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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kontroverse Diskussion mit dem spanischen Botschafter auf dem Flughafen Wien

Evo Morales, Präsident des Plurinationalen Staates Bolivien

(Aus der Rede von Evo Morales am 4. Juli 2013 vor UNASUR-Präsidenten und sozialen Bewegungen im Kollosseum von Cochabamba)

Auch die Präsidenten von Argentinien, Ecuador und Venezuela wissen, dass nach der Nationalisierung der Erdöl- und Erdgasvorkommen die Volkswirtschaften besser geworden sind. Jetzt stehen wir besser da als vorher. Früher, als der IWF und die Weltbank die Wirtschaftspolitik bestimmten, ging es uns schlecht, wir hatten Defizite, jetzt haben wir Überschüsse. […]

Dann das Überflugverbot, das uns überrascht hat und uns zur Notlandung in Österreich gezwungen hat. Ich werde Euch erzählen, was sich zutrug. Ganz unerwartet taucht der spanische Botschafter in Österreich auf in Begleitung von zwei weiteren Botschaftsangehörigen. Der erste von den beiden sagte, wir müssen die Präsidentenmaschine kontrollieren. Ich fragte darauf, warum er das Flugzeug untersuchen müsse. Die Antwort: Ich stehe in ständigem Kontakt mit dem stellvertretenden Außenminister Spaniens. Ja, entgegnete ich, ich kenne diesen Herrn aus Medienberichten, die ich gehört habe über den US-amerikanischen Geheimagenten. […] Wir respektieren die internationalen Abkommen. Deshalb habe ich keinen Grund, ihn mit nach Bolivien zu nehmen. Als ich das gesagt hatte, forderte ich ihn auf, nun seinen Vizeaußenminister zu fragen. Daraufhin verließ er den kleinen Raum auf dem Flughafen, um zu telefonieren. Er kehrte zurück und erklärte, es gäbe eine Übereinkunft der Außenminister, das Flugzeug einer Inspektion zu unterziehen. Unser Bruder García hat uns darüber informiert. Ich erklärte darauf, Sie dürfen das Flugzeug nicht kontrollieren. Wenn Sie das trotzdem tun, dann erklären Sie den Präsidenten Boliviens zum Lügner.

Wir Präsidenten lügen nicht. Ihr, Brüder und Schwestern, wisst, dass die alten Weisheiten unserer Vorfahren jetzt Verfassungsrang errungen haben: ama llulla (nicht lügen); ama suwa (nicht stehlen); ama qhilla (nicht faul sein). Deshalb sagte ich: "Ich belüge niemanden. Nehmen Sie das bitte erneut zur Kenntnis. Sagen Sie das Ihrem Vizeaußenminister." Darauf entgegnet er mir erneut: "Wollen Sie mich nicht in Ihr Flugzeug einladen, um einen Kaffee zu trinken? Beim Tässchen Kaffee könnte ich dann das Flugzeug kontrollieren. Ich darauf: "Sie behandeln mich wie einen Delinquenten. Ich bin kein Rechtsbrecher, und Sie werden nicht das Präsidentenflugzeug überprüfen." […] Liebe Brüder und Schwestern, während all diesem Palaver über Inspektion konnte ich nicht diese kolonialistische Mentalität begreifen. Ich leiste keinen Widerstand, wenn das Flugzeug gewaltsam überprüft werden sollte. Klar, was sollten wir auch bei einer militärischen oder polizeilichen Aktion machen. […] Daraufhin rief er wieder seinen Vizeaußenminister an und sagte zu mir: "Wollen Sie mit dem Vizeaußenminister sprechen?" Ich entgegnete: "Ich habe nichts mit Ihrem Vizeaußenminister zu besprechen. Wenn man etwas von mir will, soll mich Ihr Präsident anrufen, aber nicht der Vizeaußenminister". Zum Schluss erklärte er mir dann nach einem weiteren Telefonat: Um 09:00 Uhr vormittags werden wir Sie darüber informieren, ob Sie weiterfliegen können oder nicht, denn wir werden erst noch mit anderen Freunden sprechen." Wer sind Ihre Freunde, die Freunde Spaniens? Natürlich können Sie mit Ihren Freunden sprechen. Aber wer sind diese Freunde? Portugal? Frankreich? Italien?" Er gab mir darauf keine Antwort. Ich insistierte: "Wer sind Ihre Freunde?" […]

