Fünf Gedanken zum »Einparteiensystem«
Jörg Rückmann, Berlin
Am 16. August 2025 feiert Kuba den 100. Gründungstag der ersten Kommunistischen Partei Kubas
»Der Imperialismus besitzt trotz seiner großen Macht nicht die Fähigkeit, die Würde eines vereinten Volkes zu brechen, das stolz auf seine Geschichte und die Freiheit ist, die durch so viele Opfer erkämpft wurde.« (Raúl Castro)
1. Demokratien und Autokratien?
Politik und Medien teilen die Welt gern in zwei Kategorien: in Demokratien und Autokratien. Und da es in Kuba kein Mehrparteiensystem gibt, sondern nur die Kommunistische Partei, könne Kuba keine Demokratie sein. Kuba sei eine Autokratie oder noch schlimmer: eine Diktatur.
Aber ist es korrekt, zwischen Mehrparteiensystem und Demokratie ein Gleichheitszeichen zu setzen? Die Staatsform Demokratie existierte bereits vor rund 2.500 Jahren. Politische Parteien, die in ein Parlament gewählt werden können und dort die Geschicke ihres Landes mitbestimmen, sind dagegen erst mit der bürgerlichen Gesellschaft entstanden.
Korrekt wäre deshalb, von bürgerlicher Demokratie zu sprechen, wenn der globale Westen gemeint ist. Das bedeutet aber auch, dass es außerhalb der bürgerlichen Welt möglicherweise auch andere Formen einer demokratischen Gesellschaft geben könnte.
In Bezug auf Kuba müsste man deshalb fragen, warum sich die Kubaner für ein sozialistisches Gesellschaftsmodell entschieden haben. Wie funktioniert das kubanische Wahlsystem, und welche Möglichkeiten haben die Kubaner, an Entscheidungsprozessen teilzuhaben? Und man müsste fragen, welche Aufgaben und Funktionen die KP Kubas in der kubanischen Gesellschaft hat.
2. Das »Ende der Geschichte«?
Schon immer haben Menschen gegen Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung aufbegehrt. Mit ihrem Protest haben sie versucht, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern oder mit der Waffe in der Hand Altes zu beenden und dann etwas Neues aufzubauen. Das Handeln der Menschen war und ist der Motor jeder gesellschaftlichen Entwicklung. Ein »Ende der Geschichte« mit Kapitalismus und bürgerlicher Demokratie, wie es Francis Fukuyama 1992 sehen wollte, gibt es nicht.
In Kuba wurde das ökonomische System und die Politik für mehr als vier Jahrhunderte von Spanien und später von den USA bestimmt. Mit dem Sieg der Revolution 1959 beendeten die Kubaner diese Vorherrschaft und das ihnen übergestülpte System. Sie gestalteten die ökonomische Basis und die staatlichen Strukturen um, gaben sich ein neues Rechtssystem inklusive eines neuen Wahlgesetzes, schufen neue Formen der Mitbestimmung und setzten 1976 nach einer Volksabstimmung die erste sozialistische Verfassung in Kraft.
Die Notwendigkeit eines radikalen Umbaus der Gesellschaft ist auch ein Thema, mit dem sich andere Länder Lateinamerikas immer wieder beschäftigen. So stellte das Foro de São Paulo mehrfach fest, dass es nicht ausreiche, durch Wahlen in Regierungsverantwortung zu kommen. Notwendig sei auch die Vorherrschaft des Volkes sowie die Umgestaltung aller institutionellen Bereiche, damit die eingeleiteten Prozesse unumkehrbar bleiben und erreichte soziale Errungenschaften nicht wieder beseitigt werden. Auch bedarf es einer revolutionären Führungskraft, die gestärkt und aufrecht erhalten werden müsse (siehe z.B. Abschlusserklärung des Foro de São Paulo 2017).
3. Einigkeit des Volkes
Bereits mit dem ersten Aufbegehren gegen die spanische Kolonialmacht im 19. Jahrhundert existierten unterschiedlichen Auffassungen über die Zukunft Kubas: Beibehaltung der spanischen Herrschaft mit etwas mehr Autonomie, Anschluss an die USA oder Kuba als unabhängiger Staat.
Diese sehr unterschiedlichen Vorstellungen ließen ein gemeinsames politisches Projekt für ein unabhängiges, souveränes Kuba nicht zu. Und diese Uneinigkeit war der entscheidende Grund für das Scheitern des ersten Unabhängigkeitskrieges (1868 – 1878).
Es war José Martí, der die Notwendigkeit der Einigkeit des Volkes im Kampf gegen Spanien erkannte. Seine Vision war, die Kubaner für eine wirkliche Unabhängigkeit ihres Landes zu einen, ein theoretisches Grundkonzept für den Unabhängigkeitskampf zu erarbeiten sowie eine politische Kraft zu installieren, die eine Revolution anführen kann. Eine solche Revolution müsse eine neue Gesellschaftsordnung zum Wohl aller Kubaner zum Ziel haben. Dieser martísche Gedanke von der Einigkeit des Volkes ist in der kubanischen Politik bis heute aktuell.
Im Jahr 1892 gründete José Martí die Partido Revolucionario Cubano (Kubanische Revolutionäre Partei), um alle gesellschaftlichen Kräfte, die für ein unabhängiges Kuba eintraten, zu vereinen, und führte die Kubaner in den zweiten großen Unabhängigkeitskrieg (1895 – 1898).
