Mördertruppe in schwarzer Uniform
Dr. Ronald Friedmann, Berlin
Am Ende des Dritten Reiches war die SS zu einer mächtigen und allgemein gefürchteten Organisation geworden, zu einem Staat im Staate. Ihr oberster Chef, der »Reichsführer SS« Heinrich Himmler, war nur Hitler gegenüber verantwortlich. Und Hitler ließ seinem treuen Gefolgsmann freie Hand beim Auf- und Ausbau eines allumfassenden Systems des blutigen Terrors und der gewaltsamen Unterdrückung, mit dem Himmler Deutschland und die von Deutschland okkupierten Gebiete überzog: Die SS war ab 1934 zuständig für die Verwaltung und den Betrieb der Konzentrationslager und ab 1941 auch der Vernichtungslager. Sie spielte die entscheidende Rolle bei der Planung und Durchführung des Holocaust, des Porajmos und des Völkermordes in den von Deutschland besetzten sogenannten Ostgebieten. Im Krieg gegen die Sowjetunion zogen Einsatzgruppen der SS, verstärkt durch Einheiten der Wehrmacht, mordend und brandschatzend hinter der Front her und töteten Hunderttausende wehrlose Menschen aus politischen oder rassistischen Gründen. Mit der Waffen-SS entstand ab September 1939 eine eigenständige paramilitärische Truppe, die sich in Konkurrenz zur Wehrmacht sah. Das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS leitete ein regelrechtes Wirtschaftsimperium, dessen ökonomische Stärke vor allem aus der gnadenlosen Ausbeutung der KZ-Häftlinge resultierte. Das Reichssicherheitshauptamt, das im September 1939 durch die Zusammenlegung von Sicherheitspolizei (Sipo) und Sicherheitsdienst (SD) entstand, wurde unter Leitung von Reinhard Heydrich zur zentralen Behörde im Repressionsapparat der Hitlerdiktatur. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, ein »Lieblingskind« Himmlers, steuerte die »Rassenforschung« in ganz Deutschland und plante und organisierte die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung aus den eroberten Gebieten, um dort »Lebensraum« für »reinrassige« Deutsche »freizumachen«.
Doch zwanzig Jahre zuvor, als die SS auf Weisung Hitlers am 4. April 1925 in München gegründet wurde, war diese Entwicklung in keiner Weise abzusehen gewesen.
Die SS, die zunächst als »Stabswache« firmierte und erst im Sommer 1925 über mehrere Zwischenstufen ihre endgültige Bezeichnung »Schutzstaffel« erhielt, sollte als Teil der »Sturmabteilung«, also der SA, den persönlichen Schutz Hitlers und den Saalschutz bei Veranstaltungen der NSDAP gewährleisten. Dass ihr nicht nur die Rolle einer Knüppelgarde bei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, also insbesondere Kommunisten und Sozialdemokraten, zufiel, wurde bereits zwei Wochen nach ihrer Gründung sichtbar: Bei der Beisetzung eines kurz zuvor verstorbenen Teilnehmers des kläglich gescheiterten Hitlerputsches vom 9. November 1923 begleiteten vier SS-Leute als Fackelträger den Sarg.
In den folgenden Wochen und Monaten gewann die SS zwar weitere Mitglieder und etablierte sich auch außerhalb Bayerns, doch Kompetenzstreitigkeiten und widersprüchliche Zuständigkeiten an der Spitze der neuen Organisation – in Hitlers Umfeld beinahe selbstverständlich – verhinderten eine geordnete Entwicklung. Mehrere kurzfristige Wechsel der Führung der SS waren die Folge. Bis zum Reichsparteitag der NSDAP im Juli 1926 in Weimar wuchs die SS dennoch auf etwa tausend Mitglieder, die in 75 »Staffeln« zusammengefasst waren. Hitler würdigte dieses Ergebnis mit einer bizarren Order: Der SS wurde die Betreuung der sogenannten Blutfahne übertragen, die Teil eines grotesken Kultes war, mit dem Hitler sein Scheitern im November 1923 in einen grandiosen Triumph umdeuten zu können glaubte.
