Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Mit Rußland muß wieder gerechnet werden

Rainer Rupp, Saarburg

Der brutale Angriff Georgiens gegen Südossetien, der nicht ohne Wissen und Ansporn durch neokonservative Kräfte im Weißen Haus und im Büro des US-Vizepräsidenten stattgefunden hat, und Rußlands schnelle, entschlossene und erfolgreiche Reaktion darauf, haben weltweit tiefgreifende politische Prozesse ausgelöst, deren Ausmaß erst in den nächsten Jahren voll erfaßt werden kann.

Hörte man führende Politiker in den USA und Westeuropa, so hat "die Welt" (mit der diese Polit-Clowns sich selbst meinen) Rußlands Vorgehen gegen Georgien scharf verurteilt. Das Gegenteil war der Fall. Starke Unterstützung hat Moskaus nicht nur in weiten Teilen Asiens gefunden, sondern in der gesamten arabischen Welt wurde insbesondere die Unfähigkeit der USA, etwas gegen das russische Vorgehen gegen die US-amerikanische Marionetten zu tun, bejubelt. Ähnliche Reaktionen gab es in Lateinamerika. Verwundert zeigte man sich lediglich über die Arroganz und Scheinheiligkeit des Westens, insbesondere der USA, die im Gegensatz zur rechtskonformen russischen Intervention in Georgien, völkerrechtswidrige Angriffskriege gegen Jugoslawien und Irak geführt hat.

Interessen und Drohungen

Zugleich hat sich in der EU und in der NATO ein deutlicher Spalt entwickelt, der einerseits zwischen den USA, Großbritannien und Rumsfelds "neuem Europa" wie Estland, Litauen, Lettland oder Polen, und andererseits zwischen dem "alten Europa" wie Deutschland, Frankreich, Italien und den Benelux-Ländern verläuft. Es kann daher nur eine Frage der Zeit sein, wie lange die Großindustrie der bedeutenden EU-Kernländer es sich noch gefallen läßt, daß die vor Russophobie geifernden Politiker der ökonomisch weitgehend unbedeutenden Länder des "Neuen Europa" mit US-amerikanischer Unterstützung die auf langfristige Energie-Kooperation mit Rußland ausgelegten deutschen, französischen und italienischen Pläne torpedieren.

Während die einen, angeführt von den USA, sich die Propaganda des Aggressors Georgien zueigen machten und verlangten, den Kreml zu bestrafen, sind die anderen an langfristigen, stabilen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Moskau interessiert, die sie nicht durch hochgefährliche und unverantwortliche Aktionen nationalistischer Politgangster vom Schlage Michael Saakaschwili gefährdet sehen wollen. Nicht zuletzt hat im post-sowjetischen, zentralasiatischen Raum der entschlossene Schlag Rußlands gegen den georgischen Aggressor zur Entzauberung der scheinbar allmächtigen US-amerikanischen Militärmacht und deren Prestige geführt. Zugleich hat sich Rußland auf der Weltbühne wieder als Macht etabliert, die der Westen nicht länger ignorieren kann, denn der Kreml hat zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gezeigt, daß er nicht nur gewillt ist, auch gegen die NATO seine vitalen Interesses zu verteidigen, sondern dies auch kann.

In den Jahren zuvor hatte Moskau immer wieder an den Westen appelliert, Rußlands vitale Sicherheitsinteressen zu respektieren. Immer wieder hat der Kreml auf die Bruchstellen verwiesen. Vergeblich. In einer kaum zu überbietenden Arroganz haben die USA und die NATO die russischen Sorgen über die stetige Expansion der NATO in Richtung Osten seit 1991 immer wieder ignoriert. Statt dessen wurde der Kreml stets mit den gleichen Phrasen abgespeist, die russischen Bedenken seien unbegründet, schließlich sei die NATO ein "Friedensbündnis" und setze sich ausschließlich aus demokratischen Staaten zusammen und demokratische Staaten würden keine Kriege gegen andere demokratische Staaten führen. Die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der USA, teilweise gemeinsam mit der NATO, gegen Jugoslawien und Irak waren daher keine Kriege, sondern lediglich humanitäre Operationen, um Diktatoren zu stürzen und die Bevölkerung zu befreien. Rußland brauche daher keine Sorgen zu haben, denn als Gegenleistung für den ökonomischen und politisch-strategischen Ausverkauf an den Westen unter Präsident Jelzin wurde der Kreml wegen seiner "demokratischen Errungenschaften" von Washington und Brüssel über den grünen Klee gelobt.

