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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Mikis Theodorakis zum 100. Geburtstag

Gina Pietsch, Berlin

 

Überlebender einer getöteten Linken

 

So hat er sich einmal genannt. Und doch – kurz vor seinem Tode, am 2. September 2021, bittet er den Generalsekretär der Kommunistischen Partei Griechenlands, Kout­soumbas, in der Abschiedsrede zu sagen, dass er die Welt als Kommunist verlassen werde, weil er unter der Fahne der Kommunisten seine besten und wichtigsten Jahre gelebt habe. Zehntausende begleiten seinen Sarg in Athen, Hunderte holen ihn vom Schiff ab auf seiner »Mutter Kreta«, wie er die Insel nannte. Dem waren 96 Jahre eines ungeheuer reichen, schweren, kämpferischen, widerständigen, widersprüchlichen und produktiven Lebens vorangegangen. Unmöglich zu nennen die Vielfalt seiner Aktivitä­ten in Freiheit oder Gefangenschaft, verbannt oder in der Nähe seiner traditionsreichen Familie, als Politiker, als Dichter, als Komponist. Auffällig für seine Umwelt fast immer. Und in jeder Lebenssphäre blieb er unbequem, eben – weil ich mich nicht Gesetzen beugte, wie eins seiner Lieder heißt. Am 29. Juli diesen Jahres wäre er 100 geworden.

Zu seinem 90. Geburtstag hab ich ihm geschrieben:

Lieber, sehr verehrter Mikis Theodorakis, ich singe seit 10 Jahren auf der Bühne Deine Lieder, und mit jedem Konzert werden sie mir schöner und wichtiger. Friedrich Engels hat von Deinem Volk gesagt, dass dessen Begabung und Betätigung ihm einen Platz in der Entwicklungsgeschichte gesichert hat, wie kein andres Volk ihn je beanspruchen kann. Für viele Menschen in der Welt, so auch für mich, stehst Du für dieses Volk mit Deiner Kunst, Deinem Kampf, Deinem Leben. Lass uns noch lange mit Dir sein. Danke.

Kein Land tat so viel für meine Musik ...

Viele Jahre vorher habe ich schon so empfunden. Er war ja sehr oft in der DDR. Einmal durfte ich beim Festival des Politischen Liedes – es war wohl das, auf dem die Uraufführung seines »Canto General« stattfand – ihn kennen lernen und aus seiner Auto­biografie vorlesen. Natürlich war ich furchtbar aufgeregt, ehrfürchtig, ein weltberühm­ter Mann, obendrein 1,94 Meter groß! Heute wird wenig über ihn gesprochen. Und das hat Auswirkungen. Ich habe schon vor einigen Jahren festgestellt, dass meine Schüler an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« mit dem Namen Theodorakis gar nichts anfangen konnten. Als angehende Schauspieler! Aber wenn einer aus der linken Ecke kommt, muss er wohl noch mehr Weltruhm besitzen, um weiter in den Medien vertreten zu sein. Ich wollte ein bisschen dagegen angehen, dass der berühmteste grie­chische Komponist so schnell vergessen wird, schon deshalb, weil eine große Zahl sei­ner Werke in der DDR uraufgeführt wurde, was ihn zu dem Satz veranlasste:

Es gibt kein Land, das so viel für meine Musik getan hat wie die DDR.

Und so ist mein Theodorakis-Abend entstanden. Wenn ich heute mit dem auf der Büh­ne stehe, erlebe ich ein Publikum, das die Lieder ganz anders aufnimmt als vor zwanzig Jahren.

Wir sind mit den Griechen verbunden durch vieles und nicht nur wegen irgendwelcher schmutziger Bankgeschäfte, die leider nicht selten deutsch geprägt sind. Und gerade deshalb vermisse ich bei den Talkshows über Griechenland etc. die Erinnerung an unse­re Vergangenheit, ganz konkret die Jahre 1941 bis 44. Diese Vergangenheit verpflichtet uns, die Deutschen, in ganz besonderer Weise zur Solidarität mit den Menschen in Grie­chenland. Die Verbrechen der Deutschen an Griechenland in der Zeit der Besatzung durch den deutschen Faschismus sind kaum aufzuzählen und nicht annähernd gutge­macht. Es seien nur einige erinnert: Nämlich, dass Griechenland von allen durch Deutschland besetzen Länder die höchsten Besatzungskosten zu zahlen hatte; dass sei­ne Bodenschätze und landwirtschaftlichen Produkte in unbeschränktem Maße ausge­beutet wurden; dass infolgedessen in den Wintern 1941 bis 43 in den Athener Ballungs­gebieten 100.000 Menschen an Hunger starben, da die Besatzer alle Nah­rungsvorräte konfisziert hatten; dass eine 80-prozentige Säuglingssterblichkeit herrsch­te; dass von 300 Kindern im Jahr 44 in Athen 290 an Tuberkulose erkrankten; dass 60.000 Juden der Gemeinde Salonikis deportiert wurden, 20.650 Partisanen, 4.785 Geiseln, also insgesamt etwa 70 bis 80.000 griechische Menschen getötet wurden.

