Kommunist
Friedrich Wolff
Kommunist
Von Friedrich Wolff
Als ich am 1. Juli 1945 in die KPD eintrat, war ich noch nicht 23 Jahre alt. In der Weimarer Republik hatte ich, es war wohl 1929, in dem Berliner Arbeiterbezirk Neukölln Schüsse gehört, die die Polizei auf demonstrierende Arbeiter abgefeuert hatte, ich hatte auf dem Weg zur Schule die Arbeitslosen vor dem Arbeitsamt Neukölln Schlange stehen gesehen, auf dem Weg in die Hasenheide war ich als Kind an den Parteilokalen der Kommunisten und der Nazis vorbeigegangen und hatte Angst gehabt, ich könnte in die Kämpfe der beiden einbezogen werden. Ich hatte 1933 erlebt, wie mein jüdischer Vater und meine arische Mutter mit befreundeten jüdischen Ehepaaren über die Wahl Hitlers zum Reichskanzler diskutierten. Werden die Nazis sich an der Macht halten können? Sollte man auswandern? Wohin? Mein Vater sagte, er sei Deutscher und er bleibe.
Ich sah vom Fenster unserer Wohnung am Kottbusser Damm die SA marschieren, hörte wie sie sangen: „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt...“ und „Wir werden weiter marschieren, bis alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ Am 1. April 1933 wurde der Boykott jüdischer Geschäfte inszeniert. Mein Vater nahm mich mit in seine Arztpraxis in der Berliner Straße, der jetzigen Karl-Marx-Straße. Vor ihr standen zwei SA-Leute, die auf Schildern aufforderten, den jüdischen Arzt zu meiden. Sie hatten Erfolg, die Patienten blieben aus. Mein Vater dichtete über Frau und Kind und dann noch dies:
„Dein Vers, mein Sohn, geriet mir etwas lang.
Viel länger noch ist meine müßige Stunde
Wahrscheinlich wird mir heute niemand krank.
Es wäre gut, gäb es nur noch Gesunde.
Bring ich heut Abend diesen Vers nach haus,
Dann wißt Ihr: so sah’s heute in der Praxis aus.“
Die Nazis beherrschten die Presse und den eben entstandenen Rundfunk. Sie sprachen von der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“. Obgleich ich erst 10 oder 11 Jahre alt war begriff ich, die KPD war der politische Hauptfeind der Nazis. Ich hatte gehofft, zusammen mit der SPD würde sie einen Generalstreik ausrufen und Hitler besiegen. Die SPD hatte eine „Eiserne Front“, die auf Plakaten drei Blitze auf die Nazis schleuderte. Das hatte mich beeindruckt und mir Zuversicht gegeben.
Ich wurde älter und lernte mit den Nazis zu leben. Mein Vater starb, als ich dreizehn war. Wenig später wollte meine Mutter, daß ich Englischunterricht bekomme, bevor die Schule damit begann. Ich sollte wohl für eine Auswanderung fit gemacht werden. Der Lehrer, der ihr empfohlen worden war, hatte die Neuköllner Karl-Marx-Schule, an der er unterrichtet hatte, verlassen müssen. Ich erkannte bald, er war Kommunist. Er war mir mehr als ein Lehrer, er war mir Erzieher und Freund, bis er 1944 an der Ostfront fiel. Ich wollte so sein wie er.
Als Halbjude wurde ich nicht zum Militärdienst einberufen. Ich erlebte den Krieg in Berlin als Schüler, dann, 1941, als Lehrling und ab 1943 als dienstverpflichteter Arbeiter bei National-Krupp Registrierkassen, wo Flakzünder hergestellt wurden. Überall traf ich auf Kommunisten. Unter den drei Angestellten meines Lehrbetriebes war die Packerin eine Kommunistin, in der Fabrik war ein Vorarbeiter Kommunist. Wir redeten auf den Toiletten, nachdem wir festgestellt hatten, daß alle Kabinen frei von den uns bekannten Nazis waren, über die Faschisten, über Krieg und Frieden. Willy, so hieß der Vorarbeiter, sagte dann öfter, wenn die denken, daß wir arbeiten ... Unter den Franzosen, auf die ich auch in der Fabrik traf, waren auch Kommunisten. Mit zwei von ihnen verband mich bald eine Freundschaft, die wir auch außerhalb der Arbeitszeit pflegten. Wir schrieben uns noch einige Zeit nach Kriegsende.
