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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Gleiches Recht für alle!

Dr. Hans Modrow, Berlin

Erklärung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28. Februar 2018 in Leipzig, zu Protokoll gegeben

Geehrte Damen und Herren, das Bundesverwaltungsgericht entscheidet heute in einer Verwaltungssache. Nämlich, ob eine Bundesbehörde meiner Forderung nach Einsicht in die über mich von ihr angelegten Akten nachkommen muss oder nicht.

Bei der Bundesbehörde handelt es sich um den Bundesnachrichtendienst, der, wie inzwi­schen bekannt wurde, mich seit den 1950er Jahren beobachtet und darüber Buch geführt hat.

Ich habe Vertrauen in den Rechtsstaat und bin davon überzeugt, dass die Justiz ihren Bei­trag zur Herstellung von Transparenz leisten wird. Denn darum geht es vor allem.

Nicht um die Befriedigung meiner privaten Neugier, sondern darum, ob Bürger der Bundes­republik Deutschland Anspruch darauf haben zu erfahren, was deutsche Geheimdienste – auch mit konspirativen Methoden – über sie an persönlichen Daten gesammelt und gespei­chert haben.

Fortgesetzte Ausspähung auch nach dem Ende des Kalten Krieges

Diesem verständlichen wie demokratischen Ansinnen wurde schon einmal in der deut­schen Geschichte entsprochen, als nämlich DDR-Bürger 1989/90 ihre Akten forderten, die das Ministerium für Staatssicherheit über viele von ihnen angelegt hatte. Auch über mich.

Der Bundestag, dem ich von 1990 bis 1994 angehörte, beschloss die Offenlegung dieser MfS-Dokumente und die Errichtung einer entsprechenden Bundesbehörde. Seit 1992 kön­nen Betroffene wie auch Wissenschaftler, Journalisten und andere Interessierte dort Ein­sicht in die Papiere nehmen. Entsprechend den gültigen Datenschutzbestimmungen. So werden insbesondere Namen geschwärzt.

Seither studieren vornehmlich Ostdeutsche ostdeutsche Akten.

2013 bestätigte der damalige Bundesinnenminister Friedrich, dass auch westdeutsche Dienste Daten konspirativ über mich gesammelt und auch gespeichert haben. Jahrelang hatte ich mich um Beweise für diese Annahme bemüht. Erfolglos. Gespitzelt habe nur die DDR, kam es gleichermaßen ablehnend wie vorwurfsvoll aus den angefragten Institutio­nen.

Der Bundesinnenminister bezeugte 2013 nicht nur, dass ich Recht hatte mit meiner Ver­mutung. Sondern dass die Dienste bereits im Vorjahr meine Beobachtung eingestellt und die Akten geschlossen hätten. Diese würden nunmehr zur Übergabe an das Bundesarchiv vorbereitet. Danach gilt das Bundesarchivgesetz, und das versperrt den Zugang für dreißig Jahre nach Eingang der Papiere dort. Ich müsste folglich 114 Jahre alt werden, ehe ich meine Akten im Bundesarchiv studieren könnte.

Die Mitteilung des Bundesinnenministers, dass ich 62 Jahre lang ausgespäht wurde, über­raschte mich allerdings. Konnte ich mir das Interesse an meiner Person bis 1989 noch da­mit erklären, dass während des Kalten Krieges die Nachrichtendienste in Ost wie in West Personen und Vorgänge auf der jeweils anderen Seite ausspähten. Doch danach? Ich glaubte, dass nach dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit und dem erklärten Ende des Kalten Krieges sich diese wechselseitige Ausspähung erledigt hätte. Von der Ostseite ganz gewiss, denn deren Dienste gab es nicht mehr. Sie waren in meiner Regierungszeit aufge­löst worden.

Das Schreiben des Bundesinnenministers offenbarte jedoch, dass die Nachrichtendienste des Westens weiterhin im Osten gegen Ostdeutsche spioniert hatten. An der Praxis schien sich nichts geändert zu haben. Auch 22 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit nicht.

Der BND wollte nichts notiert haben

Und offenkundig war es ohne jeden Belang gewesen, dass ich von Bundesbürgern – dem Souverän in dieser Republik – in den Deutschen Bundestag geschickt worden war. Demo­kratisch gewählt und demokratisch legitimiert, die Exekutive zu kontrollieren. Darin näm­lich besteht das Mandat der Legislative.

