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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kritik an Israel gleich Antisemitismus?

Dieter Popp, Bonn

 

Das sogenannte »Dritte Reich« und der Völkermord an Abermillionen Europäern, darunter sechs Millionen europäische Juden, ist seit fast 73 Jahren Geschichte. Wer daran noch per­sönliche Erinnerungen hat, muss schon so alt wie ich oder noch älter sein. Unmittelbar nach dem Krieg wollte man in der Bundesrepublik nichts davon hören. Erst mit dem Ausch­witz-Prozess 1963, der nur durch persönliche Initiative des hessischen Generalstaatsan­walts Fritz Bauer gegen viele Widerstände in Gang kam, wurde dieses Menschheitsverbre­chen der bundesdeutschen Öffentlichkeit wieder ins Bewusstsein gebracht.

Bekanntlich tat sich die deutsche Justiz sehr schwer mit der Aburteilung der Täter. Nur wem persönliche Mordtaten durch Zeugenaussagen Überlebender zweifelsfrei nachgewie­sen werden konnten, musste mit einer Verurteilung rechnen. Die deutschen Staatsanwälte und Richter, die selbst der Tätergeneration angehörten, legten absichtsvoll sehr enge Maß­stäbe an, um möglichst wenige Täter verurteilen zu müssen. Insbesondere die »Schreibtisch-Täter« mussten keinerlei Behelligung befürchten und konnten in der Bundes­republik weiter Karriere machen. Erst mit dem Demjanjuk-Prozess – also seit 2011 – hat eine nachgewachsene Juristen-Generation neue Kriterien erstellt und einfache Angehörige der KZ-Wachmannschaften wegen Beihilfe zum Mord angeklagt und verurteilt. Aus biologi­schen Gründen sind die heute noch lebenden KZ-Wächter bereits deutlich über 90 Jahre alt und können damals nur kleine Dienstgrade gewesen sein. Ihre Aburteilung nach so lan­ger Zeit kann die Schande der deutschen Nachkriegs-Justiz nicht wettmachen.

Die Täter-Generation des Dritten Reiches hatte nach 1945 die ihnen eingehämmerten Vor­urteile, den Hass gegen »die Juden« keineswegs überwunden. Das Zeigen von Nazi-Symbo­len war zwar durch die Besatzungsmächte verboten. Aber das einfache Verbot hatte keine rationale Auseinandersetzung mit der schlimmen Geschichte zur Folge. Wenn seit einigen Jahren eine historisch unbedarfte Enkel-Generation wieder Nazi-Parolen grölt und Nazi-Symbole zeigt, so ist das nicht nur Ausdruck dumpfen Protestes, sondern gleichermaßen das Fehlen jeglicher Empathie mit den Opfern des Faschismus, wo immer sie herkamen und wo immer sie gequält und ermordet wurden.

Davon zeugt auch sich ausbreitender Antisemitismus. Das nd vom 28. Mai 2018 berichtete über eine 15-jährige Schülerin aus Dresden, die von der jüdischen Gemeinde Berlin einen »Preis für Zivilcourage« erhielt. »In ihrer Klasse kursierten antisemitische Witze und Bilder im ›Klassenchat‹, so das Bild einer Rauchwolke mit der Bemerkung ›jüdisches Familienfoto‹. Sie ging zur Polizei und zeigte ihre Mitschüler wegen Volksverhetzung an, weil sie keine Unterstützung für ihre Kritik bekam; die Schule hat de facto nichts gegen die neofaschistischen Schüler unternommen. Die Verhältnisse in Dresden und Sachsen lassen es nicht zu, dass der Familienname des Mädchens – trotz oder wegen der Preisverleihung – öffentlich genannt werden kann.« Ein doppelter Skandal, der unterstreicht, wie dringend notwendig der Kampf gegen Antisemitismus ist.

