Linke Außenpolitik?
Auszüge aus "Linke Außenpolitik. Reformperspektiven" von Stefan Liebich und Gerry Woop (Hrsg.)
Stefan Liebich bringt seine Freude über die Einstimmigkeit zum Ausdruck, mit der der Weltsicherheitsrat einem UN-Einsatz nach Kapitel VII in Zentralafrika zugestimmt hat. Die Erklärung Stefan Liebichs "Militärischer Noteinsatz" vom 9. Dezember 2013 ist ein offener Affront gegen die in der Partei geltende Beschlusslage. Nicht nur die KPF wird sich dagegen wehren, dass de facto die Atlantik-Brücke [1] die friedenspolitischen Prinzipien der LINKEN infrage stellt. Kein neuer Versuch, diese Grundsätze über Bord zu werfen, wie auch die nachfolgenden Auszüge aus einer von Stefan Liebich und Gerry Woop herausgegebenen Broschüre "Linke Außenpolitik. Reformperspektiven" belegen (WeltTrends, Potsdam 2013, 128 Seiten).
Weltordnung oder Globalisierung?
André Brie (S. 14-18)
[...] Alle Bestrebungen und unleugbaren Erfordernisse politischer und wirtschaftlicher internationaler Veränderungen und Reformen der rechtlichen und institutionellen, der regionalen und globalen Bedingungen sowie alle Ideen und Bestrebungen linker internationaler Politik werden sich den spezifischen und begrenzten Bedingungen jeder weltweiten, aber auch der europäischen Wandlungen stellen müssen, wenn sie nicht zwar wünschenswerte, aber ausschließlich ideologische und illusionäre Ideale oder Utopien bleiben sollen. [...]
Reformen zur Stärkung der UNO sind notwendig und machbar. Vorschläge für eine linke Positionierung zur Weltorganisation
André Brie, Ernst Krabatsch, Stefan Liebich, Paul Schäfer und Gerry Woop (S. 19-24)
[...]
Verantwortung für Frieden
Die UNO hat auf der Grundlage der Charta die Aufgabe, als System kollektiver Sicherheit für Frieden zu sorgen, Gewaltkonflikten präventiv zu begegnen, sie durch Vermittlung oder im Ernstfall auch durch Zwangsmaßnahmen möglichst schnell und nachhaltig beizulegen. Friedensgebot und Gewaltverbot sind zentral, die Beseitigung von Konfliktursachen sollte Priorität schon in der Ressourcenverteilung haben. Zugleich kann es im Einzelfall völkerrechtskonforme Zwangsmaßnahmen bis hin zu militärisch ergänzten UN-Missionen geben. [...]
Zielgerichtete Sanktionen
Sanktionen als Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta zählen zu wichtigen, auch präventiv wirkenden nichtmilitärischen Instrumenten der UNO. Die Entscheidung darüber muss ausschließlich dem Sicherheitsrat oder der Generalversammlung vorbehalten bleiben und sollte sich auf die Erhaltung des Friedens konzentrieren […]
Die Linke und UN-Militäreinsätze
Paul Schäfer (S. 25-31)
[...] Über die UN und die Charta zu reden, heißt zugleich, über deren Missbrauch durch die Großmächte zu reden. Dies ist im Lichte der Erfahrungen vor allem seit 1990 unabweisbar. [...]
Nicht übersehen werden darf allerdings, dass die Charta der Vereinten Nationen bereits Normen für zivilisatorisch angemessene innerstaatliche Verhältnisse formuliert und daraus Anforderungen für die Politik der UN abgeleitet hat. Dies wurde durch die verschiedenen Konventionen über Grund- und Menschenrechte ausdrücklich unterstrichen. Es liegt auf der Hand, dass damit ein Spannungsfeld zwischen Nichteinmischungsgebot und dem Gebot der Durchsetzung elementarer Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten aufgebaut wird. Und dies ist gut so, denn die Geschichte hat gezeigt, dass das Souveränitätsprinzip gerne als Instrument der Abschirmung despotischer Regime vor äußerer Einmischung missbraucht wurde. [...]
Es gilt weiter der Grundsatz, dass alle nichtmilitärischen Einwirkungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein müssen, bevor die Vereinten Nationen (!) von einer militärischen Nothilfe Gebrauch machen dürfen. [...]
[...] Stößt nicht eine Verabsolutierung des Einmischungsverbots moralisch und juristisch an eine Grenze, wenn es um Genozid bzw. Massenmord geht? [...]
Eine LINKE, die für sich beansprucht, Partei der Menschrechte zu sein, muss auf diese Grenzfälle innerstaatlicher Gewaltexzesse eine konkrete Antwort haben. Wir werden daher nach meiner Überzeugung einer Einzelfallprüfung nicht ausweichen können: um unserer Glaubwürdigkeit willen. [...]