De facto haben also die Bundestagsabgeordneten auch gegenüber Bundesbehörden die Kontrolle und nicht umgekehrt. In meinem Falle kontrollierten aber die bundesdeutschen Nachrichtendienste den Bundestagsabgeordneten.

Diese Mitteilung aus dem Bundesinnenministerium nahm die Fraktion der Partei DIE LINKE zum Anlass, eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zu richten. Sie begründeten ihr Auskunftsersuchen so: »Für eine Aufklärung der Geschichte des Kalten Krieges und der ge­genseitigen geheimdienstlichen Beobachtung und Überwachung der beiden deutschen Staaten wäre es wichtig, mehr über die Tätigkeiten westdeutscher Geheimdienste [...] zu erfahren. Es handelt sich um ein abgeschlossenes Kapitel deutscher, europäischer und in­ternationaler Geschichte.«

Die Bundesregierung antwortete im Rahmen der ihr zugänglichen Informationen und Mög­lichkeiten. Dabei bestätigte sie nicht nur, dass von 1951 bis 2013 eine »Informationserhe­bung« in Bezug auf Hans Modrow durch westdeutsche Dienste erfolgt sei. Sie räumte auch ein, dass mindestens weitere 71.500 Ostdeutsche Modrows Schicksal geteilt hätten. Min­destens 71.500. Vermutlich aber waren es noch mehr.

Und wenn man die Westdeutschen hinzuzählt, sind es noch viel, viel mehr. Darauf zielte eine zweite Kleine Anfrage der Linksfraktion. Sie wollte von der Bundesregierung Auskunft über die »Beobachtung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Massenorganisationen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Kontakten in die DDR«. Die Bundesregierung re­agierte, wie es parlamentarisch üblich ist. Sie bestätigte diese Praxis, blieb aber, wie sie erklärte, eine »detaillierte Aufschlüsselung« schuldig, weil der damit verbundene Recher­cheaufwand »im Rahmen der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage« einfach zu groß sei.

Ich will dies hier nur erwähnt haben. Der Streitgegenstand der heutigen Verhandlung ist meine Klage auf Einsicht in die Akten des BND und des Verfassungsschutzes zu meiner Person und ihren politischen Zusammenhängen. Beim heutigen Verfahren geht es doch um deutsch-deutsche Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit ihrer Geheimdienste. Zur Aufhellung unserer gemeinsamen Vergangenheit, an der ich als Zeit­zeuge seit Jahrzehnten mitwirke, sollte auch dieses Verfahren objektiv beitragen.

Ich habe die Institutionen, die mich 62 Jahre lang beobachtet haben, um Einsicht in meine Akten gebeten. Zunächst wollte man dort nichts, dann nur wenig über mich gespeichert haben. Wegen neun Seiten, die man beim ersten Mal gefunden hatte, sollte ich nach Pullach kommen.

Ungläubig verwies ich unter anderem auf meine zahlreichen nationalen wie internationalen Engagements, die ganz gewiss in der BND-Zentrale und anderswo registriert worden wa­ren. Angefangen von meiner Kandidatur für das Westberliner Abgeordnetenhaus 1958 über Dienstreisen in verschiedene westdeutsche Bundesländer bis hin zu meinen Bemü­hungen in Tokio zur Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen Japan und der DDR oder meine zahlreichen Dienstreisen als Parlamentarier etwa nach Lateinamerika, insbe­sondere in das boykottierte Kuba, wo ich mich auch mit Fidel Castro traf.

Von all dem wollte der BND nichts bemerkt und nichts notiert haben?

Ich listete ihm auf, wo ich überall vermutlich in ihr Fadenkreuz geraten war und worüber ganz gewiss Akten vorlägen. Verwies auf meine zahlreichen Publikationen, die auch auf Englisch und Spanisch, Chinesisch und Russisch erschienen waren, in denen darüber be­richtet wurde.

Ich stellte einen Forschungsantrag an den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, weil ich davon ausging, dass eventuell die DDR-Dienste registriert haben könnten, was die BRD-Dienste über mich gesammelt hatten. Dort aber fand ich nichts.