Dann, so gegen 9:30 Uhr, zehn Uhr, sagte er mir ein bisschen besorgt, irritiert, erschrocken: "Sie sind jetzt frei zu entscheiden weiterzufliegen." Man erhob also nicht mehr den Anspruch, mich länger meiner Freiheit zu berauben. […] Das heißt, nach 12 Stunden Zwangsaufenthalt in Wien. […] Die Länder sollen wissen, wir besitzen Würde, wir haben Souveränität, wir sind stolz auf unser Vaterland, unser großes Vaterland, und sie werden uns nicht wieder den Anschuldigungen und Erpressungen aussetzen.

In der vorigen Woche haben wir die Erpressungsversuche der USA gegenüber unserem Bruder, dem ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa erlebt. Voller Würde und mit Stolz hat er diese Angriffe zurückgewiesen. Deshalb hier unsere Anerkennung und Bewunderung für ihn. […]

Auch uns hat man zu erpressen versucht mit den sogenannten Millenniumszielen. Wenn wir daran teilhaben wollen, sollten wir uns den Maßnahmen gegen den Drogenhandel und den Privatisierungen unterwerfen. Wir haben das abgelehnt. Unter diesen Bedingungen wollen wir die Millenniumsziele nicht. Unsere Würde, unsere Souveränität haben wir dank Argentiniens, dank Brasiliens, insbesondere dank Venezuelas bewahrt. Und jetzt stehen wir ohne die USA besser da als vorher. Wir brauchen das nicht. […]

Liebe Schwestern und Brüder, wie empfinde ich dieses Problem, das sich aufgetan hat. Es muss untersucht, analysiert werden. Wisst Ihr, um 3 oder 4 Uhr nachmittags nach bolivianischer Zeit am 2. Juli zwang man uns zur Umkehr und Landung in Wien, um 6 oder 7 Uhr abends bolivianischer Zeit hat der Vertreter der US-Botschaft in Bolivien eine Note überreicht, eine Note seines Außenministeriums bezüglich der Auslieferung des US-Bürgers. Ich konnte nicht verstehen, was die da machten. Ich kann es immer noch nicht begreifen. Ist es ein Manöver, ein Einschüchterungsversuch? Davon sind wir überzeugt.

Aber ich habe darüber den ganzen Tag nachgedacht. Ich denke, dass unser Vergehen, unsere Sünde darin besteht, dass der Präsident ein Indigener ist und darüber hinaus ein antiimperialistischer. Darin besteht unser Sündenfall. Liebe Schwestern und Brüder, sie akzeptieren nicht, dass wir besser regieren als die Neoliberalen. Sie begreifen das einfach nicht. Aber was empfinde ich noch? So wie ich gestern Abend schon sagte, sie nutzen ihren Agenten, um Lateinamerika und die Karibik einzuschüchtern, zum Schweigen zu bringen, zu verteufeln, um an uns ein Exempel zu statuieren. Sie wollen nicht, dass es diese Befreiung der Völker Lateinamerikas und der Karibik gibt mit den antikapitalistischen Präsidenten, Regierungen und Parteien an der Spitze. Dazu eine Überlegung, liebe Schwestern und Brüder: Was haben sie früher gemacht? Gewannen antiimperialistische Parteien, so rissen sie die Macht an sich, indem sie Staatsstreiche anzettelten, Militärdiktaturen errichteten. Aber jetzt ist das anders. Die Völker weisen solche Putsche zurück. Und wenn ein solcher Putsch fehlschlägt, was passiert dann? Sie versuchen, die sozialen Bewegungen zu spalten und ein Eingreifen durch die NATO oder eine andere internationale Organisation zu rechtfertigen. Und wenn es ihnen nicht gelingt, uns zu spalten, was machen sie dann? Dann wollen sie, dass wir, die antiimperialistischen Präsidenten und Regierungen, uns verschleißen, und sie tun das unter falschen Vorwänden, mit Lügen und Täuschungen, wollen uns einschüchtern, und wenn ihnen das nicht gelingt, dann, glaube ich, leugnen sie, so etwas getan zu haben. Ich möchte den anwesenden Präsidentenkollegen in Erinnerung rufen: Als ich 2002 zum ersten Mal meine Präsidentschaftskandidatur ankündigte, hat der US-Botschafter Manuel Rocha gesagt, gebt eure Stimme nicht Evo Morales, Evo Morales ist ein Enfant terrible aus den Anden, ein Drogenanbauer wie die Taliban; wenn ihr eure Stimme Evo Morales gebt, wird es keine Zusammenarbeit und keine Investitionen mehr geben. Jetzt ist ganz das Gegenteil eingetreten, es gibt mehr Investitionen und Zusammenarbeit. Sie versuchen, uns auf "demokratischem" Weg zu besiegen, aber das schaffen sie nicht. Und dann wird versucht, uns einzuschüchtern, vielleicht auch mit dem Hintergedanken, dass wir uns verschleißen, […] damit die Neoliberalen zurückkehren und erneut unsere Betriebe und unsere Bodenschätze an die transnationalen Konzerne ausliefern, so wie es früher geschah. Aber sie scheitern weiterhin damit. Deshalb bin ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass die Einheit wichtig ist, die Geschlossenheit der sozialen Bewegungen. Dieser Prozess der demokratischen und kulturellen Revolution basiert auf den sozialen Bewegungen, weswegen wir hier besonders deren hier anwesende Führer begrüßen […]

