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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kampf gegen Rassismus auf allen Ebenen

Ulla Jelpke, Berlin

 

Vor 50 Jahren, am 20. November 1963, beschlossen die Vereinten Nationen die "Resolution zur Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung". Die Resolution fordert, alle der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte deklarierten Rechte unabhängig von "Rasse", Hautfarbe und ethnischer Herkunft zu gewähren. Apartheid und jede Form von öffentlicher Rassendiskriminierung sollen abgeschafft werden. Als Ziele werden Verständnis, Toleranz und Freundschaft aller Nationen und "Rassengruppen" genannt. Zwei Jahre später folgte das "Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung" (ICERD), das 1969 in Kraft trat. Ihm sind bislang 175 Staaten beigetreten. Im Sprachgebrauch fortschrittlicher Gruppierungen hat sich die Bezeichnung "UN-Antirassismuskonvention" etabliert, da die deutsche Übersetzung von "racial discrimination" als "Rassendiskriminierung" nahelegt, es existierten tatsächlich unterschiedliche Rassen.

Das ICERD ist für die unterzeichnenden Staaten weit verbindlicher als die Resolution von 1963. Es schafft einen "UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung", bestehend aus 18 durch die Vertragsstaaten gewählten unabhängigen Experten, der die Berichte zur Umsetzung des ICERD, welche jeder Vertragsstaat alle zwei Jahre vorlegen muss, bewertet. Der UN-Ausschuss setzt auch eine Vergleichskommission ein, die Beschwerden eines Staates gegen einen anderen verhandelt. Von rassistischer Diskriminierung betroffene Einzelpersonen bzw. deren Vertreter können sich ebenfalls mit einem Beschwerdeverfahren an den Ausschuss wenden. Die Bundesrepublik hat erst 2001 erklärt, sich auch diesem Individualbeschwerdeverfahren zu unterwerfen.

UN-Ausschuss rügt Bundesrepublik

Bislang gab es allerdings erst eine spektakuläre Individualbeschwerde. Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg hatte sich an den Ausschuss gewandt, weil die rassistischen Äußerungen Thilo Sarrazins (SPD) von 2009, mit denen er Türken und Arabern eine verminderte Intelligenz bescheinigt hatte, in Deutschland nicht durch die Staatsanwaltschaft zur Anklage gebracht wurde. Das Verfahren endete im Februar 2013 mit einer Rüge für die Bundesrepublik. Die Äußerungen Sarrazins als Meinungsäußerung durchgehen zu lassen und nicht zu verfolgen, sei ein Verstoß gegen die UN-Antirassismuskonvention. Die Bundesregierung wurde zur Stellungnahme aufgefordert - das Maximum an "Sanktionen", die der Ausschuss verhängen kann.

Die Bundesregierung kündigte in ihrer Stellungnahme daraufhin an, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu prüfen. Die Berliner Staatsanwaltschaft blieb allerdings im Juli 2013 nach erneuter Prüfung dabei, das Verfahren gegen Sarrazin eingestellt zu lassen. Aus den vom Bundesjustizministerium angekündigten Plänen, die deutsche Gesetzgebung zur Strafbarkeit rassistischer Äußerungen zu überprüfen, ist ebenfalls nichts gefolgt.

Fehlende Strafbarkeit rassistischer Äußerungen in Deutschland

Bislang liegen allerdings nicht einmal verlässliche Zahlen zu rassistisch motivierten Straftaten in Deutschland vor. Erfasst werden in den einschlägigen Datenbanken nur politisch motivierte Straftaten, denen eine rechtsextremistische Gesinnung zugrunde liegt. Die kann sich aber auch gegen Schwule, Linke, Muslime oder Juden richten - und umgekehrt muss nicht jede rassistische Tat zugleich rechtsextrem motiviert sein. Erst wenn rassistische Taten getrennt erfasst werden und die Opfer selbst eine entsprechende Zuordnung vornehmen können, kann es eine einigermaßen verlässliche Statistik zu rassistisch motivierten Straftaten und Gewaltdelikten geben.

Noch wichtiger wäre, endlich rassistische Motive verbindlich als strafverschärfend zu werten - die Möglichkeit gibt es, aber Richter und Staatsanwälte machen davon zu selten Gebrauch. Die UN-Antirassismuskonvention fordert außerdem, die Aufstachelung zu Rassismus wirksam unter Strafe zu stellen - auch hier ist in Deutschland noch nichts geschehen, wie im Fall Sarrazin zu sehen war.