Ich erhielt aber auch Informationen, dass es eine MfS-Akte über mich zwar gegeben habe, die jedoch im Herbst 1989 illegal an die sowjetische Dienststelle des KGB in Dresden ge­geben und von dort in die Sowjetunion verbracht worden war. Über den Verbleib dieser Akte konnte die Botschaft der Russischen Föderation auf Nachfrage in Moskau nichts sa­gen.

Wenn die Regierung der BRD auf Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag mitteilt, es hätte noch zur Amtszeit Erich Honeckers Absichten gegeben, gegen meine Per­son Anklage zu erheben, stellen sich doch Fragen, die Auskünfte verlangen.

Bestehende Ungleichheit in unserem Lande sollte beendet werden

Hohes Gericht, vielleicht können Sie meiner Vorstellung nahetreten – bald 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD zur Darstellung der Geschichte der beiden deutschen Nach­kriegsstaaten seit der Vereinigung – dass es der Herstellung des inneren Friedens in Deutschland dienlich wäre, würden wir den einseitigen Umgang mit Geheimdienstakten beenden. Gleiches Recht für alle, sagt unser Grundgesetz. Das heißt für mich: Ostdeutsche haben nicht nur Anspruch darauf, ihre ostdeutschen Stasi-Akten lesen zu dürfen. Ostdeut­sche haben auch das Recht zu erfahren, was westdeutsche Geheimdienste während der Zeit des Kalten Krieges über sie zu Papier gebracht und in ihren Archiven abgelegt haben. Vor Gericht sollten nicht nur Stasi-Akten verhandelt werden; wenn der BND und der Ver­fassungsschutz Auskünfte zur Sache geben könnten, sollten sie Beachtung finden. Dieses Recht ist unteilbar. Die Ostdeutschen sollten es gemeinsam mit den Westdeutschen wahr­nehmen dürfen.

Eine Verweigerung dieser Einsicht schreibt die erkennbar bestehende Ungleichheit in un­serem Lande fort. Deshalb spreche ich auch ungern von der Einheit, denn es besteht un­verändert eine Zweiheit, wenn hier mit zweierlei Maß gemessen und zweierlei Recht zuge­standen wird.

Das sahen die 1990 geschlossenen Staatsverträge zwischen der DDR und der BRD nicht vor. Die DDR kann Versäumnisse und Unterlassungen dieser Verträge nicht einklagen. Es gibt sie nicht mehr. Das ist nun die Aufgabe von Personen wie mir und anderer Zeitzeugen.

Nur ein Beispiel: Die Ausreise der Botschaftsflüchtlinge in Prag Anfang Oktober 1989 er­folgte aufgrund einer Verabredung zwischen Ostberlin, Bonn und Prag. Teil dieser Verein­barung war, dass die Züge über DDR-Territorium ins Bundesgebiet fuhren und dabei von westdeutschen Beamten begleitet wurden. Darunter Genschers Mitarbeiter Dr. Wolfgang Ischinger, heute Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. In Dresden kam es dabei zu gewalttätigen Ausschreitungen. Ich möchte noch einmal betonen, die Entscheidung über die Route war also zwischen der DDR und der BRD vereinbart. Die Auswirkungen dieser Vereinbarung sprechen für eine Fehlentscheidung, aber die Verantwortung für die entstan­dene Lage wurde mir juristisch angelastet. Welche Rolle spielten in solchen Zusammen­hängen die Geheimdienste der beteiligten Länder und welche Erkenntnisse hatten sie?

Auch wenn die heutige Verhandlung überschrieben ist »Dr. Hans Modrow gegen die Bundesrepublik Deutschland« so ist es erstens kein privates, sondern ein gesellschaftliches Anliegen. Und zweitens geht es mir, der ich dem Deutschen Bundestag und dem Europäischen Parlament durch Wählerwillen angehört habe, um die Darstellung der Geschichte, die dem inneren und äußeren Frieden dienen soll.

Sie, meine Damen und Herren, bestimmen darüber, wie die Weichen gestellt werden. Und das ist mehr als nur eine Verwaltungssache.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Siehe auch »nd« vom 12. März 2018)