Das ist der Unterschied zu einigen linken Parteien in der Welt. Wir sind hier eine besondere soziale Bewegung, und solange wir Geschlossenheit und Organisiertheit zeigen, und nötigenfalls Mobilisierung, und diese Einheit bewahren, werden wir auch weiterhin den Verschwörungen von außen und von innen Niederlagen bereiten. Verschwörungen, die vom nordamerikanischen Imperialismus ausgehen. Die Geschlossenheit ist der richtige Weg, die Rechten in Bolivien und den nordamerikanischen Imperialismus zu besiegen. […]

Wir werden prüfen, ob es angebracht ist, die US-Botschaft in Bolivien zu schließen. Wir brauchen keine, die unter dem Vorwand diplomatischer Beziehungen Verschwörungen anzettelt, sei es von innen oder von außen. […] CIA-Spione haben vieles durchsetzt, um Spionage zu treiben. Hoffentlich gibt es eine größere Reife; meine Hand würde nicht zittern, wenn es darauf ankommt, die Botschaft zu schließen. Wir besitzen Würde, wir sind souverän, ohne die USA geht es uns politisch und demokratisch besser, auch ohne Weltbank und ohne Internationalen Währungsfonds. Wir stehen wirtschaftlich besser da, wir brauchen sie nicht, wir haben andere Verbündete, an erster Stelle die lateinamerikanischen und karibischen Präsidenten. […] Liebe Schwestern und Brüder, mich empfängt der chinesische Präsident, der russische Präsident und mich empfangen die Präsidenten einiger europäischer Länder, aber der US-Präsident nicht. Das verwehrt man uns, man will nicht mit uns sprechen, […] weil wir Würde zeigen. Diesen Kampf um die Würde haben uns unsere Vorfahren hinterlassen, unsere Anführer im Befreiungskampf, Schwestern und Brüder, das müssen wir wahren, das muss beachtet werden, die Geschlossenheit der sozialen Bewegungen muss bewahrt werden. […]

Außerdem komme ich zur Schlussfolgerung, dass die sozialen Bewegungen nicht nur in Bolivien zusammenhalten müssen, sondern in ganz Lateinamerika. Wir haben unzählige Telefonanrufe von sozialen Bewegungen bekommen, in denen die den europäischen Ländern von den USA auferlegte Haltung zurückgewiesen wurde.

Ich kann - ehrlich gesagt - nicht verstehen, dass einige europäische Länder den USA gegenüber so unterwürfig sind. Zumindest habe ich immer gehört, dass die europäischen Länder Verteidiger der Demokratie und der Menschenrechte sind, und dass sie internationale Verträge achten. Mit diesem Verhalten aber machen sie genau das Gegenteil. Denn der Weltgendarm befiehlt, und seine Gefolgsleute führen aus, was er anordnet. Das ist eine Schande für einige Länder Europas.

