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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Konrad Wolf – anwesend!

Dr. Hartmut König, Panketal

 

Zum 100. Geburtstag des unvergessenen Regisseurs und Akademiepräsidenten

 

Schon früh im Jahr hatte ich in der Zeitschrift »Ossietzky« über Konrad Wolf geschrieben. Der Anlass war die Wiederaufführung seines 1958 fertiggestellten, aber bis 1972 verbotenen Films »Sonnensucher« im Anschluss an eine Laudatio auf sein Leben und Werk. Die URANIA Barnim hatte, obwohl sich sein Geburtstag erst jetzt, im Oktober, zum 100. Mal jährt, im überfüllten Bernauer Rathaussaal an den bedeutenden Regisseur und Präsidenten der Akademie der Künste der DDR erinnert. Nicht zufällig in Bernau, denn hier war Konrad Wolf als Rotarmist für kurze Zeit sowjetischer Stadtkommandant gewesen, und man hatte ihm 1975 die Ehrenbürgerschaft verliehen. Eine sehr willkommene Reminiszenz, die unter den in der DDR Herangewachsenen kaum einen kalendarischen Anlass benötigte, so unvergessen sind hier Konrad Wolfs Arbeiten. Eine Entdeckung eher für Kulturinteressierte, denen jenseits der Elbe sein Œuvre nur selektiv nahegebracht wurde. Ideologische Fesseln der bundesdeutschen Kulturbürokratie bewirken, dass sein Werk, obwohl es auch im Westen ausgezeichnet wurde, in der Nationalkultur des zusammengeschraubten Deutschlands noch immer nicht den ihm gebührenden Platz einnimmt. Es stört wohl seine aufrechte Bindung an den sozialistischen deutschen Staat, während sein Konflikt zwischen Gesinnungstreue und Zurückweisung kulturpolitischer Enge, sofern der überhaupt wahrgenommen wurde, keine »dissidentische Qualität« aufwies. Allzu erkennbar richtete sich sein künstlerisches »Ja, aber« auf die Optimierung der Gesellschaft, in der er lebte und arbeitete. Er war Mitglied des ZK der SED, auch blieb sein Verhältnis zum älteren Bruder Markus, dem Chef der DDR-Aufklärung, an der sich westliche Dienste die Zähne ausbissen, lebenslang ohne jede Spur von Entfremdung. 

Politische und künstlerische Prägungen

Konrad Wolfs antifaschistische, prosozialistische Denk- und Arbeitsweise geht auf die Erziehung im Elternhaus und sehr stark auf Prägungen im sowjetischen Exil zurück. Seine Kunstfertigkeit hatte wohl frühe Wurzeln in der literarischen Arbeit des Vaters. Sie reifte in der Lehre bei Koryphäen der sowjetischen Kinematografie wie Sergej Gerassimow und Michail Romm, später in der Regieassistenz bei Joris Ivens oder Kurt Maetzig. Wolfs Arbeiten nach Erlangung der DDR-Staatsbürgerschaft 1952 ließen eine stete politische und ästhetische Auseinandersetzung mit den historischen Grundlagen und aktuellen Vibrationen der Gesellschaftsentwicklung seiner ostdeutschen Wahlheimat erkennen.

