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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

MeinungsBILDung

Dokumentiert

1972, im Juni: Nachdem ein CDU-Bundestagsabgeordneter "die Bölls und Brückners" der Wegbereitung und geistigen Mittäterschaft am Terrorismus bezichtigt hatte, solidarisierten sich 14 deutsche Schriftsteller am 14. Juni in einem offenen Brief mit dem Autor Heinrich Böll. Vorangegangen war dem eine wochenlange Hetzkampagne in den Medien, die nicht zuletzt durch Springer-Blätter wie BILD betrieben worden war. Der Schriftsteller hatte im Januar 1972 im Magazin "Der Spiegel" geschrieben: "Es kann kein Zweifel bestehen: Ulrike Meinhof hat dieser Gesellschaft den Krieg erklärt. Es ist inzwischen ein Krieg von sechs gegen 60 Millionen. Ein sinnloser Krieg. Ulrike Meinhof will möglicherweise keine Gnade. Trotzdem sollte man ihr freies Geleit bieten, einen öffentlichen Prozess." Damit handelte sich Böll nicht nur heftige Kritik ein, nein, diese Stellungnahme reichte aus, ihn wider besseren Wissens als Unterstützer, Sympathisanten und Wegbereiter des Terrorismus zu denunzieren.

Nachstehend dokumentieren wir den erwähnten offenen Brief, auch aus aktuellem Anlass:

An das Präsidium des Bundestags: Die unterzeichneten deutschen Schriftsteller warnen vor einer abermaligen Zerstörung der Keime einer freiheitlich demokratischen Grundordnung in Deutschland unter dem Vorwand ihrer Verteidigung. Die Verfolgung von definierbaren Straftaten wie Bombenanschlägen und sonstigem Terror ist eine Sache, die Diskriminierung politischer Gesinnungen, die nicht wie der Nazismus sich selbst außerhalb der Grenzen menschlicher Gesittung stellen, ist eine vollständig andere. Das Grundgesetz, um dessen Wahrung es den Wortführern dieser Diskriminierung vermeintlich oder angeblich geht, untersagt sie. Artikel 3 des Grundgesetzes, wonach niemand wegen seiner politischen Anschauungen bevorzugt oder benachteiligt werden darf, nimmt radikale demokratische Positionen nicht aus. Er verpflichtet keinen Staatsbürger zu Gesinnungen, die sich selbst für gemäßigt halten. Zu erinnern ist an die französischen Radicaux, die in einem Land, das die Demokratie nicht zu importieren hatte, generationenlang Regierungspartei waren.

Die Handhabung eines inhaltlich unbestimmten Radikalismusbegriffs ist verfassungswidrig. Wie die Praxis zeigt, dient sie in der Bundesrepublik fast ausschließlich zur einseitigen Diskriminierung linker Staatsbürger, während alte und neue Nazis unbehindert die Staatsapparate durchwuchern. Dieser Vorgang hat in Deutschland ominöse historische Beispiele. Die Zusammenarbeit zwischen dem Exekutivapparat des Staates und den rechtsextremen Verschwörern gegen unsere erste Demokratie brachte Hitler ans Staatsruder. Immer noch wird hierzulande wie damals der Staat mit der Exekutive verwechselt und damit der Grundsatz der Gewaltenteilung missachtet.

Alfred Andersch‚ Reinhard Baumgart, Ernst Bloch, Walter ]ens, Uwe Johnson, Heinar Kipphardt, Wolfgang Koeppen, Dieter Lattmann, Peter de Mendelssohn, Paul Schallück, Ulrich Sonnemann, Eckart Spoo, Thaddäus Troll, Günter Wallraff, 14. Juni 1972