Das verbotene Wort

Die Veränderungen in der Welt und besonders in diesem Land verändern auch die Ein­stellungen des Publikums zu Mikis. Wenn ich mein Titellied singe »Weil ich mich nicht Gesetzen beugte«, dann steht das programmatisch für sein Leben. Dieses Lied ent­stand übrigens während der Junta-Zeit im Konzentrationslager Oropos. Damals war er schon viele Male im Knast gewesen und furchtbar gefoltert worden. Jeder andere in sei­ner Lage hätte sich unauffällig zurückgehalten. Theodorakis aber hat die Beschwerden seiner Mitgefangenen aufgeschrieben, mit seinem Namen unterzeichnet und bei der La­gerleitung abgegeben. Er erhielt den Zettel zurück mit dem Stempel: »Abgelehnt wegen Nichtbefolgung der Vorschriften«. Das ist der Liedtitel, nur etwas anders über­setzt.

So wundert auch nicht, wenn er noch mit einundneunzig Jahren seine Landsleute aufge­fordert hat, das verbotene Wort Revolution wieder zu sagen.

Für diese Haltungen hab ich ihn bewundert. Dabei waren sie für ihn selbstverständlich. Er hat immer seine Meinung gesagt, ist immer unbequem gewesen und beneidenswert mutig, ob gegen deutsche oder italienische Nazis, die eigene Junta oder die Stalinisten. Letzteres – genauer, seine Mitgliedschaft in der eurokommunistischen »Inlands-KP« – brachte ihm auch in der DDR eine kurze Zeit Aufführungsverbot ein. Und, was die Grie­chen zum Beispiel an Faschismus erfahren haben, macht sich derzeit nicht nur in Europa wieder breit. Und Theodorakis’ Lieder, die Teil des Kampfes gegen den Faschismus sind, haben so auch mit unserer Geschichte und leider auch mit unserer Gegenwart zu tun.

Mikis Theodorakis ist ein unglaublicher Mann, der in Griechenland einen lebenslangen Kampf für die Musik geführt hat, und zugleich für die Freiheit, die evidenterweise diese Musik begleiten muss. Ich bezweifle, ob es ein anderes Leben gegeben hat, das so stark die Zusammenhänge zwischen revolutionärer Kunst und politischer Freiheit aufzeigt.

So einmal Arthur Miller über Mikis.

Wo kommt so ein Leben her?

Der Vater Giorgos Theodorakis stammte aus Galatas bei Chania auf Kreta, die Mutter Aspasia Poulaki war eine Vertriebene aus Çeşme in Kleinasien. Schon als Kind war Mikis von der Musik fasziniert, schrieb mit 12 seine ersten Kompositionen, ohne ein Musikinstrument zur Verfügung zu haben und gab sein erstes Konzert mit 17. Schon in diesem Alter, also während der Besetzung Griechenlands durch die deut­schen, italienischen und bulgarischen Truppen von 1941 bis 1944 schloss sich der jun­ge Theodorakis dem Widerstand an. Mit 17 Jahren wurde er erstmals inhaftiert und gefoltert. Die italienischen Folterer reißen ihm einen Fingernagel aus, furchtbar schmerzhaft, aber nicht das Schlimmste, was er in dem Dutzend der Lager und Gefäng­nisse ertragen muss. Im Bürgerkrieg Mitte 1948, auf der Insel Makronissos wurde er zweimal lebendig begraben, also dem Tode nahe. Er tut sich lange schwer, über das ungeheuere Ausmaß seiner Folterschmerzen zu sprechen und der seiner Freunde, die er neben sich sterben sah. Gut, dass wir davon lesen können in seinen Tagebüchern und seinem Buch »Bis er wieder tanzt«. Als »Zeuge seiner verratenen Heimat« erfahren wir da aber auch vom erlebten Widerstand, von der Partisanin, die bei der Hinrichtung ihr Kopftuch hochhielt und rief. »Ich sterbe für diese Fahne«. Mikis meint:

Diese kretische Dorfbewohnerin adelte die ganze Menschheit, ein für allemal.