Liebe Schwestern und Brüder, wir müssen über die Frage der Souveränität sprechen. UNASUR muss nicht nur die Demokratie verteidigen, sondern die Souveränität aller lateinamerikanischen Völker. Ich denke, dass es einigen der hier anwesenden, aber auch einigen von den nicht anwesenden Präsidenten sowie den sozialen Bewegungen durch den Kopf geht, dass jetzt der Kampf nicht nur um die Befreiung der lateinamerikanischen und karibischen Völker geführt werden muss, sondern von hier aus gemeinsam mit den sozialen Bewegungen in Europa auch der Kampf um die Befreiung der Völker Europas. Alle Länder streben nach Souveränität und Würde. Diese zu erlangen ist nicht möglich durch die Schuld der Regierungen, die den USA hörig sind. Wir leben jetzt in der Zeit der Völker und nicht mehr in der Zeit des Imperiums. Jetzt muss mit den Oligarchien Schluss sein, mit den Monarchien, mit den Hierarchien. Dieser revolutionäre Prozess gehört den Völkern in Lateinamerika und in der ganzen Welt. […]

Liebe Schwestern und Brüder, wir sollten uns klar darüber sein, dass unser Kampf weit über Lateinamerika hinaus reicht. […]

Die Präsidentin Cristina Fernández als studierte Rechtsanwältin wird den Rechtsweg untersuchen, den wir bezüglich dieses Vorfalls gehen werden. […]

Mit etlichen Außenministern, unter ihnen Patiño aus Ecuador und Jaua aus Venezuela, haben wir besprochen, durch welche Instrumente des Völkerrechts die Haltung unserer Präsidenten gestützt wird, um uns in aller Welt zu verbünden. […]

Etliche Präsidenten und Minister haben mir gesagt, dass auf der Grundlage internationaler Abkommen selbst bei Konflikten und in Kriegsgebieten eine Präsidentenmaschine unbehindert passieren darf. Ich weiß nicht, was sich europäische Präsidenten oder Regierungen dabei gedacht haben. Wir bedauern sehr die Unterwürfigkeit gegenüber der USA-Regierung. […]

Alle auftretenden Probleme werden wir nur mit Geschlossenheit der sozialen Bewegungen erfolgreich lösen können. […]

Liebe Schwestern und Brüder, denkt an das Jahr 2008, als die Rechte und die Neoliberalen die Annahme der Verfassung verhindern wollten, und die Gewerkschaftszentrale COB, alle sozialen Bewegungen, die Bewegung zum Sozialismus (MAS), die Kommunistische Partei und die Sozialistische Partei einen Marsch auf La Paz organisierten für die Annahme der Verfassung. Das war der größte Marsch in der Geschichte Boliviens. […]

Denkt also immer an die Bewahrung der Einheit. Die Einheit der sozialen Bewegungen ist ein politisches Instrument für die Souveränität der Völker. […] Wenn die Gefahr eines Putsches besteht, dann sind die sozialen Bewegungen und UNASUR zur Stelle, und er wird vereitelt. Das heißt, unsere Erfahrung lehrt uns, wie wichtig die Einheit des bolivianischen Volkes ist. Auf der Grundlage des von unseren Vorfahren übernommenen antikapitalistischen und antiimperialistischen Bewusstseins haben wir unsere Naturreichtümer wieder für uns zurückgewonnen. […]

Vielen Dank für die überwältigende Teilnahme an dieser Zusammenkunft. […] Vereint, organisiert, kampfbereit und mit höherem Bewusstsein werden wir es auch in Zukunft schaffen, dem Imperialismus und seinen Helfern im Inneren, dem Neokolonialismus und Neoliberalismus, Niederlagen zuzufügen. Sie wollen zurück an die Macht. Aber sie werden das nicht erreichen. […] Ich bin fest davon überzeugt, dass das tief verwurzelte Bewusstsein des bolivianischen Volkes zur Vertiefung und Fortführung der Befreiung nicht nur in gesellschaftlicher und in kultureller Hinsicht führen wird, sondern auch in ökonomischer und finanzieller Hinsicht, was äußerst wichtig ist. […]

Liebe Schwestern und Brüder, uns allen viel Kraft auf dem weiteren Weg. […]

Quelle: youtube, Evo Morales, discurso completo este 4 de julio en Cochabamba. Transkribiert und übersetzt von Gerhard Mertschenk.