Zum großen Ärger des westlichen Kapitals war die tolle Rußland-Party vorbei, als Präsident Wladimir Putin vor acht Jahren resolut das Ruder herumriß, den Ausverkauf beendete, strategische Industrien wieder verstaatlichte, in die Wirtschaft eingriff und lenkte, die nationalen ökonomischen und strategischen Interessen wieder in den Vordergrund der Tagespolitik stellte und mit viel Erfolg das Land stabilisierte. An eine Aufteilung Rußlands in vier unabhängige Staaten zu deren besseren Filetierung durch den Westen, wie es sich bereits der berüchtigte Zbigniew Brzeziński in einem viel beachteten Buch vorgestellt hatte, war nun nicht mehr zu denken. Prompt hagelte es wieder westliche Kritik in Politik und Medien, die nun den angeblichen Demokratieabbau unter Präsident Putin scharf kritisierten. Zugleich wurden in Washington und der NATO wieder die alten Pläne aus den Schubladen geholt.

1992 hatte es noch in der NATO geheißen, wenn wir verhindern wollen, daß Rußland je wieder zu einer mit der Sowjetunion vergleichbaren Macht wird, dann müssen wir die Ukraine in den Westen ziehen und baldmöglichst in die NATO aufnehmen, trotz aller damit verbundenen militär-politischen Schwierigkeiten und hohen wirtschaftlichen Kosten. Als sich dann jedoch der Ausverkauf Rußlands unter Präsident Jelzin so unglaublich einfach gestaltete, ging im Westen schon bald das Interesse an der wirtschaftlich maroden Ukraine verloren. Mit dem Paradigmenwechsel in Rußland unter Putin und dem Zurückdrängen des westlichen Einflusses im Kreml bekam folglich auch die Ukraine wieder einen höheren Stellenwert im Kalkül des Westens. Gleiches galt für die inzwischen selbständigen, ehemaligen Sowjetrepubliken an der Grenze zu Rußlands "weichem Unterleib" im Kaukasus. Damit wuchs auch deren strategische Bedeutung zur Eindämmung Rußlands und um Druck auf den Kreml auszuüben.

"Revolutionen" in Farbe und Öl

Entwicklungen in Georgien und in der Ukraine begünstigten in jener Zeit insbesondere die westlichen Pläne. Mit Hilfe von zig Millionen Dollar, hauptsächlich von westlichen Parteien finanziert, orchestrierten um die "Demokratie" besorgte "Nicht-Regierungsorgani-sationen" aus den USA und Europa die sogenannte "Rosen-Revolution" in Georgien und die "Orange-Revolution" in der Ukraine. In deren Verlauf kamen rabiat-russophobe, pro-westliche Politiker an die Macht, die sofort Tür und Tor für westliche Beraterteams öffneten, die zuhauf ins Land und in die Regierungsstuben strömten. Schnell wurden die beiden Länder zum Dorn im Fleisch Rußlands umfunktioniert. Die Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO schien beim Gipfel des Bündnisses im Frühling dieses Jahres in Bukarest bereits beschlossene Sache, ohne Rücksicht auf die massive Ablehnung dieses Schrittes durch große Teile der Bevölkerung in der Ukraine. Rußlands Appelle, die NATO nicht noch weiter an die Grenzen des Landes vorzuschieben, verhallten ungehört.

In Georgien ging es dem Westen zudem um die Absicherung des neuen Energie-Korridors, über den – an Rußland vorbei – zentralasiatisches Öl und Gas über Georgien in den Westen gepumpt werden soll. "Das Einzige, was mich im Kaukasus interessiert, ist die Bahnlinie, die Öl von Baku nach Batumi transportiert. Ob sich die Einheimischen gegenseitig die Köpfe einschlagen, interessiert mich nicht", hatte 1918 bereits der britische Außenminister Lord Balfour gesagt. An dieser Politik hat sich seither nichts geändert. Westliche Energiekonzerne wie BP und Chevron haben vor zwei Jahren insbesondere auf amerikanisches Drängen begonnen, eine Riesenpipeline vom aserbaidschanischen Baku durch Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan zu bauen. Die Kosten dieser Pipeline sind durch die Umgehung Rußlands zwar um ein Vielfaches höher, aber dies wurde in Kauf genommen, um dem Kreml ein Mitspracherecht bei der Ausbeutung der zentralasiatischen Ressourcen zu verweigern. Als Resultat des kurzen Waffengangs mit Georgien liegt jetzt jedoch die Pipeline in Reichweite russischer Kanonen.

