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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kein Geld für SS-Mörder!

Ulla Jelpke, MdB für DIE LINKE

LINKE fordert Untersuchung der »Kriegsopferleistungen«

Während viele NS-Opfer jahrzehntelang um bescheidene Entschädigungszahlungen kämpfen mussten, hat die BRD die ehemaligen Nazi-Täter von Anfang an großzügig versorgt. Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) garantiert selbst ehemaligen KZ-Wächtern sogenannte »Kriegsopferleistungen« in dreistelliger Höhe. Ein Antrag der LINKEN im Bundestag hat diese Praxis nun – erneut – aufgegriffen und führte am 25. Januar zu einer Anhörung im Sozialausschuss. Inhaltlich teilten praktisch alle Experten die Kritik der Linksfraktion.

Eine schroffe Ablehnung des LINKEN-Antrages dürfte den Regierungsparteien schwerfallen – orientiert er sich doch weitgehend an einer Resolution des belgischen Parlamentes, die dort vor knapp zwei Jahren mit einer 80-Prozent-Mehrheit verabschiedet wurde. Von Deutschland werden nämlich auch Kollaborateure versorgt, in diesem Fall also Belgier, die sich freiwillig in Waffen-SS oder Polizeiverbänden den Nazis angeschlossen hatten. Voraussetzung dafür ist, dass sie kriegs- oder gefangenschaftsbedingt bleibende Gesundheitsschäden erlitten haben. In der Entschließung hielt das belgische Parlament fest, »dass der Bezug von Renten für die Kollaboration mit einem der mörderischsten Regime der Geschichte im Widerspruch zur Erinnerungsarbeit und zum Friedensprojekt der europäischen Einigung steht und den guten bilateralen Beziehungen zwischen Belgien und der Bundesrepublik Deutschland abträglich ist.« Gefordert werden ein Ende der Zahlungen und die Einrichtung einer bilateralen wissenschaftlichen Kommission.

Die LINKE hatte dieses Thema in der Vergangenheit schon mehrfach angesprochen. Die Bundesregierung verwies stets darauf, dass erstens die Länder zuständig seien, und zweitens sei 1998 eine »Unwürdigkeitsklausel« in das Gesetz aufgenommen worden, um Personen, die »gegen Grundsätze der Menschlichkeit« verstoßen haben, die Leistungen zu entziehen. Vom Abgleich der Daten des Simon-Wiesenthal-Centers (SWC), der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg und dem Bundesarchiv versprachen sich Experten, einigen Zehntausend Leistungsempfängern die Gelder entziehen zu können. Doch weit gefehlt: Als die Linksfraktion im Jahr 2011 nachfragte, teilte die Bundesregierung mit, dass es gerade einmal 99 Leistungsentzüge gegeben hatte. Von rund einer Million Empfängern (Stand 1998) also 0,1 Promille der Gesamtempfänger. Will jemand allen Ernstes behaupten, nur einer von Zehntausend SS-, Wehrmachts- und Polizeiangehörigen habe Verbrechen begangen? Im Jahr 2016 griff ein Forschungsbericht die wesentlichen Ursachen für das Scheitern dieser Überprüfung auf. Die Autoren, darunter Stefan Klemp, der jetzt auch als Sachverständiger in der Anhörung war, arbeiteten damals beim Simon-Wiesenthal-Center. Der Befund ist schockierend: Selbst früheren KZ-Aufsehern wurden die Leistungen weiterhin gewährt.

Durch die Maschen geschlüpft

Ausschlaggebend dafür waren mehrere Faktoren, der wichtigste: Es fehlte den Regierungen von Bund und Ländern schlicht und einfach am politischen Willen. So wurde nicht einmal die Zentralkartei der Ludwigsburger Stelle, darin unter anderem Namen und Einheiten, digitalisiert – aus Kostengründen. Die Folge: Wenn die Versorgungsämter feststellten, dass einer der vom SWC übermittelten 70.000 Namen in ihren Unterlagen auftauchte, mussten sie umständliche Anfragen an Ludwigsburg übermitteln. Eine Digitalisierung hätte zumindest die Bereinigung von Namensgleichheiten (»Meier«) vereinfacht. Hinzu kommt der Umstand, dass man eigentlich Fachhistoriker gebraucht hätte, um einzuschätzen, welche deutschen Einheiten damals zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort eingesetzt waren und Verbrechen begangen haben. In der Anhörung schilderte ein Mitarbeiter des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) der zuständigen Behörde aus NRW: »Es ist ziemlich zeitaufwendig, es ist auch in der Regel nichts, was innerhalb von einer halben Stunde oder innerhalb eines Monats erledigt ist.« Und woher sollten Mitarbeiter eines Versorgungsamtes wissen, dass der beliebte Hinweis auf den »Befehlsnotstand« in aller Regel reine Legende war?

