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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Mittel und Wege

Hermann Kant, Prälank

Am 14. Juni 2016 wird Hermann Kant 90 Jahre alt. Wer seinen Roman »Der Aufenthalt« gelesen hat und nicht im Gefängnis von antikommunistischen Klischees verblödet ist, begreift: Kant musste Antifaschist sein und es war für ihn folgerichtig, sich ausgehend davon für die DDR zu engagieren. Kritiklos tat er das nicht. Niemand, dem die DDR Heimat war, konnte ohne Kritik an ihr bleiben. Die Speichellecker haben ihr nur geschadet. Kant war ein Mann mit großer Zivilcourage. Ich erinnre mich mit Dankbarkeit an seine mutige Rede auf dem DDR-Schriftstellerkongress 1987. Wäre das die Linie der Partei gewesen, wir hätten uns manches erspart. Wer weder die DDR kannte noch Hermann Kant kennt, mag über seinen angeblichen Opportunismus schwafeln. Ich hatte das Privileg, Kant kennen gelernt zu haben. Seine sozialistische Haltung stand und steht über jedem Zweifel. Und ansonsten hatte er ein sicheres Gefühl für das Machbare. Er ist nicht nur ein großartiger Schriftsteller, sondern er war auch ein guter Politiker. Das hat er als Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR bewiesen. Manche halten diese Kombination für anrüchig. Ich halte sie für eine seltene, beneidenswerte Gabe. Danke, Genosse Hermann Kant. Meine Generation ist mit seinen Büchern groß geworden. Nur wenige seien genannt: »Die Aula«, »Das Impressum«, »Der dritte Nagel« und bereits erwähnt, der fantastische antifaschistische Roman »Der Aufenthalt«. Nach 1989 schrieb er weiter. So die Romane »Abspann« und »Kormoran«. Kant hat einen umwerfenden, trockenen Humor. Als ich seinen 1986 erschienenen Erzählband »Bronzezeit« las, habe ich Tränen gelacht. Heiner Müller bezeichnete dieses Buch als »die schärfste DDR-Satire«. Wir drucken aus »Bronzezeit« einen kurzen Auszug. Folgt man den heutigen Darstellungen von DDR-Kulturpolitik, hätte dieses Büchlein nie erscheinen können.

Ellen Brombacher

Er arbeitete im Staatskomitee für Mittel und Wege. Seine Tochter bekam Geigenunterricht. Die Geige fiel herunter, und ein Wirbel brach ab. Ein Kollege wußte jemanden, der so etwas richtet. Aber an dem Tag, an dem er seinem Kollegen das Instrument bringen sollte, war höchster Besuch im Staatskomitee für Mittel und Wege angesagt. Zu den Pförtnern hatten sich viele Männer gesellt, die zu jung für Pförtner waren. Schon weit vorm Komiteegebäude standen welche und hielten sich an ihren Taschenschirmen fest. Und sahen auf den Mann mit dem Geigenkasten. Zuerst dachte der sich nichts. Dann dachte er an ältere Filme und den Geigenkasten als klassischen Behälter. Als er umkehren wollte, hatte er schon Begleitung. Also ging er zum Dienst, und neben ihm gingen zwei junge Männer, die auf Regen eingerichtet waren und den Eindruck zu erwecken suchten, sie schlenderten durch den Morgen. Der Mann fand es erheiternd, und doch wurde der Kasten, in dem eine zerbrochene Kindergeige war, unmerklich schwerer. Merklich dichter wurde das Geleit. Und im Schlendern ringsum war etwas von federnder Bereitschaft. Das machte den Mitarbeiter vom Staatskomitee für Mittel und Wege witzig. Er hielt den Mitarbeitern des anderen staatlichen Organs den Geigenkasten entgegen und rief: Wirklich nur eine Kinderfiedel! Das aber war verkehrt von ihm. Und noch verkehrter war es, zu Worten und Gebärde herzlich zu lachen. Es hatte ansteckend wirken sollen, aber es ist als anzüglich gewertet worden. Zwar hat er den Kasten nicht öffnen müssen, aber solange der leitende Besucher im Hause war, hat man Mann und Behälter nicht aus den Augen gelassen. Danach gab es einige Aussprachen. Zuerst ging es um die Geige, die im Dienstgebäude nichts zu suchen hatte. Das sah er ein. Daß er seine Tochter besser erziehen müsse, sah er nicht gleich ein, aber als sie es auf den sorglichen Umgang mit wertvollen Gegenständen bezogen, sah er es ein. Ferner sah er ein: das Gebot der wachen Wachsamkeit, die allgemeine Lage, das Besondere an der allgemeinen Lage, die wachsende Notwendigkeit, den Verschlußsachencharakter persönlicher Gespräche und die Unumgänglichkeit persönlicher Gespräche in Fällen wie seinem. Schwerer fiel ihm die Einsicht, daß sein ganzes Leben besprochen werden mußte. Das Scheitern seiner ersten Ehe. Schulische Dinge der Tochter. Oder seine Aktivität als Helfer beim Roten Kreuz. Da haben sich einige weitere persönliche Gespräche um seine Uneinsichtigkeit gedreht. Und um das Prinzip der Einsicht, das der Uneinsichtigkeit prinzipiell entgegensteht. Man wäre bereit gewesen, den Geigenkasten und das Gelächter zu vergessen, aber die Haltung des Mitarbeiters, die konnte man nicht übergehen. Die war keine Haltung eines Mitarbeiters im Staatskomitee für Mittel und Wege, und weil man sich auf anderes nicht einigen konnte, einigte man sich auf ein weiteres persönliches Gespräch.

Aus: Hermann Kant, Bronzezeit, Erzählungen, Rütten & Loening, Berlin 1986, 2. Auflage 1987, 192 Seiten, S. 32-34.