Kein Kommentar!
Auszug aus "Stahlgewitter", dem 6. Kapitel von Jutta Ditfurths
jüngstem Buch über DIE GRÜNEN
"Eine große Gruppe feindlicher Flugzeuge nähert sich Belgrad. Wir bitten alle Bürger, ihre Lichter auszumachen. Nachdem Sie die Räume verdunkelt haben, appellieren wir an Sie, den Strom abzuschalten. Achtung, eine große Gruppe feindlicher Flugzeuge in Richtung Belgrad. Bürger, bleibt in eueren Schutzräumen und wartet auf die Empfehlungen aus dem Informationszentrum. Ende der Durchsage."
Das war nicht 1941, als das Deutsche Reich Jugoslawien angriff und zerschlug, sondern 1999. Deutschland war 54 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zum ersten Mal wieder an einem Krieg beteiligt. [...]
Keine Partei kommt in Deutschland an die sogenannte Regierungsmacht, ohne mit grundlegenden linken Positionen zu brechen: Sie muß den Antikapitalismus abwerfen und der NATO die Treue schwören. Die jeweiligen Verlaufsformen der Anpassung sind unterschiedlich. [...] Dabei hatte bei den Grünen vor 31 Jahren alles so pazifistisch begonnen. [...]
1983 beschlossen die Grünen "die Auflösung der beiden Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt. Wir müssen raus aus der NATO." Diese Position war Konsens, sie kam aus der Friedensbewegung und wirkte zurück auf sie. [...]
Bei der Bundestagswahl 1987 unterstrichen die Grünen ihre Forderungen: "Wir wollen, daß die Bundesrepublik sich der militarisierten Außenpolitik von NATO und der USA entzieht und aus der NATO austritt." Und: "Wir müssen raus aus der NATO, weil es mit der NATO keinen Frieden geben kann und die Schwächung, Desintegration und schließliche Aufhebung dieses Bündnisses unabdingbar ist, um Frieden zu schaffen. Die NATO ist nicht reformierbar." Die Wähler bescherten den Grünen 1987 – auch wegen ihrer radikalen Anti-NATO- und Anti-Kriegshaltung – das für die nächsten 15 Jahre höchste Bundestagswahlergebnis (8,3 Prozent). Aber hinter dem Rücken der Partei und der basisdemokratisch gewählten Parteigremien begannen die Realos, mit der SPD geheime Absprachen zu treffen und, zwecks Regierungsvorbereitung, den grünen Antimilitarismus und Pazifismus zu verramschen.
Im Juli 1989 fand auf Schloß Crottdorf im Bergischen Land ein Geheimtreffen auf Einladung der SPD statt. [...]
Nach dem Gespräch teilte Bahr süffisant mit, die grünen Gesprächsteilnehmer hätten nicht protestiert, als er von der "Notwendigkeit einer europäischen Atomstreitmacht" gesprochen habe. Er verlangte von den Grünen die Zustimmung zur NATO und plädierte "für eine europäische Abschreckungsmacht einschließlich der französischen Nuklearwaffen".
Die Grünen erfuhren aus der Presse von diesen heimlichen "Koalitionsverhandlungen" für die Bundestagswahlen 1990, bei denen die Grünen aus dem Bundestag flogen. [...]
Die Grünen wußten längst, daß sie niemals an die Regierung kommen würden, wenn sie nicht den Kapitalismus und die NATO akzeptierten. Dazu war auf allen Fronten ein bißchen Unterwerfung nötig. Konservative Beobachter wie der Publizist und ehemalige hessische Staatssekretär Alexander Gauland (CDU) betrachteten schon in den frühen Neunzigern Fischer als "das grüne Idealbeispiel" einer "Politikerklasse", deren "bloße Darstellungsorientiertheit [...] in reinem Opportunismus" ende, "Überzeugungen im klassischen Sinn" könne er bei Fischer "nicht mehr ausmachen". Als Fischer sich mit seinem Buch Die Linke nach dem Sozialismus 1992 auch öffentlich von der Linken verabschiedete – die gesamte "Dritte Welt" handelt Fischer darin mit ein paar Seiten ab –, fragte Rezensent Gauland: "Was sollen wir eigentlich von der Urteilsfähigkeit eines Politikers" halten, "der dem verdutzten Publikum nunmehr die Positionen des politischen Gegners" – also die der CDU – "als neueste Einsichten anpreist"?
