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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Leserbriefe

aus Berlin, Jena und Edewecht

Armenspeisung gibt es schon ewig in der Klassengesellschaft, stellen Antje Jörgens und Klaus Meinel aus Jena und Berlin fest. Warum aber? Im alten Rom bestand für römische männliche Bürger eine 25-jährige Dienstpflicht im Heer. Um Militärputsche zu verhindern, durften sich die Legionen der Stadt Rom nicht auf mehr als 7 Kilometer nähern. In der Millionenstadt lebten allerdings Zehntausende Veteranen. Diese, gut ausgebildet und kriegserfahren, waren in der Lage, Rom gegen jedes Heer zu verteidigen, allerdings auch dazu, selber Aufstände anzuzetteln. Aus diesem Grund war jeder Senat wie auch jeder Kaiser daran interessiert, die altgedienten Legionäre bei Laune zu halten und dadurch seine Macht zu sichern. Die Formel "Brot und Spiele" aus dieser Zeit ist uns heute noch geläufig.

Im Mittelalter hatte die Kirche die Armen zu speisen, dafür erhielt sie den Kirchenzehnt. Das versetzte die Kirche in die Lage, jeden Herrscher zu beeinflussen, da sie die Möglichkeit von Hungerrevolten in der Hand hatte.

Nach der bürgerlichen Revolution übernahm der Staat die Armenfürsorge.

In der heutigen Zeit spart der Staat unter dem Motto "Verschlankung des Staates" eminent an finanziellen Mitteln. Teuer zu bezahlende und schwer zu kündigende Beamte werden durch Bürgerarbeiter und freiwillige unentgeltliche Arbeit der Betroffenen ersetzt. Die Tafeln hat der Staat als Dämpfungsglied eingebaut. Sollte damit etwas nicht klappen, richtet sich der spontane Unwille gegen die Tafeln und nicht gegen den Staat, was dieser auch politisch nutzen kann.

Ich berichtete bereits auf einer Bundeskonferenz [1] über unseren Streik an der Tafel in Jena, der durch die Solidarität der Mitarbeitenden und mit Unterstützung auch der Jenaer SPD erfolgreich war.

Für die Wirtschaft als die eigentliche Machtausübende sind die Tafeln ein profitables Geschäft mit der Armut.

Vor fünf Jahren schrieb ein Genosse aus der "Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfeinitiativen" in einem Artikel:

"Unser Grundgesetz (Eigentum verpflichtet) muss geschützt werden: Koste es was es wolle. Damit es eingehalten wird, muss man natürlich auch Anreize schaffen, und dies geschah. Ganz so nebenbei wurden die §§ 10b EStG, 9 Nr. 5 GewStG und 9 Abs.1 Nr. 2 KStG geändert. Diese Paragraphen besagen:

Vom Gesamtbetrag der Einkünfte können Spenden bis zur Höhe von einheitlich 20 Prozent des Gesamtbetrages der Einkünfte abgezogen werden (bisher: 5 Prozent für kirchliche, religiöse, förderungswürdige, gemeinnützige Zwecke und 10 Prozent für wissenschaftliche, mildtätige, kulturelle Zwecke). Die alternative Abzugsgrenze von bisher 2 Promille der Umsätze, Löhne und Gehälter wurde auf 4 Promille erhöht. Die bisherige Großspendenregelung (25.565€ Höchstsatz) wurde ersetzt. Jetzt können alle Spenden unbegrenzt in den nachfolgenden Jahren vorgetragen werden, soweit sie die Höchstgrenze übersteigen oder vom Gesamtbetrag der Einkünfte "mangels Masse" (nach vorherigen Abzug der Versorgungsaufwendungen und eines etwaigen Verlustvortrages) nicht mehr abgezogen werden können. Wen wundert es da, dass die Lebensmittelpreise fast wie nach einer Kartellabsprache zeitgleich steigen: höherer Wert der Lebensmittel - höherer Spendenwert - höherer Wert der abzugsfähigen Betriebsausgaben.

