Kommunistische Identität bewahren – Bündnisse praktizieren
Beschluß des Bundeskoordinierungsrates der Kommunistischen Plattform vom 4. August 2007, ohne Gegenstimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen
Seit der Vereinigung von Linkspartei.PDS und WASG zur Partei DIE LINKE häufen sich Fragen, wie es zukünftig um das Verhältnis der Antikapitalistischen Linken (AKL) und der Kommunistischen Plattform (KPF) bestellt sein wird. Genau genommen ist die Antwort darauf seit Januar 2007 in einem Brief von Sahra Wagenknecht gegeben.
Es sind wohl zwei Aspekte, welche das oben genannte Problem erneut auf die Tagesordnung gesetzt haben. Zum Ersten: Mit der Vereinigung beider Parteien könnte die Notwendigkeit entfallen, über einen spezifischen Weg das Zusammenwirken von antikapitalistischen Linken über Parteigrenzen hinweg zu befördern. Da die AKL als offenes Forum im Parteineubildungsprozeß eine unverzichtbar positive Rolle spielte, gedacht sei nur an die Vorbereitung und Mitgestaltung der jeweiligen Bundesparteitage, ist für die neue Partei nicht nur eine Option denkbar. So wie es nachvollziehbar wäre, die Aufgabe der AKL mit der vollzogenen Parteigründung als erfüllt zu betrachten, wäre es auch denkbar, die seit einem knappen Jahr in der AKL gesammelten Erfahrungen in der Partei DIE LINKE auf geeignete Weise weiter zur Geltung zu bringen. Die Entscheidung darüber obliegt einzig den Protagonisten des offenen Forums AKL und ist von uns nicht zu kommentieren.
Zum Zweiten: Das von den sich als Reformer verstehenden Kräften gegründete Netzwerk Forum demokratischer Sozialismus (fds) scheint sich zu einer geballten Kraft zu entwickeln, die darauf hinarbeitet, in allen entscheidenden Eckpunkten für eine Regierungskoalition im Bund vorbereitet zu sein – mit seinem Interview im Spiegel vom 30.7.2007 hat André Brie die Richtung entsprechend vorgegeben. Aus diesen Entwicklungen ergibt sich mancherorts die Forderung, es sollten sich alle in der Partei DIE LINKE als antikapitalistisch verstehenden Kräfte unter dem Dach der Antikapitalistischen Linken zusammenfinden. So würde den im fds Versammelten etwas Adäquates entgegengesetzt. Betrachten wir das Netzwerk genauer: Die Erklärung des fds (siehe www.forum-ds.de) haben per 4.8.2007 insgesamt 485 Mitglieder der Partei DIE LINKE unterzeichnet. Cirka 50% davon sind Mitglieder des Bundesvorstandes (9) oder der Landesvorstände (49) und/oder Abgeordnete der verschiedensten Ebenen. Darunter 10 MdB, 3 MdEP und 45 MdL / MdA. Zu den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern zählen (und das sind bei weitem nicht alle der bundesweit bekannten Namen): Harald Wolf, Roland Claus, Petra Sitte, Cornelia Ernst, Peter Ritter, Christina Emmrich, Martina Bunge, Carl Wechselberg, Thomas Nord, Heidi Knake Werner, Dagmar Pohle, Klaus Kaasch, Martina Michels, Bernd Ihme, Petra Pau, Wulf Gallert, Carola Bluhm, Helmut Scholz, Kerstin Kaiser, Angelika Gramkow, Jan Korte, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Peter Porsch, Klaus Lederer, Benjamin Hoff, André Brie, Rolf Kutzmutz, Rosemarie Hein, Helmuth Markov, Matthias Höhn, Thomas Falkner, Steffen Harzer, Halina Wawzyniak, Stefan Liebich und andere. Ausgesprochen viele der Unterzeichner ohne aufgeführte Funktion sind Mitarbeiter verschiedener Fraktionen bzw. von Abgeordnetenbüros sowie Mitarbeiter des Parteiapparates. Mit anderen Worten: Das fds ist eine bundesweite Konzentration von Parteimitgliedern, die auch ohne ihre Zugehörigkeit zu einem Netzwerk oder einem eventuell zukünftigen Zusammenschluß bestimmenden Einfluß auf die politische Linie und Praxis der Partei ausüben. Das Netzwerk ermöglicht es ihnen, ihre innerhalb der Partei einmalig kompakten logistischen Möglichkeiten programmatisch und politisch-ideologisch länderübergreifend einzusetzen, unabhängig von zukünftigen Wahlergebnissen. Denn der überwiegende Teil der Fraktionsstrukturen und des hauptamtlichen Apparates wird dem fds immer wieder zur Verfügung stehen.
