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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Martin Luther King jr. – in memoriam

Victor Grossman, Berlin

 

Martin Luther King, junior, ermordet vor vierzig Jahren, war einer von vier hervorragenden USA-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, alle zum Teil von afrikanischer Abstammung. Noch bekannt und gefeiert bei vielen Westeuropäern und Amerikanern ist mit Recht Dr. King. Doch um seine Rolle besser einschätzen zu können, sollte man an die ebenfalls kämpferischen Rollen der drei anderen erinnern.

Die Mitkämpfer

Professor William E.B. Du Bois, 1868 geboren, war Gelehrter, Historiker, Kriminologe, Soziologe, Pädagoge, Redakteur, Romancier, Poet. Er vollbrachte Leistungen, die äußerst selten waren – und einmalig in den USA unter unterdrückten Menschen mit afrikanischen Vorfahren. Er habilitierte sich mit Ehren an der Harvard-Universität, studierte 1892 an der Universität von Berlin und bewies mit seinen Recherchen die wichtige Rolle der Sklaven und der befreiten Schwarzen in der USA-Geschichte. Er wurde zu einem Hauptorganisator von Pan-Afrikanischen Kongressen, die schon 1905 schwarze Vertreter aus Afrika, den USA, der Karibik und Südamerika zusammenführten. Er war Mitbegründer des Nationalverbands zur Förderung der Farbigen (NAACP), noch heute die größte Organisation der Afroamerikaner. 1950, mit 82 Jahren, kandidierte Du Bois auf einer linken Parteiliste für den USA-Senat und übernahm den Vorsitz eines Friedensinformationszentrums, das Unterschriften gegen den Atomkrieg sammelte. Dafür als "Auslandsagent" in Handschellen verhaftet, kam er bald wegen seiner immensen Popularität unter schwarzen Amerikanern frei. Später zogen Du Bois und seine Frau Shirley auf Einladung des Präsidenten Nkrumah nach Ghana, um eine Enzyklopädie Africana zu schaffen, worauf ihm die USA-Regierung den Paß annullierte.

Weitaus bekannter – bevor der eisige Deckel der McCarthy-Zeit über ihm zugeschraubt wurde – war der große, schwarze Sänger, Schauspieler und Aktivist Paul Robeson. Wo der kleine Professor Du Bois mit Vollglatze und kurzem Bärtchen eher unauffällig blieb, war der große, schwarze, charismatische Robeson mit seiner mächtigen, warmen und beherrschten Stimme für ein Massenpublikum da. Schon als Student erreichte er Ruhm beim amerikanischen Fußball, seine Karriere als Schauspieler und Sänger begann 1925. Bald füllte er Konzertsäle in den USA, Großbritannien und Europa mit seinen Liedern, zunächst mit Spirituals aus der Sklavenzeit (sein Vater, ein Pfarrer, wurde als Sklave geboren), dann mit Volksliedern und Kampfliedern aus vielen Ländern in der Originalsprache. Auf der Bühne triumphierte er als Othello, 1930 und 1959 in England und 1943 in den USA.

In England lernte Robeson Afrikaner kennen und wurde zum lebenslangen Gegner des Kolonialismus. Für arbeitslose Briten sang er oft in vielen Kinosälen. Als die Nazis in Europa erstarkten, half er jüdischen Flüchtlingen und sang 1938 vor Interbrigadisten während des Bürgerkriegs in Spanien. In dem  Krieg unterstützte er wo nur möglich den Kampf gegen Faschismus sowie das Bündnis mit der UdSSR, die er seit 1934 mehrmals besuchte und deren Menschen er immer schätzte.

Doch nach 1945 wurden die Freundschaft zur Sowjetunion, Opposition zum Kolonialismus, Einsätze für die Gewerkschaften und für die Schwarzen zunehmend tabuisiert und bestraft. Robeson demonstrierte trotzdem für ein Gesetz gegen das Lynchen, führte ein Komitee gegen Apartheid und leitete einen Kampf, Afroamerikanern den Weg in das Nationalspiel Baseball zu eröffnen, das bisher streng nach Schwarz und Weiß getrennt war.