Auf Nicht-Steuerdeutsch heißt dies: Werden Lebensmittel, die sonst zum Verfallsdatum entsorgt werden müssten (Entsorgungskosten) an die Tafeln abgegeben, ist dies eine Spende (auch, wenn die Lebensmittel nicht mehr zum Verzehr geeignet sind), die den zu versteuernden Gewinn um genau diesen Betrag (also bis zu 20 Prozent), mindern. Kein Wunder, dass die Tafel in Berlin es sich leisten kann, die kostenlose Abholung von Lebensmittelspenden auf über 10 kg zu beschränken. Damit wird deutlich, wer an diesen steuerrechtlichen Neuerungen verdient: der kleine Tante-Emma-Laden oder der kleine Gemüseladen gewiss nicht, der muss das unternehmerische Risiko weiter allein tragen. [...]

Die Privatisierung der staatlichen Vorsorge ist nichts anderes als ein weiterer Beitrag zur Verteilung des Reichtums von unten nach oben."

Da ich an der Tafel arbeite und gelegentlich auch Einblick in die Buchhaltung hatte, kann ich sagen, die Entwicklung ist, seitdem dies geschrieben wurde, nicht stehen geblieben. Mittlerweile gibt es über 1.200 Tafeln in Deutschland. Warum aber wurden sie zu einem selbstständigen Wirtschaftszweig?

Unbezahlte "freiwillige" Arbeit verursacht keine Lohnkosten. Die Tafeln arbeiten marktwirtschaftlich. Logisch, dass für die Vorstände und deren Mitglieder Aufwandsentschädigungen abfallen. Man braucht sich nur die Treffen des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V. anzusehen. Sind die anders organisiert, einschließlich Unterkunft und Verpflegung, als die Treffen des Unternehmerverbandes? Vielleicht ein klein wenig bescheidener, aber nur ein klein wenig. Tafeln bieten mittlerweile, wie in Jena, Kredite an, mit wesentlich höheren Zinsen als bei einer Bank. Einnahmen werden auch aus der Vermietung ihrer Technik und der Räumlichkeiten erzielt. Bislang sind bei den Tafeln noch keine so extremen Fälle ans Tageslicht gekommen wie in der Treberhilfe Berlin mit Maserati-Harald, aber solche Erscheinungen sind zwangsläufige Ergebnisse dieses Systems.

Caritas, Volkswohlbund und auch die Tafeln bekämpfen Beriebsräte - trotz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, das bei regelmäßiger ehrenamtlicher Arbeit solche ausdrücklich zulässt. In der gewerkschaftlichen Arbeit (ver.di) sind die Erwerbsloseninitiativen oft bei "Soziales" angesiedelt, obwohl doch die "unentgeltlich freiwillige Arbeit" einschließlich des Bundesfreiwilligendienstes letztlich die Bestrebungen gegen Lohnabbau und Arbeitsplatzvernichtung konterkariert.

Man muss die Tafeln auch qualitativ als selbstständigen Wirtschaftszweig betrachten, weil hier das, was vorher mittels unbezahlter Praktika und Probearbeit mit Einzelnen durchgeführt wurde, auf eine höhere Stufe gestellt wird, nämlich die Profiterzeugung durch massenhafte unbezahlte Arbeit. Man kann es auch schärfer formulieren: Da die Jobcenter die Tafeln mit Sanktionsdrohungen gegen Hartz IV-Empfänger bei Verweigerung von "freiwilliger unbezahlter Ehrenamtstätigkeit" unterstützen, entsteht hier eine Form der Zwangsarbeit.

Ich denke, aus diesem Problemkreis erwachsen auch für uns politische Aufgaben, denen wir in der LINKEN mehr Rechnung tragen müssen.

