Kohle ohne Ende
Eva Bulling-Schröter, MdB, Fraktion DIE LINKE
Nach dem Pariser Klimaabkommen muss Deutschland endlich aus der Kohle raus. Trotz Klimadiskurs treten Große Koalition, Energiekonzerne und Gewerkschaften auf die Bremse – alte Marktstrukturen sollen so durch die Energiewende geboxt werden.
Es war wie so oft bei Klimakonferenzen. Auf der großen Bühne in Paris will keiner Spielverderber sein. Dass sich die Menschen, auch in Deutschland, um die Folgen der Erderwärmung echte Sorgen machen, diese Botschaft haben Demoskopen der Politik längst ins Stammbuch geschrieben. »Heute haben Regierungschefs aus rund 150 Ländern die Möglichkeit, bei allen Kontroversen und Interessenunterschieden ein gemeinsames und sehr konkretes Signal zu senden – ein Signal, das über die Zukunft unseres Planeten entscheidet. Es geht um die Grundlagen des Lebens der Generationen, die nach uns kommen«, erkannte im französischen Le Bourget Kanzlerin Angela Merkel besorgt den Ernst der Lage. Als Physikerin weiß die Ex-Umweltministerin natürlich bestens Bescheid. Klimaschutz, so die CDU-Chefin, sei »eine Frage der ökologischen Notwendigkeit und genauso der ökonomischen Vernunft«. Ihr dringlicher Aufruf an die Welt: »Wir wissen: Wir müssen heute handeln.«
Geht es Öl, Gas und Kohle nach Paris jetzt also radikal an den Kragen? So viel ist sicher: Das Pariser Abkommen, das eine Woche nach dem größten Auflaufen von Staatschefs aller Zeiten einstimmig angenommen wurde, muss als historisch bewertet werden. Grund zur Enttäuschung sollte es keinen geben, besonders aus linker, aus internationalistischer Perspektive nicht. Ein Vertrag allein wird das Weltklima nicht retten. Doch der in Paris gemachte Schritt könnte für die Umwelt tatsächlich ein großer werden: Erstmals sind alle Staaten der Welt unter einem Vertrag für mehr Klimaschutz versammelt. Erstmals ist das 2-Grad-Limit als oberste Grenze der Erderwärmung völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben. Erstmals verpflichten sich die fast 200 Staaten zur Ausarbeitung konkreter Klimaschutzpläne, hinter dessen Ambitionen nicht mehr zurückgefallen werden darf, und die im Fünfjahres-Rhythmus überprüft und erhöht werden.
Ab 2020 kann das Abkommen aber nur dann loslegen, wenn 55 Vertragsstaaten, die gemeinsam 55 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen ausstoßen, im UN-Headquarter in New York ihre Unterschrift abgeliefert haben. Das war schon beim Kyoto-Protokoll so. Und auch damals dauerte es Jahre des politischen Tauziehens, bis die Mehrheit zustande kam. Bis zum Inkrafttreten des Klimaregimes ist der Weg also noch weit und steinig. Denn völlig offen bleibt, ob das Abkommen überhaupt die Hürden der Ratifizierung nimmt. Allein die Republikaner im US-Kongress reichen aus, um die nötige Staatenmehrheit für eine Annahme des Pariser Klimavertrags zu gefährden. Nur zwei Monate nach Ende der Pariser Klimakonferenz hat zuletzt der Oberste Gerichtshof die nationalen Klimapläne von Präsident Barack Obama auf Eis gelegt, damit steht auch die US-Unterstützung für das Abkommen in den Sternen. Machen allein Washington und Peking nicht mit, bedarf es der Ratifizierung durch alle anderen Staaten.
Dass Papier geduldig ist, besonders im Völkerrecht, dürfte wohl keine Neuigkeit sein. Viele Klimabewegte stört die rechtliche Unverbindlichkeit, die fehlende Einklagbarkeit des Klimavertrags. Wie so oft bei internationalen Verträgen gibt es auch beim Klimavertrag keine Sanktionsmechanismen, etwa für den Fall der Nichteinhaltung freiwilliger Klimaschutzziele. Der UN-Sicherheitsrat wird also keine Wirtschaftssanktionen gegen Saudi-Arabien oder Australien verhängen, wenn die ihre gemeldeten Ziele reißen. Oder Truppen gegen neue Kohlekraftwerke in China oder Indien schicken. Der neue Vertrag ist für das Weltklima aber besser als kein Vertrag. Der Widerstand von Klimawandel-Leugnern von der Tea Party über CDU bis zum Bund der Deutschen Industrie zeigt das ganz klar. Erinnert sei an die Vorgeschichte von Paris. Stand die Klimadiplomatie nach dem Scheitern von Kopenhagen 2009 davor, für immer ins Koma zu fallen, feierte sie in den Messehallen der französischen Hauptstadt ihre Wiedergeburt. Was Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) so kommentierte: »Das Klima-Abkommen von Paris ist ein Sieg der internationalen Diplomatie über nationale Egoismen. Dieser Erfolg hat viele Mütter und Väter: Aktivisten, Wissenschaftler und Politiker auf allen Kontinenten, die seit Jahrzehnten beharrlich und gegen alle Widerstände für ein entschlossenes Vorgehen gegen die Klimakatastrophe kämpfen.«
Die mächtigste Frau und der mächtigste Mann in Deutschland, vereint im Kampf gegen die Klimakrise? Der Realitätscheck im deutschen Energiebereich zeigt, wie groß die Konferenzjubel-Realpolitik-Schere weiter auseinander klafft. Die international groß bestaunte German Energiewende ist mächtig ins Stocken gekommen. Längst ist Deutschland nicht mehr Energiewende-Champion. Im Energiewende-Index (ETI), bei dem das Fraunhofer-Institut den Erneuerbare-Energien-Anteil bei der Stromerzeugung und Energieeffizienz misst, landet Deutschland hinter den Schweden, Brasilien und Italien, gleichauf mit Japan und Großbritannien auf Platz Vier. Hinter der Schlagzeile, dass der Anteil der Erneuerbaren an der Bruttostromerzeugung im deutschen Strommix auf 30 Prozent gestiegen ist, geht unter, dass Braunkohlekraftwerke 2015 weiterhin auf hohem Niveau laufen. Das ist schlecht fürs Klima und den Umstieg auf Erneuerbare. Mittlerweile ist Deutschland zu einer gut geschmierten Stromproduktionsmaschine herangewachsen. Noch nie wurde so viel Energie produziert wie heute. Noch nie in der Geschichte wurde so viel Strom exportiert wie heute. In Zeiten der Klimakrise und dem Rufen nach geringeren Naturverbräuchen eine Entwicklung in die falsche Richtung.
