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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kernbeschlüsse der UNO zu Israel und Palästina umsetzen

Rede von Dr. Gregor Gysi, MdB, am 14. Januar 2009 im Bundestag zur Debatte zur aktuellen Lage im Nahen Osten

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe – ich habe hier schon darüber gesprochen –, daß es im Umgang mit Israel Hemmungen und Beklemmungen aller Art gibt. Das hängt mit den ungeheuerlichsten Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden bis 1945 zusammen. Nur helfen all diese Verkrampfungen nicht, um einen wirksamen Beitrag zu leisten, den Nahostkonflikt zu lösen. Die Frau Bundeskanzlerin meinte ja, zu Beginn des Krieges ernsthaft erklären zu müssen, daß die Verantwortung allein bei der palästinensischen Führung im Gazastreifen läge. Das ist einseitig und falsch, obwohl diese Führung eine Mitverantwortung trägt. Es gab hier einmal eine Einigkeit, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Sie aber exportieren trotz des verheerenden Krieges weiterhin Waffen nach Israel. Das halte ich nun aber für indiskutabel. Ich hatte vergebens gehofft, daß Sie, Herr Außenminister, hier erklären, die Waffenlieferungen zumindest während des Krieges auszusetzen.

Natürlich ist es nicht hinnehmbar, wenn die palästinensische Führung im Gazastreifen die Anerkennung Israels ausschließt. Natürlich ist der Abschuß von Raketen vom Gazastreifen aus nach Israel scharf zu verurteilen, und jedes diesbezügliche Opfer beklagen wir. Natürlich ist es falsch, daß die Gazaführung das Waffenstillstandsabkommen am 19. Dezember 2008 aufkündigte, weil dann die Frage steht, was sie denn statt des Waffenstillstands wollte und will.

Entscheidende Fehler hat aber auch die israelische Regierung begangen. Zu einem Frieden kommt man nicht, wenn man Gespräche mit der Führung im Gazastreifen ablehnt. Es ist völkerrechtswidrig und falsch, den Gazastreifen so abriegeln zu wollen, daß die Bevölkerung in Kollektivhaft genommen wird – ohne medizinische Versorgung, ohne Lebensmittel. Das Waffenstillstandsabkommen ist durch Israel verletzt worden; denn Israel führte eine Militäraktion in einem Versorgungstunnel des Gazastreifens durch.

Dabei gab es mehrere Tote. Auch die Gazaführung verletzte das Abkommen. Aber völlig inakzeptabel und maßlos überzogen ist die Führung eines Krieges mit Bomben und Bodentruppen durch Israel – und nun auch noch unter der völkerrechtswidrigen Verwendung schrecklicher Phosphorwaffen.

Dabei hilft es der israelischen Regierung nicht, sich darauf zu berufen, daß auch westliche Länder solche Waffen verwenden; denn die Völkerrechtsverletzung eines Staates berechtigt einen anderen Staat nicht, eine ebensolche zu begehen. Der Krieg selbst ist völkerrechtswidrig, weil jede überzogene Militäraktion das Völkerrecht verletzt. Ein völkerrechtswidriger Krieg ist ein Verbrechen gegen den Frieden. Täglich wird die Lage im Gazastreifen für die Bevölkerung unerträglicher. Es gibt schon über 900 Tote, von denen mindestens die Hälfte Zivilisten sind, darunter viele Frauen und fast 300 Kinder. Das Völkerrecht schreibt im Krieg den Schutz der Zivilbevölkerung vor. Natürlich weiß ich, daß der israelischen Regierung und anderen Regierungen die Führung im Gazastreifen nicht behagt. Das darf man als nachvollziehbar empfinden. Nur, nirgendwo im Völkerrecht ist geregelt, daß dies zu einem Krieg berechtigt, daß ein anderes Land einer Bevölkerung vorschreiben darf, welche Führung sie sich zu wählen hat oder welche Führung sie auch ohne Wahlen haben darf. Man hat es einfach hinzunehmen. Man kann nicht übersehen, daß Israel diesen verheerenden Krieg begonnen hat, bevor Barack Obama als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt ist. Mit dem Kriegstreiber Bush geht so etwas viel leichter. Aber das rechtfertigt diesen Krieg schon gar nicht.

Leider gibt es Menschen in Israel, die hoffen, mittels Krieg eine Führung im Gazastreifen etablieren zu können, mit der dann leichter Verhandlungsergebnisse zu erreichen wären. Das ist ein Denken in militärischer Logik, das einem gravierenden Irrtum unterliegt. Dieser Krieg erzeugt so viel Tod, so viele Verletzte, so viel Not und Leid, daß daraus Haß in mehreren Generationen entstehen wird. Dieser Haß ist der schlechteste Partner für einen Frieden. Mit diesem Krieg erreicht man also das Gegenteil von dem, was nicht wenige in Israel sich erhoffen. Frieden erfordert Aufbau, kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, gegenseitiges Interesse, Respekt und Anerkennung, wie es zum Beispiel der weltberühmte Dirigent Daniel Barenboim in hervorragender Art und Weise organisiert.