Anzunehmen, ein Gegengewicht innerhalb der Partei DIE LINKE käme dadurch zustande, daß sich antikapitalistisch verortende Kräfte aller Richtungen in der neuen Partei unter einem Dach zusammenfinden, wäre eine verkürzte Antwort auf ein komplexes Problem. Die Auseinandersetzung mit den vom fds vertretenen Positionen ist die Fortsetzung der in der PDS / Linkspartei.PDS länger als anderthalb Jahrzehnte geführten Debatte. Es ist die Auseinandersetzung zwischen jenen, die in Grundfragen Meinungen und Stimmungen beträchtlicher Teile der Parteibasis artikulierten und denen, deren hauptsächliches Bestreben darin besteht, vom bürgerlichen Parteienspektrum Politikfähigkeit bescheinigt zu bekommen. Jene, langjährig vor allem repräsentiert durch die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum (MF), die dem Denken und Fühlen sehr vieler Parteimitglieder eine Stimme gaben und geben – erinnert sei stellvertretend an die Cuba-Solidaritätsaktion 2006 – vertreten scheinbar Minderheitenpositionen. Jene, durch deren Zurückweichen vor antikommunistischen Positionen im Verlaufe der Jahre Zigtausende die Partei verließen, scheinen deren Mehrheit zu repräsentieren. Wesentlicher Grund für diesen Eindruck sind ihre schier erdrückenden logistischen Möglichkeiten: Die Verfügung über die Apparate, die Gelder und die parteieigenen oder -nahen Medien. Sei’s drum: Die KPF hat auf Parteitagen mit Mehrheit gefaßte Beschlüsse nie in Frage gestellt.
Wenn sich in der neuen Partei ein ernst zu nehmender Widerstand gegen Anpassungsbestrebungen entwickeln soll, sind aus unserer Sicht zwei Dinge gleichermaßen notwendig: Einerseits Bündnisbreite bei inhaltlichen Übereinstimmungen und andererseits Identitätsbewahrung bei nicht vorhandenem Konsens.
Zwei Beispiele:
Die in der Partei geltenden friedenspolitischen Prinzipien, beschlossen in Münster und bekräftigt in den Eckpunkten, sind gefährdet. Gefährdet durch jene, die sie um erträumter zukünftiger Koalitionen willen opfern wollen. Bei der Verteidigung von Münster wäre es sträflich, nicht den größtmöglichen gemeinsamen Nenner all jener zu suchen, für die Militäreinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta ausgeschlossen sind. Dieser gemeinsame Nenner ist pazifistischer Natur, wenngleich die Verteidiger von Münster durchaus unterschiedliche Motive für Pazifismus in unserer Zeit haben. Ohne diesen gemeinsamen Nenner hätte es Münster so nie gegeben und die dort bekräftigten friedenspolitischen Prinzipien wären nicht mehr zu verteidigen, weil längst aufgekündigt. Wir könnten dann – wo auch immer – theoretisch fehlerfreie Seminare über den Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg abhalten, und zugleich würde sich die aus der PDS kommende Partei im Bundestag womöglich schon seit längerem so verhalten wie die Grünen seit dem Überfall auf Jugoslawien; vorausgesetzt, wir wären dann noch im Bundestag und vorausgesetzt, wir existierten noch. Überall dort, wo wir die Chance haben, uns in breitere innerparteiliche Bündnisse [Selbstverständlich geht es ebenso um unsere Teilnahme an außerparlamentarischen Bewegungen und die Zusammenarbeit mit Kommunistinnen und Kommunisten anderer Parteien. Doch dies ist nicht Gegenstand des vorliegenden Papiers.] einzureihen – gedacht sei beispielsweise an den Kampf gegen Privatisierung - um bestimmte Positionen zu verteidigen oder auch weiter auszuprägen, können wir dies nicht nur tun, sondern sind dazu verpflichtet.