Kein Wunder, dass da extrem viele Nazi-Täter durch die Maschen schlüpften. Stefan Klemp zufolge hatte seine – ebenfalls nur stichprobenhaft mögliche – Recherche erbracht, dass weit über 1.000 vom SWC geführte Verbrecher tatsächlich Versorgungsleistungen erhielten. Im Forschungsbericht werden einige Fälle exemplarisch vorgestellt, darunter derjenige des eh. SS-Rottenführers Heinz K., der den Unterlagen der Zentralstelle zufolge in Auschwitz als »Posten- und Blockführer« eingesetzt war. Das Versorgungsamt machte sich die Recherchen denkbar einfach: Es führte ein Telefongespräch mit dem Beschuldigten, in dem dieser angab, er habe, sobald er Kenntnis von den Gräueln im KZ hatte, seine Versetzung beantragt, meist nur in der Küche Gefangene beim Kartoffelschälen beaufsichtigt und nur zeitweise Dienst »als Posten am Lagerzaun« getan. Er habe sich jedenfalls nichts zu Schulden kommen lassen. Versuche, die Selbstentlastung des Mannes zu überprüfen und Widersprüche mit den Ludwigsburger Angaben zu klären, wurden nicht unternommen. Vielleicht war dem Amt auch der Unterschied zwischen »Posten am Zaun« und »Posten- und Blockführer« nicht bewusst – letztere hatten praktisch vollkommene Machtfülle über die Häftlinge. Jedenfalls behielt der ehemalige Rottenführer seine Leistungen, ebenso wie andere KZ-Aufseher. Zu deren Entlastung wurden häufig Ermittlungsakten aus den 60er oder 70er Jahren herangezogen. Wenn die Strafverfahren gegen sie eingestellt wurden, was in der BRD bekanntlich die Regel war, galten sie auch dem Versorgungsamt als unbescholten. Dass im Sozialrecht bereits ein ethischer Schuldvorwurf ausreichend ist, wurde häufig außer Acht gelassen.

Folgenlos blieb auch das Demjanjuk-Urteil des Bundesgerichtshofes im Jahr 2008. Der frühere KZ-Aufseher wurde, ohne dass ihm die direkte Mitwirkung an einer konkreten Tat nachgewiesen wurde, wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Seither wurden mehrere Strafverfahren gegen andere KZ-Wächter eingeleitet, zuletzt sogar gegen eine damalige Sekretärin. Eine Neuüberprüfung der Versorgungsleistungen hat es hingegen nicht gegeben.

Mit Stand Dezember 2020 gab es nach Angaben der Bundesregierung noch rund 45.000 Leistungsempfänger. Die meisten leben in Deutschland, darunter 27.000 Hinterbliebene, meist Witwen. Im Ausland leben 1390 Empfänger. Längst nicht alle von ihnen sind »Kollaborateure«: Leistungsberechtigt sind auch Zivilisten, wenn sie durch Kriegseinwirkungen dauerhafte Gesundheitsschäden erlitten haben und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Bei ehemaligen Soldaten spielt die Staatsbürgerschaft keine Rolle.

Versuche, die Zahl der ehemaligen Kollaborateure zu ermitteln, sind in der Vergangenheit unterlassen worden: Die Akten müssten händisch ausgewertet werden, wofür die Zeit fehle, und an die Heranziehung anderer Akten (Ludwigsburg, Bundesarchiv) sei gar nicht zu denken. Belgischen Behörden, die nach einer Namensliste von BVG-Empfängern in Belgien fragten, wurde der Datenschutz entgegengehalten. Wie sich in der Anhörung herausstellte, war das häufig ein Scheinargument: Der Vertreter des LVR wies darauf hin, dass eine ausländische Finanzverwaltung nach EU-Recht durchaus einen Anspruch darauf habe, zu erfahren, welcher ihrer Bürger Bezüge aus dem Ausland in welcher Höhe bezieht, um sie ggf. steuerrechtlich zu veranschlagen.

Gegenüber der niederländischen Finanzverwaltung hat der LVR Anfang Januar mitgeteilt, dass dort noch vier ehemalige SS-Mitglieder Leistungen erhalten. In Belgien ist das letzte ehemalige Waffen-SS-Mitglied, das Leistungen bezog, im vergangenen Jahr gestorben, in Frankreich erhält noch ein Ex-SS-Mann Leistungen. Ob diese Männer freiwillig zur Waffen-SS gegangen waren, geht aus den Versorgungsakten nicht hervor. Dafür müsste man andere Akten auswerten, wofür aber – siehe oben – keine Ressourcen bereitgestellt werden.

Die Höhe der Zahlungen beträgt bei Empfängern im Ausland im Durchschnitt 342 Euro, bei Empfängern im Inland 502 Euro. Monatlich, und die ersten Zahlungen gab es 1950. Bedenkt man, dass ehemalige Zwangsarbeiter mit vergleichsweise bescheidenen Einmalzahlungen abgespeist wurden, wird deutlich, wie unterschiedlich Opfer und (Mit-)Täter behandelt werden.

Skandalös ist heute nicht mehr die Zahl ehemaliger SS-Männer, die Gelder erhalten. Sondern: Dass sie bei Beschlussfassung des Gesetzes nicht von vornherein ausgeschlossen wurden. Skandalös ist auch die Schlampigkeit bei der Umsetzung der »Unwürdigkeitsklausel« von 1998, oder besser gesagt: der fehlende Wille der Behörden, diese Umsetzung angemessen mit Personal und Finanzen vorzunehmen. Von daher wäre es das Mindeste, all diese Vorgänge jetzt wenigstens historisch aufzuarbeiten: Welche Kriegsverbrecher haben Gelder erhalten, wie haben sich die Ämter dazu verhalten, an welchen Stellen haben sie weggesehen, und welche Motive steckten dahinter? Die Zeit drängt: ein Teil der Akten ist bereits vernichtet, andere Teile gelten als nicht »archivwürdig«. Die nächste Forderung lautet daher, die Behörden vom Aktenschreddern abzuhalten.