Peace-Keeping heute ist nicht mehr auf das klassische Feld der Waffenstillstandsüberwachung zwischen verfeindeten Staaten zu begrenzen. Das hieße, die Augen vor den heutigen Konflikten zu verschließen, und dies würde vor diesem Hintergrund darauf hinauslaufen, die UN völlig zu marginalisieren. [...] Hält die LINKE solche von der UN legitimierte Blauhelm-Missionen - es handelt sich dem Charakter nach um "militarisierte" Polizeieinsätze - unter Umständen für unausweichlich oder nicht? Nimmt sie dabei sogar die heute übliche Verwischung zwischen Kapitel VI (Friedenserhaltung) und Kapitel VII (Friedenserzwingung) in Kauf? Wir werden um eine breitere Diskussion dieser Fragen nicht herum kommen. Wir können als LINKE denjenigen, die sich in ausweglosen Situationen ihren Unterdrückern und Verfolgern gegenübersehen, nicht die Solidarität verweigern. Linke werden immer auch Partei ergreifen müssen für die Opfer brutaler Herrschafts- und Eroberungspolitik. Wir wissen als rationale Pazifisten, dass wir - solange das Handeln maßgeblicher Akteure nicht von pazifistischen Maximen bestimmt ist - immer wieder mit gewalteskalierenden Konfliktszenarien konfrontiert sind und daher in das Dilemma geraten, dass ein Einsatz militärischer Gewalt (was nicht automatisch mit Krieg gleichgesetzt werden darf) in Betracht gezogen werden muss. [...] Nicht a priori abzulehnen wären danach z.B. Einsätze,
- die von den Vereinten Nationen legitimiert und auch geführt werden,
- mit denen ein zwischen den Konfliktparteien ausgehandeltes Friedensabkommen durchgesetzt werden soll,
- die zur Implementierung von Vereinbarungen, die die legitimen Anliegen der bis dato Unterdrückten bzw. Entrechteten widerspiegeln, führen,
- die von "zivilgesellschaftlichen" Akteuren wie Menschenrechtsgruppen, humanitären Hilfsorganisationen, Gewerkschaften innerhalb eines Landes und international ausdrücklich befürwortet werden.
[...] Der oberste Maßstab muss sein, ob die Bundeswehr sich strikt an Völkerrecht und Grundgesetz hält, und ob der Einsatz zur Deeskalation von Gewalt beiträgt oder nicht. Schließlich ist die faktische Schlussfolgerung, dass es "die Anderen" richten sollen, selber moralisch fragwürdig. Eine solche Position würde auch darauf hinauslaufen, dass Deutschland - gemessen an seiner Größe und internationalen Bedeutung - einen Sonderstatus in der UN beanspruchen würde. [...]
Linke zwischen Antiamerikanismus und Bündnisfrage
Gabriele Kickut (S. 49-52)
[...] Auch wenn der Abstieg des letzten verbliebenen Hegemons gerade aus linker Sicht gern ausführlich beleuchtet wird, ist diese Sichtweise zu einseitig. Die globalen Herausforderungen der heutigen Zeit werden nur in Kooperation mit und nicht in Konfrontation gegen die USA lösbar sein.
[...] Eine realistische und zugleich differenzierte Sicht auf die außenpolitische Strategie der US-Administration bleibt angesichts der Bedeutung des Landes für die internationalen Beziehungen und die Bearbeitung internationaler Probleme eine Herausforderung für vernünftige linke Politik.
[...] In diesem Sinne muss bei der theoretischen Analyse der US-Außenpolitik auch auf den feinen aber entscheidenden Unterschied zwischen liberalem Imperialismus und imperialem Liberalismus geachtet werden. Denn versieht man die Politik der jetzigen Administration mit dem Label "liberaler" Imperialismus, dann bedeutet dies, dass die USA aus niederen Motiven militärische Eroberungen verfolgen, um liberale Verhältnisse durchzusetzen. Damit wird per se ein Politikansatz unterstellt, der jedwede Form von Kooperation aus linker Sicht ausschließt. Mag diese Kategorisierung für die Außenpolitik der USA im 19. und frühen 20. Jahrhundert noch zutreffend gewesen sein, hat sie heute keine Erklärungskraft mehr. Anders ist das mit dem Ansatz des imperialen Liberalismus, der die US-Außenpolitik treffend analysiert. Dieser theoretische Ansatz geht davon aus, dass liberale politische Ziele auch unter Einsatz militärischer Gewaltmittel oder durch den Aufbau hegemonialer Strukturen verfolgt werden. [2] Auch bei dieser Kategorisierung bleibt genug Raum für Kritik. Damit lässt sich allerdings nicht mehr das Klischee von Gut gegen Böse bedienen, sondern im Gegenteil, dort wo Völkerrecht und Internationalismus der Vorzug gegeben wird, könnten sogar Räume für gemeinsame Politikansätze aufgezeigt werden. [...]