Am 20. Oktober 1925 im württembergischen Hechingen geboren, wuchs Konrad Wolf zunächst in Stuttgart auf. Mit seinem Vater Friedrich Wolf, dem Arzt und der proletarischen Sache zugetanem Schriftsteller, der Mutter Else und Bruder Markus musste er bei Hitlers Machtantritt 1933 aus Deutschland emigrieren. Zunächst in die Schweiz und nach Frankreich. Der Vater fand über Österreich den Weg in die Sowjetunion. Seine Frau und die Kinder folgten ihm Ende 1934 nach Moskau, wo Konrad Wolf bis 1937 die deutsche Karl-Liebknecht-Schule besuchte. 1936 hatte die Familie die sowjetische Staatsbürgerschaft erhalten. Nach Evakuierungen in die Städte Tschistopol und Alma-Ata ab 1942 wieder in Moskau, absolvierte Konrad Wolf Einsätze an der »Komsomol-Arbeitsfront«, schloss die 9. Klasse ab und wurde im Dezember 1942 in die Rote Armee einberufen. Als Dolmetscher und Übersetzer leistete er Aufklärungsarbeit unter deutschen Kriegsgefangenen. Später war er an der Befreiung Warschaus beteiligt und im April 1945 eben für einige Tage Stadtkommandant von Bernau, wobei sich der kommandierende General bei dem Jüngling augenzwinkernd dafür entschuldigte, dass er ihm nicht die alte Heimat Stuttgart geben könne, denn da stünden die Amerikaner. Nach Kämpfen um Berlin erlebte Konrad Wolf die Siegesfeier im brandenburgischen Premnitz. Die ersten Nachkriegsjahre sahen ihn in verschiedenen politischen Funktionen im Auftrag der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). 1946 demobilisiert, legte er an der Abendschule der SMAD in Karlshorst das Abitur ab, bevor er zum Regiestudium am Staatlichen Allunionsinstitut für Kinematografie zeitweilig nach Moskau zurückkehrte.

Glücksfall für die DDR-Kinematografie

Wolfs Ausbildung zum Regisseur sollte sich als Glücksfall für die Geschichte des DDR-Films erweisen. Vierzehn Spielfilme und sein noch fertiggestellter Beitrag zu dem Dokumentarfilm-Projekt »Busch singt« sind die beeindruckende Bilanz seiner kinematografischen Befragung von Geschichte und Gegenwart. Von ihr erhoffte er Impulse für ein vernünftiges, ethisch verantwortungsvolles, die neuen gesellschaftlichen Chancen begreifendes Handeln. Alle Etappen volksdemokratischer und sozialistischer Entwicklung in der DDR hatten ihren Progress und ihre Krisen. Wolf notierte sie als Realist und mit dem Gestus eines nach Verbesserung Strebenden. Bei »Sonnensucher« traf seine Ambition, härtere Konfliktsituationen nicht geglättet, sondern in der Mühsal ihrer Bewältigung aufzuzeigen, auf regierenden Unmut. Der Film spielt in dem von der SMAD kontrollierten Uranbergbau der WISMUT. Sepp Wenig, der hier als Brigadier und Obersteiger arbeitete und zu einem der ersten Aktivisten der DDR gekürt wurde, hatte sein ideologisches Veto gegen den Film eingelegt. Die kulturpolitische Ablehnungsfront versammelte sich hinter seinem Rücken. Politisch, charakterlich und nach damaliger Auffassung auch in Sachen Moral geht es unter und über Tage tatsächlich ruppig zu. Der kommunistische Haudegen Jupp König umgibt sich mit einer Prostituierten, die ihn zu Nazi-Zeiten vor Verfolgung geschützt hatte. Der dröge Obersteiger, der von der jungen Lotte geheiratet wird, obwohl die den sowjetischen Ingenieur Sergej liebt, verbirgt als Genosse ein Vorleben in der faschistischen Vergangenheit. Hin und wieder schlägt man sich untereinander und mit der Volkspolizei. Ein raues Klima, die Konflikte werden mit Bedacht nicht geglättet, weil sie ausgestanden werden mussten. Nach Hiroshima und Nagasaki war die Sowjetunion auf das WISMUT-Uran angewiesen.

Auch in späteren Filmen schreckte Wolf vor fragenden Blicken auf die DDR-Wirklichkeit nicht zurück. In »Der nackte Mann auf dem Sportplatz« (1974) wird die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft im Wechselbad von – nicht selten ideologisch – verklemmter Distanz und wachsendem Verständnis für die Eigenart künstlerischer Reflektion thematisiert. Ein Konflikt um Realismus-Auffassungen, den Konrad Wolf nur zu gut kannte. In »Solo Sunny«, seinem letzten Spielfilm (1980), beschreibt er die Lebenssituation einer früheren Arbeiterin mit sängerischem Talent, die zunächst durch die Welt seichter Unterhaltung tingelt. Auf der Suche nach zeitgemäßem Ausdruck findet sie Anschluss in einer neuen Band und steht für eine junge Frau, die ihren Willen zur Selbstverwirklichung auch gegen widrige Umstände behauptet.

