Condor – »Geheime Reichssache« a. D. oder: Schluss mit Geheimnistuerei
Peter Rau, Berlin
Siegesparade der faschistischen »Legion Condor« in Berlin nach ihrem Einsatz in Spanien 1936-1939
Der 6. Juni des Jahres 1939 war kein Tag wie jeder andere in der Hauptstadt Hitler-Deutschlands. Die Metropole des sogenannten Dritten Reichs ertrank an allen Ecken und Enden förmlich in einem Meer von Hakenkreuzfahnen. Für die Kinder war an diesem Dienstag extra schulfrei angesagt worden. Was nahezu drei Jahre lang tunlichst verschwiegen worden war, wurde nun in aller Öffentlichkeit - quasi coram publico - demonstriert: die massive deutsch-italienische Schützenhilfe für Spaniens faschistische Putschisten um General Francisco Franco. Dieser Tag sollte ganz im Zeichen jener gerade erst von der Iberischen Halbinsel zurückgekehrten Männer stehen, die mit der »Legion Condor« den ersten Kriegseinsatz der deutschen Wehrmacht im Ausland absolviert hatten.
Zwischen 15.000 und 20.000 Angehörige dieses Expeditionskorps waren am Brandenburger Tor zu einer Ehrenparade vor der gesamten Nazi-Prominenz aufmarschiert, die sie Unter den Linden bis zum Lustgarten in Berlins Mitte führen sollte. Allesamt waren sie mit dem eigens gestifteten »Spanienkreuz« in Bronze, Silber oder Gold dekoriert. Diese Auszeichnung war insgesamt 26.116mal verliehen worden. Erst am Tag zuvor war im Bezirk Zehlendorf als Zeichen der Partnerschaft mit der nun in Madrid herrschenden Diktatur die Wannseestraße feierlich in Spanische Allee umbenannt worden (»anlässlich des Einzugs der aus Spanien zurückkehrenden deutschen Freiwilligen«, wie im Amtsblatt mitgeteilt wurde). Dass die Zahl dieser Legionäre etwa zehnmal höher lag als jene der deutschen Antifaschisten, die auf der Gegenseite, in den Internationalen Brigaden, die Republik zu verteidigen halfen, sei nur am Rande erwähnt.
»Die Berichte müssen groß herauskommen«
Was einst, im Sommer 1936, unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit und strikter Geheimhaltung, deklariert als »Geheime Reichssache, begonnen hatte, unterlag seit Ende Mai 1939 keinem staatlich verordneten Tabu mehr. Im Gegenteil. Nach der ersten »vertraulichen Presseanweisung« aus dem Goebbelsschen Propagandaministerium vom 2. Dezember 1936 - »Deutschland hat keinerlei Truppenverbände oder Einheiten nach Spanien geschickt« - hieß es nun, am 25. Mai 1939, aus demselben Haus: »Am 30. Mai ist für die Abendausgaben der Name ›Legion Condor‹ endgültig frei. Die Berichte müssen ganz groß herauskommen. (Die Aktion beginnt damit, dass heute die ersten Meldungen über die Einschiffung (für den Rücktransport der Legionäre von Spanien nach Deutschland - P.R.) und die Fahrt herauskommen und aufgemacht werden können. Es darf dann bis zur Ankunft der Truppen (…) keine Lücke mehr in der Berichterstattung entstehen.)«
So kam es denn auch. Wo sich Ende März 1939, nach dem Einmarsch der Franco-Truppen in Madrid und dem Aus für die 1931 entstandene Spanische Republik, deutsche Massenmedien noch schwer taten damit, die deutsch-italienische Komplizenschaft mit den Putschisten beim Namen zu nennen, überschlugen sich Zeitungen und Zeitschriften nun mit ihren groß aufgemachten Berichten über die Legion und deren Einsatz im spanischen Krieg. In hohen, nach Zehntausenden zählenden Auflagen überschwemmten namhafte Verlage mit Erlebnisberichten und Erinnerungen bereits 1939 und auch noch 1940 den Buchmarkt. Titel wie »Kriegsfreiwilliger 1937« von Klaus Kohler, »Soldaten retten Spanien« von Carl Hermann Zeitz, »Armee mit geheimem Auftrag« von R. Stache, »Legion Condor« von Karl Georg von Stackelberg, »Wir kämpften für Spanien« von Alfred Lent, »Wir funken für Franco« von Hellmut H. Führing oder »Als Jagdflieger in Spanien« von Johannes Trautloft seien stellvertretend dafür genannt. Die Generale Hugo Sperrle und Wolfram von Richthofen, der erste und der letzte Kommandeur der Legion, gehörten zu den namhafteren Autoren. Dass darin - wie etwa bei Führing, der die Aufzeichnungen des Feldwebels der Luftnachrichtentruppe Heinz Oppermann wiedergibt - der »Kampf der Anständigen gegen das rotspanische Untermenschentum« beschworen wird und von der deutschen Hilfe »für ein geknechtetes, ausgeplündertes und geschändetes Volk« bzw. gegen »den rotspanischen Terror« die Rede ist, spricht für sich. Oder Trautloft: Der war als junger Leutnant und einer der ersten Jagdflieger im Juli/August 1936 nach Spanien gekommen und hatte mit seinen Bordwaffen Männer, Frauen und Kinder dieses »ausgeplünderten und geschändeten Volkes« attackiert und dabei auch Schulen oder Krankenhäuser nicht verschont. So etwa am 30. September 1936, als er mit seiner He 51 nicht etwa den im Süden Madrids gelegenen Flugplatz von Getafe ins Visier nahm, sondern stattdessen eine nahegelegene Schule, in der 63 Kinder diesen Einsatz nicht überlebten. Als »Kindermord von Getafe« ging dieses Massaker höchst unrühmlich in die Geschichte ein, wie es 1965 in dem in der DDR erschienenen Braunbuch über »Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik« hieß.