Racial profiling

Unter racial profiling, zu Deutsch etwa "rassistische Profilbildung", versteht man einer gängigen Definition zufolge die besondere Berücksichtigung von Merkmalen wie Hautfarbe und (mutmaßliche) Herkunft für polizeiliche Maßnahmen, ohne dass dafür ein objektiver Grund vorliegt. Das ist Alltag auf vielen Zugstrecken: Menschen werden aufgrund ihrer äußeren Erscheinungsmerkmale kontrolliert, um "illegale Migration" zu bekämpfen. 1998 hatte die Koalition von CDU/CSU und FDP eine Befugnis für anlasslose bzw. verdachtsunabhängige Kontrollen in das damalige Bundesgrenzschutzgesetz (heute Bundespolizeigesetz) eingefügt. Die "Verhinderung illegaler Einreisen" und die "Bekämpfung der Schleusungskriminalität" ist ausdrücklich der Zweck dieser Befugnis. Beamte der Bundespolizei führen auf dieser Grundlage ohne konkreten Verdacht Personen- und Gepäckkontrollen an Flughäfen, in Grenznähe und in Zügen und Bahnhöfen durch. Die Bundesregierung hat dazu in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE erklärt: Das äußere Erscheinungsbild müsse für die Entscheidung, wer kontrolliert wird, herangezogen werden, alles andere sei "nicht sachgerecht". Ein Verbot, sich bei Kontrollmaßnahmen auf das äußere Erscheinungsbild zu stützen, führe unter Umständen dazu, dass "notwendige Maßnahmen unterlassen werden müssten". Mit anderen Worten: Die Beamten können nur dann Menschen ohne gültige Einreisegenehmigungen und Aufenthaltspapiere entdecken, wenn sie sich ihre Hautfarbe angucken. Solche polizeilichen Methoden sind ganz klar rassistisch. Kritiker dieses racial profiling weisen zudem auf die gesellschaftspolitischen Folgen hin. Wenn regelmäßig "ausländisch" aussehende Menschen von der Polizei angehalten und kontrolliert werden, stärkt das rassistische Vorurteile in der Mehrheitsbevölkerung. Nach dem Motto: Wer kontrolliert wird, wird schon irgendwie Dreck am Stecken haben.

Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus ohne Effekt

Bei der Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 in Durban verpflichtete sich die Bundesregierung zur Vorlage eines Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus. Erst 2007 wurde er tatsächlich vorgelegt. Der Aktionsplan enthält keinerlei Analyse des herrschenden Rassismus, blendet bestimmte Opfergruppen von Rassismus (Menschen ohne Papiere) komplett aus und fasst im Maßnahmenteil u.a. Präventionsprojekte zusammen, die im Kern auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus zielen. Der Aktionsplan listet zudem Maßnahmen zur Integration von Ausländern auf - Maßnahmen, die für sich genommen sinnvoll sind, hier aber als Strategien gegen Rassismus verkauft werden. Damit bedient die Bundesregierung die Logik, dass Ausländer, die zum Beispiel schlecht Deutsch können, erst rassistische Ressentiments "provozieren". Letztlich wird damit unterstellt, dass Ausländer am Rassismus, dem sie zum Opfer fallen, selbst schuld sind.

Diskriminierung aufgrund der Herkunft: Umgang mit Asylbewerbern und Geduldeten

Entgegen der Festlegungen der UN-Antirassismuskonvention werden Asylsuchende ebenso wie Geduldete in vielfacher Hinsicht in Deutschland diskriminiert. Das beginnt mit dem Zugang zum Asylverfahren. Regelmäßig wird rund ein Drittel der Asylanträge nicht inhaltlich geprüft, weil zuerst die Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaates nach der Dublin-Verordnung festgestellt wird. Die Verordnung besagt, dass Asylsuchende nur im Ersteinreisestaat in die EU ein Recht auf ein Asylverfahren haben. An den Landgrenzen können sie schon zurückgewiesen werden, wenn nur der Verdacht besteht, dass sie sich zuvor in einem "Sicheren Drittstaat" aufgehalten haben - von denen ist Deutschland ja bekanntlich umgeben. Mit der Einführung von "Zurückweisungshaft" wurde 2007 erstmals die Inhaftierung Asylsuchender in Deutschland legalisiert.

