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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das Elend ist nicht unabänderlich

Margit Glasow, Rostock, Mitglied des Parteivorstands

 

Gedanken zum Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut

 

Armut ist für Millionen Menschen auf der Welt Realität – jeden Tag. Nach Angaben der Weltbank leben etwa 822 Millionen Menschen in extremer Armut und haben damit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Das bedeutet, dass etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung die Grundbedürfnisse ihres täglichen Lebens wie Nahrung, Wohnraum und Kleidung nicht befriedigen können. 

Der Index der mehrdimensionalen Armut (MPI) geht sogar davon aus, dass 1,1 Milliarden Menschen multidimensional von Armut betroffen sind. Dieser Index misst Armut über die Einkommensgrenze hinaus, indem er Aussagen zu akuten Entbehrungen in den drei Dimensionen Bildung (Anzahl der Schuljahre und Anwesenheit in der Schule), Gesundheit (Kindersterblichkeit und Ernährung) sowie Lebensstandard (Brennmaterial zum Kochen, Sanitäreinrichtungen, Wasser, Elektrizität, Boden und Besitz) trifft. 

Über 673 Millionen Menschen leiden an Hunger. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass 1,6 Milliarden Menschen in Städten keinen Zugang zu angemessener Unterkunft haben. Weltweit können rund 773 Millionen Erwachsene nicht lesen und schreiben. Zwei Drittel davon sind Frauen.

Militärische Konflikte, Kriege, Gewalt und Verfolgung, Naturkatastrophen verschärfen diese Situation. Vor allem Kriege vernichten Infrastruktur, zerstören Ernten und zwingen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk sind 122,1 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Diese Zahlen stellen einen Höchststand dar.

Bei der Beantwortung der Frage jedoch, welche Regionen der Welt besonders von Armut betroffen sind, wäre es falsch anzunehmen, dass Reichtum an Bodenschätzen zumindest zu einem erträglichen Leben für die Menschen, geschweige denn zu Wohlstand des Volkes führe. Im Gegenteil: Laut einem Ranking des Internationalen Währungsfonds (IWF) für das Jahr 2023 ist Afghanistan das zweitärmste Land der Welt – obwohl es zu den rohstoffreichsten Ländern zählt und seine natürlichen Ressourcen von großer Bedeutung für moderne Technologien wie E-Autos und Smartphones sind. Doch etwa die Hälfte der 41,5 Millionen Einwohner ist auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben. 14 Millionen Menschen leiden akut an Hunger. 

Dramatisch ist auch die Situation in Gaza. Dort wurde erstmals offiziell eine Hungersnot festgestellt – der höchste Grad der Ernährungsunsicherheit. Er wird von den Vereinten Nationen oder einer Regierung ausgerufen, wenn drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sind: mindestens jeder fünfte Haushalt hat extremen Nahrungsmittelmangel, über 30 Prozent der Kinder sind mangelernährt und täglich sterben mindestens zwei von 10.000 Menschen an hungerbedingten Folgen. Von der Hungersnot betroffen und akut vom Hungertod bedroht sind mehr als eine halbe Million Menschen. 

Das andere Gesicht von Armut

In Deutschland gilt als arm, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung verfügt. Und auch, wenn hierzulande derzeit keine Menschen verhungern, ist Hunger für viele an der Tagesordnung, vor allem für Kinder. Regelmäßig gehen 1,5 bis 1,6 Millionen Bürger zur Tafel, um lebensnotwendige Lebensmittel zu erhalten. Über eine halbe Million Menschen sind wohnungslos und leben in Notunterkünften, Obdachlosenunterkünften oder auf der Straße. 

Für rund 13 Millionen Menschen reicht das Einkommen nicht aus, um in gleichberechtigter Weise an der Gesellschaft teilzunehmen. 2024 sind die Sozialhilfeleistungen um fast 15 Prozent gestiegen – vor allem für die etwa 5,48 Millionen Menschen im Bürgergeld-Bezug. Und für die Rentner. 42 Prozent von ihnen erhalten weniger als 1.000 Euro pro Monat. Die Armut bei Menschen über 65 Jahren, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, hat so Rekordwerte erreicht. Welche Demütigung für die Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben.

Doch schmerzhafter als materielle Einschränkungen wirken soziale Ausgrenzungen, der Verlust gesellschaftlicher Zugehörigkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten. Demütigender als die Tatsache, nicht satt zu werden, sind Diffamierungen und Stigmatisierungen. Ob sich jemand als arm bezeichnet, ist abhängig von den wechselseitigen, komplexen Beziehungen und Interaktionen zwischen Personen und Gruppen. Viele Menschen schämen sich, weniger zu haben als andere, sie grenzen sich von jenen ab, die noch weniger haben, oder ordnen sich denen zu, die mehr haben, was ebenfalls in Ausgrenzungen und Diskriminierungen mündet. Besonders bedenklich ist es, wenn die betroffenen Familien mit Etiketten wie »selbst schuld« oder »asozial«bedacht werden. 

Kürzungen der Sozialleistungen im Bundeshaushalt 2025

Es war vorhersehbar, dass bei den Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2025 angesichts einer Aufrüstung ungekannten Ausmaßes und einer angespannten wirtschaftlichen Lage Sozialleistungen in Größenordnungen gekürzt werden sollten. Kanzler Merz verkündete lauthals, er wolle beim Bürgergeld rund 10 Prozent der Kosten einsparen, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld kürzen, eine kapitalgedeckte Altersvorsorge einführen. 