Für die Verbreitung von Informationen über das DDR-Kabinett in Bochum-Wattenscheid (www.ddr-kabinett-bochum.de) setzt sich unser Leser Ulrich Glade aus Edewecht in Niedersachsen ein. Wichtig wäre das Gespräch darüber, welche Bedeutung und Funktion ein solches Kabinett in Zukunft haben könnte, wenn es keine Nostalgie-Veranstaltung wie zum Teil andere Einrichtungen dieser Art im Osten bleiben, sondern die in Betracht kommenden Zielgruppen im Westen wahrheitsgemäß und nachhaltig über die DDR informieren soll.

Vielen MitstreiterInnen der linken Szene ist bis zum heutigen Tag nicht bewusst, welch außerordentlich wirksames ideologisches Mittel die bei uns herrschende Großbourgeoisie und ihre Parteien mit dem Thema "DDR-Unrechtsstaat" in der Hand haben. Davon wird von ihnen rigoros zu jeder passenden Gelegenheit ausgiebig Gebrauch gemacht. Viele knicken dann sofort ein, verdrängen das Problem und hoffen, damit bei ihren eigenen Leuten, aber auch beim bürgerlichen Lager, besser über die Runden zu kommen. Das menschliche Leid, welches der von beiden Seiten mit äußerster Vehemenz geführte Kalte Krieg mit sich gebracht hat - ebenso auf beiden Seiten -, darf keinesfalls vergessen werden. Aber eines sollte man als ernsthafter und ehrlicher Mensch - ob man sich als Linker einstuft oder nicht - auf gar keinen Fall tun: man sollte die DDR, ihren Gründungskonsens, ihren Wesenskern - beides basierend auf dem Schwur von Buchenwald! -, ihre Existenzberechtigung als antifaschistischer und später sozialistischer Staat sowie ihre großartigen Leistungen auf so vielen Gebieten nicht auch noch verraten oder verleugnen.

Das Thema DDR ist deshalb immer noch so schwierig zu vermitteln, weil es außer ideologischen Differenzen vor allem sehr unterschiedliche Ebenen der Wahrnehmung und Identifikation mit ihr gibt. Nicht nur die Teilung in West und Ost oder die Sicht verschiedener Erlebnisgenerationen lassen Gegensätze in der Gewichtung des Themas entstehen, viel stärker verbreitet ist nach meiner Erfahrung eine gewisse Ängstlichkeit oder auch Gleichgültigkeit gegenüber der DDR, die nicht als anerkennenswertes Werk von 17 Millionen Menschen - unter ungleich schwereren Bedingungen als im Westen -, sondern mehr oder weniger lediglich als fremdbestimmte, totalitäre Diktatur einer abgehobenen Funktionärsschicht wahrgenommen wird. Die DDR wird häufig eher von ihrem Ende her gesehen, nicht jedoch von ihrem Anfang und ihren Erfolgen. Antikommunismus in vielen subtilen Formen bleibt ein ernst zu nehmendes Hindernis, den Blick auf die Gesamtzusammenhänge zu schärfen. Die DDR erscheint sehr leicht als etwas Abgeschlossenes und Fremdes, dem man sich am liebsten verweigert, weil man es dann vermeintlich leichter hat im Streit mit Gegnern aus dem bürgerlichen Lager.

Bis zur völkerrechtlichen Anerkennung der DDR im Weltmaßstab und ihrer staatsrechtlichen Respektierung durch die BRD brauchte es immerhin 23 Jahre (von 1949 bis 1972)! Wird es von heute an gerechnet - 2013 - bis zur einigermaßen objektiven und fairen Betrachtung der DDR, durch die Öffentlichkeit des heutigen Deutschland noch einmal so lange Zeit dauern? Das DDR-Kabinett in Bochum-Wattenscheid kann einen gewichtigen Beitrag dazu leisten, diese ungewisse Zeitspanne zu verkürzen! Es liegt auch an uns, die wir dieses Projekt unterstützen und bundesweit bekannt machen.

Anmerkung:

[1] Siehe "Mitteilungen", Heft 6/2012, S. 28.