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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das Bundesverfassungsgericht und die Kriegsgefahr

Gerhard Pein, Arnstadt

»Jedem Deutschen, der je wieder ein Gewehr anfasst, möge die Hand verdorren!«, hieß es noch 1945.

Folgerichtig verzichteten beide deutsche Staaten zunächst, wenn auch nicht für lange Zeit, auf die Aufstellung eigener Streitkräfte. Im Jahre 1955 trat die Bundesrepublik der NATO bei. Es folgte die Gründung der Bundeswehr. Damals gingen Hunderttausende gegen die Wiederbewaffnung auf die Straße – viele von ihnen ehemalige Kriegsteilnehmer –, ohne Erfolg. Nach den Erfahrungen des II. Weltkrieges sollten jedoch die Streitkräfte ausschließlich der Landesverteidigung dienen. In Artikel 87a des Grundgesetzes heißt es hierzu:

»Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.« Was unter Verteidigung zu verstehen ist, dürfte eigentlich klar sein. Folgerichtig heißt es dann im 2+4-Vertrag in Artikel 2:

»Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärung, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.«

Schon unmittelbar nach 1990 wurden diese Prinzipien Schritt für Schritt in Frage gestellt. Ging es zunächst lediglich um unbewaffnete Missionen, so entschied das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994, dass deutsches Militär auch außerhalb des NATO-Gebietes eingesetzt werden darf. Nun fragt sich natürlich der interessierte Leser, was das mit Landesverteidigung zu tun haben soll. Mit Landesverteidigung offensichtlich nichts, wohl aber mit Artikel 24 (2) Grundgesetz. Hier heißt es: »Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen. Er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.«

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes sind NATO und EU Organisationen kollektiver Sicherheit, die dem Frieden dienen. Schon 1948/49 wusste man, was man offenkundig mit dieser Bundesrepublik vorhat. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen Artikel 87a über die Aufstellung nationaler Streitkräfte, die der Landesverteidigung dienen. Man kann davon ausgehen, dass man schon zu diesem Zeitpunkt dies im Auge hatte. Da die NATO, nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes, eine Organisation kollektiver Sicherheit darstellt, bestehen zu diesen Auslandseinsätzen keine Bedenken.

Noch weiter ging man in einer Entscheidung im Jahre 2015. Das militärische Handeln ist nach dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes dann gerechtfertigt, wenn ein UN-Mandat vorliegt und das Parlament zugestimmt hat. Schon wenige Jahre später beim sogenannten Kosovo-Krieg verzichtete man auf ein UN-Mandat und beteiligte sich an den völkerrechtswidrigen Bombardierungen.

Im Jahr 2015 dann die nächste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes: Am 23. September 2015 wich das Bundesverfassungsgericht von seiner bisherigen Rechtsposition ab, dass grundsätzlich die Zustimmung des Bundestages für Auslandseinsätze der Bundeswehr herbeizuführen ist. Dem war 2011 die deutsche Beteiligung an einer Operation »Pegasus« vorangegangen. Es handelte sich hierbei um eine groß angelegte Militäroperation zur Evakuierung ausländischer Staatsangehöriger aus Libyen. Zur Erinnerung: Im Jahre 2011 wurde Gaddafi mit Hilfe der NATO in Libyen gestürzt. Es folgte ein bis heute anhaltender Bürgerkrieg.

In § 5 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes heißt es, dass die Bundesregierung, wenn Gefahr im Verzuge ist, auch ohne vorherige Zustimmung des Bundestages deutsche Soldaten einsetzen darf. Jedoch muss die Zustimmung nachträglich eingeholt werden. Nunmehr vertritt das Bundesverfassungsgericht die Auffassung, dass, wenn die militärische Operation bereits abgeschlossen ist, die nachträgliche Zustimmung nicht mehr erforderlich ist. Dass damit Tür und Tor für jedwede militärische Kommandounternehmen geöffnet wird, liegt auf der Hand. Es stellt sich natürlich auch die Frage, wo dann das UN-Mandat bei Gefahr im Verzuge herkommen soll. In der Zwischenzeit befindet sich die deutsche Bundeswehr in einer Vielzahl von Auslandseinsätzen im Kampfeinsatz. Die Übertragung von Souveränitätsrechten an NATO-Verbündete, so an die USA, im Falle Ramstein ermöglicht den Drohnenkrieg, der von dort aus geführt wird. In diesem Zusammenhang sollte man darauf hinweisen, dass den Tatbestand der Aggression nicht nur erfüllt, wer selbst nationalen Streitkräften den Angriffsbefehl auf andere Staaten gibt, den Tatbestand der Aggression erfüllt eben auch, wenn man es duldet, dass vom eigenen Territorium aus kriegerische Handlungen von Drittstaaten unternommen werden. Dies dürfte mit den Bestimmungen des 2+4-Vertrages unvereinbar sein.

Deshalb darf die LINKE unter keinen Umständen von ihrer Linie der konsequenten Ablehnung von militärischen Auslandseinsätzen abweichen. Jedes noch so kleine Zugeständnis in dieser Frage endet irgendwann in der umfassenden Kriegsbeteiligung Deutschlands.