Doch so einfach ist das nicht. Der Staat ist verpflichtet, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern und die Leistungen entsprechend anzupassen. Diese Unterstützung kann der Staat nicht einfach entziehen. Wenn er etwas gegen die »Kostenfresser« tun will, muss die Politik sich etwas einfallen lassen, wie etwa die im Oktober 2024 und zum 1. Januar 2025 eingeführten verschärften Sanktionen gegen Bürgergeld-Empfänger: Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, muss mit einer Kürzung um 30 Prozent für drei Monate rechnen. Vor allem muss die Politik eine entsprechende gesellschaftliche Stimmung anheizen – gegen Alte, gegen Erwerbslose, gegen Flüchtlinge und Migranten, gegen Behinderte.

Abwendung von Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe

Was beim Abbau von Sozialleistungen (noch) nicht so richtig gelungen ist, wurde hinsichtlich des Etats für humanitäre Hilfe durchgesetzt. Die Gelder für Krisenregionen wurden deutlich gesenkt. Die etwa 10 Milliarden Euro, die 2025 zur Verfügung stehen, bedeuten den niedrigsten Wert in den letzten zehn Jahren.Statt Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe zu stärken, wie im Koalitionsvertrag zugesagt, setzt sich mit dem Haushalt 2025 eine historische Kürzungspolitik im internationalen Bereich fort.

Doch nicht nur in Deutschland ist diese fatale Veränderung hinsichtlich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zu beobachten. Ähnliche Entwicklungen der Verlagerung von Entwicklungshilfegeldern hin zu »Verteidigungszwecken« gibt es unter anderem in Frankreich und Großbritannien. Parallelen zeigen sich vor allem zu den Vereinigten Staaten, wo Donald Trump Anfang 2025 eine drastische Kürzung der Ausgaben und des Personalumfangs von USAID beschlossen hatte. Im Juli wurde diese Behörde, die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit die gesamten Aktivitäten der Außenpolitik der Vereinigten Staaten koordinierte, endgültig geschlossen. 

Diese Tatsache stellt einen markanten Wendepunkt für die weltweite humanitäre und entwicklungspolitische Hilfe für bedürftige Menschen und für die Zukunft der internationalen Zusammenarbeit im Allgemeinen dar. Es geht nicht mehr primär um den Kampf gegen Armut und zunehmende Ungleichheit in der Welt, sondern um den Zugang zu Rohstoffen, es geht um Militarisierung und um menschenrechtswidrige Asylpolitik. 

Entwicklungshilfe wird in Deutschland zunehmend zu einem Werkzeug zur Durchsetzung deutscher Interessen. Das machte vor allem die AfD deutlich, die eine Kürzung der Mittel um 70 Prozent forderte. Nach deren Dafürhalten stehe Deutschland vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, aber immense Summen flössen ins Ausland, die Abhängigkeiten schaffen, statt Eigeninitiative zu fördern. Es brauche Effizienz und wirtschaftliche Zusammenarbeit im deutschen Interesse, anstelle einer Entwicklungspolitik, die seit 60 Jahren kaum wirke. 

So wurden denn auch die Mittel für die »Verteidigung« deutlich aufgestockt: gut 62 Milliarden Euro – und damit zehn Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Hinzu kommen weitere 24 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr. Damit stehen erstmals mehr als 86 Milliarden Euro für »Verteidigungsausgaben« bereit, etwa für die Beschaffung neuer Rüstungsgüter wie Munition, Radpanzer oder Marineschiffe.

17. Oktober – Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut 

Um den Not leidenden und ausgegrenzten Menschen weltweit Gehör zu verschaffen, wurde von den Vereinten Nationen der Gedenktag für die Beseitigung der Armut ins Leben gerufen. Ursprünglich geht dieser Tag auf den Geistlichen Joseph Wresinski zurück. Eine seiner Grundüberzeugungen lautete: »Das Elend ist nicht unabänderlich; es wird von Menschen verursacht, und die Menschen können es auch überwinden.«

Die Frage ist nur: Wie kann das gelingen? Ist es ein zielführender Weg, Milliardäre abschaffen zu wollen? Mittels Einführung einer Übergewinnsteuer für Konzerne und einer europaweiten Vermögensteuer für die Superreichen? Woher sollen dafür die parlamentarischen Mehrheiten kommen? Kaum jemand wird freiwillig etwas von seinem Reichtum abgeben. 

Man muss kein Kommunist sein, um zu sagen: Ja, jeder Euro, den die Reichen weniger und die Menschen, die von Armut betroffen sind, mehr haben, ist hilfreich. Dafür setzen sich Tausende von Menschen weltweit jeden Tag ein. Dennoch werden Armut und alle damit in Zusammenhang stehenden Katastrophen nicht weniger. Im Gegenteil. Ist es da nicht eine Illusion zu meinen, über eine Umverteilung von Reichtum könnte diese Welt gerechter werden? Wer tatsächlich mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt schaffen und Armut ernsthaft bekämpfen will, kommt nicht umhin, die gesellschaftlichen Beziehungen, die Menschen eingehen, um materielle Güter zu produzieren und zu reproduzieren, insbesondere die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln, zu verändern. 

 

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2025-06: Was der Kampf um unsere friedenspolitischen Positionen mit dem Kampf gegen Russophobie zu tun hat

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