Ein bizarrer, bis dahin weitgehend unbekannter Aspekt, nämlich das militärische Engagement Israels in Georgien, kam ebenfalls durch den Konflikt ans Tageslicht. Seit der sogenannten "Rosenrevolution" war Georgien hauptsächlich von den USA, einigen anderen NATO-Ländern und der Ukraine aufgerüstet worden. Der massive israelische Beitrag zur Militarisierung des kaukasischen Landes wurde erst durch den kurzen Krieg bekannt. Im Verlauf des Konflikts wetteiferten israelische Zeitungen geradezu mit Enthüllungen. Demnach war Georgien durch Israel massiv hochgerüstet worden und israelische Generäle hatten die Ausbildung der georgischen Eliteeinheiten und Stoßtruppen übernommen. Der aus Israel stammende georgische Verteidigungsminister mit israelischem Paß, David Keseraschwili, war für diese Entwicklung ausschlaggebend gewesen. Im Gegenzug für die Militärhilfe half Georgien Israel und den USA bei deren Kriegsvorbereitungen gegen Iran und überließ ihnen im Süden des Landes zwei Flughäfen. Laut der inzwischen bekannt gewordenen Pläne sollten im Ernstfall von dort Angriffe gegen Iran geflogen werden, die für die iranische Luftabwehr aus vollkommen unerwarteter Richtung gekommen wären.

Israelische Medien berichteten auch, daß der ehemalige israelische Kommandeur, der die Invasion im Libanon im Jahr 2006 befehligt hatte, mit seiner Firma "Defensiv-Schild" in Georgien tätig war und wahrscheinlich immer noch ist. So liegt es auch nahe, daß israelische Militärberater beim Angriffsplan auf Südossetien mitgewirkt haben, zumal das Vorgehen dem in Südlibanon 2006 sehr ähnlich sieht, insbesondere das massive Bombardement der Zivilbevölkerung in den Dörfern und Städten, die auf diese Weise in die Flucht gen Rußland getrieben werden sollten. Damit sollten zwei Ziele erreicht werden: erstens die ethnische Säuberung der Region von Südossetiern mit russischem Paß und zweitens, die Flüchtlinge sollten den Roki-Tunnel nach Nordossetien versperren und so den russischen Vormarsch lange genug blockieren, so daß er von georgischen Kommandos gesprengt werden konnte. Letzteres haben russische Elitesoldaten jedoch verhindert. Sie sicherten den Tunnel und ermöglichten damit den schnellen Vormarsch der russischen Einheiten, die bereits am ersten Tag des Konfliktes den zu jenem Zeitpunkt numerisch etwa gleichstarken georgischen Kräften eine vernichtende Niederlage beibrachten.

Der Aggressor sei der Angegriffene

Die unglaubliche Brutalität, mit der Saakaschwili die Zivilbevölkerung der abtrünnigen Provinz Südossetien überfiel und deren Hauptstadt noch in der Nacht des Angriff dem Erdboden gleichmachte, löste selbst in westlichen Medien Empörung über das Vorgehen des nationalistischen Gewaltextremisten im georgischen Präsidentenamt aus. Erst nach der darauf folgenden russischen Intervention kam die Kehrtwende und die Presseberichte und Kommentatoren folgten der von den westlichen Regierungen vorgegebenen Version vom armen, kleinen, unschuldigen Georgien, dessen Demokratie Opfer einer brutalen russischen Invasion geworden sei. Die Tausende von Toten, die Saakaschwili offensichtlich von Anfang an billigend in Kauf genommen hatte, traten in den Hintergrund. Inzwischen ist der georgische Präsident jedoch von der russischen Justiz international als Kriegsverbrecher zur Fandung ausgeschrieben.

Weitgehend verloren ging in der westlichen Berichterstattung die Tatsache, daß Saakaschwili mit seinem militärischen Überfall den völkerrechtsgültigen Vertrag mit Rußland einseitig gebrochen hatte. In dem Vertrag hatte sich Georgien zur ausschließlich friedlichen Lösung des Konfliktes verpflichtet und die vor Ort in Südossetien und Abchasien stationierten russischen Friedenssoldaten als Schutzmacht der beiden Provinzen anerkannt. Folglich war Rußlands Aktion, um die Georgier zu stoppen, völkerrechtlich abgedeckt, zumal bei der georgischen Aggression neben einer Reihe von russischen Friedenssoldaten auch Hunderte Zivilisten mit russischer Staatsbürgerschaft getötet worden waren.

