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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kompilation. Annäherung – Walter Benjamin

Werner Wüste, Wandlitz

 

Walter Benjamin in einem einzigen, kurzen Erinnern gerecht zu werden, geht nicht. Trotz seiner kurzen Lebenszeit, in der er von den Umständen eher behindert als gefördert wurde. (Heraus-)gefordert allerdings fühlte er sich. Dafür standen eben diese Umstände.

In einer meiner früheren Reden hatte ich gesagt, daß ich mich Walter Benjamin nicht nur verwandtschaftlich verbunden fühle. Von einem Interviewer daraufhin näher befragt, hatte ich Schwierigkeiten, das auf eine einfache Formel zu bringen - wie sollten bei Walter Benjamin auch einfache Formeln möglich sein. [1]

Wie denn überhaupt bei den Benjamins!?

Sie starben beide zu früh: Walter Benjamin vor 75 Jahren, Mischa Benjamin vor 15. Walter mit achtundvierzig, Mischa wurde siebenundsechzig.

Darf man denn das, an gebrochenem Herzen sterben, mitten im Kampf – ?

So gedachte Egon Erwin Kisch in Paris 1936 Kurt Tucholskys. Nicht denkbar, dass Walter Benjamin an dieser Gedächtnisfeier nicht teilgenommen hätte.

Und da sind so viele Freunde und Genossen, derer nur mit einem solch tieftraurigen Satz zu erinnern ist.

Georg Benjamin wurde in Mauthausen ermordet, die Cousine Gertrud Chodziesner, die Dichterin, in Auschwitz. Walter Benjamin überschritt, von den Nazis und ihren Handlangern verfolgt, eingekerkert und krank gemacht, in Port Bou schließlich die letzte Grenze.Er starb an einer Gesellschaft, in der ein ungewöhnlicher Mensch nur bestehen konnte, wenn er zum gewöhnlichen Unmenschen wurde. (Hervorhebung W. W.)

In dem Zimmer, das ich in der Nazizeit mit meiner Mutter teilte, stand im Bücherregal auch das Buch »Deutsche Menschen« - ein wunderschöner Briefband, in einem Schweizer Verlag erschienen, von Detlef Holz herausgegeben. Wer Detlef Holz war, sagte meine Mutter mir erst nach dem Kriege.

***

Der Titel, den Walter Benjamin dem Buch gab, war ein Programm, ... nicht minder das Motto, mit dem er das Buch versehen hatte: Von Ehre ohne Ruhm – Von Größe ohne Glanz – Von Würde ohne Sold.

***

In meiner Kindheit war ich ein Gefangener des alten und neuen Westens. Mein Clan bewohnte diese beiden Viertel damals in einer Haltung, die gemischt war aus Verbissenheit und Selbstgefühl [...] In dies Quartier Besitzender blieb ich geschlossen, ohne um ein anderes zu wissen. Die Armen – für die reichen Kinder meines Alters gab es sie nur als Bettler. Und es war ein großer Fortschritt der Erkenntnis, als mir zum ersten Mal die Armut in der Schmach der schlechtbezahlten Arbeit dämmerte. Das war in einer kleinen Niederschrift, vielleicht der ersten, die ich ganz für mich selbst verfaßte. Sie hatte es mit einem Mann zu tun, der Zettel austeilt und mit den Erniedrigungen, die er durch das Publikum erfährt, das für die Zettel kein Interesse hat.

(Walter Benjamin. Beroliniana, S, 69/70)

***

Arbeitsamt VII Berlin. Fachvermittlungsdienst für besonders qualifizierte Fach- und Führungskräfte

Herrn Menzel, 10398 Berlin

Sehr geehrter Herr Menzel,

hiermit teile ich mit, daß ich in der Zeit vom 2.5. bis 16.5. abwesend sein werde. Auf Einladung des Bürgermeisters von Port Bou (Spanien) werde ich u.a. an der Einweihung einer Gedenkstätte für meinen Onkel Walter Benjamin teilnehmen, der 1942 [2] dort auf der Flucht vor den Nazis den Tod fand.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Benjamin

***

Der Name Benjamin war in der DDR ein bekannter Name. Am meisten bekannt: Hilde Benjamin. Weit verbreitet dürfte jenes Bild gewesen sein, das der Feind von ihr gezeichnet hatte. Ja, der Feind. Nicht der Gegner. Der Feind.

