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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»Mit vollen Segeln für die Forderungen der IG Metall !«

Gerald Kemski, Hamburg

Vor 60 Jahren die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erstreikt

»Mit vollen Segeln für die Forderungen der IG Metall«, war eine der Losungen, unter denen Metallarbeiterinnen und Arbeiter in Schleswig-Holstein in einem dreimonatigen Streik im Winter 1956/57 die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erkämpften.

Diese Lohnfortzahlung ist ein Ergebnis des Klassenkampfes und wäre ohne Gewerkschaften so nicht möglich gewesen. Besondere Beachtung sollte finden, dass das politische Umfeld seinerzeit nicht freundlich war. Es gab eine CDU-Alleinregierung, und wenige Wochen zuvor war die KPD verboten worden.

Zeitgeist

Es entspricht offenbar nicht dem Zeitgeist der Herrschenden, dass Jahrestage der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung über Gebühr in die Medienöffentlichkeit gelangen. In der LINKEN. sollten wir es anders machen.

So ist der 114 Tage dauernde Streik der Schleswig-Holsteinischen MetallarbeiterInnen im Winter 1956/57, also vor sechzig Jahren, ein Meilenstein der bundesdeutschen Gewerkschaftsgeschichte. Das Kernstück war die Auseinandersetzung um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter, die es bis zu diesem Zeitpunkt nicht gab. Die MetallerInnenkämpften gegen die berüchtigten »Karenztage«, die VertreterInnen von CDU, FDP und AFD auch heute gerne mal wieder ins Gespräch bringen. Da sich dieser Arbeitskampf vor nunmehr sechzig Jahren im äußersten Norden der Alt-BRD abgespielt hat, ist sowohl vielen jungen Kolleginnen und Kollegen aus der Alt-BRD als auch ehemaligen BewohnerInnen der DDR dieser geschichtliche Hintergrund weitestgehend unbekannt. Ich will versuchen, mit einer kurzen Chronologie auf Hintergründe und Verlauf dieses gewerkschaftlichen Kampfes einzugehen.

Die Ausgangslage

Die wichtigste Forderung der MetallarbeiterInnen in diesem Schwerpunktstreik war die Lohnfortzahlung in Krankheitsfall. Sie wollten mehr soziale Sicherheit und nicht schon wegen einer Grippe in Not geraten. Das ist keineswegs übertrieben. Wenn damals ein Arbeiter, der rund DM 350 im Monat verdiente, vier Wochen krank wurde, erhielt er in dieser Zeit nur DM 175,- Krankengeld. Für die ersten drei Tage seiner Krankheit (Karenztage) bekam er keinen Pfennig. Daher stellte die IG Metall folgende Forderungen zur Urabstimmung:

  • Sechs Wochen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für Arbeiter, also Gleichstellung mit den Angestellten (deren Lohnfortzahlung sich aus dem §616 BGB ergab).
  • Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes von DM 7,50 täglich, Verlängerung des Urlaubs.

Die Unternehmer hatten diese Forderungen am 28. September 1956 strikt abgelehnt, nachdem sie monatelang die Verhandlungen über den neuen Manteltarif verschleppt hatten. Daraufhin rief die Gewerkschaft am 11. und 12. Oktober 1956 ihre Mitglieder – 71,9 Prozent der ArbeiterInnen der schleswig-holsteinischen Metallindustrie – zur Urabstimmung auf. 77,5 Prozent entschieden sich für Streik.

1. Streiktag – 18.000 Metaller im Ausstand

24. Oktober 1956. 18.000 Metaller stehen seit den frühen Morgenstunden in einem Schwerpunktstreik. Es war der erste von 114 Streiktagen. Am Ende traten 30.000 Metaller in den Ausstand. Die Unternehmer, ihre Politiker und Medien behaupteten: »Die Arbeiter wollen das Blaumachen und Faulenzen tariflich verankern.«

2. Streiktag: Der Minister und die Unternehmer

Die Propagandazentrale der Unternehmer, das »Deutsche Industrie Institut« drohte, »es sei anzunehmen, dass die bestreikten Unternehmen streikende Arbeitnehmer aussperren werden.«

Zur selben Zeit verschickte Schleswig-Holsteins Innenminister Lemke (CDU) die Dienstanweisung Nr. 4 an alle Polizeidienststellen. Darin werden Streikposten als »Terroristen« diffamiert, »die vor keinem Gewaltakt zurückschrecken«.

Auch wenn uns das nicht ganz unbekannt vorkommt, sollte erwähnt werden, dass Lemke ein Alt-Nazi war, der es dann bis zum Ministerpräsidenten des Bundeslandes brachte.

11. Streiktag: »Terror vor den Toren«

Je größer die Entschlossenheit der Streikenden, um so wilder schlagen die Unternehmer um sich. Am 3. November 1956 veröffentlichten sie in den Tageszeitungen Schleswig-Holsteins folgende Anzeige: »Der Streik wäre längst zu Ende gewesen, wenn die Arbeiter durch den Terror der Zentralen Streikleitung am Betreten ihrer Werke nicht gehindert würden. Vor den Toren herrscht Terror.«

22. Streiktag: Der Landtag tagt

Am 14. November 1956 debattierte der Landtag über den Streik. CDU-Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel macht sich für die Unternehmer stark. Die Streik-Nachrichten der IG Metall berichteten: »Die Mehrheit des Landtages entpuppt sich nicht als Vertreter des Volkes – wie es nach der Verfassung sein sollte – sondern als Interessenvertretung einer Handvoll Unternehmer.«

