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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Leseland DDR – Was Widmungen in Büchern erzählen

Prof. Dr. Edeltraut Felfe, Greifswald

 

Interessant, die gegenwärtige gesamtdeutsche Wirklichkeit trägt dazu bei, dass manche im Osten den Kopf wieder höher tragen und den Rücken gerader machen. Und bei der überlebensnotwendigen Suche nach Alternativen zum Heute sollte die DDR nicht länger beiseitegeschoben werden. Da hinein gehört das »Leseland«. Ein wunderbares Wort. Im Schreibprogramm von Word wird es als unbekannt markiert. Eine Definition gibt es nicht. Partei und Staat gingen von Anbeginn und tatkräftig davon aus, dass eine friedenstüchtige sozialistische Gesellschaft ohne Literatur und Kunst mit und für die arbeitenden Klassen nicht zu entwickeln ist. Das Bücherlesen gehörte zum Alltag der meisten Leute im Land. Und als Anfang der 1990er Jahre entgegen Artikel 35 des Einigungsvertrags Bücher und anderes Schriftgut aus damals 87 DDR-Verlagen treuhänderisch millionenfach vernichtet wurden/werden sollten, gab es Retter wie Peter Sodann und seine Helfer aus Sachsen und eben auch Kernkraftwerker aus Lubmin. Später brachten Leute Bücher, die sie nicht wegwerfen wollten, dem neu gegründeten Verein der »Greifswalder Bücherfreunde«. Retter und Bewahrer von Büchern gehören zum Leseland. Und dann war mit Widmungen in vielen Büchern zu entdecken, warum sie geschenkt wurden. Frei nach Tucholsky: »Es gibt nur sehr wenige Situationen jedes menschlichen Lebens, in denen man keine Bücher lesen kann, könnte, sollte …« erzählen sie von Weihnachten, Geburtstagen, von Liebe und Freundschaft, Wohngemeinschaften, sogar von »Standort- und Truppen-Bibliotheken« in der Nationalen Volksarmee, von Sportfesten, Aquariumzirkeln, Nachbarschaftshilfe, Altstoffsammlung und Dankbarkeit von Patienten für ihre Ärzte und Schwestern in einer Klinik-Station. Andere Widmungen offenbaren: Schreibende und Lesende haben sich gebraucht, und in diesem Land wurde anders gelesen als in der BRD. Über das Warum von Konflikten zwischen der Macht und Schreibenden, die auch Lesende berührten, bleibt nachzudenken. Und in unglaublicher Vielfalt von Büchern und Anlässen, sie zu schenken, war das Leseland immer auch ein Kinderland. So gehören auch Widmungen in Büchern zum Leseland und zu seiner Geschichte. 

Die meisten Widmungen kamen wohl aus allen Bereichen des Berufslebens und zwar aus den 50er bis 70er Jahren – kein Zufall. Die Arbeitswelt war im Lebenszentrum – sicher ein weiteres Merkmal vom Leseland, aus seinen besten Jahren. Viel war da von Kollektiven, Qualifizierung und Wettbewerb, von Patenbrigaden, FDGB-Ferienheimen, Neuererwesen, »Messe der Meister von Morgen« die Rede. »Marktplatz der Sensationen« von Egon Erwin Kisch wurde 1952 für »Die Vereinfachung des Meldewesens« geschenkt! Und eine so schöne Zueignung: »Bleib immer Lehrling, dann bist du Meister, zur Meisterprüfung 1967«. Buchgeschenke waren gewollt und gefördert, sie wurden eine ideenreich gelebte Tradition. Und auf dem »Bitterfelder Weg« sind seit 1959 unter anderen Christa Wolf, Brigitte Reimann, Günther de Bruyn, Volker Braun, Werner Bräunig (»Rummelplatz«) und Jan Koplowitz unterwegs gewesen. Schön, die Widmung mit Augenzwinkern: »Brigitte Reimann als Dank für ein Jahr Quälerei 10.2.61 Zirkel schreibender Arbeiter Schwarze Pumpe.« Literatur und Kunst sollten im alltäglichen Arbeitsleben sein und aus ihm erwachsen. Und wenngleich das »utopische Konzept« nicht etabliert werden konnte, hat es in verschiedener Form doch lange fortgelebt. [1] Und sein »bleibendes Verdienst« sei, »bei den heute sogenannten bildungsfernen Schichten ein Interesse an Kunst und Literatur angeregt zu haben«. [2] 