Fischers langer Marsch ins Außenministerium ähnelte dem zielstrebigen Torkeln eines Matrosen, der soeben seine Heuer versoffen hat, aber trotzdem, koste es was es wolle, in die nächste Kneipe unterwegs ist. Früh übte er sich im taktischen Umgang mit Menschenrechten, an Vorbildern herrschte ja kein Mangel. [...]
1994 war Fischer – so wie der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) – noch gegen den Einsatz von deutschen Kampftruppen in Jugoslawien, wo die deutsche Wehrmacht ganze Dörfer ausgelöscht hatte: "Ich bin der festen Überzeugung, daß deutsche Soldaten dort, wo im Zweiten Weltkrieg die Hitler-Soldateska gewütet hat, den Konflikt anheizen und nicht deeskalieren würden." Und im selben Gespräch betonte er: "Wo deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg gewütet haben, darf es keine Einsätze geben." Als plane er da aber schon seine Kehrtwende von morgen, formulierte Fischer: "Für die Zukunft sehe ich die erhebliche Gefahr, daß die Bundesregierung, Koalition und Generalität nach den Gesetzen der Salamitaktik Anlässe suchen und Anlässe schaffen werden, um die Barrieren abzuräumen, die es gegenüber der Außenpolitik des vereinigten Deutschland noch gibt. Als Vehikel dienen dabei die Menschenrechts- und Humanitätsfragen." [Hervorhebung J. D.] Er beschrieb damit exakt die Methode, mit der er vier Jahre später den ersten Krieg der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 entfesseln würde. [...]
Daniel Cohn-Bendit und Joseph Fischer inszenierten 1994 und 1995 eine Reihe von öffentlichen Streitgesprächen miteinander, theatralische Schaukämpfe mit dem Ziel, die grüne Basis allmählich kriegsbereit zu machen und die Partei rechtzeitig zu den Bundestagswahlen 1998 in eine regierungsfähige Partei zu verwandeln. Cohn-Bendit spielte in dieser Inszenierung, was er ist: den opportunistischen Kriegshetzer. Fischer spielte, was er nicht ist: den von moralischen Zweifeln gequälten Antimilitaristen, der die ganze Last der deutschen Geschichte auf seinen Schultern trug. Es muß jene Phase gewesen sein, als Repräsentanten der USA ihn besser kennenlernten. Ein Sprecher des Foreign Relations Committee sagte 1998 rückblickend: "Als Fischer vor zwei Jahren hier war, kam er bei einer Begegnung mit Abgeordneten des außenpolitischen Ausschusses sehr gut an". [...]
Einen emotionalen Anlaß, den Fischer für das Vorspiel für den letzten Akt seiner NATO-Unterwerfung benötigte, lieferten ihm bosnische Serben, die im Juli 1995 die von den UN schlecht verteidigten bosnischen Schutzzonen Srebrenica und Zepa überrannten […] [Wir haben die hier von Jutta Ditfurth verwendeten Opferzahlen nicht genannt, weil diese sehr umstritten sind. – Red.].
Fischer schrieb in einem Offenen Brief an seine Partei: "Läuft die deutsche Linke jetzt nicht massiv Gefahr, ihre moralische Seele zu verlieren, wenn sie sich, egal mit welchen argumentativen Ausflüchten, vor diesem neuen Faschismus und seiner Politik der Gewalt wegduckt?" [Hervorhebung J. D.] Hier begann die NS-Relativierung schon. Aber die seelenvolle grüne Klientel zeigte sich damals noch nicht gänzlich kriegsbereit. Kritischen BeobachterInnen fiel auf, daß Fischers ,,moralische Seele" stumm blieb, als bald darauf Hunderttausende Serben aus der kroatischen Krajina und aus Sarajevo (Bosnien-Herzegowina) verjagt wurden.
