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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Links ist feministisch oder nicht links

Dr. Ursula Schröter, Berlin

 

Diese These spielte in den Monaten des gesellschaftlichen Umbruchs 1989/90 eine große und produktive Rolle in der innerparteilichen Debatte – was angesichts der gegenwärtigen Aufregung über Gender-Sternchen, Intergender, Transgender … schwer vorstellbar ist. Es war die Zeit, die später »feministischer Aufruhr« genannt wurde. Mehrheitlich junge DDR-Frauen hatten den UFV (Unabhängiger Frauenverband) gegründet und machten lautstark von sich reden. Der seit 1947 existierende DFD (Demokratischer Frauenbund Deutsch­lands) mutierte weniger lautstark mit neuen Verantwortlichen und neuen Aufgaben zu einem parteineutralen Verein. Der erste PDS-Parteitag im Februar 1990 beschloss ein Frauen-Aktions-Programm, und das Wahlprogramm der PDS für den 18. März versprach eine Politik, die zur Überwindung des Patriarchats beiträgt.

Etwas später ließ die Parteiführung eine kleine soziologische Befragung von mehr als 30 damals führenden Genoss*innen zum Thema »PDS und Feminismus« durchführen. Dabei wurden beispielsweise solche Sätze zu Protokoll gegeben: »Das Patriarchat deformiert seit Jahrhunderten auch Männer. So langsam wird das auch bewusst … Feminismus meint bei­de Geschlechter.« Das wichtigste Ergebnis dieser Studie war jedoch, dass es zum Zusam­menhang zwischen Kapitalismuskritik und Patriarchatskritik ein großes Wissens-Defizit gibt, eine verbreitete Unsicherheit. (Fußnote: Seit einem Jahr wird uns dieser Zusammen­hang schmerzlich vor Augen geführt: Wenn weltweite Profitgier auf männliche Machtbeses­senheit trifft, wird es lebensgefährlich. Für alle.)

Stabiles Bekenntnis zum Feminismus

Auch noch beim Gründungsprozess der gesamtdeutschen Partei wurde auf feministische Politik orientiert. In den »Programmatischen Eckpunkten«, auf die sich schließlich PDS und WASG einigten, heißt es: »Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab – Linke einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend.«

Dazu bekannten sich 2007 also sowohl Linke, deren Wurzeln in der kraftvollen Achtund­sechziger Bewegung der Bundesrepublik – mit ihrem Haupt- und Nebenwiderspruch – lagen, als auch solche mit SED-Vergangenheit und mit Sozialismus-Erfahrungen.

Im Rückblick erstaunt das stabile Bekenntnis zum Feminismus. Und das nicht nur wegen der o. g. verbreiteten Unsicherheit im Umgang mit feministischen Theorien und Bewegun­gen; auch weil die Linke ein Kind der Arbeiterbewegung ist. Und die Arbeiterbewegung hat­te sich ursprünglich »nur« die Überwindung der Klassenunterschiede auf die Fahne geschrieben. Als Karl Marx dazu aufrief, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, meinte er nicht alle Verhältnisse, sondern nur die, die mit der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit verbunden waren. Dass die Frau eines Kapitalisten (nicht nur im Iran) gegebe­nenfalls auch erniedrigt und verächtlich gemacht wird, dass begabte Töchter aus gutem Hause eher ins Kloster geschickt wurden als in angemessene Bildungseinrichtungen … – solche Fakten wurden nicht wahrgenommen und standen angesichts der gravierenden Not der Arbeiter (ohne Sternchen) nicht zur Debatte.

Die Vergangenheit gründlich analysieren

Die 2007 geborene LINKE wollte jedoch nicht nur feministisch, sondern gleichzeitig auch ökologisch verantwortungsbewusst und antirassistisch sein. Das Links-Sein sollte also nicht nur auf die Lösung des Klassenwiderspruchs und des Geschlechterwiderspruchs orientieren, sondern auch auf die des ethnischen Widerspruchs und des Widerspruchs zwi­schen Natur und Gesellschaft. Ich lese das so, dass das im 20. Jahrhundert gängige hierar­chische Gebäude der gesellschaftlichen Widersprüche mit dem Klassenwiderspruch an der Spitze infrage zu stellen ist, dass die heutige Linke nicht nur in der Arbeiterbewegung, son­dern in allen Menschenrechtsbewegungen der Vergangenheit verwurzelt ist, dass es in der heutigen linken Politik keine generelle Hauptsache und generelle Nebensache geben darf, dass die Prioritäten von Fall zu Fall zu setzen sind.

Ein politisches Konzept, das auf solchen Eckpunkten beruht, halte ich für zukunftsträchtig. Dabei muss in Kauf genommen und auch laut ausgesprochen werden, dass die Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus für die heutige Linke nicht immer hilfreich sind. Mehr als 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems ist die Zeit reif für eine umfassende und solide Fehleranalyse des Gesellschaftskonzeptes, nach dem der Sozialismus funktionieren sollte. Fehlerdiskussionen sind bei den Linken nicht gerade beliebt, sie sind aber die Voraussetzung für jeden Neu-Anfang.

