Meine geliebte stolze Republik
Armin Stolper, Berlin
Am 23. März 2014 begeht der Dramaturg und Schriftsteller Armin Stolper seinen 80. Geburtstag. Wir bedanken uns für seine stetige Solidarität und seine wunderbaren Beiträge in unseren "Mitteilungen". 2007 erschien im Verlag Wiljo Heinen "Meine geliebte stolze Republik". Auf Stolpers Notizen aus den Siebzigern und Achtzigern, mal heiter mal zornig, folgt sein Nachwort:
Beim Wiederlesen der beiden Urlaubs-Tagebücher staunte ich nicht schlecht, wie DDR-dumm, wie DDR-besessen, wie DDR-verliebt wir waren, auch wenn wir unter den DDR-Beschränkungen nicht schlecht gestöhnt haben. Dennoch, lese ich heute in den Heften, die ich hier dem Leser offeriere, erzählen sie mir, wie wir damals, alles in allem, keineswegs unglücklich waren. Jedenfalls empfanden wir unser Leben, trotz manchen Mangels im Materiellen, nicht arm im Geiste, nicht arm an Liebe, nicht arm an Gemeinsamkeit.
Die Urlaubserinnerungen wurden vier, fünf Jahre vor dem Untergang der DDR und ihrem Beitritt zur Bundesrepublik geschrieben. Jetzt, nachdem manche Pastoren und Politiker, Dichter und Künstler, Sportler und Lehrer - weiblich wie männlich - zu Protokoll geben, wie sie in der DDR gelitten und in den neuen Bundesländern das Himmelreich ihrer absurden Erwartungen auch nicht immer bestätigt gefunden haben, bekenne ich: Ich habe diese Aufzeichnungen mit Freude und Wehmut wieder gelesen; ich bekenne mich nach wie vor zu unserer Armut, die uns den Alltag oft erschwerte und zu unserem Reichtum, den wir trotz allem als Zeitgenossen dieses östlichen Jahrhunderts empfanden. Ich bereue auch nicht, dass ich mich damals mit Pfarrern im gemeinsamen Wollen, den Humanismus christlicher wie sozialistischer Art erlebbar zu machen, zusammentat, auch wenn manche von ihnen nach 1989 daraus nur noch für sich den Antikommunismus herausgefiltert haben und erstaunt sind, mich heute für ihre Zwecke nicht vereinnahmen zu können. Die Handwerker, die in der DDR manche Beschränkungen hinnehmen mussten, dabei aber eine ganze Menge und mehr als andere Berufe und Gewerke zusammenscheffeln konnten, können sich nun freuen, in der Freiheit, die ihnen der Kapitalismus bietet, noch mehr zusammenzuraffen oder - wie es vielen schon erging - untergegangen zu sein. Die Genossenschaftsbauern, wenn sie Glück hatten, sind Mitglieder von Agrargenossenschaften geworden, der Konsum ist vernichtet, Gorbatschow hat sich selbst entlarvt, die meisten Betriebe und nicht nur in der Oberlausitz, sind geschlossen, abgewickelt oder müssen sich mit stark heruntergefahrenen Kapazitäten zufrieden geben; die Jugend - und nicht nur aus den Dörfern und Städten der Lausitz - will heute nicht mehr unbedingt nach dem Westen, sie muss es aber, wenn sie eine Arbeit finden will; die Kirchen, Schlösser und Gutshäuser werden restauriert, erstrahlen in alt-neuer Pracht und verkünden in althergebrachter Weise die Ideologie, die sie im Sozialismus keineswegs ungehindert verbreiten konnten, im vollen Strahlenkranz staatstreuer Gesinnung - sind aber auch nicht voller, woran noch immer der Atheismus in der DDR Schuld haben soll, und viele Leute der schreibenden Zunft, die damals eine Literatur schufen, die unverkennbare Züge des Landes trug, in dem sie entstanden war, werden heute als absolut unbedeutend eingestuft - es sei denn, sie beschwören in Talkrunden, in Illustrierten und in Erinnerungsbüchern das Elend der Dichter und Künstler, dem sie in der Gott sei Dank untergegangenen DDR ausgesetzt waren.
War ich stolz, ein DDR-Bürger gewesen zu sein? Unsinn, ich war einer. Als dieser Staat gegründet wurde, war ich 15 Jahre alt, besuchte in Görlitz die Oberschule, wollte kein Lobgedicht über Stalin aufsagen und wäre um ein Haar von der Penne geflogen, weil ich mich im Chemie-Unterricht an bösen Späßen beteiligte. Später habe ich nach zwei Semestern das Philosophie-Studium abgebrochen und bin unter die Komödianten gegangen, sprich: ich wurde Dramaturg. Auf Lebenszeit, wie ich aus Anlass meines 70. Geburtstags verkündete, obwohl ich schon seit zwei Jahrzehnten diesen Beruf am Theater nicht mehr ausübe.
Ich habe Stücke geschrieben, in denen ich Kritik an meiner Gesellschaft übte, weil ich sie in manchem für verbesserungswürdig fand, weshalb ich einmal den Lessingpreis erhielt und ein andermal einen bösen Brief von Kurt Hager. Ich bin gespielt und zeitweilig verboten worden; manches meiner Stücke durfte in Weimar nicht, dafür aber in Potsdam, in Meiningen oder in Bautzen gespielt werden. Manches, das in Halle sehr erfolgreich uraufgeführt worden und am DT in Berlin zum Nachspielen angenommen worden war, kam dann doch nicht zur hauptstädtischen Aufführung, weil ein besonders parteilicher Intendant aus dem Norden unserer Republik mich für einen konterrevolutionären Schreiber hielt. Ich war nicht stolz, Bürger der DDR zu sein, ich lebte in der DDR, kam immer wieder gern von Reisen ins westliche oder östliche Ausland nach Hause, habe oft geschimpft über Blödheiten, denen man auf Schritt und Tritt begegnen konnte, habe mich mit Einschränkungen abgefunden, habe nie daran gezweifelt, dass es gut war, dass es uns gab und habe nie an ein Aufhören der Existenz der DDR in absehbarer Zukunft geglaubt; diesen Glauben teilte ich, wenngleich unter sehr anderen Prämissen, mit der jeweiligen Regierung der Bundesrepublik.
Was antwortete der westdeutsche Pfarrer und Politiker Heinrich Albertz auf die Frage, was ihm die DDR gewesen sei? Ein geliebtes Land. Davon soll auch, wie ich es verstehe, dieses hier vorliegende Buch Zeugnis ablegen. Und ich freue mich, dass dieser bürgerliche Mensch, der bei der Ausübung seiner vielen politischen Ämter zu Einsichten, schließlich zu neuen Erkenntnissen gelangte, die er in Predigten und Büchern darlegte, ein alter Breslauer war.
Berlin, im September 2006