Institution im Wandel - Thesen zur NATO
Ernst Krabatsch und Gerry Woop (S. 53-57)
[...] 4. Ein "Dauerbrenner" bei NATO-Treffen ist die Erweiterung. Es lag im Interesse vor allem der USA, durch Neuaufnahmen eine sicherheitspolitische und damit auch rüstungs- und allgemein gesellschaftspolitische Einordnung in die dominierende Organisation zu erreichen. Es bleibt ein Dilemma, dass mit Erweiterungen die Effektivität, Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der NATO als Militärorganisation nachlassen. Zugleich sehen die Neumitglieder ihre Sicherheitsinteressen als verwirklicht an. [...]
5. Es entbehrt nicht einer gewissen Logik und Konsequenz, wenn die radikalsten Ablehner militärischer Gewalt die Auflösung der NATO fordern. Ein bestimmter Teil der Öffentlichkeit ließe sich dafür wohl auch leichter als für eine Transformation zu einem zeitgemäßen Sicherheitssystem mobilisieren. Der Widerstand der Regierungen und des politischen Mainstreams dürfte dagegen weit größer sein. Denn die NATO erfüllt in den Augen der Mitgliedsstaaten die ihr zugewiesenen Funktionen: Territorialverteidigung, kollektive Verteidigung, Rahmen für sicherheitspolitische Diskussion, Darstellen militärischer Glaubwürdigkeit, als sicherheitsrelevant angesehene Out-of-area-Missionen.
Zudem erscheint eine Renationalisierung von Sicherheitspolitik nicht als wünschenswerte Alternative. Das betrifft gravierend auch Deutschlands Einbindung. Inwieweit die genannten Funktionen in den kommenden Jahren mit weiteren Erweiterungen und vor dem Hintergrund jeweils sehr komplexer sicherheitspolitischer Herausforderungen so erfolgreich erfüllt werden, bleibt abzuwarten. Eine realistische Analyse sollte jedoch davon ausgehen, dass diese Militärorganisation noch eine längere Perspektive hat. [...]
Anmerkungen:
[1] »Die Atlantik-Brücke e.V. wurde 1952 als private, überparteiliche und gemeinnützige Organisation mit dem Ziel gegründet, eine wirtschafts-, finanz-, bildungs- und militärpolitische Brücke zwischen der Siegermacht USA und der Bundesrepublik Deutschland zu schlagen. Zu ihren Mitgliedern zählen heute über 500 führende Persönlichkeiten aus Bank- und Finanzwesen, Wirtschaft, Politik, Medien und Wissenschaft. Die Atlantik-Brücke fungiert als Netzwerk und privates Politikberatungsinstitut.« [www.wikipedia.de, abgerufen am 05.01.2014] »Zielgruppe sind deutsche und amerikanische Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Politik, den Streitkräften, der Wissenschaft, den Medien und der Kultur, die bei der Atlantik-Brücke einen Rahmen für vertrauliche Gespräche finden, aber auch Nachwuchsführungskräfte, die auf den ›Young Leaders‹-Konferenzen Netzwerke schmieden und den transatlantischen Dialog in der kommenden Generation lebendig halten.« [www.atlantik-bruecke.org, abgerufen am 05.01.2014] »Dass von den Aktivitäten der Atlantik-Brücke wenig in der Öffentlichkeit bekannt wird, ist Absicht. Es ist kein Verein, der nach außen wirken will. Vielmehr wird in aller Stille agiert, was dem Verein zuweilen das Image eines Geheimbundes verleiht - und den Ruf eines elitären Clubs. Um eine Mitgliedschaft in der Atlantik-Brücke bewirbt man sich nicht, man wird dazu aufgefordert. Ihr Einfluss gilt als bedeutend. Die Atlantik-Brücke wird unterstützt von allen großen deutschen Unternehmen. Die Namensliste des Vorstands und Kuratoriums liest sich wie ein Who's who der Politik und Wirtschaft. Und auf der anderen Seite des Atlantiks engagieren sich nicht weniger einflussreiche Gesprächspartner.« [Berliner Zeitung, 17.04.2002] Stefan Liebich ist Mitglied des Vereins. [www.stefan-liebich.de/de/topic/131.mitgliedschaften.html, abgerufen am 5. Januar 2014]
[2] Kraus, Joachim: Liberaler Imperialismus und imperialer Liberalismus als Erklärungsansätze amerikanischer Außenpolitik. In ZFAS 1(2008) 1, S. 91.