Auf Hitler eingeschworen
Die Ernennung des damals erst 28 Jahre alten Heinrich Himmler zum »Reichsführer SS« im Januar 1929 war die erste große Zäsur, die das weitere Geschick der SS entscheidend bestimmte. Obwohl die SS weiterhin Teil der SA blieb und ihr Wachstum von der Spitze der SA forciert und gefördert wurde, entwickelte sich in den Folgejahren eine Konkurrenzsituation zwischen SA und SS, die gelegentlich sogar zu physischen Auseinandersetzungen zwischen ihren Mitgliedern führte. Während es in der SA starke Kräfte gab, die Hitler und seiner Politik kritisch bis ablehnend gegenüberstanden und tatsächlich einen »nationalen Sozialismus« anstrebten, waren die Angehörigen der SS bedingungslos auf Hitler eingeschworen. Nicht zuletzt aus diesem Grund erteilte Hitler der SS im Verlaufe am 7. November 1930 mit einem »Führerbefehl« eine weitere Befugnis: »Die Aufgabe der SS ist zunächst die Ausübung des Polizeidienstes innerhalb der Partei.« [1]
Nach der Machtübergabe an Hitler und die NSDAP am 30. Januar 1933 spielten Himmler und die SS eine Schlüsselrolle bei der dauerhaften Sicherung der Naziherrschaft: Himmler übernahm schrittweise die Führung der Polizei und sicherte sich schließlich – neben der parteiamtlichen Funktion des »Reichsführers SS« – das staatliche Amt eines »Chefs der Deutschen Polizei«.
Die zweite große Zäsur, durch die die SS schließlich in ihre einzigartige Rolle im politischen System Nazideutschlands gelangte, war der von Hitler konstruierte und inszenierte sogenannte Röhm-Putsch im Frühsommer 1934, durch den die SA als politischer Machtfaktor endgültig ausgeschaltet wurde. In der »Nacht der langen Messer« vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 töteten Angehörige der SS auf Befehl Hitlers den SA-Chef Ernst Röhm sowie weitere SA-Funktionäre und etwa 150 bis 200 Personen, die nichts mit der SA zu tun hatten, aber als Gegner Hitlers galten oder zufällige Opfer der Mordaktion wurden.
Hitler »revanchierte« sich, indem er die SS endgültig aus der SA herauslöste und zu einer selbständigen Organisation erklärte. Himmler wurde »Reichsleiter« der NSDAP und rückte damit in den engsten Führungszirkel auf.
Bis zum Ende der Hitlerherrschaft gab es faktisch kein in deutschem Namen begangenes Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen, an dem die SS nicht direkt oder indirekt beteiligt war. Angehörige der SS setzten ihren blutigen Feldzug bis in die letzten Kriegstage fort. So starben noch Ende April 1945 bei den Todesmärschen, mit denen völlig entkräftete KZ-Häftlinge vor den anrückenden alliierten Truppen »evakuiert« werden sollten, Tausende Menschen einen grausamen und völlig sinnlosen Tod.
Verbrecherische Organisation
Am 12. Oktober 1945 wurden die NSDAP, die SS und zahlreiche weitere Naziorganisationen durch das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 2 offiziell verboten und aufgelöst. Ihr vormaliges Eigentum wurde beschlagnahmt. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, in dessen Rahmen allerdings keine Taten zur Anklage kamen, die gegen deutsche Staatsangehörige begangen wurden, wurde die SS im Oktober 1946 zur verbrecherischen Organisation erklärt. Im Urteil wurde ausdrücklich festgestellt: »Die SS wurde zu Zwecken verwandt, die nach dem Statut [des Internationalen Militärgerichtshofes] verbrecherisch waren. Sie bestanden in der Verfolgung und Ausrottung der Juden, Brutalitäten und Tötungen in den Konzentrationslagern, Übergriffen bei der Verwaltung besetzter Gebiete, der Durchführung des Zwangsarbeiterprogramms und der Mißhandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen. […] Bei Behandlung der SS schließt der Gerichtshof alle Personen ein, die offiziell als Mitglieder in die SS aufgenommen worden waren, einschließlich der Mitglieder der Allgemeinen SS, der Mitglieder der Waffen-SS, der Mitglieder der SS-Totenkopfverbände und der Mitglieder aller verschiedenen Polizeikräfte, welche Mitglieder der SS waren.« [2]
Himmler hatte sich, wie zuvor schon Hitler und andere Nazigrößen, am 23. Mai 1945 durch Selbstmord feige der Verantwortung entzogen. Heydrich war bereits im Frühsommer 1942 durch tschechische Partisanen hingerichtet worden, sein Nachfolger an der Spitze des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner, starb als verurteilter Hauptkriegsverbrecher am 16. Oktober 1946 in Nürnberg am Galgen.
Es bleibt eine abschließende Feststellung: Seit 1931 trugen die Koppelschlösser der schwarzen SS-Uniformen die Aufschrift »Meine Ehre heißt Treue«. Wer heutzutage – und sei es in abgewandelter Form – diesen oder einen anderen vergleichbaren Spruch verwendet, zeigt unzweideutig, in wessen Tradition er sich sieht.
Anmerkungen:
[1] So zitiert in: Bastian Hein, Elite für Volk und Führer? Die Allgemeine SS und ihre Mitglieder 1925-1945, Oldenbourg Verlag, München 2012, S. 81.
[2] www.zeno.org/nid/20002756420.
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