1949, nach einer Reise in die Sowjetunion zur Gedenkfeier für den Dichter Alexander Puschkin, griff man ihn erst recht an. Rassisten und Superpatrioten attackierten zwei Freiluftkonzerte in Peekskill (New York), man gab ihm für die dortige Gewalt die Schuld und nahm ihm den Reisepaß weg. Die Regierung verhinderte Film- und Bühnenrollen, Konzerte, Plattenaufnahmen. Erst nach einer weltumspannenden Kampagne gewann er 1958 den Paß wieder zurück und zog nach London, von wo aus er mehrere Länder besuchte, auch (1960) zweimal die DDR. Doch als er schwer erkrankte (von der CIA vergiftet, glaubt sein Sohn, denn gerade als die Pläne für die Schweinebucht-Invasion reiften, wollte er Cuba besuchen) und trotz liebevoller Behandlung in der DDR, zog er sich bis zu seinem Tod 1976 völlig zurück.

Die reaktionäre Ära ab 1945 führte zu einer gewissen Lähmung im Streben der Afroamerikaner. Doch war es eigentlich den starken Schultern von Vorgängern wie Du Bois und Robeson zu danken, daß auf ihnen solche Menschen wie Martin Luther King ab 1955 den Kampf neu belebten und dabei die Eiszeit der politischen Neandertaler zurückdrängten.

Geboren wurde King am 15. Januar 1929 in Atlanta (Georgia). Zuerst Michael getauft, änderte 1935 der Vater, ein Pfarrer, ihre beiden Vornamen auf Martin Luther. Schon mit 24 Jahren übernahm er das Pfarramt in einer Kirche der Schwarzen in Montgomery (Alabama), studierte aber auch weiter. Die Tinte auf dem Diplom als Doktor der Theologie war 1955 kaum trocken, als ein Ereignis diese Stadt erschütterte. Wie überall im Süden durften schwarze Passagiere nur in den hinteren Hälften der Busse bleiben, egal wie leer der vordere Teil war. Ähnliche Trennungen und Verbote galten in Kinotheatern (das Parkett war nur für Weiße), Zügen, Bahnhöfen, Gaststätten, sogar in öffentlichen Bibliotheken und Stadtzoos. Wehe dem, der es wagte, sich dieser gesetzlichen Ordnung zu widersetzen.

Doch am 1. Dezember 1955 war die Näherin Rosa Parks einfach zu müde um zu stehen, während Sitzplätze vorn frei blieben. Sie wagte es, sich dort hinzusetzen und trotz mehrfacher Aufforderung des Fahrers dort zu bleiben. Er rief die Polizei, und sie wurde verhaftet. Sofort beschlossen der Gewerkschafter und Chef der Ortsgruppe des Nationalverbands zur Förderung der Farbigen (NAACP) und der junge Pfarrer Martin Luther King, junior, einen Busboykott auszurufen. Nach vier Tagen begann er, 96 Prozent der Afroamerikaner lehnten das Busfahren ab. Taxis wurden benutzt, Carpools organisiert. Als diese verboten wurden, lief man einfach. Die Busfirma verlor 65 Prozent ihrer Einkünfte, Fahrer wurden entlassen, das Fahrgeld erhöht. Man ordnete an, King und einhundert andere zu verhaften, Kings Haus wurde mit einer Bombe angegriffen, doch nach 385 Tagen und vielen peinlichen nationalen und internationalen Schlagzeilen entschied das Oberste Gericht, Rassentrennung bei öffentlichen Transportmitteln sei verfassungswidrig. Dieser wichtige Sieg machte Dr. King berühmt.

1957 gründete er mit anderen schwarzen Pfarrern die Southern Christian Leadership Conference (SCLC), um weitere Aktionen zu planen. Es gab viel zu tun, denn die schwarze Bevölkerung der Südstaaten stieg immer entschlossener in den Kampf ein. Dabei betonte King stets, daß der Kampf gewaltlos und ohne Haß bleiben müsse: "Während wir solchen ungerechten Gesetzen nicht Folge leisten, bleiben wir friedlich, offen und gewaltlos. Am wichtigsten, wir akzeptieren willig die Strafe, egal was sie ist. Denn auf diesem Weg kommt das Volk dazu, das Gesetz neu einzuschätzen."

"Wir müssen begreifen, daß es sehr vielen Menschen beigebracht wird, uns zu hassen, und deshalb sind sie für ihren Haß nicht völlig verantwortlich."

Kings Prinzipien stammten zum Teil von dem Schriftsteller Henry Thoreau (1817–1862), den man 1848 verhaftete, weil er es ablehnte, für einen Krieg der Sklavenbesitzer gegen Mexiko Steuern zu zahlen. Seine Ideen beeinflußten auch den russischen Romancier Leo Tolstoj (1828–1910) und den indischen Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi (1869-1948). Nach einem Besuch der Familie des ermordeten Gandhi sagte King 1959: "... ich bin mehr denn je davon überzeugt, daß die Methode des gewaltlosen Widerstands die stärkste Waffe ist, die einem unterdrückten Volk im Kampf für Gerechtigkeit und Menschenwürde zur Verfügung steht."