Internationale Solidarität

Am 21. April 1967 kam es zum Putsch der faschistischen Obristen. Theodorakis ging sofort in den Untergrund, veröffentlichte schon zwei Tage später einen ersten Aufruf zum Widerstand, gründet die Patriotische Front, schreibt »Rebellenlieder«. Durch den Armeebefehl Nr. 13 vom 1. Juni 1967 wurde seine Musik verboten, der Besitz seiner Platten und sogar das Singen und Hören seiner Lieder mit Gefängnisstrafe bedroht.

Am 21. August trifft es ihn selber. Zum neunten Mal verhaftet und im Hauptquartier der Sicherheitspolizei physisch und seelisch gefoltert. Ende Januar 1968 entlassen, im August desselben Jahres aber bereits ins arkadische Bergdorf Zatouna verbannt und ab Oktober 1969 schließlich ins Konzentrationslager Oropos überführt, wo er sehr schwer an Tuberkulose erkrankte. Eine internationale Solidaritätsbewegung, angeführt unter anderem von Dmitri Schostakowitsch, Leonard Bernstein, Arthur Miller, Yves Montand, Laurence Olivier, Harry Belafonte, Jean Paul Sartre und Franz Josef Degenhardt setzte sich für seine Freilassung ein. Er erzählt:

Die Regierung der DDR schloss sich dieser Initiative an und gab den Befehl, dass Schüler aus allen Schulen des Landes an das Gefängnis Averof, wo ich mich befand, eine selbst gemalte bunte Blume schicken sollen mit dem Aufruf: Freiheit für Theodorakis! Eines Tages erzählte mir einer der Gefängniswärter, dass der Keller voll ist mit Säcken, gefüllt mit Postkarten, darauf Blumen, aus der DDR für mich. Ich bat ihn, mir einige dieser Kar­ten zu bringen, was er auch tat. Wir tapezierten die Wände unserer Zellen mit diesen Blu­menbildern, die größte Wandgestaltung war im Esssaal des Gefängnisses. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber irgendwo habe ich gelesen, dass die Bundeskanzlerin gesagt hätte, dass auch sie zu den Schülern gehörte, die so eine Karte an mich geschickt haben.

Hoffnung

Was wäre nicht alles noch zu erzählen, über seine wunderbare Ehe mit der Ärztin Myrto Altinoglou, seine Kinder Giorgos und Margarita.

Bis ins hohe Alter hinein, in den letzten Jahren im Rollstuhl sitzend, nahm Theodorakis an Demonstrationen teil, initiierte Bürgerbewegungen und schrieb öffentliche Erklärun­gen zu aktuellen politischen Anlässen – immer unter der Prämisse der Völkerverständi­gung und der Wahrung des Friedens, so 1999 gegen die NATO-Bombardierungen in Jugoslawien, später gegen Israels Politik gegenüber Palästina, wofür er, wie mittler­weile üblich, des Antisemitismus bezichtigt wird.

In den letzten Jahren seines Lebens ist es in besonderer Weise die Sorge um sein Vater­land, das ihn umtreibt.

Griechenlands Vernichtung hat bereits begonnen. Nicht durch Bombardements und Mas­sentötungen, sondern durch Methoden, die ökonomisches Ersticken bewirken.

Das Geld dirigiert Europa wie mir scheint, wie eine riesige Spinne …

Sie haben das griechische Tafelsilber verkauft und gesagt: Schäuble ist der Chef. Das damalige Schreckgespenst des Hungers kehrt in unser verleumdetes und unglückliches Land zurück. Wo sollen wir Hoffnung hernehmen? Man raubt sie uns jeden Tag.

Sehen wir Hoffnung in seinen eigenen Sätzen.

Wenn man Druck macht auf ein Volk, dann steht es irgendwann auf. Das sei an die Adres­se jener gerichtet, die uns hier jeden Tag an die Wand stellen wollen. Anstelle des Geldes wird wieder der Mensch Priorität haben. Wir könnten eine harmoni­sche Welt herstellen. Wir müssen sie nur wollen. Ich selbst aber will so schnell wie möglich sterben.

Siehe auch: »Zeuge seiner verratenen Heimat: Mikis Theodorakis zum 95. Geburtstag« von Gina Pietsch im Heft 7/2020 der KPF-Mitteilungen (kpf.die-linke.de/mitteilungen/detail/zeuge-seiner-verratenen-heimat-mikis-theodorakis-zum-95-geburtstag/).

 

Mehr von Gina Pietsch in den »Mitteilungen«: 

2025-06: Happy Birthday, Stevie Wonder

2025-02: Eine Hommage an Kurt Weill

2024-12: Drei Leben einer kleinen, großen Frau