Den Namen Georg Benjamin trugen Krankenhäuser, Polikliniken. Georg war Arzt, kommunistischer Abgeordneter im Wedding; die Nazis haben ihn ermordet.

Als ihrer beider Sohn seine Professur verliehen wurde, war er zeitweilig der jüngste Professor des Landes: Dr. Michael (Mischa) Benjamin.

Und Walter? Walter Benjamin?

Die Rechte an seinen Schriften, (allen?), lagen bei Suhrkamp, Frankfurt/Main. Was in der DDR erschienen war, ob bei Reclam, Insel, Buchverlag Der Morgen, war Lizenz.

Und waren seine Ideen nicht auch Manchem von Einfluss suspekt? Wie auch seine Freunde im Westen, Horkheimer z.B., Adorno, Hannah Arendt, Brecht auch ein wenig? Ist es so ganz falsch, zu schlussfolgern, dass, weil die ihn hatten, wir ihn nicht hatten?

Ich weiß hier keine eindeutige, definitive Antwort. Sicher ist, dass geistige Landschaft in unserer Zeit ohne Walter Benjamin ärmere Landschaft bedeutet.

Walter Benjamin leitete eines seiner ästhetik-theoretischen Hauptwerke (»Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«) mit den Worten ein: die im folgenden neu in die Kunsttheorie eingeführten Begriffe unterscheiden sich von anderen dadurch, daß sie für die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauchbar sind. Dagegen sind sie zur Formulierung revolutionärer Forderungen in der Kunstpolitik brauchbar. (Hervorhebung W. W.)

Mit vollem Recht und tief überzeugt nennt Michael Benjamin diese Schrift Walter Benjamins »eines seiner Hauptwerke«.

(L'œuvre d'art à l'époque de sa reproduction mécanisée ...)

»Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, zuerst 1936 in französischer Übersetzung erschienen, ist keine rein, nicht einmal eine vorwiegend ästhetische Arbeit.

Das Betrachten dieser Arbeit mag für die Beschäftigung mit seinem Gesamtwerk stehen. Auch ist es im Rahmen dieses Artikels nicht möglich, den Argumenten Benjamins und ihrer Folgerichtigkeit zu entsprechen. Zitate aus dem von ihm selbst verfasstem Nachwort mögen sowohl meine Behauptung als auch die brennende Aktualität von Benjamins Gedanken belegen.

Zuvor aber muss dieses erwähnt werden: Benjamin erklärt nichts aus sich selbst heraus, aus »luftleerem Raum«; immer ist der Zusammenhang, der Zusammenklang von realer, materieller Situation und deren Folge im geistigen Überbau gegenwärtig. L árt pour l árt nennt Benjamin »eine Theologieder Kunst«, hervorgegangen aus der Krise der Kunst, entstanden mit dem ersten wirklich revolutionären Reproduktionsmittel, der Photographie, entstanden gleichzeitig mit dem Anbruch des Sozialismus. Diesen Zusammenhang jedenfalls fand ich überraschend; nie zuvor war er mir so bewusst gemacht worden.

Jetzt aus dem Schlusswort:

Der Faschismus versucht, die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten ...

Die Massen haben ein Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse; der Faschismus sucht ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben. Der Faschismus läuft folgerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus...

Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg. Der Krieg, und nur der Krieg, macht es möglich, Massenbewegungen größten Maßstabs unter Wahrung der überkommenen Eigentumsverhältnisse ein Ziel zu geben. So formuliert sich der Tatbestand von der Politik her. Von der Technik her formuliert er sich folgendermaßen: Nur der Krieg macht es möglich, die sämtlichen technischen Mittel der Gegenwart unter Wahrung der Eigentumsverhältnisse zu mobilisieren ...