Diese Prinzipien blieben maßgebend bei Aktionen wie den welterschütternden Kämpfen in Birmingham (Alabama), wo 3.300 Demonstrierende – darunter viele Kinder – verhaftet wurden und Fotos von Polizeiangriffen mit Wasserwerfern und Hunden durch die Weltpresse gingen. Maßgebend waren sie auch beim Marsch auf Washington am 28. August 1963, wo King so eloquent von seinem Traum der Zukunft sprach, daß die Rede als eine der größten der USA-Geschichte gilt. Bei der gleichen Demonstration schwieg kurz die etwa Viertelmillion meist schwarzer Anwesender, um den Mann zu ehren, der als einer der ersten so laut und klar das Recht auf Gleichheit bewies und proklamierte. Genau ein Tag zuvor war der 95jährige W.E.B. Du Bois im fernen Accra, Ghana, verstorben.

Zunächst wollte Präsident John F. Kennedy den Marsch verhindern, doch merkte er bald, daß es klüger war, sich ihm anzuschließen. Andere prominente Politiker und Sänger gesellten sich dazu. Nur einen der kämpferischsten schwarzen Führer aus Georgia hinderte man am Reden, als Zeichen zunehmender Spaltung unter Afroamerikanern. Während King und seine Mitkämpfer zwar wichtige Erfolge erreichten, weniger gegenüber Kennedy als nach dessen Ermordung im November 1963 gegenüber seinem Nachfolger Lyndon Johnson, verschärften sich die Kämpfe auf der Straße noch. Es erhoben sich Stimmen, die King Kumpanei mit den Mächtigen vorwarfen.

Wohl am schärfsten klang die Stimme des Predigers Malcolm X. Geboren als Malcolm Little, legte er wie viele Afroamerikaner den "Sklavenhalternamen" ab. Anders als Dr. King kam er aus den Tiefen des Ghettos, landete wie so viele junge Schwarze wegen allerlei Verbrechen im Gefängnis, wo er sich aber von den noch kämpferischen Schwarzen Muslimen bekehren ließ. Er, ein begnadeter, bissiger Redner, befolgte zunächst die Ideen dieser Sekte, lehnte jede Zusammenarbeit mit Weißen ab und verlangte einen unabhängigen Staat für Afroamerikaner. Den Marsch auf Washington nannte er "die Farce in Washington" und sagte: "Wir werden uns organisieren und jegliche schwarze Politiker aus den Ämtern fegen, die Marionetten auswärtiger Kräfte sind". Schwarze sollten nur so lange gewaltlos bleiben wie die andere Seite gewaltlos bleibt. "In Gebieten, wo unsere Menschen ständige Opfer von Brutalität sind und die Regierung unfähig oder unwillig scheint, sie zu schützen, sollen wir Gewehrklubs bilden, die wir benutzen können, um unser Leben und Eigentum im Notfall zu verteidigen. Die Zeit ist für den Afroamerikaner gekommen, wo immer und wann immer er ungerecht und gesetzwidrig attackiert wird, in Selbstverteidigung zurückzuschlagen."

Diese Politik, die der neuen "Black Power"-Losung ähnelte und bald von den kämpferischen "Schwarzen Panthern" praktiziert wurde, stand im schroffen Gegensatz zu Kings Politik. Das reflektierte die Milieus, aus denen die Kontrahenten stammten: die zwar scharf diskriminierte, doch etwas bürgerliche, ordentliche Mittelschichtherkunft von King im Süden und die siedenden, auf andere Art bitter leidenden Ghettos der Nordstaatengroßstädte.

Kampf und Solidarität

Nun geschah Bemerkenswertes. Die Richtungen näherten sich einander an. Malcolm trennte sich von den inzwischen korrupten Black Muslims und baute eine eigene Kirchengruppe in New York auf. Bei der Reise zum Hadsch in Mekka traf er Muslime aus Afrika, Arabien und Europa und stellte fest, daß Unterdrückung wie Widerstand international wären, oft unabhängig von der Hautfarbe. Nach New York zurückgekehrt, forderte er nunmehr einen einheitlichen Kampf mit antirassistischen Weißen. Noch gefährlicher für die USA: Er rief Vertreter der neuen afrikanischen Staaten auf, die nun in ihrer afrikanischen Kleidung würdevoll nach New York und Washington kamen, die USA in der UNO zu kritisieren. Wie früher Du Bois und Robeson forderte er also Weiße und Schwarze in aller Welt auf, sich gegen Rassismus und Imperialismus zu einigen. Es überraschte kaum, daß am 21. Februar 1965, mitten in einer Rede in New York, Malcolm unter mysteriösen Umständen erschossen wurde.