Aber – es gibt auch Inhalte, deren Bedeutung von partiellen Bündnispartnern anders bewertet werden, als von uns – von denen wir aber meinen, sie seien substantieller Natur. Nehmen wir den Umgang mit der Geschichte. Für Kommunistinnen und Kommunisten ist die Dialektik Methode nicht nur zur Analyse gegenwärtiger Verhältnisse, sondern gleichermaßen der Geschichte. Das klingt wie eine Binsenwahrheit. Diese bedarf allerdings der besonderen Erwähnung, weil es auch unter Linken nicht unüblich ist, den Kapitalismus und Imperialismus nach den Kriterien des historischen Materialismus zu bewerten und gleichzeitig zuzuschauen, wenn der Mainstream den gewesenen Sozialismus jenseits von Zeit und Raum denunziatorischen Bewertungen unterzieht. Das Wesen der Denunziation besteht zum einen darin, dem gewesenen Sozialismus anzudichten, er habe kommunistischen Idealen entsprechen müssen und sei dem (natürlich) nicht gerecht geworden und zum anderen, Lügen und Halbwahrheiten über ihn zu verbreiten. Die Halbwahrheiten sind bekanntlich die wirksamsten Lügen, weil sie in der Regel an soziale Erfahrungen derjenigen anknüpfen, denen verzerrende und verfälschende Interpretationen vorgesetzt werden. "Am Feinsten", so Koestler, "lügt das Plausible". Manchem erscheint es unerheblich, sich gegen einen verfälschenden Umgang mit der Geschichte zur Wehr zu setzen. Gefallener Schnee von gestern, meinen sie. Doch – wenn das so ist, warum dann die Auseinandersetzungen zwischen führenden Politikern Polens und der BRD, ein so genanntes Zentrum der Vertreibungen betreffend? Warum noch heute Konflikte zwischen China und Japan wegen der Geschehnisse im II. Weltkrieg? Warum leugnen die türkischen Offiziellen den Genozid an den Armeniern – mehr als neunzig Jahre zurückliegend? Warum wurde der Kolonialkrieg in Algerien in der französischen Öffentlichkeit über Jahrzehnte faktisch tot geschwiegen? Aber auch: Warum verschwieg man in der Sowjetunion Katyn länger als fünfzig Jahre? Solcherart Fragen ließen sich fortsetzen. Sind hier überall Menschen sinnlos kontrovers miteinander befaßt? Wird hier gelogen, abgestritten, verleumdet, aufgeklärt, verteidigt oder auch attackiert, nur, weil ein paar Unterbeschäftigte, geistig minderbemittelte Nostalgiker, Geschichtsversessene, von den heutigen Realitäten Abgewandte im gefallenen Schnee von gestern eine Schneeballschlacht veranstalten wollen? Weltvergessene, die nicht begriffen haben, daß dieser Schnee längst geschmolzen und in die Erde versickert ist, auf der heute ganz andere Schlachten toben? Mitnichten. Zu allen Zeiten versuchten die jeweils Herrschenden aus dem Gang der Geschichte eine Rechtfertigung für eigenes Handeln und die Aufrechterhaltung der eigenen Herrschaft abzuleiten. Und so ist der Umgang der Protagonisten des Kapitals mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus letztlich nur einem Ziel untergeordnet: Die These Fukuyamas aus dem Sommer 1989 vom "Ende der Geschichte" ["Wir werden vielleicht Zeugen nicht nur des Endes des Kalten Krieges oder des Endes einer bestimmten Periode der Nachkriegsgeschichte, sondern des Endes der Geschichte als solcher: das heißt, des Endpunktes der ideologischen Evolution der Menschheit und der Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie als endgültiger Regierungsform des Menschen." (Francis Fukuyama: "The End of History?”, in: "The National Interest”, Sommer 1989, Übersetzung: Thomas Hecker)] in den Rang einer ewigen Wahrheit zu erheben. Nicht aus nostalgischen Gründen, sondern um jedes Nachdenken über eine von Ausbeutung befreite Welt schon im Keime zu ersticken und um jene im Hass zu ertränken, die im 21. Jahrhundert den Weg des Sozialismus gehen wollen. Wenn Kommunistinnen und Kommunisten sich den Denunziationen des Sozialismus des 20. Jahrhunderts entgegenstellen, dann verteidigen sie damit mehr, als die Würde all jener, die aufrichtig und oft unter großen Opfern für eine andere Welt gekämpft und gearbeitet haben. Sie verteidigen gleichermaßen die Idee einer sozialistischen Zukunft, die Überzeugung, daß Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte sein darf, das Wissen, daß es Sozialismus geben wird oder eben Barbarei. Die Barbarei für möglich haltend, sind sie nicht nur aktive Antifaschisten, sondern verteidigen gleichermaßen die Notwendigkeit, darüber aufzuklären, unter welchen Bedingungen Faschismus entsteht und gesellschaftlich relevant werden kann. Nicht wenige Linke halten diese Positionen, die wir kompromißlos verteidigen, für dogmatisch und daher ihre vom Mainstream nicht unbeeinflußte Sicht auf die Geschichte für unorthodox. Das ist nicht schlimm. Wir werden mit ihnen in allen Fragen gemeinsam handeln, in denen es übereinstimmende oder weitgehend adäquate Positionen gibt. Aber wir werden unsere kommunistische Identität nicht aufgeben, ebenso wenig unsere Struktur.
Wir kämpfen aus gutem Grund nunmehr siebzehneinhalb Jahre um unsere Existenz und ideologische Eigenständigkeit. Was hat man uns nicht alles vorgeworfen: Die Rechten erklärten uns zu Stalinisten. Mal waren wir in Verfassungsschutzberichten Tausende und dann kaum noch erwähnenswert. Die Basis verdächtigte uns zunächst, wir wollten die Partei spalten. Dann erklärten uns linke Genossen zu "Ihrer Majestät loyaler Opposition«. Während der Auseinandersetzungen um das 2003er Programm bildeten sich nacheinander, mit fast gleichem personellen Stamm, drei verschiedene Zusammenschlüsse. Diese erklärten sich – im Vergleich mit der KPF und dem MF – jeweils zur wahrhaft konsequenten Linken. Und sie forderten, als hätten sie nicht eben erst eine neue Struktur ausgerufen, die Einheit aller Linken, um sogleich der KPF, die sich bekanntlich im Dezember 1989 konstituierte, vorzuwerfen, sie torpediere mit dem Beharren auf eigenen Grundsätzen den Kampf um die Hegemonie in der Partei. Das alles war weder angenehm noch unbedingt produktiv. Doch wir haben uns letztlich nie verführen lassen, dem Druck nachzugeben; nicht dem letztgenannten und schon gar nicht dem von rechts.
Wenn heute erneut die Forderung erhoben wird, wir sollten uns mit anderen Linken zu einer bedeutenderen Kraft zusammenschließen, so antworten wir darauf: Wir sind zu jedem Bündnis in Sachfragen bereit, bei klarer Bewahrung unserer kommunistischen Identität. Darüber hinaus werden wir keinen Etikettenschwindel begehen. Seit Oktober 2006 haben wir darum gekämpft, die Bedingungen zu erfüllen, die zur Weiterexistenz der KPF in der neuen Partei DIE LINKE erforderlich sind. Jene, die in unserem Zusammenschluß aktiv sind beziehungsweise sich mit uns solidarisch zeigen, erwarten von uns, daß wir bleiben, was wir waren und sind: in der LINKEN organisierte Kommunistinnen und Kommunisten.