Berichte in US-amerikanischen Medien, wonach das US-Außenministerium, sogar Frau Rice persönlich, versucht hätten, Saakaschwili vom Angriff abzubringen, erscheinen glaubhaft, denn ohne die Aggression würden Georgiens Aussichten auf baldige NATO-Mitgliedschaft auch heute noch ungetrübt weiterbestehen. Die gleichen Berichte besagen jedoch, daß das Weiße Haus, insbesondere Vizepräsident Cheney und das Pentagon, Saakaschwili zu seiner Aggression geradezu angefeuert hätten. Mit anderen Worten, das US-Außenministerium hat strategisch, langfristig gedacht, während Cheney und die anderen Verbrecher um ihn herum, verblendet von der Arroganz der Macht, lieber einen kurzfristigen, taktischen Vorteil ausnutzen wollten, um Rußland ein weiteres Mal zu demütigen und als macht- und kraftlos vorzuführen. Zum Entsetzen der US-amerikanischen Diplomatie ist genau das Gegenteil eingetreten.

Durch die russische Militäroperation wurde insbesondere in den Ländern des Kaukasus und Zentralasiens den pro-westlichen Kräften, die bisher auf den politischen Einfluß und die militärische Machtprojektion der USA gesetzt hatten, eine Lektion in Realpolitik erteilt, die sie so schnell nicht vergessen werden. Washington wurde in der gesamten Region und darüber hinaus als politisch, militärisch und ökonomisch machtloser, dafür aber doppelzüngiger und großmäuliger Popanz bloßgestellt. Für die Verwirklichung von Washingtons langfristigen Zielen zur Etablierung der Kontrolle über diese energie- und rohstoffreiche Region dürfte das katastrophale Folgen haben. In Zukunft werden sich die aufstrebenden Eliten im Kaukasus und den zentralasiatischen Länder zweimal überlegen, ob es für ihre Karriere von Vorteil ist, auf die amerikanische Karte zu setzen.

Massive Unterstützung bekam Rußland auch von den in der Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) vereinten Ländern (China, Rußland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan) bei deren Gipfel am 28. August 2008 in Duschanbe (Tadschikistan). Dabei wurde Rußlands Vorgehen gegen Georgien ausdrücklich unterstützt. Zugleich aber weigerten die anderen Mitglieder sich, Rußland bei der Anerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens zu folgen, da sie in ihren eigenen Ländern ähnlich separatistische Probleme haben. Dabei ist Südossetien, ähnlich wie die Krim in der Ukraine ein Sonderfall, denn beide Provinzen wurden in der Ära der Sowjetunion per Federstrich von Rußland abgetrennt und den sowjetischen Teilrepubliken Georgien und Ukraine zugeschlagen, im Fall Südossetiens durch den Georgier Stalin und im Fall der Krim durch den Ukrainer Chruschtschow.

Rußlands Präsident Dimitri Medwedew sah in der "einheitlichen Position der SOZ-Länder" im Schlußdokument von Duschanbe "ein Signal für all jene, die Georgiens Vorgehen rechtfertigen wollen". Zugleich warf er der Bush-Administration vor, "Europa an den Rand eines neuen Kalten Krieges getrieben zu haben". Davon unbeeindruckt versicherte Medwedew, die russische Intervention gegen Georgien hätte auch dann stattgefunden, wenn Georgien bereits Mitglied der NATO gewesen wäre. Damit stellt sich insbesondere für die westeuropäischen NATO-Mitglieder die Frage, wie viel Kriegsgefahr für ihre eigenen Länder sie bereit sind zu riskieren, um nationalistische Hitzköpfe an Rußlands Peripherie zu unterstützen.

Während Washington weiter die baldige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgien fordert und amerikanische Generäle neue Pläne zur Verteidigung der "baltischen Republiken" entwickeln und das Bündnis mit entsprechend neuen Waffen und Formationen aufstocken wollen, sind die Töne aus Westeuropa und sogar von der NATO selbst vorsichtiger geworden. Beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Budapest am 10. Oktober dieses Jahres versicherte der Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer an die Adresse Moskaus: "Um jegliches Mißverständnis zu vermeiden, die NATO wird Georgien nicht mit Waffen versorgen." Auch enthielt er sich jeglicher Einschätzungen in Bezug auf Georgiens ausreichende "demokratische Reife", um sich für die NATO-Mitgliedschaft zu qualifizieren.

Die Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine wird jedoch spätestens beim NATO-Treffen im Dezember wieder auf der Tagesordnung stehen und damit auch die Frage, wie lange noch sich das "Alte Europa" seine Rußlandpolitik von den USA diktieren läßt. Die Bush-Administration auszusitzen und auf einen Neubeginn mit dem nächsten US-Präsidenten zu bauen, diese Hoffnung dürfte kaum aufgehen, denn die amerikanisch-europäischen Gegensätze sind struktureller und nicht persönlicher Natur.

20. Oktober 2008