1943 begann die Zeit der verstärkten Bombardierungen. Die Alarme dauerten lange, im Luftschutzkeller gab es Gespräche, man war trainiert Untertöne zu erkennen. Richtige Nazis waren nicht unter uns, aber von einer Familie Heimburger (Vater, Mutter und erwachsene Tochter) hörte ich heraus, das waren Antifaschisten. Bald wußte ich, die Eheleute waren Kommunisten der ersten Stunde. Arthur Heimburger erzählte viel und gern, besonders wenn er in den Angriffspausen vor dem Kellereingang rauchte. Ich verstand nicht alles, was er aus der Geschichte der KPD und KPO erzählte, aber ich hörte ihm wißbegierig zu. Seine Tochter wurde meine Freundin und später meine Frau.
Am 24. April 1945 eroberte die Rote Armee Neukölln. Am 1. Mai sah ich einen kleinen Demonstrationszug hinter einer roten Fahne. Am 1. Juli wurden politische Parteien in Berlin zugelassen. Sollte ich Mitglied werden? Für meine Freundin war die Antwort klar, sie setzte fort, was ihre Eltern begonnen hatten. Ich zögerte etwas. Würde ich in der Partei nicht meine Individualität einbüßen? Schließlich ging ich mit ihr zu dem eben eröffneten Büro der Partei und erklärte meinen Eintritt.
Jetzt war ich also Kommunist, das Parteibuch bewies es. Ich war befreit, ich wollte helfen, Deutschland wieder aufzubauen, ein sozialistisches Deutschland. In einem Neuköllner Jugendausschuß bemühte ich mich, in den Köpfen Jugendlicher den Ungeist der Naziideologie auszuräumen. Ich verehrte die Kommunisten, die aus den KZ und der Emigration gekommen waren, aber ihre Jugendpolitik erschien mir nicht wirkungsvoll. 1946 setzte ich meine politische Aktivität an der Humboldt-Universität als Vorsitzender der SED-Studenten fort. Wir diskutierten heiß und sagten, was wir dachten. Für meine Diskussionsgegner war ich ein Trotzkist. Von Trotzki hatte ich keine Zeile gelesen und wußte nicht, was er wollte. 1947 rief die Partei zu einer offenen Diskussion auf. Ich schrieb für unsere BPO einen Resolutionsentwurf. In ihm standen Sätze wie: „Seit geraumer Zeit machen sich in der Partei ernste Erscheinungen der Inaktivität, Müdigkeit und Unzufriedenheit bemerkbar.“ Ich forderte: „Unterlassung der Beweihräucherung führender Genossen in Wort und Bild, in Gips und Bronze.“ Eine Untersuchungskommission beriet über mein Verhalten. Sie kam zu keinem Ergebnis. Die Partei wußte aber jetzt, was sie von mir zu halten hatte. Ich wußte auch, was Sache war. Bei der Parteiüberprüfung wurde ich in den Kandidatenstand zurückversetzt. Das war statutenwidrig. Einige Jahre später erkannte die Partei wieder an, daß ich seit dem 1. Juli 1945 ihr Mitglied war.
Der Tod Stalins erschütterte mich nicht. Ich hoffte vielmehr, die Partei würde demokratischer und unbürokratischer werden. Auch der XX. Parteitag warf mich nicht um. Immer war ich von der Hoffnung beherrscht, wir würden unsere Politik mehr nach den Ideen Liebknechts, Luxemburgs und Lenins gestalten. Als Gorbi kam, dachte ich, jetzt ist es so weit. Dann kam die Katastrophe. Gorbatschow outete sich als Antikommunist. Die DDR verschwand. Genossen verließen massenhaft die Partei. Ich blieb. Wieder dachte ich in vielem anders als sie. Ich sah den realen Kapitalismus. So bilderbuchhaft hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Ich glaube, es kann nicht so bleiben. Es gilt das Wort Sozialismus oder Barbarei. Mein Leben hat mich zum Kommunisten gemacht, mein Leben machte es, daß ich Kommunist blieb. Mein Parteibuch weist es nicht mehr aus. Bin ich wirklich Kommunist? Ich möchte es wenigstens sein.
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