Bisher kamen die Schlagzeilen über Gewalt vornehmlich aus den Südstaaten, wo Bomben in einer Kirche in Birmingham vier schwarze Mädchen töteten, wo der Ku-Klux-Klan in Mississippi drei Kämpfer um das Wahlrecht der Afroamerikaner ermordete, wo ein Marsch um das Wahlrecht in Selma (Alabama) von der Polizei hart angegriffen und einige Teilnehmer erschossen wurden. Doch als King und einige hundert andere 1966 gegen Diskriminierung bei der Wohnungssuche durch das nördliche Chicago zogen, warf eine johlende Meute Flaschen und Steine – einer verletzte King – und brüllten, "wir brauchen einen Ku-Klux-Klan". King sagte: "Ich habe viele Demonstrationen im Süden gesehen, doch nirgends habe ich eine so feindliche, haßgeladene gesehen wie hier heute." Auch einige von Kings Anhängern bekamen Zweifel. Einer, ein weißer Priester, fragte: "Wie kann man einem schwarzen Mann sagen, er soll gewaltlos bleiben? Ich kann es nicht."

Doch wurde die Frage der nationalen Gewalt nun vordergründiger. Seit August 1964 kämpften die USA offen im Vietnam. Als sich die Fernseh-Horrorbilder mehrten, als immer mehr junge Männer dorthin geschickt wurden und als Krüppel oder Leichen zurückkehrten, schwoll die Bewegung gegen den Krieg immer mehr an. Einige schwarze Führer meinten: "Wir sollen uns heraushalten. Wir haben genügend Sorgen zu Hause und wollen auch nicht als unpatriotisch gelten." Doch zunehmend merkten Afroamerikaner, daß sie überproportional sterben sollten, während man Verbesserungen zu Hause einschränkte oder stoppte. Am 4. April 1967, in der Riverside-Kirche von New York, prangerte King den Krieg an. Die USA seien in Vietnam, "um das Land als amerikanische Kolonie zu besetzen", und die Regierung sei "der größte Verbreiter von Gewalt in der heutigen Welt".

Er wagte sich noch weiter: "Eine wahre Revolution der Werte wird bald beunruhigt auf den frappierenden Kontrast zwischen Armut und Reichtum zurückblicken. Mit gerechter Empörung wird sie über die Meere blicken und sehen, wie individuelle Kapitalisten des Westens riesige Summen von Geld in Asien, Afrika und Südamerika investieren, um ohne Rücksicht auf die soziale Besserung dieser Länder Profite herauszuholen, und sie wird sagen, ‚Das ist nicht gerecht.’" King lobte die Landreform in Nordvietnam und klagte die USA an, eine Million Vietnamesen getötet zu haben, "meistens Kinder".

"Wirkliches Mitgefühl bedeutet mehr als nur einem Bettler eine Münze zuzuwerfen; es kommt darauf an, einzusehen, daß eine Struktur, die Bettler produziert, neues Strukturieren braucht." Die USA seien "auf der falschen Seite der Weltrevolution". Er attackierte "unsere Allianz mit den Großgrundbesitzern Lateinamerikas" und fragte, warum die USA die Revolutionen "der hemdlosen und barfüßigen Menschen" der Dritten Welt unterdrückten, anstatt sie zu unterstützen.

Bomben und Kugeln

Solche Worte konnten bei den Betroffenen nur Haß erzeugen. Auch manche, die fromm (wenn auch spät und lauwarm) gegen den Rassismus schrieben, nannten solche Worte "demagogische Verleumdung" und bedauerten scheinheilig, daß King nun für sein Volk weniger nützlich sei. Dabei steigerte sich das Nachschnüffeln durch das FBI immer mehr, es wurde versucht, mit erfundenen Bettgeschichten King zu erpressen, ja sogar in den Selbstmord zu treiben. Der Bruch mit den Regierungsleuten war nun vollkommen.