Unsere mehr oder weniger zufällige Sammlung erzählt Wesentliches über die DDR. Sie scheint soziologische Studien und inzwischen unzählige dokumentierte Erinnerungen zu bestätigen, in denen »Ostidentität«, ob ausgesprochen oder vermittelt, am Volkseigentum festgemacht wird. »Volkseigene Betriebe und Arbeitskollektive sind eine zentrale Vergesellschaftungsinstanz in der DDR gewesen, weil sie für Arbeit und Lebensunterhalt gesorgt und zugleich soziale Funktionen erfüllt haben«. [3] Die Rede ist auch von einer »Aufstiegsgesellschaft … frei von Klassendünkel, die Männern und Frauen aus dem sogenannten Volk die Gelegenheit bot, hochzukommen.« [4] 

Wir Menschen haben eben wesentlich soziale, nicht nur materielle Bedürfnisse. Davon reden wir, wenn uns Bücher gebracht werden. Öfter geht es da auch um das Friedensgebot im Leseland. Früher habe es ein viel besseres Miteinander, Verantwortung für das Ganze, mehr Herzlichkeit, gegenseitige Hilfe, Offenheit, Wärme und Anerkennung gegeben. Wolfgang Engler spricht von »dem Neuen, Wertvollen der menschlichen Beziehungen«, an dem man doch gehangen und es in den frühen 90er Jahren in gewisser Weise selbst verleugnet habe. [5] 

Aber in dem Buch von Fritz Reheis aus Bamberg: »Wo Marx Recht hat« mit der Widmung für den ostdeutschen Christian »mit besten Wünschen für eine anregende Lektüre« wird en passant behauptet, dass Realsozialismus auch nicht ansatzweise etwas mit der Marxschen Idee von der Selbstentfaltung des Einzelnen im vergesellschafteten Arbeiten zu tun gehabt habe. Unter dem Kapitel, »Jenseits des Kapitalismus« hält er jedoch fest, dass für Bedürfnisse wie Bildung, Kultur, Gesundheit, öffentlicher Verkehr, »unter den planwirtschaftlichen Bedingungen der DDR im Vergleich zu Westdeutschland beachtlich gut gesorgt wurde.« Und als zentrale künftige Aufgabe spricht der Autor von der »Wiedervereinigung von Arbeit und Eigentum als Überwindung von zerstörerischer Entfremdung«. [6] Dafür war der Sockel, von dem etwas in die Zukunft reicht, reichen könnte, im Leseland gebaut. Und Volker Brauns erdachte, erhoffte Rebellen gegen die Große Volksenteignung der 1990er Jahre beteiligen sich in »Helle Haufen« (2011) mit ihren »Mansfelder Artikeln von den gleichen Rechten aller« an dieser bleibenden Suche. Das Buch mit Signum gehört zu den Schätzen der »Greifswalder Bücherfreunde« e.V..

 

Anmerkungen:

[1] Dietrich Löffler, Buch und Lesen in der DDR …, Berlin 2011, S. 94 ff.

[2] Leonore Kenzlin, Hefte zur DDR-Geschichte 156, ..., Berlin 2024, S. 25.

[3] Thomas Lindenberger, Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden, nd DER TAG, 13. 03. 2024.

[4] Wolfgang Engler, der Freitag, 13. 03. 2025.

[5] Ebenda.

[6] Primus Verlag, Darmstadt 2011, S. 135 ff.

 

Mehr dazu: Edeltraut Felfe, Leseland DDR, Was Widmungen in Büchern erzählen … unterwegs zu meinem verschwundenen Land, nordlicht verlag, Karlshagen 2025.

 

Mehr von Edeltraut Felfe in den »Mitteilungen«: 

2018-08: Die Wirklichkeit drängt zum Gedanken

2017-11: Rechtspopulismus und Neofaschisten – Warum auch in Skandinavien?

2012-09: Kommunistische Parteien in Skandinavien