Zugleich müssen wir uns dagegen wehren, dass ein Antisemitismus-Vorwurf erhoben wird, sobald Kritik am Staat Israel und dessen jetziger Regierung geäußert wird. Wenn, wie jüngst, die israelische Armee mit außerordentlicher Brutalität gegen palästinensische De­monstranten im Grenzgebiet zwischen Gaza und Israel vorgeht, dann muss das verurteilt werden. Das ist kein Antisemitismus, und wer das behauptet, will nur eines bewirken: Schweigen. Die schlimmen Vorkommnisse fanden im Kontext mit den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Gründung Israels und der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem statt: Allein am 14. Mai meldete die Tagesschau etwa 2.800 verletzte und 55 tote Palästinenser.

Das britische Mandatsgebiet Palästina war die Zufluchtsstätte vieler europäischer Juden, und der 1948 entstandene Staat Israel war das Ziel vieler Überlebender des – Shoah oder Holocaust genannten – deutschen Völkermords an den europäischen Juden. Das Problem von Anfang an war, dass Palästina kein menschenleerer Raum war, sondern dass dort mus­limische, aber auch christliche Araber lebten, welche die jüdischen Zuwanderer als Ein­dringlinge empfanden. Ein vernünftiger Interessen-Ausgleich fand leider nicht statt. Viel­mehr wandten die britischen Kolonialherren ihr altes verheerendes Prinzip an: Teile und herrsche. Der Kommunist und deutsche Jude Hans Lebrecht schildert diese historischen Entwicklungen aus eigenem Erleben in seinem Buch »Die Palästinenser«. Die latenten Spannungen entluden sich in mehreren Kriegen. Und wieder warnt die UNO vor einem neuen Nahost-Konflikt.

Die Bundesrepublik hat immer einseitig die Partei für Israel ergriffen. Dass die Palästinen­ser ebenfalls berechtigte Anliegen hatten, wurde dabei ignoriert. Nachdem ein friedliches Zusammenleben von Juden und Palästinensern nicht möglich erschien, unterstützte die Weltöffentlichkeit eine Zweistaaten-Lösung in den Grenzen von 1967. Der 1988 ausgerufe­ne Staat Palästina wurde von 136 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen anerkannt. Das bisherige Scheitern dieser Zweistaaten-Lösung ist untrennbar damit verbunden, dass is­raelische Regierungen, besonders die unter Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, is­raelische Fundamentalisten stützt, die als »Siedler« palästinensisches Land besetzen und letztlich ein Groß-Israel zu Lasten der Palästinenser anstreben.

Deutschland ist verständlicherweise in einer schwierigen Lage: Kritik an Israel als Zu­fluchtsort der Holocaust-Überlebenden scheint aus moralischen Gründen ausgeschlossen. Aber auch die Menschenrechte der Palästinenser können nicht so einfach ausgeblendet werden. Eine bedingungslose Unterstützung des Kurses der Regierung Netanjahu ist mehr als fragwürdig. Ganz besonders ist die rüstungstechnische Kooperation mit Israel in dieser Situation amoralisch. Die Lieferung atomwaffenfähiger U-Boote durch ThyssenKrupp Marine Systems Kiel – von Deutschland großzügig bezuschusst – stellt dabei den Gipfel ei­ner einseitigen Pro-Israel-Parteinahme dar. Dies auszusprechen, ist nicht antisemitisch, sondern auch im Interesse der Menschen in Israel.

Ich selbst habe jüdische Vorfahren: Einer meiner Urgroßväter mütterlicherseits wurde 1938 als jüdischer Arzt von den Nazis aus dem Operationssaal heraus verhaftet und im KZ Buchenwald umgebracht. Ich habe also auch familiär keinen Grund, auch nur eine Spur Verständnis für Antisemitismus aufzubringen. Das hindert mich aber nicht daran, die vie­len, groben Menschenrechtsverletzungen des Staates Israel zu benennen und zu kritisie­ren. Wenn heute – auch von Anhängern der Partei DIE LINKE – jegliche Israel-Kritik schnell mit dem Stempel des Antisemitismus versehen wird, so will ich das mit aller Deutlichkeit zurückweisen.

 

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