Schon am 14. November 1966 hatte er seinen Mitarbeitern gesagt: "Man kann über eine Lösung der Probleme der Afroamerikaner nicht reden, ohne über Dollarmilliarden zu sprechen. Man kann nicht darüber reden, Slums zu beseitigen, ohne vorerst zu sagen, daß der Profit aus den Slums verhindert werden muß. Damit ... begeht man gefährlichen Boden, man verursacht Ärger mit bestimmten Leuten. Man hat mit Industriekapitänen zu tun ... Da tritt man in gefährliche Gewässer, weil wir in Wirklichkeit damit sagen, daß mit dem Kapitalismus ... etwas nicht in Ordnung ist ... Es muß eine bessere Verteilung des Reichtums geben, vielleicht muß sich Amerika in die Richtung eines demokratischen Sozialismus bewegen."

Und bei einer Festveranstaltung zu Ehren des 100. Geburtstags von W.E.B. Du Bois im Februar 1968 sagte King sogar: "Wir können nicht von Dr. Du Bois reden ohne anzuerkennen, daß er lebenslang ein Radikaler war. Manche möchten die Tatsache ignorieren, daß er in seinen späteren Jahren ein Kommunist war ... Es ist Zeit mit dem Ignorieren der Tatsache aufzuhören, daß Dr. Du Bois ein Genie war und beschloß, Kommunist zu sein. Unser irrationaler, zwanghafter Antikommunismus hat uns in zu viele Sümpfe geführt, um ihn beizubehalten, als ob er eine Methode des rationalen Denkens wäre."

FBI-Chef J. Edgar Hoover konnte seine Wut kaum bändigen. Doch King blieb nicht bei Worten: mit der Südlichen Christlichen Führungskonferenz (SCLC) arbeitete er Pläne für einen neuen Marsch auf Washington aus, diesmal als "eine multirassische Armee" von Schwarzen, Latinos, Indianern und Weißen gemeinsam gegen die Armut, um "zivilen Ungehorsam" zu leisten und dort zu bleiben, bis der Kongreß aufhöre, "Feindseligkeit gegen die Armen" zu üben, "freigebig und schnell Militärgelder", aber "nur geizig Geld für die Armen" zuzubilligen. King suchte nicht nur Reformen, er nannte "Systemfehler wie Rassismus, Armut, Militarismus und Materialismus" und meinte, daß "uns eine Neubildung der Gesellschaft bevorsteht". An hohen Stellen klangen die Alarmglocken, Publikationen wie das rechte "Reader’s Digest" warnten vor einem Aufstand!

Vorerst demonstrierte King seine Unterstützung für die ärmsten Arbeiter im Lande und für die Gewerkschaften bei den streikenden schwarzen Müllabfuhrleuten in Memphis (Tennessee). Eine Bombenbedrohung verspätete seine Ankunft, und King ahnte Gefährliches "von einigen unserer kranken weißen Brüder". Er täuschte sich nicht. Am 4. April 1968, auf dem Balkon seines Motels, erreichte ihn der Todesschuß.

Ein gewisser James Earl Ray gestand das Verbrechen, zog dann das Geständnis zurück, das er nur machte, um einer Todesstrafe zu entgehen, und verlangte einen Prozeß, den er nie bekam. Viele Indizien deuteten darauf hin, daß die Kugel aus leicht durchschaubaren Gründen von anderen abgefeuert wurde. 1999 stellten zwölf Geschworene fest, daß ungenannte "Regierungsämter Teilnehmer" am Mordkomplott waren.

300.000 Menschen nahmen an der Trauerfeier für King teil, während der Zorn der schwarzen Amerikaner sich in 125 Ghettos entlud: es starben dabei 46, 3.500 wurden verletzt, Tausende verhaftet. Allein in Washington mußten 15.000 Mann starke Truppen "Ordnung schaffen".

Seitdem gab es große Kämpfe: die Schwarzen Panther, Angela Davis, Mumia Abu-Jamal fallen einem ein. Doch niemals wurde die Intensität jener Jahre erreicht. Einerseits konnte eine größere afroamerikanische Mittelschicht entstehen, andererseits sorgten eine Epidemie von Rauschgift – absichtlich gefördert, meinen manche – und eine damit verbundene Flutwelle von Verhaftungen und langen Urteilen bei jungen Schwarzen für einen unruhigen Halbfrieden in den noch fürchterlich leidenden armen Ghettos.

Die Kampagne Barack Obamas für die Kandidatur der Demokratischen Partei, womöglich für die Präsidentschaft, wird zeigen, ob es bei weißen Amerikanern möglich ist, einen Teil der uralten Vorurteile zu überwinden. Obamas Gegner haben schon begonnen, auf Rassismus zu bauen. Wer und was wird stärker? Könnte ein Präsident Obama zumindest innenpolitisch vieles ändern? Die nächste Zeit kann dramatisch werden.