27. Streiktag: Solidarität aus dem Ruhrgebiet

Ein Telegramm von Tausenden kam am19. November bei der Kieler Streikleitung an: »Wir Arbeiter der Krupp-Werke haben erkannt, dass Ihr im Interesse aller Metallarbeiter der Bundesrepublik handelt. Wir erklären uns mit Euch solidarisch.«

60. Streiktag: Weihnachten – Der LKW aus Mannheim

Acht Wochen Streik. Immer noch keine Verhandlungen. Weihnachten stand vor der Tür. Die Unternehmer setzen auf einen Stimmungsumschwung. Springers »Welt« schrieb berechnend: »Trübe Feststage für Hunderttausend.« Doch die Solidarität der GewerkschafterInnen der BRD war größer. Aus nah und fern kamen Geschenke. Die Essener Jugendgruppen der IG Bergbau schickten einen Lastwagen mit Kinderspielzeug. Voll gepackt mit Weihnachtsgeschenken war ein LKW aus Mannheim, an dessen Seitenwänden stand: »Solidarität der Mannheimer Metaller zum Streik in Schleswig-Holstein.«

66. Streiktag: Einlenken der Unternehmer

Am 28. Dezember 1956 lenkten die Unternehmer ein. Die Kraft des Streiks und die BRD-weite Solidarität zwangen sie an den Verhandlungstisch der freiwilligen Schlichtungsstelle. Doch das Ergebnis – gegen die Stimmen der IG Metall angenommen – sah keine Bezahlung der drei Karenztage vor und nur für einen Teil der Arbeiter einen Zuschuss zum Krankengeld.

76. Streiktag: 97,38 Prozent sagen NEIN

Am 7. Januar 1957 fand die Urabstimmung darüber statt. Sie wurde zu einem Bekenntnis gewerkschaftlicher Geschlossenheit. 97,38 Prozent der organisierten Metaller folgten der Empfehlung der Gewerkschaftsführung und wiesen den »Einigungsvorschlag« zurück. Auch ein Beleg dafür, welch schlechte Erfahrungen die Metaller mit den »Karenztagen« am eigenen Leib gemacht hatten. Vier weitere Betriebe wurden in den Streik einbezogen. Damit befanden sich rund 30.000 Metaller im Ausstand.

99. Streiktag: »Das ist zuwenig«

Am 22. Januar1957 mussten sich die Unternehmer erneut zu Verhandlungen bereiterklären. »Das ist uns zuwenig«, so lautete die Meinung der Mehrheit der Streikenden zum Vorschlag der großen Tarifkommission, den ausgehandelten Tarifvertrag zu akzeptieren. Danach sollte erst nach sieben Krankheitstagen ein Ausgleich zwischen Krankengeld und 90 Prozent des Nettolohns gezahlt werden und nur für einen Karenztag der volle Lohn. Bei der Urabstimmung am 30. Januar 1957 lehnten 76 Prozent ab.

100. Streiktag: Die Presse »voller Empörung«

Die bürgerliche Presse reagierte hysterisch. Ihre Schlagzeilen: »Staatlicher Notstand«, »Maßlosigkeit«, »Streikrecht gerät in Krise«. Doch am 8. Februar 1957 willigten die Unternehmer in neue Verhandlungen ein.

36 Stunden später war das bisher beste Ergebnis auf dem Tisch: Die Unternehmer mussten u.a. den Ausgleich zwischen Krankengeld und 90 Prozent des Nettolohns vom vierten Krankheitstag an zahlen und nach einer Krankheit für eineinhalb Karenztage den vollen Lohn. Nach zwei Wochen für alle drei Karenztage.

114. Streiktag: Der Durchbruch war geschafft

An diesem Tag wurde das Resultat der Urabstimmung vom Vortag, den 13. Februar 1957, bekanntgegeben: 39,66 Prozent der 28.697 Kolleginnen und Kollegen hatten für das vorliegende Verhandlungsergebnis gestimmt. Damit galt es als angenommen, wenngleich 57,66 Prozent mit ihrem NEIN deutlich machten, dass ihre ursprünglichen Forderungen noch nicht erfüllt waren. Dennoch war auch ihnen klar, dass sie mit ihrem Kampf eine Bresche für die umfassende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geschlagen hatten.

Weitere Tarifverträge folgten. Gesetzliche Regelungen folgten erst Jahre später. Erst zwölf (!) Jahre nach diesem Streik wurde unter der Regierung der Großen Koalition am 12. Juli 1969 das Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) in der heutigen Form beschlossen.

Überlegungen für heute

Als LINKE und GewerkschafterInnen sollten wir uns überlegen, was dies für heute bedeuten kann. So gibt es gewerkschaftsintern eine Debatte darum, ob man zum Beispiel bei der Besetzungsregelung in den Krankenhäusern auf gesetzliche Regelungen der Bundesregierung warten sollte oder z.B. durch erkämpfte tarifliche Regelungen wie durch den Tarifvertrag an der Charite die Dinge voranbringen sollte.

Als LINKE sind wir der Meinung, dass der Kampf um weitere tarifliche Regelungen aufgenommen werden sollte. Dann zieht vielleicht auch irgendwann der Gesetzgeber nach, wie das Beispiel Lohnfortzahlung zeigt. August 2016

Gerald Kemski ist Mitglied des Landesbezirksvorstandes ver.di-Hamburg und Sprecher des Bezirksverbands Hamburg-Eimsbüttel der Partei DIE LINKE