»Nichteinmischung« in der Praxis
Doch mit der nun einsetzenden Offenheit bzw. Öffentlichkeit war das so eine Sache. Denn da waren längst nicht alle Karten auf den Tisch gelegt worden, schon gar nicht über die Anfänge und die (strategischen) Hintergründe dieser deutsch-spanischen Waffenfreundschaft. Auf die hatten übrigens schon seit dem Sommer 1936 ganz verschiedene Seiten hingewiesen. Nicht zuletzt hatten Hamburger Hafenarbeiter wiederholt publik gemacht, von welcher Art die mit der Urlauberorganisation der Nazis »Kraft durch Freude« nach Spanien reisenden Passagiere und ihre Fracht waren.
Nach wie vor also kein Wort über den eigens geschaffenen und nach Fliegergeneral Helmuth Wilberg benannten »Sonderstab W«, dem noch im Juli 1936 die Koordinierung dieser Transporte übertragen worden war. Kein Wort auch über die deutsch-spanischen Geheimtreffen und Abmachungen, die keine zehn Tage nach dem am 18. Juli begonnenen Putsch Francos und seiner Generäle gegen die legitime, also rechtmäßig gewählte Regierung der Volksfront zunächst zur Bereitstellung insbesondere von Transportflugzeugen führten. Mit diesen Ju 52 wurde noch Ende Juli eine Luftbrücke zwischen Spanisch-Marokko und das von den Putschisten bereits eroberte Gebiet um Sevilla eingerichtet, über die in den nächsten Tagen bzw. Wochen 15.000 Franco-Söldner und 300 Tonnen Kriegsmaterial über das Mittelmeer befördert wurden.
Unvollständigen Angaben zufolge wurden allein bis Ende Oktober von Deutschland 87 Flugzeuge, über 30 Fliegerabwehrgeschütze, mehr als 40 Panzer, 50 Granatwerfer, 30.000 Gewehre und 212 MG nebst entsprechender Munition sowie Bomben geliefert. Bereits vor der diplomatischen Anerkennung des inzwischen in Burgos etablierten Franco-Regimes durch Hitlerdeutschland am 18. November 1936 hatte Berlin ein komplettes Luftwaffenkorps nach Spanien entsandt - die »Legion Condor« mit 48 Bombern und ebenso vielen Jagdflugzeugen. Hinzu kamen Aufklärer- und Seefliegerkräfte, eine Flak- und eine Nachrichtenabteilung der Luftwaffe sowie verschiedene Einheiten des Heeres mit wenigstens vier Panzerkompanien. Zusätzlich überwachten Kräfte der Marine, darunter zwei Panzerschiffe, ein Kreuzer, eine Torpedobootflottille sowie U-Boote im Mittelmeer wie im Atlantik den Seeverkehr. Angeblich waren sie »zum Schutz deutscher Staatsbürger in Spanien« dorthin beordert worden. Tatsächlich aber dienten sie zur Sicherung der über das Meer beförderten Lieferungen aus Hitler-Deutschland. Dass sie dies auch im Namen des Anfang September 1936 in London etablierten »Nichteinmischungskomitees« tun konnten, warf ein bezeichnendes Licht auf diese Einrichtung und deren vorgebliche Neutralität. Initiiert von Großbritannien und Frankreich, um eine Ausweitung des innerspanischen Konflikts zu verhindern, wie es offiziell hieß, hatten sich in diesem »Non-Intervention Committee« insgesamt 27 Staaten Europas zusammengefunden. Dazu gehörten, wie gesagt, sowohl Italien als auch Deutschland, aber ebenso die Sowjetunion. Allein: Moskau schaute angesichts flagranter und dementsprechend wiederholt angeprangerter Verstöße gegen das Embargo seitens Rom und Berlin nicht lange tatenlos zu und nahm zugunsten des republikanischen Spaniens Partei.
