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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Nazigewalt – was tun?

Reiner Kotulla, Leun

Am 21. Juni 1933, morgens um vier Uhr alarmiert der Führer des Sturmbanns 15 die inzwischen mehrere Hundert Männer umfassenden Stürme. Da sich die Faschisten bereits vorher die Adressen beschafft haben, beginnen sie ab 8 Uhr in Köpenick mit der Verschleppung von Gegnern des Naziregimes. Im Verlaufe des Tages werden zahlreiche Frauen und Männer von den SA-Schergen aufs brutalste mißhandelt. Mindestens 23 Antifaschisten werden an diesem Tag und danach umgebracht.

Nach dem Krieg werden die Naziverbrecher im Westen eher kaum, in der DDR hart bestraft. An die Köpenicker Blutwoche denke ich, als ich am 21. Juli 2008 von dem Überfall auf ein Sommercamp der Linksjugend ['solid] höre. Am hessischen Neuenhainer See stürmen junge Neonazis Zelte von Teilnehmern. Einer von ihnen schlägt mit einem Klappspaten auf ein schlafendes Mädchen ein. Die Dreizehnjährige erleidet lebensgefährliche Kopfverletzungen.

Wie ist so etwas möglich und was kann man tun, um weiteres Übel zu verhindern?

Keine einfach zu beantwortende Frage. Ohne Ursachenanalyse wird man auch kaum eine Antwort finden. Die Hintergründe sind vielfältiger, sozialer und psychologischer Art.

Allgemein kann man sagen, das Menschen, die derart brutal handeln, kein Unrechtsbewußtsein im Sinne humanen Denken besitzen. Geerbt haben sie diesen Mangel nicht. Also müssen sie gelernt haben, mit Gewalt auf für sie Negatives zu reagieren.

Menschen lernen überall, zu Hause in der Familie, auf der Straße von Freunden aber auch in der Schule.

Ich gehe davon aus, daß keiner der Schläger aus dem hessischen Schwalm-Eder-Kreis in der Schule jemals etwas von der Köpenicker Blutwoche gehört hat. Untersuchungen ergaben, daß Jugendliche, und hier nicht nur Hauptschüler, über die Nazizeit und die Verbrechen, die damals begangen wurden, kaum etwas wissen. Sie plappern oft nur nach, was ihnen die Verführer vorkauen, und die wissen genau, was sie tun. Die schaffen ein Feindbild und damit Sündenböcke für alles Übel, was der Kapitalismus zu bieten hat. Islamgläubige, Juden, Homosexuelle, Behinderte, Obdachlose, aber vor allen Dingen Kommunisten sollen es sein, die an ihrer Misere, die gekennzeichnet ist von Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit schuld sind. Und wer Kommunist ist, das wissen Roland Koch und Hans Joachim Irmer, der eine noch hessischer Ministerpräsident und der andere bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im hessischen Landtag, genau. Sie haben es ihren Wählern im Wahlkampf erklärt.

Und auch deren demagogisches Geschwafel konnte nur deshalb auf fruchtbaren Boden fallen, weil ihre Adressaten es nicht besser wußten.

Fazit: Unwissende Menschen lassen sich leicht belügen.

Diese Erkenntnis macht Hoffnung, läßt sich doch auch sagen, daß gebildete Menschen schwerer zu verführen sind.

In diesem Zusammenhang darf man schon fragen, ob die Reduzierung, die an bayerischen Gymnasien den Geschichtsunterricht zum Thema Faschismus auf sieben Unterrichtsstunden beschränken soll, im Interesse rechtskonservativer Politiker erfolgt, die damit den Nährboden auch für oben beschriebene Verbrechen bereiten?

"Was tun?" – stellen wir uns die berühmte Frage

Gegenbildung ist zu schaffen, und solange wir nicht die Möglichkeit haben, das miese deutsche Bildungssystem zu verändern, müssen wir bei uns, in unserer Partei damit beginnen.

Und wie? Sicher nicht durch die Imitation bundesdeutscher Unterrichtswirklichkeit, in Form von trockenen Schulungsabenden, was man in der Schule Frontalunterricht nennt. Den kennen Jugendliche, und der ist ihnen zutiefst zuwider.

Das Fahrrad brauchen wir nicht neu zu erfinden. Ich erinnere mich da an meine Arbeit bei der Gießener VVN, die schon viele Jahre zurückliegt.

Die VVN-BDA-Gießen war auf einen Friedhof aufmerksam gemacht worden, weil es Zeugen für ein Verbrechen gab, in dessen Folge dort Menschen als sogenannte "unbekannte Kriegstote" bestattet worden waren. Was war geschehen?

