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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

… mit Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren

Jürgen Herold, Berlin

 

Im Freundes- und Bekanntenkreis, nicht nur aus der DDR stammend, hatte ich in den vergangenen Jahren immer wieder die Diskussion, ob sich die Bundesrepublik Deutschland im Krieg befindet oder nicht.

So jüngst anlässlich der Berichterstattung fast aller bundesdeutschen Medien über die Fußball-Europameisterschaft in Polen und in der Ukraine. Der Sieg der Mannschaft der BRD schien demnach nur eine Formfrage zu sein. Die sportlichen Gegner, ausgenommen Spanien, wurden faktisch als nicht ebenbürtig, also mit einer gewissen Herablassung, behandelt. Anders gesagt: Mit typisch deutscher Überheblichkeit. Diese Stimmungsmache erfüllte offensichtlich nicht nur mich mit Unbehagen. So war die Mehrheit meiner Gesprächspartner der Meinung, der sportlich Bessere solle zwar gewinnen, aber möglichst nicht die BRD. Sonst wären die Medien gar nicht mehr zu bremsen.

Einer meiner Gesprächspartner merkte an, Fußball sei eine Art Kriegsersatz. Ich entgegnete, dass sich Deutschland doch seit längerem bereits im Krieg befände. [1] Worauf ich zur Antwort bekam, das stimme nicht, wir würden in der längsten Friedensperiode Europas leben. Diese Antwort machte mich beinahe sprachlos, kam sie doch nicht von einem politisch "unbedarften" Menschen.

Sprachlosigkeit jedoch hilft nicht weiter. In unserer politischen Arbeit müssen wir die bei vielen Menschen widersprüchliche Sicht auf die Rolle der BRD in den internationalen Konflikten in Betracht ziehen. Und auch die widersprüchliche Rolle der BRD selbst: Denken wir nur an die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat in der Libyenfrage. Nicht nur am Weltfriedenstag sollten wir uns die Frage stellen: Ist Frieden nur die Abwesenheit von Krieg? Und: Was ist Krieg?

Im Lexikon findet man dazu: "Krieg ist ein organisierter und unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragener Konflikt, an dem mehrere planmäßig vorgehende Kollektive beteiligt sind. Die Gewalthandlungen greifen gezielt die körperliche Unversehrtheit gegnerischer Individuen an und führen so zu Tod und Verletzung. Krieg schadet so auch der Infrastruktur und den Lebensgrundlagen der Kollektive."

Das Wort "Krieg" bedeutet ursprünglich "Hartnäckigkeit", "Anstrengung", "Streit". Das Verb "kriegen" heißt einerseits "Krieg führen", andererseits "bekommen, erhalten". Dies deutet sprachlich auf Herkunft und Charakter dieser kollektiven Gewaltanwendung hin. Welche Kriegsanlässe auch immer im Vordergrund stehen: Ein ökonomischer Hintergrund fehlt beinahe nie.

"Der Angriffskrieg bezeichnet die Kriegführung eines Staates, bei der dieser als Angreifer einen anderen Staat auf dessen Territorium angreift, ohne dass der Angreifer (oder ein anderer Staat) entweder von dem angegriffenen Staat vorher selbst angegriffen worden wäre, ein solcher Angriff unmittelbar bevorstehen würde, oder der angegriffene Staat dem Angreifer den Krieg erklärt hätte oder Teile seines Territoriums besetzt hält."

Wenn man diese Definition im Wesentlichen akzeptiert, kann man der Meinung des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg nur zustimmen: "… Ich habe jetzt die gegenteilige Erfahrung gemacht, nämlich die, dass man gar nicht deutlich genug in Afghanistan die Realitäten ansprechen kann. ... Das war einer der Gründe, weshalb ich soviel Wert darauf gelegt habe, auch den Bezugspunkt hin zum Begriff Krieg zu finden, obwohl der Begriff völkerrechtlich natürlich nicht sauber ist. Deswegen musste ich mich des Begriffes kriegsähnlich zunächst einmal bedienen. Ich sage aber immer, ich habe jedes Verständnis, dass man umgangssprachlich auch von Krieg da unten spricht. Es war notwendig, mit einer klaren Sprache dafür zu sorgen, wie ordnen wir das völkerrechtlich ein? ... Ohne diese Einordnung könnte die Rechtssicherheit unserer Soldaten nicht gewährleistet werden. … Es gibt kaum etwas Absurderes, als unseren Soldaten dort unten das Gefühl zu geben, dass, wenn sie mandatsgemäß von ihrer Waffe Gebrauch machen, dann plötzlich vor dem Strafrichter in Deutschland landen zu müssen." [2]

Spätestens seit dieser Einordnung 2010 befinden wir uns also offiziell im Krieg!

