schulen und Universitäten sind durchgeführt worden.

Vielfältige Aktivitäten für nachhaltige Entwicklung

Neben dem Energiebereich gibt es noch viele andere Bereiche und Maßnahmen in Kuba, die Positivbeispiele für Nachhaltigkeitspolitik und -aktivitäten darstellen. Sie sind hier stichwortartig aufgelistet, um das breite Spektrum zu verdeutlichen:

  • Umweltschutz durch Biosphärenreservate und Botanische Gärten,
  • Ausbau des Ökotourismus,
  • Wiederaufforstung (Waldbestand 1959 ca. 14 % der Fläche, 2017 ca. 32 %),
  • Abbau der energieintensiven Zuckerproduktion und Modernisierung der Basisindustri­en,
  • Ausbau und Verbreitung regenerativer Energie (Solar, Wind, Biogas, Biomasse etc.),
  • »Grüne« Medizin (pflanzenbasierte Medikamentenproduktion in allen Provinzen),
  • Entwicklung der Biotechnologie,
  • Einsatz emissionsarmer Motorensysteme bei Fahrzeugen,
  • Propagierung gesunder, z.B. vegetarischer Ernährungsweise und von Nichtrauchen, Ge­sundheitsbewusstsein, zahlreiche Sportmöglichkeiten,
  • beispielhafte Umweltbildung und ethisch-moralische Bildung (orientiert an José Martí),
  • Ökolandbau und Urban Gardening (1999 erhielt »Grupo de Agricultura Orgánica« den al­ternativen Nobelpreis).

Herausforderungen und Perspektiven

Kuba hat sich seit der Revolution von 1959 in vielen Hinsichten gewandelt und in zahlrei­chen Kriterien Außergewöhnliches erreicht, und es hat der Supermacht USA getrotzt, ohne seine Prinzipien zu vernachlässigen. Nun steht die kubanische Gesellschaft vor neuen Her­ausforderungen. Dazu gehören die dringend erforderliche Verbesserung von Effizienz und Effektivität in Wirtschaft und Verwaltung, die gezielte Mobilisierung von vorhandenen Res­sourcen und deren Management, eine vorsichtige selektive Weltmarktintegration (sozialis­tische Standards), die Nutzung angemessener Anreizstrukturen (z.B. Leistungskriterien), die Reduktion von Korruption, die Verbesserung der Qualität von Produkten und Dienstleis­tungen, Steigerung der Arbeitszufriedenheit und Partizipation.

Dies alles ist zu leisten trotz der alten und neuen Formen von Einflussnahmeversuchen durch die USA und mehrere EU-Staaten. All dies wiederum soll zuvörderst der Sicherung der sozialistischen Errungenschaften der Revolution durch Neuerungen dienen. Daher wur­de mit der »Aktualisierung des wirtschaftlichen Modells« begonnen, dessen konzeptionelle Grundlage die »Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei und der Revolution« darstellen, die in einem breiten einjährigen Diskussionsprozess unter Einbeziehung diver­ser Institutionen und der Bevölkerung entstanden sind. Sie dienen nun auch als Grundlage für die derzeit laufende Überarbeitung der Verfassung.

Die Weiterentwicklung Kubas orientiert sich am Leitbild der Nachhaltigkeit. Das ist wohl vor allem auch möglich, weil Kuba ein »konzernfreies Land« ist, in dem Sonder- und Profit­interessen nur geringen Einfluss haben. Auch weil Kuba bislang nur ein niedriges Produkti­onsniveau hat, sind Verbrauch und Emissionen noch gering – zumindest außerhalb der Tourismusbereiche.

Kuba ist in Sachen Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik »auf dem richtigen Weg befindlich«, denn es werden tatsächlich erstaunliche Maßnahmen durchgeführt und Ergebnisse erzielt. Allerdings existiert wie andernorts auch in Kuba in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik eine Diskrepanz zwischen »Sollen und Sein«, und es mangelt an angemessenen Optimie­rungsmechanismen wie aufwandsarmen und effektiven Monitoringverfahren, um die konkre­ten Defizite sukzessive festzustellen, zu überwinden und die Diskrepanzen zügig zu reduzie­ren. Gleichwohl hat Kuba auf seinem sozialistischen Weg ganz Enormes geleistet, und leistet dies auch weiterhin. Es ist eine wesentliche Aufgabe für Linke in den kapitalis­tischen Metro­polen, diesen eigenständigen Weg freizuhalten und spürbar zu unterstützen.

 

Der Zukunftsforscher Edgar Göll ist in Berlin tätig und stellvertretender Vorsitzender des bundesweiten Netzwerks Cuba e.V.