Keine NATO-Versteherin
Ellen Brombacher, Berlin
In dem 1997 erschienenen Buch des US-Chefstrategen Brzeziński spielt die Ukraine eine auffällig große Rolle. So heißt es: »Da die EU und die NATO sich nach Osten ausdehnen, wird die Ukraine schließlich vor der Wahl stehen, ob sie Teil einer dieser Organisationen werden möchte. … Obwohl dies Zeit brauchen wird, kann der Westen … schon jetzt das Jahrzehnt zwischen 2005 und 2015 als Zeitrahmen für eine sukzessive Eingliederung der Ukraine ins Auge fassen.« Das wurde geschrieben vor knapp 17 Jahren.
Was wir 2014 erleben, ist Teil der Verwirklichung dieser Konzeption. Die NATO steht inzwischen an den Grenzen Russlands - früheren Zusicherungen zum Trotz - und installiert Raketensysteme. Diese Vorgänge, die aktuellen Ereignisse in der Ukraine inklusive, berühren Russlands Sicherheitsinteressen elementar.
Es wäre in Deutschland undenkbar, dass Sicherheitsinteressen Israels ignoriert werden. Wo steht geschrieben, dass Ignoranz gegenüber Russland angemessen ist, in Anbetracht der 27 Millionen Toten im II. Weltkrieg, den die deutschen Faschisten bestialisch über die Sowjetunion brachten? Und ist es nicht auch ignorant, Faschisten in der Ukraine, resp. ihrer unbestrittenen Machtpositionen, als russische Propaganda abzutun? Ukrainische Faschisten werden vom Westen toleriert, ja akzeptiert - diese Enkel Banderas, auf den sie sich berufen. Die OUN Banderas war maßgeblich beteiligt am Massenmord von 70.000 Juden in Babyn Jar. Und nicht »nur« in Babyn Jar. Wehret den Anfängen, heißt es. In Odessa verbrannten wieder Menschen.
Es ist gut, dass diesem Parteitag ein Antrag vorliegt, in dem Wahrheiten wider den Zeitgeist stehen. Ich sage das, ohne mit jeder der Formulierungen einverstanden zu sein. Ich habe Mitte der sechziger Jahre in Moskau gelebt, habe die Angst vor einem neuen Krieg erlebt. Und ich möchte noch eine persönliche Bemerkung hinzufügen. Meine Mutter, als Jüdin in tiefster Illegalität in Belgien lebend, und mein Vater, 1944/45 politischer Häftling im KZ Mauthausen, hofften auf niemanden so sehr wie auf die Sowjetunion und die Rote Armee. Dafür werde auch ich immer dankbar sein. Ja, ich bin eine Russlandversteherin, ich bin keine NATO-Versteherin. Mit dieser Art von Äquidistanz kann ich nicht dienen. Die NATO ist verantwortlich dafür, dass er nun wieder existiert, der Cordon sanitaire. Wundern wir uns nicht zu sehr, dass dies nicht ohne Reaktionen bleibt.
(Auf dem Berliner Parteitag gehaltener Diskussionsbeitrag)
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