Zwar ist richtig, dass es im Rückblick auf den realen Sozialismus eine unübersehbar große Menge von historischen Studien und Erinnerungstexten, von biografischen und autobiogra­fischen Publikationen gibt. Hier wird aber meist am Konzept festgehalten oder auch über das Konzept hinweggesehen und personelles Versagen für das Scheitern angeführt. Michail Gorbatschow hätte die DDR verraten, Günter Mittag hätte falsche Prioritäten für die ökonomische Entwicklung gesetzt, Margon Honecker falsche Entscheidungen für das Bildungswesen getroffen. Auch während des PDS-Parteigerichtes am 20./21. Januar 1990 sagte niemand: »Es konnte nicht gut gehen«. Vielmehr gingen sowohl die Ankläger*innen als auch die Angeklagten von der Inkompetenz der Parteiführung aus. Kurt Hager bezeich­nete die Unfähigkeit der Verantwortlichen, auch seine eigene, als Hauptmangel der SED-Politik.

Daraus wäre der Schluss zu ziehen, dass der Zusammenbruch des Sozialismus mit ande­ren, mit kompetenteren Verantwortlichen, mit einer weniger selbstgefälligen Parteiführung hätte verhindert werden können, dass es also prinzipiell möglich gewesen wäre, auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus den weltweiten Kalten Krieg zu gewinnen.

Genau das ist mit Bezug auf die aktuelle sozialwissenschaftliche Forschung infrage zu stel­len. HINSETZEN und die Vergangenheit gründlich analysieren steht auf der Tagesordnung. Erst danach wissen wir genau, welche Art System mit der »Systemfrage« gemeint ist.

Debatten über die Folgen eines Irrtums

Was den Geschlechterwiderspruch betrifft, ist die erforderliche Analyse weltweit bereits weit fortgeschritten. Die Frauenfrage galt mit Bezug auf die anthropologische Forschung des 19. Jahrhunderts (Bachofen, Morgan) als Bestandteil der Klassenfrage. Da es in der DDR und in den anderen sozialistischen Ländern keine Klassenherrschaft mehr gab, konn­te es nach Friedrich Engels und August Bebel auch keine Männerherrschaft geben. Ein sozialistisches Patriarchat gehörte nicht zum Konzept. Dass sich Engels und Bebel irrten, weil sich Bachofen und Morgan irrten, hat erst die Historikerin (und Kommunistin) Gerda Lerner Ende des 20. Jahrhunderts öffentlich gemacht. »Die ethnografischen Informationen, auf die Engels seine Verallgemeinerungen stützte, haben sich als unzutreffend erwiesen«, schrieb und belegte sie in ihrer Publikation »Die Entstehung des Patriarchats«, die erst seit 1991 auf deutsch vorliegt. Lerner und nach ihr weitere Anthropolog*innen wiesen nach, dass sich das Patriarchat tief in der Ur-Gemeinschaft und lange vor der Entstehung von Pri­vateigentum an Produktionsmitteln etablierte und dass es seitdem die gesamte gesell­schaftliche Entwicklung beeinflusst.

Das kann auch als gute Botschaft gedeutet werden, weil nun erklärbar wird, warum in der DDR (und auch in der westlichen Linken) nur die Gleichberechtigungsvorstellungen von August Bebel und nicht auch die von Clara Zetkin aus dem Jahr 1899 öffentlich diskutiert wurden oder warum auch DDR-Männer die Weiterbildungsbestrebungen ihrer Frauen eher hemmend als fördernd begleiteten oder …

Zumindest hinsichtlich der Frauenfrage und mit Blick auf die stabilen patriarchalen Struktu­ren (auch in den Frauenköpfen) braucht die Linke also eine neue Erzählung, und zwar eine Erzählung, die nicht erst bei Marx und Engels, sondern bereits bei den so genannten utopi­schen Sozialisten ansetzt. Bekanntlich wollten diese die Gesellschaft in zweierlei Hinsicht verändern. Zum einen ging es um Kritik am gestörten Verhältnis der Menschen zur Arbeit, das Karl Marx später mit »Entfremdung« umschrieb. Zum anderen ging es um Kritik am ro­mantischen Liebesideal der Moderne, am Ideal der beständigen Liebe und der lebensläng­lichen Ehe, am damit verbundenen Besitz-Denken in der Partnerschaft. Als die Arbeiterbe­wegung »von der Utopie zur Wissenschaft« schritt, ging das Nachdenken über Liebe und Sexualität weitgehend verloren, dominierte die ökonomische Zielrichtung. Dabei wurde die patriarchale Zuweisung, dass das Herstellen eines Produktes wichtig ist und das Erhalten und Pflegen dieses Produktes zweitrangig, nicht prinzipiell infrage gestellt. Sogar gut mög­lich, dass der auf Produzieren eingeschränkte Arbeitsbegriff sich gerade im Marxismus un­gehindert ausbreiten konnte. Schließlich war es die bis heute bewundernswerte Marxsche Analyse der Produktionsverhältnisse im Kapitalismus, die zum Marxismus führte.

Nicht so recht durchschaubar ist (für mich), wie die westliche These vom Haupt- und Nebenwiderspruch entstanden ist. Lenin kann hier nicht Pate gestanden haben, er spricht zwar (nach Clara Zetkins »Erinnerungen an Lenin«) von Haupt- und Nebensachen, aber mit den Nebensachen meint er nicht die Frauenfrage als Ganzes, sondern die Beschäftigung mit Liebe, Ehe und Sexualität, die Zetkin in ihren Bildungsangeboten überbetonen würde – aus Lenins Sicht.

Heute geht es nicht nur um die Sicht eines Mannes, sondern um die einer linken Partei, der einzigen Partei in Deutschland, von der die bitter notwendigen Zukunftshoffnungen ausgehen könnten.

Februar 2023

 

Mehr von Ursula Schröter in den »Mitteilungen«: 

2020-08: Ein sozialistisches Patriarchat

2020-06: In anderen Umständen – seit 25 Jahren

2018-08: »Der Osten wird gerade ein zweites Mal entdeckt«