Arno Luik von der taz fragte die grüne Bundestagsabgeordnete Kerstin Müller, eine ehemalige Trotzkistin, sarkastisch: "Frau Müller, Gratulation! Ihre Partei ist bald regierungsfähig. Die schnelle Eingreiftruppe um Schoppe, Fischer, Cohn-Bendit und Antje Vollmer ist bereit zum Äußersten: militärische Aktionen." Die erwiderte: ,,Das wird von einer kleinen Minderheit in der Partei vertreten. Bloß weil Herr Fischer nun ein Papier vorgelegt hat, gibt es für die Grünen keinen Grund, in der Bosnien-Frage eine andere Position zu vertreten als vor einem Monat. Ich bin auch heute noch gegen eine Militärintervention in Bosnien. [...] Fischers Überlegungen haben nichts mit realen Optionen zu tun."
taz: "Vielleicht geht es ihm mit seinem Papier um etwas ganz anderes. Es ist das Bewerbungsschreiben fürs Amt des Außenministers."
Kerstin Müller: "Das ist sehr böse, was Sie da sagen, aber ..."
taz: "...so sieht es etwa die FAZ und lobt Fischers staatsmännischen Realitätssinn: 'Wer Außenminister werden will, der muß auch Gewalt als politische Option anerkennen.'"
Müller: "Wenn das die Voraussetzung ist für eine Regierungsbeteiligung, nein danke, dann ist das für die Bündnisgrünen verheerend."
So wie Kerstin Müller argumentierten Mitte der neunziger Jahre Legionen von grünen Funktionären. Drei Jahre später stimmte sie für den Krieg, zog wieder in den Bundestag ein und wurde Staatsministerin. [...]
Nach der Bundestagswahl vom 27. September 1998 durften die Grünen endlich mitregieren, an der Macht waren sie nicht, und das winzige Machthebelchen gegen den Krieg, das sich ihnen bot, verschmähten sie, weil sie sonst die schönen Ämter und Posten samt hoher Staatspensionen sofort wieder losgeworden wären.
Schröder mochte "Koch" und Fischer "Kellner" sein und die interne Hierarchie zwischen den beiden damit geklärt, aber, um in Schröders törichtem und millionenfach recyceltem Bild zu bleiben, weder der Koch noch der Kellner waren Eigentümer der Kneipe.
Deutsche JournalistInnen sorgten sich, ob Washington einen Ex-Revoluzzer als Außenminister akzeptieren würde. US-Medien machten sich über die deutschen Zweifel lustig. Man hatte Fischer doch längst durchleuchtet. Eine Sprecherin des State Department erklärte: "'Aber die Grünen sind für uns keine unbekannte Größe, und Fischer [ist] keine Überraschung.' [...], erklärt ein Sprecher des Foreign Relations Committee." So die tageszeitung.
Näher an der rauhen politischen Wirklichkeit war die New York Times, als sie Joschka Fischer mit folgendem Beitrag begrüßte, als der am 9. Oktober 1998 in den USA seinem Flugzeug entstieg: "Mr. Fischer, 50, hat bereits gesagt, daß Kontinuität in der rot-grünen Außenpolitik eine zentrale Angelegenheit sein wird. Seine anhaltende Geringschätzung von Krawatten wird durch seinen wachsenden Respekt für die NATO ausgeglichen. 'Keine Abenteuer' ist seine Maxime." Der künftige Außenminister habe zwar Vorbehalte gegen einen Angriff auf Jugoslawien, aber "die Geschichte von Mr. Fischers Leben – sowie der Machthunger der Grünen 20 Jahre nach ihrer Gründung –, legen nahe, daß er für einen Kompromiß empfänglich sein wird. [...] Aber selbst die vielen amerikanischen Regierungsvertreter, die davon überzeugt sind, daß Mr. Fischer am Ende das Kosovo- und andere Vorhaben unterstützen wird, sind besorgt wegen seiner Partei. 'Kann er die Grünen liefern?' sagte ein Regierungsvertreter. 'Das ist es, was wir wissen müssen.'" – Yes, he could!
Genau hier hätte ein echter Zipfel Gegenmacht gelegen: Eine grüne Partei, die Nein zum Krieg sagt, eine grüne Bundestagsfraktion, die Nein zum Krieg sagt – sie hätten in dieser konkreten Situation tatsächlich Einfluß gehabt, den angekündigten Krieg wenigstens stören und vielleicht Menschen das Leben retten können. Der geringe Preis wäre das Scheitern der Regierung von SPD und Grünen und der Verzicht auf Staatsgehälter und -pensionen gewesen.
Jutta Ditfurth: Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: DIE GRÜNEN. Rotbuch Verlag (www.rotbuch.de) Februar 2011; 14,95 Euro; ISBN 978-3-86789-125-7.