Asylsuchende, die gemäß der Dublin-Verordnung in einen anderen Staat zurückgeschoben werden sollen, können gegen die Abschiebung keinen Eilrechtsschutz erlangen - selbst wenn sie gegen die Überstellung klagen, werden sie abgeschoben. Diese Aushebelung des Rechtsschutzes gibt es sonst nirgendwo im Verwaltungsrecht, von ihr sind allein Asylsuchende betroffen.

Auch im Rahmen der Abschiebungshaft gibt es Regelungen, die einzig Ausländer betreffen und ihre Rechte massiv beschneiden. Während jeder andere Mensch in Deutschland allenfalls von der Polizei festgenommen werden darf, können seit 2007 Ausländer, die abgeschoben werden sollen, auch von der Ausländerbehörde in Gewahrsam genommen werden bzw. der Polizei zugeführt werden. Der Abschiebungshaft liegt keine Straftat zugrunde, sie soll lediglich der Durchführung einer Verwaltungsmaßnahme (also der "zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht") dienen. Wenn ein Abschiebe-Haftantrag vom Richter abgelehnt wird, gibt es, anders als im sonstigen Recht, für die Dauer des Polizeigewahrsams auch keine Entschädigung (etwa für Verdienstausfall usw.).

Durch das Asylbewerberleistungsgesetz werden Leistungen für Asylsuchende im Vergleich zur regulären Sozialhilfe eingeschränkt und teilweise nur als Sachleistungen erbracht. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht im Juli 2012 geurteilt, dass die Menschenwürde aus migrationspolitischen Gründen nicht relativierbar sei, Leistungen also nicht im Sinne einer möglichen Abschreckung weiterer Asylsuchender abgesenkt werden dürfen. Seitdem erhalten Asylsuchende endlich mehr Taschengeld für ihre persönlichen Bedürfnisse. Aber die Unterbringung in Massenunterkünften und vor allem die Beschränkung der Gesundheitsversorgung auf die Behandlung akuter Schmerzzustände und lebensbedrohlicher Erkrankungen sowie Schwangerschaft und Geburt ist ein klarer Verstoß gegen die UN-Antirassismuskonvention. Gleiches gilt für die Residenzpflicht, nach der Asylbewerber und Geduldete den Bezirk ihrer Ausländerbehörde bzw. ihr Bundesland nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen dürfen.

Gegen diese inhumanen Zustände haben die Flüchtlinge selbst eine starke und offensive Bewegung gebildet, die mit Märschen und Protestcamps immer wieder für Aufmerksamkeit sorgt. Ihre Hunger- und Durststreiks, zuletzt im Oktober vor dem Brandenburger Tor in Berlin, haben der Öffentlichkeit verdeutlicht, wie verzweifelt ihre Lage ist. Die Torturen ihrer Flucht finden in Deutschland nicht das ersehnte Ende. Stattdessen erwartet sie die systematische Ausgrenzung aus der Gesellschaft, die Beschneidung ihrer sozialen Rechte, ein quälend langes, bürokratisches und von behördlichem Misstrauen geprägtes Asylverfahren. Und nicht zuletzt sind sie mit dem Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft konfrontiert, der sich in offener Ablehnung, Kampagnen gegen die Errichtung von Asylbewerberheimen, Pöbeleien und tätlichen Angriffen zeigt.

Fazit: Es bleibt einiges zu tun, wenn die Bundesrepublik den Anforderungen der UN-Antirassismuskonvention genügen will. Diskriminierungen im Asyl- und Ausländerrecht müssen beseitigt und den Strafverfolgungsbehörden klare Aufträge zur Bekämpfung von rassistischer Hetze und Gewalt erteilt werden. Schließlich müssen Gesetze auch darauf geprüft werden, ob sie im Ergebnis rassistisch wirken, wie es mit den anlasslosen Polizeikontrollen der Fall ist. Das wären erste Schritte auf dem Weg zu einer Gesellschaft frei von Rassismus, wie sie das Ziel der UN-Antirassismuskonvention ist.

 

Mehr von Ulla Jelpke in den »Mitteilungen«: 

2012-03: Geist der Fremdenpolizei

2011-08: Abschiebehaft macht krank

2011-04: Abwehr statt Integration