Schand- und blutbefleckt
Gegenüber dem gewaltigen Kontingent, das Italiens Diktator Benito Mussolini mit 100.000 bis 150.000 Mann regulärer Truppen sowie Freiwilligen der »Schwarzhemden« genannten Mitglieder faschistischer Kampfbünde zur Unterstützung der spanischen Putschisten auf die Iberische Halbinsel entsandte, war die deutsche »Legion Condor« mit ihren jeweils bis zu 6.000 Angehörigen, die nach etwa neun Monaten Einsatz ausgewechselt wurden, nur eine vergleichsweise kleine Einheit. Umso stärker fiel die Bereitstellung von Waffen und sonstigem Kriegsgerät »made in Germany« ins Gewicht. Diese Lieferungen summierten sich, wie spätere Berechnungen ergaben, im Verlauf des Krieges auf die gigantische Summe von mehr als 540 Millionen Reichsmark. Allein die über Spanien abgeworfene Bombenzahl von sage und schreibe 21 Millionen mag dafür stehen. Wie viele davon allein das baskische Städtchen Gernika (spanisch: Guernica) am 26. April 1937 verwüsteten, ist nicht bekannt. Dessen Zerstörung bleibt, wie die bereits im August 1936 begonnene Bombardierung von Madrid oder der Ende 1938 einsetzende Luftterror gegen Barcelona, für immer mit dem schand- und blutbefleckten Namen der deutschen »Legion Condor« verbunden. Nicht ohne Grund hatte der spätere Außenminister Joachim von Ribbentrop, damals Botschafter in London, noch im Mai 1937 nach Berlin gekabelt, »eine internationale Untersuchung« des Geschehens von Guernica »unter allen Umständen zurückzuweisen«.
Doch von solchen Fakten und Zahlen war an jenem Paradetag von Berlin, da ein dichtes Spalier von Hunderttausenden die Prachtstraße Unter den Linden säumte, natürlich nichts zu hören. Auch nicht während des die monströse Heerschau beschließenden »Siegesappells« vor dem Alten Museum im Lustgarten. Dabei hatte der von vielen nur »Führer« genannte Reichskanzler Adolf Hitler, nachdem er die Front der dort angetretenen Formationen abgeschritten hatte, den Einsatz der Legion in Spanien als »Kampf für Deutschland« sowie »Denkzettel für unsere Gegner« gelobt und den Legionären für »Einsatzbereitschaft, Opfermut, Treue, Gehorsam und Disziplin« gedankt, wie der »Völkische Beobachter« tags darauf schrieb. Über die Hintergründe des Einsatzes der Legion schwieg sich das Blatt allerdings weiterhin aus. Kein Vierteljahr später nahmen nicht zuletzt die in Spanien erprobten Bomberpiloten Ziele in der polnischen Hauptstadt Warschau ins Visier …
Luftwaffenchef Hermann Göring 1946 vor dem Internationalen Militärtribunal/Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg
Vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg gab der Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring, bezüglich des Einsatzes der faschistischen »Legion Condor« am 14. März 1946 zu Protokoll:
»Als in Spanien der Bürgerkrieg ausgebrochen war, sandte Franco einen Hilferuf an Deutschland um Unterstützung, besonders in der Luft. (…) Franco stand mit seinen eigentlichen Truppen in Afrika. (…) Das Entscheidende war, daß zunächst seine Truppen nach Spanien kamen. Der Führer überlegte sich, ich drängte lebhaft, die Unterstützung unter allen Umständen zu geben. Einmal, um der Ausweitung des Kommunismus entgegenzutreten, zum zweiten aber, um meine junge Luftwaffe bei dieser Gelegenheit in diesem oder jenem technischen Punkt zu erproben. Ich sandte mit Genehmigung des Führers einen großen Teil meiner Transportflotte und sandte eine Reihe von Erprobungskommandos meiner Jäger, Bomber und Flakgeschütze hinunter und hatte auf diese Weise Gelegenheit, im scharfen Schuß zu erproben, ob das Material zweckentsprechend entwickelt wurde. Damit auch das Personal eine gewisse Erfahrung bekam, sorgte ich für einen starken Umlauf, das heißt immer wieder neue hin und die anderen zurück.«
Zitiert nach: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 - 1. Oktober 1946, Nürnberg 1947, Bd. IX.