Die Kameraden der VVN begannen nachzuforschen und fanden das folgende heraus:

Im hessischen Hirzenhain gab es während des Zweiten Weltkrieges ein Lager, in dem ZwangsarbeiterInnen aus den von der Naziwehrmacht eroberten Ländern leben mußten, die in einem Zweigwerk der Buderussischen Eisenwerke Sklavenarbeit leisteten. Als kurz vor dem Ende des Krieges die alliierten Truppen heranrückten, bekamen die SS-Wachmannschaften des Lagers den Befehl, die Spuren des Lagers zu beseitigen.

Man befahl den Gefangenen, mit ihren Habseligkeiten vor den Lagerbaracken anzutreten und eröffnete ihnen, daß sie in ihre Heimat zurückkehren könnten.

Frohen Mutes setzte sich die Marschkolonne in Bewegung und erreichte bald einen nahe gelegenen Wald.

Vor einer ausgehobenen Grube ließen die Nazischergen die Menschen Aufstellung nehmen und schossen sie reihenweise in das Massengrab. Anschließend wurde Erde über die Opfer gehäuft. Doch einige der Gefangenen waren nicht tot und konnten sich mit bloßen Händen freigraben und flüchten.

Später berichteten diese über das Verbrechen, konnten auch Namen nennen.

Die VVN-BDA leistete historische Forschungsarbeit und informierte die Gießener Öffentlichkeit ständig über den Fortgang der Untersuchungen.

Auf diese Weise eigneten sich die an der Forschungsarbeit Beteiligten Wissen über ein unter dem Faschismus begangenes Verbrechen an, wurden zu Multiplikatoren, indem sie ihr Wissen an die Öffentlichkeit weitergaben.

Wer heute das Kloster Arnsburg besucht, wird über das Verbrechen von Hirzenhain aufgeklärt.

An dieser Stelle wurden in den Morgenstunden des 26. März 1945 81 Frauen und 6 Männer aus rassistischen Gründen von einem SS-Kommando ermordet.

Die 87 ermordeten – Deutsche, Russinnen, Französinnen, Polinnen, eine Luxemburgerin und viele für immer Unbekannte – waren Gefangene eines einen Kilometer von hier gelegenen sogenannten "Arbeitserziehungslagers" der Gestapo, einer Vorstufe der nationalsozialistischen Vernichtungslager.

Als Häftlinge der Gestapo fertigten sie – ausgebeutet und erniedrigt – in der angrenzenden Fabrik Panzerteile.

Die Inschrift einer zweiten Tafel lautet:

Dieses Sandsteinkreuz war ursprünglich Teil der 1945 errichteten Gedächtnis- und Begräbnisstätte für die 87 Ermordeten mitten in Hirzenhain.

1959/60 wurden die Ermordeten auf die Kriegsgräberstätte im Kloster Arnsburg umgebettet, die Gedenkstätte aufgelöst. Dabei fand das Kreuz einen Platz auf dem Friedhof. 1990 faßte die Gemeindevertretung von Hirzenhain den Beschluß, dieses Kreuz dort aufzustellen, wo es hingehört, am Ort des Massenmordes.

Hirzenhain war überall, oder: Den Opfern einen Namen geben

Aus der Arbeit der VVN-BDA läßt sich die folgende Vorgehensweise ablesen:

  • Fragt ältere und alte Menschen aus eurer Umgebung nach ihren persönlichen Erlebnissen in der Nazizeit. Vielleicht habt ihr Glück und erfahrt etwas über ein untersuchungswürdiges Ereignis.

  • Lest in eurer Stadt- oder Dorfchronik und sucht nach "weißen Flecken", da ist oft etwas passiert, was die Chronisten nicht dokumentieren wollten.

  • Forscht in den Archiven der Regionalzeitung.

  • Habt ihr etwas gefunden, beginnt sofort mit dem Protokollieren der Arbeitsergebnisse.

  • Informiert stets die Öffentlichkeit über den Fortgang eurer Arbeit.

  • Ladet Interessierte ein, an eurer Arbeit teilzunehmen.

  • Stellt an den Forschungsorten schon früh Hinweistafeln auf.

  • Kommt es zu Kontroversen mit Behörden, macht diese öffentlich. Bestimmte Politiker wollen nicht, daß die Ergebnisse eurer Arbeit offenkundig werden.

  • Zum Abschluß kann eine Broschüre, Web-Seite o. Ä. erstellt werden.

Bedenkt: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Das erkennen aber nur diejenigen, die von den Verbrechen wissen.