Anfang 1898 hatte die kubanische Befreiungsbewegung den Sieg über die Spanier errungen. Aber die US-Regierung fürchtete um ihren Einfluss auf Kuba, und Präsident William McKinley lehnte die Anerkennung eines unabhängigen Kubas als »unklug« ab. Die Explosion des US-Kriegsschiffes Maine im Hafen von Havanna am 15. Februar 1898 lieferte den USA den gewünschten Vorwand zum militärischen Eingreifen in Kuba.
4. Die Pseudo-Republik
Diese Einmischung der USA in den Unabhängigkeitskrieg raubte Kuba die Unabhängigkeit und Souveränität und brachte dem Land eine US-Dominanz bis 1959 – mit mehrfachen Interventionsdrohungen und militärischem Eingreifen der USA, mit Diktatoren, mit Inhaftierungen von Oppositionellen, mit politischer Repression und politischen Morden sowie mit Staatsstreichen.
Die erste Kommunistische Partei Kubas (Partido Comunista de Cuba), gegründet am 16. August 1925 vom Studentenführer Julio Antonio Mella und dem Marxisten Carlos Baliño López, zwang man bereits zwei Wochen nach ihrer Gründung in die Illegalität. Generalsekretär José Miguel Pérez wurde als unerwünschter Ausländer aus Kuba ausgewiesen und 1936 in seiner Heimat Spanien von Franco-Faschisten ermordet. Julio Antonio Mella floh nach Mexiko und wurde dort 1929 von Agenten des kubanischen Diktators Gerardo Machado umgebracht.
Ende der 1930er Jahre wurden Parteien und Gruppen der politischen Opposition unter Auflagen wieder zugelassen. Fulgencio Batista, von 1940 bis 1944 gewählter Präsident Kubas, putschte sich im März 1952 wieder an die Macht und wurde durch die USA als Präsident sofort anerkannt. Er erließ ein neues Parteienverbot, löste den Kongress auf und setzte die Verfassung sowie die Möglichkeit von Wahlen außer Kraft. So musste auch die Kommunistische Partei, die sich 1944 in Sozialistische Volkspartei (Partido Socialista Popular, PSP) umbenannt hatte, wieder den schweren und gefährlichen Weg in die Illegalität gehen.
Kuba musste in der Zeit der Pseudo-Republik erleben, dass eine revolutionäre Partei in diesem System keinen Platz haben durfte und die Einheit des Volkes hart bekämpft wurde.
5. Entscheidung des Volkes
Das sozialistische Kuba hat aus den historischen Erfahrungen des Unabhängigkeitskampfes eine wichtige Lehre gezogen: Ohne Einigkeit kann das kubanische Volk Unabhängigkeit und Souveränität nicht erreichen und bewahren.
Deshalb schlossen sich nach dem Sieg der Revolution die drei Organisationen, die gegen die Batista-Diktatur gekämpft hatten, zu einer gemeinsamen politischen Kraft zusammen: 1961 bildeten die Bewegung 26. Juli, die Sozialistische Volkspartei und das Revolutionäre Direktorium 13. März die Integrierte Revolutionäre Organisationen (ORI). Daraus entstand 1962 die Vereinigte Partei der Sozialistischen Revolution Kubas (PURSC), die dann im Oktober 1965 – 40 Jahre nach der Gründung der ersten Kommunistischen Partei – wieder den Namen Kommunistische Partei Kubas (PCC) annahm.
Die KP Kubas ist die führende politische Kraft der Gesellschaft und im Staat. Sie hat die Aufgabe, die Interessen des Volkes zu vertreten sowie die Einheit des kubanischen Volkes und die Verteidigung der Revolution zu organisieren. Dabei beruft sie sich auf José Martí, auf Fidel Castro sowie auf Karl Marx und Wladimir-Iljitsch Lenin. Sie erarbeitet Pläne und Strategien, um die sozialistische Gesellschaft in Kuba – auch als Alternative zur kapitalistischen Welt – zu erhalten und zu stärken. Und sie ist der Garant für den Widerstand Kubas zur Aufrechterhaltung seines Gesellschaftsmodells.
Die KP Kubas kann als Partei nicht zu Wahlen antreten, denn das kubanische Wahlsystem ist kein Parteienwahlsystem, sondern ein Personenwahlsystem. Die Partei darf für Wahlen auch keine Kandidaten nominieren – jeder Bürger, unabhängig von einer Mitgliedschaft in der Partei, hat das Recht, bei Wahlen zu kandidieren.
Die Verfassung Kubas legt die Grundsätze einer sozialistischen Demokratie fest und definiert die Aufgaben der KP Kubas sowie ihre Stellung in der kubanischen Gesellschaft. Die aktuelle Verfassung (2019) wurde – ebenso wie die Verfassung von 1976 – nach umfangreicher Diskussion in allen Bereichen der Gesellschaft nach einer Volksabstimmung in Kraft gesetzt. Diese Möglichkeit der Mitbestimmung und Mitentscheidung haben die Kubaner auch bei anderen wichtigen Gesetzen, z.B. beim Familiengesetz (2022).
Und noch ein kurzer Gedanke zum Schluss: Mitglied in der KP Kubas zu sein bedeutet kein Privileg, es bedeutet mehr Arbeit, mehr Verantwortung und mehr ehrenamtliches Engagement.
Aus: Cuba sí-Revista 2-2025.
Julio Antonio Mella, geboren am 25. März 1903 in Havanna, war Gründer der Union Junger Kommunisten Kubas (UJC) und Mitbegründer der ersten kubanischen KP 1925. Er wurde ermordet am 10. Januar 1929.
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2014-11: Internacionalismo cubano