Walter Benjamin zitiert Marinettis [3] Manifest zum äthiopischen Kolonialkrieg:

… Der Krieg ist schön, weil er das Gewehrfeuer, die Kanonaden, die Feuerpausen, die Parfums und Verwesungsgerüche zu einer Symphonie vereinigt. Der Krieg ist schön, weil er neue Architekturen, wie die der großen Tanks, der geometrischen Fliegergeschwader, der Rauchspiralen aus brennenden Dörfern und vieles andere schafft...

Dieses Manifest hat den Vorzug der Deutlichkeit.

Dem Dialektiker ... stellt sich die Ästhetik des heutigen Krieges folgendermaßen dar: wird die natürliche Verwertung der Produktivkräfte durch die Eigentumsordnung hintangehalten, so drängt die Steigerung der technischen Behelfe ... nach einer unnatürlichen. Sie findet sie im Kriege ...

Der imperialistische Krieg ist in seinen grauenhaftesten Zügen bestimmt durch die Diskrepanz zwischen den gewaltigen Produktionsmitteln und ihrer unzulänglichen Verwertung ...

Der Faschismus erwartet die künstlerische Befriedigung der von der Technik erwarteten Sinneswahrnehmung ... vom Kriege. Das ist offenbar die Vollendung des l árt pour l árt. ...

Die Selbstentfremdung der Menschheit hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt. So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst. (Hervorhebung W. W.)

Das ist gedacht und geschrieben 1936. Im französischen Exil. Drei Jahre vor dem Nazi-Überfall auf Polen. Vier Jahre vor der physischen Vernichtung Georg Benjamins.

In deutscher Sprache erschienen diese Gedanken erst nach dem Krieg, vor dem Benjamin so eindringlich warnte.

Mögen sie in einer für uns Heutige ungewöhnlichen Sprache verfasst sein (… wie sollten bei Walter Benjamin auch einfache Formeln möglich sein?), deutlich wird: Benjamin hatte Faschismus durchschaut. Und den zwangsläufigen Zusammenhang von Faschismus und Krieg.

Wie die bisherigen stammen auch die folgenden abschließenden Zitate aus dem erwähnten Vortrag. Der Leser mag die Gültigkeit der Aussagen nach inzwischen zweiundzwanzig Jahren ermessen.

Es gibt einen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen jenem Deutschland, das Walter Benjamin Gedenkstätten errichtet, und jenem, das neue Mauern baut und Asylsuchenden die Zuflucht verweigert. Auch kann das erste – so erfreulich und bewegend es für mich ist und mit Dank erfüllt – gegen das zweite nicht aufgerechnet werden.

Walter Benjamin starb als Flüchtling, dem das Asyl verweigert wurde - einer von Zehntausenden. Die Parallelen zum heutigen Geschehen sind bedrückend. Könnte Walter Benjamin im heutigen Deutschland Asyl erwarten? (Hervorhebungen W. W.)

 

Anmerkungen:

[1] Am 16. September 1993 eröffnete im Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam eine Walter-Benjamin-Ausstellung. Den einführenden Vortrag hielt Michael Benjamin. – Alle Zitate, wenn nicht anders benannt, aus: Michael Benjamin, »Das Vermächtnis«, edition ost, 2006.

[2] Die hier angegebene Jahreszahl muss eine Freudsche Verirrung sein. Walter Benjamin starb 1940 auf der Flucht vor den Nazis beim Übergang von Frankreich nach Spanien. 1942 wurde Georg Benjamin, Michaels Vater, in Mauthausen ermordet.

[3] Filippo Tommaso Marinetti, 1876-1944, italienischer Schriftsteller, Begründer des italienischen Futurismus, Fetischisierung der Technik, 1919 Mitglied der faschistischen Partei, unter Mussolini Kulturminister.

 

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2015-04: Werner Wüste: »Vaterlos. Kindheitserinnerungen 1935-1945«

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