Allerdings könnte unter einer anderen politischen Konstellation in Deutschland die "Rechtssicherheit" der eingesetzten Soldaten dahin sein. Denn die Rechtslage in Deutschland bestimmt, dass Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig sind. Sie sind unter Strafe zu stellen. [3] Im Artikel 2 des "Zwei-plus-Vier-Vertrages" vom 12. September 1990 bekräftigen die Regierungen der BRD und der DDR ihre Erklärungen, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Der Art. 26 Abs. 1 GG ist in diesen Artikel 2 wörtlich übernommen worden.

Der in Ausführung des Art. 26 GG erlassene § 80 StGB lautet:

Wer einen Angriffskrieg, an dem die BRD beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die BRD herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.

Bestraft wird also nur die Vorbereitung eines Krieges mit Deutschland als Teilnehmer, wenn die konkrete Gefahr eines solchen Krieges auch tatsächlich droht.

"Der Angriffskrieg selbst ist nach § 80 StGB nicht strafbar, so dass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg danach nicht strafbar ist." [4]

Diese Feinheit bewahrte die deutsche Justiz seinerzeit vor dem Problem, nach Eingang entsprechender Anzeigen gegen G. Schröder und J. Fischer wegen der Teilnahme Deutschlands am Krieg gegen Jugoslawien 1999 gemäß § 80 StGB zu ermitteln und eventuell Anklage zu erheben.

Deutschland hatte nach staatsanwaltlicher Auffassung an einem nicht vorbereiteten Krieg teilgenommen.

Wie sagte doch Kurt Tucholsky: "Ich habe ja nichts gegen die Klassenjustiz. Mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht. Und dass sie noch so tut, als sei das Zeug Gerechtigkeit – das ist hart und bekämpfenswert."

 

Anmerkungen:

[1] Rund 6.300 Soldatinnen und Soldaten sind weltweit im Einsatz. www.bundeswehr.de vom 9. August 2012.

[2] Interview der Woche, Deutschlandradio, 14. März 2010.

[3] Art. 26 Abs. 1 GG.

[4] Beck'sche Kurz-Kommentare Tröndle/Fischer Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 49. neubearbeitete Auflage, München 1999.

 

Unter dem Titel "Karriere statt Knast" schreibt Uli Schwemin in der jungen Welt vom 9. August 2012 zum selben Thema aus ganz aktuellem Anlass:

Darauf hätte man schon am Abend des 4. September 2009 wetten können: Oberst Georg Klein wird General. Am 3. September 2009 war er der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt gewesen. Aber am Morgen des nächsten Tages befehligte er das größte Kriegsverbrechen der deutschen Truppen in Afghanistan. Zwei von Aufständischen entführte Tanklaster waren in einer Furt des Kundus-Flusses manövrierunfähig liegengeblieben. Dorfbewohner aus der Gegend, vorwiegend Kinder und Jugendliche, waren dabei, sich Benzin aus den gestrandeten Fahrzeugen abzuzapfen. Mit dem deutschen Herrn Oberst Klein konnten sie dabei nicht rechnen, sie kannten ihn ja nicht.

Klein war damals Kommandeur des deutschen "Wiederaufbauteams" in Kundus, log sich "Feindkontakt" zurecht und forderte US-Bomber zur Verteidigung des Schrotts im Fluss und wohl auch der demokratischen Grundwerte im Allgemeinen an. Kurze Zeit später trafen zwei Kampfflugzeuge ein, deren Besatzungen sich von Klein laut Wikipedia eine weitere Aufklärung der Lage erbaten. Der lehnte ab und gab stattdessen den Befehl zu bombardieren. Darauf schlug einer der Piloten vor, "eine höhere Autorität" in die Entscheidung einzubinden, "damit wir beide gedeckt sind". Klein lehnte wieder ab. Anschließend gab es fünfmal das Angebot der Besatzungsmitglieder, die Personen an den Tanklastern durch einen Tiefflug zu vertreiben. Klein lehnte ab. Nächste Frage der Piloten: "Wollen Sie die Fahrzeuge oder die Leute treffen?" Antwort des Fliegerleitoffiziers im Auftrag Kleins: "Wir wollen versuchen, die Leute zu treffen".

Dann folgte das Bombardement, der Experte "für Wiederaufbau" hatte sechs Bomben gefordert, die Piloten sahen zwei als ausreichend an. So starben laut dem Bremer Rechtsanwalt Karim Popal, der Opfer des Massakers vertritt, mindestens 139 Zivilisten, sieben wurden verletzt, 20 vermisst. Eine umfassende Untersuchung des Verbrechens vor Ort wurde von niemandem veranlasst.