Zwei Jahrzehnte zuvor hatte in »Der geteilte Himmel« (1964) die junge Rita, Pädagogik-Studentin und zeitweilig Praktikantin im Waggonwerk, eine schwierige Entscheidung zu treffen. Sie hat ihren Geliebten, einen begabten Chemiker, der auch wegen ausbleiben­der Würdigung seiner Arbeit von einem Kongress im Westen nicht in die DDR zurückgekehrt war, bei noch offener Grenze in Westberlin besucht. Er bittet sie, bei ihm zu bleiben. Aber das Zusammenleben in der fremden Welt, in der man »auf schreckliche Weise allein« ist, scheint ihr unmöglich. Sie will sich von ihrer Heimat nicht lösen. 

Kämpferischer Antifaschismus und Liebe zur Sowjetunion

Breiten Raum in Konrad Wolfs Schaffen nehmen antifaschistische Filme ein: »Lissy« (1958), »Sterne« (1959), »Professor Mamlock« (1961), »Ich war neunzehn« (1968), »Mama, ich lebe« (1977). International stark beachtet, wiesen thematische Hinwendung und gestalterische Qualität dieser Arbeiten stets auch auf die politische Verfasstheit der DDR hin. In »Ich war neunzehn« gibt es die Szene, in der ein aus der Haft befreiter Antifaschist von dem jungen Rotarmisten Gregor Hecker überzeugt wird, in einem Dorf Bürgermeister zu werden. Inmitten argwöhnischer Einwohner, in Sorge, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, bleibt er auf dem Posten und hört zum Abschied noch einmal das geliebte Lied von der Jarama-Front, mit unvergleichlicher Kraft gesungen von Ernst Busch. Einer der vielen Belege dafür, wie sehr Konrad Wolf auf die dramaturgische Wirkung von Liedern vertraute. Auch um seinen Freund und Genossen zu ehren, hatte er die künstlerische Verantwortung für das Gesamtopus »Busch singt« übernommen und für dessen dritten und fünften Teil letztmalig auch Regie geführt.

Es öffnete einem das Herz, wenn Konrad Wolf von seiner Liebe zur Sowjetunion erzählte. Stolz auf die Aufbauerfolge, zugleich voller Trauer über die auch in seinem Umkreis wahrgenommenen Exzesse Stalinscher »Säuberungen«. Zugleich der unbändige Wille, zur Zerschlagung der faschistischen Barbarei beizutragen. Einmal erzählte er mir, wie sein Trupp befreiten Antifaschisten begegnete und angesichts deren Schwäche selbst einen kräftigen Handschlag scheute. Oder wie er als gebürtiger Deutscher in der Rotarmisten-Uniform je nach Einstellung seines Gegenübers als Verräter, Rächer oder Befreier angesehen wurde. Und dass man seinen Hass auf die Nazis nicht auf alle Deutschen übertragen durfte, die aus den materiellen und geistigen Ruinen hervorkrochen. Auch meinte er, dass es die deutsch-sowjetische Freundschaft anfangs wohl nicht leicht haben, sich aber im neuen Leben entwickeln würde. Genau das geschah in der DDR, woraus sich heutzutage ein Gutteil der Wut erklärt, mit der im Osten Deutschlands die russophoben Attacken bundesdeutscher Außenpolitik aufgenommen werden. Als Konrad Wolf am 7. März 1982 erst 56-jährig starb, war die DDR ein in der Welt geachtetes Land. Der Dank für die Befreiungstat der UdSSR war Staatsräson und Herzensangelegenheit der meisten Menschen. Müsste Konrad Wolf heute erleben, dass in den sowjetischen Ehrenmalen am Tag des Sieges auf polizeiliche Anordnung der »Heilige Krieg« nicht abgespielt werden darf, würde er sich für ein Deutschland, das das verbietet, schämen. Wir tun es an seiner Statt. 

 

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