Ein Wandel der Produktivkräfte birgt immer die Chance auf Veränderung der Produktionsverhältnisse. Die Energiewende als Deutschlands wichtigsten Beitrag zum Klimaschutz setzt besonders die alten Energiekonzerne unter Druck. Jahrzehntelang haben die »Großen Vier« die Energieversorgung in Deutschland beherrscht. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und der Liberalisierung der Energiewirtschaft waren es Bürgerenergie und kleinere kommunale Erzeuger, die den Energieoligopolisten das Geschäft streitig machten. Diese Energiewende-Pioniere waren es, welche den Erfolg der Energiewende herbeigeführt und bislang getragen haben. Die Großkonzerne konnten dieser Entwicklung bisher ausweichen. Alte Braunkohlekraftwerke wurden weiter am Laufen gehalten, der dreckige Strom auch ins Ausland verkauft. Mit dem schrittweisen Abschalten der Atomkraftwerke stieg die klimaschädliche Kohleverstromung sogar an, in der Fachwelt als »Paradox der Energiewende« beschrieben.
Mehr Ökostrom hat nicht nur dazu beigetragen, dass Deutschland heute Europameister der Stromexporte ist. Mehr Erneuerbare haben die Börsenstrompreise sinken lassen. Den Energiekonzernen, die bisher an Kohle- und Atomstrom festgehalten und kaum in Erneuerbare investiert haben, brachen in den letzten Jahren darum die Gewinne ein. Doch wissen die wankenden Riesen die Bundesregierung auf ihrer Seite. Und obwohl die Blockierer der Energiewende auch zuletzt mit großem Tamtam auf die Energiewende-Bremse traten, wie bei den von CDU und SPD in den Kohlerevieren, IGBCE-Gewerkschaftern sowie RWE und Vattenfall orchestrierten Protesten gegen eine »Klimaschutzabgabe«, können sie durch das Abschalten von Kohlekraftwerken mit satten Prämien rechnen. Über Eigenanstrengungen einen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Klimaschutz zu leisten, dieses Gespenst ist vom Tisch. Auch für Milliarden-Investitionen in Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee wurden großzügig Erleichterungen und versteckte Subventionen verteilt.
Doch stehen für 2016 noch viel weitreichendere Neuerungen ins Haus. Mit der erneuten EEG-Reform, die noch vor den Wahlen Ende 2017 in Sack und Tüten kommen soll, wird dem Großkapital die Energiewende regelrecht zum Fraß vorgeworfen. Der neoliberale Paradigmenwechsel: Erneuerbare Energien sollen nicht weiter über EEG-Festvergütung gefördert werden. Mit Schützenhilfe des SPD-Vorsitzenden Gabriel werden Energieanbieter künftig in Ausschreibungen für Wind- und Solarvorhaben gegeneinander in den Ring steigen, allein der Billigste erhält den Zuschlag. Für die Bürgerenergie ist dabei gar nicht so sehr ein niedriger Preis der Stein des Anstoßes. Entscheidender Knockout für kleine Unternehmungen ist das Risiko verlorener Vorinvestitionskosten. Wird eine Ausschreibung verloren, kann der Verlust nur schwer aufgefangen werden, hier haben Schwergewichte einen klaren Vorteil. Über den brutalen Wettkampf, das zeigen Erfahrungen aus anderen Ländern, wird die Bürgerenergie aus dem Rennen geschubst. Ausgerechnet in dem Moment, in dem die Erneuerbaren konkurrenzfähig zu fossilen Energien geworden sind und die Großen in den Seilen hängen, wird dem angeschobenen Wandel der Energielandschaft, hin zu einer dezentralen und demokratischen Energiewende, der Gong geschlagen. Mitbestimmung, demokratische Kontrolle und Akzeptanz der Energiewende, ein Ende des Preisdiktats durch Großkonzerne, diese historische Chance soll mit der EEG-Reform zu Boden gehen. Am Ende sind es die kleinen und mittleren Unternehmen, die Privathaushalte, Menschen mit geringem Einkommen, die von Mehrkosten, Wettbewerbsnachteilen und Stromsperren bedroht sind. Auch wenn Werbekampagnen die »Großen Vier« als die neuen Helden der Energiewende abfeiern: Klimaschutz war RWE & Co. schon immer egal. Ob mit Brennstäben, Tagebauen oder Windrad – Hauptsache Kohle ohne Ende.