Das war auch nicht nötig, denn in Deutschland wussten die verantwortlichen Politiker ohnehin bestens Bescheid. Verteidigungsminister Franz Josef Jung erklärte noch zwei Tage später, es seien "ausschließlich terroristische Taliban" getroffen worden. Seine notorischen Lügen kosteten ihn schließlich nicht nur das Amt des Verteidigungs-, sondern später auch des Arbeitsministers.

Oberst Klein wurde von der Bundesregierung noch schneller aus dem Verkehr gezogen. Zwar ermittelte die Generalbundesanwaltschaft wegen des "Verdachts auf ein Kriegsverbrechen". Aber, wer hätte das gedacht, der Verdacht bestätigte sich nicht, weil der Oberst "sich der Verpflichtung bewusst" gewesen sei, "zivile Opfer soweit irgend möglich zu vermeiden".

Seitdem schrubbte der Mann irgendwo in Deutschland seinen Dienst. Doch nun scheint die Schamfrist vorbei. Knapp drei Jahre sind seit jener mörderischen Nacht vergangen, da wird man sich doch bei ihrem Hauptakteur einmal bedanken dürfen. Und wie beim Militär üblich – mit der Beförderung. Klein soll im neugeschaffenen Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr Abteilungsleiter werden, was wenig später automatisch die Ernennung zum General nach sich zieht. Bezahlt wird er schon ab Dienstantritt wie ein solcher: Laut dpa wird er ohne Zuschläge 11.000 Euro im Monat erhalten. Die Familien seiner ermordeten afghanischen Opfer hat die Bundesregierung mit einmalig 5.000 Euro abgespeist.

 

"Der Bundesarbeitskreis Antimilitarismus und Frieden (BAK AuF) von Linksjugend [’solid] und Die Linke.SDS kritisieren die Beförderung Kleins aufs Schärfste", heißt es in deren Erklärung vom 11. August 2012. Und weiter: "Klein trägt eine besondere Verantwortung für den imperialistischen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. In der Nähe der Stadt Kunduz hat er am 4. September 2009 den Befehl zur Bombardierung von zwei Tanklastwagen und einer großen Gruppe von Menschen gegeben. Bei diesem Angriff starben bis zu 142 Menschen, darunter zahlreiche Zivilisten und auch etliche Kinder. Der zukünftige General hat sich zudem in der Vergangenheit durch Versuche hervorgetan, seine Verantwortung für den Tod und das Elend vieler Menschen zu vertuschen. Er hat eine sogar nach ISAF-Einsatzregeln vorgeschriebene Untersuchung der Auswirkung seines Bombardement-Befehls durch falsche Direktiven unterbunden und verhinderte somit, dass eine genaue Zahl der Todesopfer festgestellt werden konnte. Klein hatte außerdem mehrfach falsche Angaben bei der Anforderung der Bombenabwürfe gemacht. Er gab z. B. an, dass deutsche Soldaten einer unmittelbaren Gefährdung durch Personen ausgesetzt waren, die sich nahe der Tanklaster aufhielten. Dies hat sich in den Nachuntersuchungen nicht bestätigt.

Trotz seiner Vertuschungsversuche wurde festgestellt, dass der Befehl Oberst Kleins weder rechtmäßig noch 'angemessen' war – sein Verhalten zog dennoch keinerlei juristische Konsequenzen nach sich. Es wurde von vornherein verunmöglicht: Auf Grundlage der juristischen Bewertung des Krieges in Afghanistan als einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt kommt im Fall Klein nicht das Strafrecht zur Anwendung, sondern das humanitäre Völkerrecht. [5] Aber auch dort sind sogenannte 'unterschiedslose Angriffe' (unter die z. B. Bombardierungen fallen) verboten, also Angriffe bei denen damit zu rechnen ist, eine hohe Anzahl von Zivilisten zu töten. Der Luftangriff verstieß somit gegen das humanitäre Völkerrecht und dadurch auch gegen mehrere offizielle NATO-Einsatzregeln.

[...] 'Es kommt einer Verhöhnung der Opfer gleich, dass der Mann, der den Befehl zum Bomben-Massaker gab, nun auch noch mit einer Beförderung belohnt wird', kommentiert Anne Geschonneck, eine der SprecherInnen des BAK AuF. 'Die Opfer der heutigen Kriege spielen in der Moral der Herrschenden keine Rolle. Es geht in den Einsätzen der Bundeswehr nicht um Menschenrechte, sondern um geostrategische, machtpolitische und wirtschaftliche Interessen. Nur deshalb werden solche Menschen wie Klein für ihre Gräueltaten auch noch belohnt.'"

Anmerkungen:

[5] www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BMVg/2010/03/2010-03-17-nichtinternationaler-bewaffneter-konflikt.html

 

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