Frieden braucht also das völlige Gegenteil von dem, was ein Krieg hervorbringt. Wir brauchen nicht baldmöglichst einen Waffenstillstand, sondern sofort. Jede weitere Stunde Krieg bedeutet weitere Tote und Verletzte, ist inakzeptabel, nicht hinnehmbar. Die israelischen Truppen müssen unverzüglich aus dem Gazastreifen abgezogen werden. Aber wie kommen wir dahin? Wie kann im Nahen Osten endlich Frieden entstehen? Ich sage es hier klar: Ich glaube nicht, daß die Führungen in Israel, im Gazastreifen und im Westjordanland in der Lage sind, diesen so schnell wie möglich selbstständig auszuhandeln und zu gewährleisten. Ich glaube auch nicht, daß die bisherige Kommission mit Mitgliedern aus den USA, Rußland und der EU dazu in der Lage ist; denn sie hat versagt. Es geht darum, drei Kernbeschlüsse der UNO zu Israel und Palästina umzusetzen: Erstens. Die UNO hat 1947 beschlossen, die Staaten Israel und Palästina zu bilden. Es gibt einen Staat Israel, aber niemand weiß, in welchen Grenzen. Nach wie vor gibt es keinen Staat Palästina. Zweitens. Die UNO hat 1967 beschlossen, daß die Grenzen von 1967 zwischen Israel und Palästina gelten sollen. Drittens. Die UNO hat mehrfach zum Waffenstillstand, zur Beendigung aller Kriege, zum Frieden aufgerufen.

Bundestag und Bundesregierung sollten nun die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, das heißt die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Republik Frankreich, die Russische Föderation und die Volksrepublik China, auffordern, ihrer diesbezüglichen Verantwortung in jeder Hinsicht gerecht zu werden. Der Wechsel zum Präsidenten Barack Obama in den USA birgt die Chance für einen Neubeginn. Was wären die Aufgaben der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates?

Erstens. Sie haben unter strikter Wahrung des Völkerrechts einen von ihnen garantierten Gewaltverzicht zwischen Israel und Palästina durchzusetzen. Eine internationale Friedenstruppe, die sowohl in Israel als auch in Palästina zu stehen hat, muß die gegenseitige Gewaltlosigkeit gewährleisten. Eine Beteiligung deutscher Soldaten kommt für uns schon aus historischen Gründen, aus den von mir anläßlich des Libanon-Krieges genannten Gründen, die ich hier nicht wiederholen werde, nicht in Betracht.

Zweitens. Die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder müssen die Gründung eines lebensfähigen Staates Palästina in den Grenzen von 1967 durchsetzen. Gebietsaustausche kommen nur bei gegenseitigem Einvernehmen von Israel und Palästina in Frage.

Drittens. Weltweit, auch unter Beteiligung Deutschlands, muß unverzüglich für Palästina eine Art Marshallplan aufgelegt werden, damit der Aufbau beginnen kann. Die Menschen brauchen Bildung und Arbeit, sie brauchen Brot, sie brauchen Ehre und eine Zukunft, die sie aktiv mitgestalten können, damit für sie Frieden und nicht Kampf oder Krieg attraktiv wird, damit alle Aggressoren und Terroristen bei ihnen keine Chance mehr haben.

Viertens. Unter Einbeziehung vor allem von Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien ist ein darüber hinausgehender Frieden ebenfalls durchzusetzen.

Fünftens. Dann können auch erfolgreiche Verhandlungen mit dem Iran statt mit Krieg gedroht geführt werden, um zu entspannen und keine weiteren Konfliktzuspitzungen zuzulassen.

Alle Menschen in Israel und alle Menschen in Palästina haben jeweils ein Recht auf einen eigenen Staat in klaren Grenzen. Sie haben ein Recht auf Frieden, auf Leben, auf Gesundheit, auf Kultur und auf soziale Wohlfahrt. Die internationale Gemeinschaft muß aufhören mit sinnlosen Appellen und beginnen, dies ernsthaft umzusetzen.

Gelingt eine Lösung des Nahostkonflikts, gelingt die Herstellung eines wirklichen Friedens, dann kann der Haß im Nahen Osten Schritt für Schritt abgebaut werden, dann kann es eine gedeihliche Zusammenarbeit geben. Dies wären ein großer Fortschritt für die Menschheit und ein wesentlicher Beitrag zur Abrüstung zwischen christlich, jüdisch und islamisch geprägten Ländern, auch zwischen der sogenannten Ersten und der sogenannten Dritten Welt.

Siehe www.linksfraktion.de/rede.php?artikel=1375205302, dort einschließlich der Zwischenrufe.