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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Internationalismus und Solidarität müssen Alltag werden! - Zur Berliner Flüchtlingsunterkunft Motardstraße

Carsten Schulz, Ellen Brombacher, Berlin

 

Am 26. April 2007 fand eine von den Linkspartei.PDS-Bezirksverbänden Spandau und Tempelhof-Schöneberg organisierte Veranstaltung "Solidarität mit den Flüchtlingen in der Motardstraße" statt. 35 Genossinnen und Genossen der Partei und aus Flüchtlingsinitiativen hatten sich in der Roten Insel, der Geschäftsstelle der Linkspartei.PDS Tempelhof-Schöneberg versammelt. Zur Vorgeschichte: Anfang dieses Jahres fand im Berliner Flüchtlingsrat eine Diskussion über die Flüchtlingsunterkunft in der Motardstraße statt. Dabei entstand die Überlegung, einen Antrag an den Landesparteitag der Linkspartei.PDS zu stellen: gerichtet sowohl auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der dort untergebrachten Flüchtlinge als auch auf die Verhinderung des Entstehens eines Abschiebezentrums in der Motardstraße.

Zugleich wurde der Vorschlag unterbreitet, daß Delegierte im Vorfeld des Linkspartei-Landesparteitages die Motardstraße besichtigen sollten. Dieser Vorschlag wurde von der Chipkarteninitiative aufgegriffen. Am 26. Februar 2007 besuchten sieben Parteitagsdelegierte die Unterkunft. Die Eindrücke darüber sind im Informationsblatt der Linkspartei.PDS Tempelhof-Schöneberg "Die Lupe" geschildert.

Im Ergebnis dieses Besuchs übernahmen es die Spandauer Genossen, einen die Motardstraße betreffenden Dringlichkeitsantrag an den Landesparteitag zu stellen. Der Dringlichkeitsantrag lehnte sich an eine Erklärung an, die Mitglieder des Berliner Flüchtlingsrates nach einem fast zeitgleich stattgefundenen Besuch in der Motardstraße abgegeben hatten.

Am 11. März 2007 fand der Landesparteitag statt. VertreterInnen der Chipkarteninitiative verteilten am Eingang des Tagungsgebäudes Flugblätter, die Broschüre "Ausreisezentrum Motardstraße" lag vor, und sie hatten eine kleine Ausstellung von Fotografien über die Flüchtlingsunterkunft vorbereitet. Aus Zeitgründen wurde der Dringlichkeitsantrag der Spandauer nicht auf dem Parteitag behandelt, sondern an den Landesvorstand verwiesen.

Bereits am Dienstag, den 13. März 2007 wurde der Antrag vom Landesvorstand abgelehnt, ohne daß die Einreicher über dessen Behandlung informiert und eingeladen worden waren. In der Sofortinformation über die Vorstandssitzung fand sich dazu folgende Passage:

"Den Initiativantrag Nr. 7 zur Sammelunterkunft Motardstraße in Spandau hat der Landesvorstand bei einer Stimmenthaltung abgelehnt. Das Asylbewerberleistungsgesetz, das ein Bundesgesetz ist, verpflichtet den Berliner Senat, für Asylbewerber in den ersten sechs Monaten Sammelunterkünfte und Sachleistungen vorzuhalten. Es ist eine sachliche Debatte und Arbeit in der Sache erforderlich. Der Landesvorstand läßt sich zeitnah über die Ergebnisse des seit langem geplanten Besuchs der Senatorin für Integration, Arbeit und Verbraucherschutz in der Sammelunterkunft Motardstraße berichten und wird sich weiter mit dem Sachverhalt befassen".

Diese Darstellung klammerte die Grundfrage aus, nämlich die schleichende De-facto-Teilumwandlung der Motardstraße in ein Ausreisezentrum. Hierfür tragen nicht zuletzt Bezirksämter Verantwortung; besonders in der Kritik war das PDS-geleitete Amt in Marzahn Hellersdorf.

Am 5. April 2007 besuchte Heidi Knake-Werner die Motardstraße. In einer Sofortinformation über die Sitzung des Landesvorstandes am 17. April 2007 heißt es im Zusammenhang mit diesem Besuch unter anderem: "In der Debatte wurde klargestellt, daß es sich bei der Einrichtung in der Motardstraße nicht um ein Ausreisezentrum handelt. Was die Lebensbedingungen in dieser Aufnahmestelle für Asylbewerber/innen betrifft, stellten die Bewohner/innen klar, daß sich die Mitarbeiter/innen der AWO, die das Heim betreibt, engagiert bemühen, auf Beschwerden der Bewohner/innen einzugehen." Soweit aus der Vorstandssitzung, die sich mit den Ergebnissen des Besuchs der Senatorin befaßte.

Unsere Wahrnahme am 26. 2. war weniger glatt. Gerade deshalb war es wichtig, das Thema Motardstraße von einem beinahe vollständig auf die parlamentarischen und Koalitionsstrukturen reduzierten zum Gegenstand der Auseinandersetzung in der Partei zu machen. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Nur durch stärkeren Druck der Basis der Koalitionsparteien auf die Führungsetagen der Koalitionspartner wird sich für die Flüchtlinge mehr tun. Und hier geht es um mehr als um die Motardstraße.

Diesem Ziel diente auch die bereits erwähnte Veranstaltung vom 26. April in der Roten Insel. Zunächst informierte Georg Classen, Sozialexperte des Berliner Flüchtlingsrates über die Situation in der Motardstraße. Im Rahmen der Diskussion ergänzte ihn Jens-Uwe Thomas, Sprecher des Berliner Flüchtlingsrates, der ebenfalls Gast der Veranstaltung war. Wir konnten auch Ulla Jelpke, flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag begrüßen. Ulla informierte am Ende der Zusammenkunft über die zu erwartenden Grausamkeiten infolge der sogenannten Reform des Zuwanderungsgesetzes. Sie wird auf der nächsten Aktivberatung der Berliner KPF am 27. Juni, 18.30 Uhr im KL-Haus zu dieser Problematik referieren. Wenngleich die meisten der in der Roten Insel anwesenden Genossinnen und Genossen der Linkspartei.PDS nicht speziell mit Flüchtlingsfragen zu tun haben, folgten sie den gegebenen Informationen mit großer Aufmerksamkeit und beteiligten sich rege an der Diskussion. Besonders an Georg Classen wurden viele Fragen gestellt, die dieser mit beeindruckender Sachkompetenz beantwortete. In der Debatte spielten zwei Problem-Ebenen die entscheidende Rolle: zum einen das Problem, in welche Lage eine nach ihrem Selbstverständnis solidarisch und sozial agierende Partei gerät, wenn sie durch die Umsetzung der im Bund beschlossenen Flüchtlings- und Asylgesetzgebung teilweise das Gegenteil davon praktiziert.

Zum anderen wurde darüber beraten, was – da die Linkspartei.PDS nun einmal in der Berliner Koalition mitregiert – innerhalb der Partei getan werden muß, damit wenigstens in Berlin existierende Spielräume optimal ausgenutzt werden. Und darüber herrschte Einigkeit: zumindest in der Motardstraße kann davon nicht die Rede sein. Die Teilnehmer einigten sich darauf, ausgehend von nicht wenigen in der Diskussion geäußerten Vorschlägen diese in einem Aktionspapier zusammenzufassen und gemeinsam mit Vertretern des Flüchtlingsrates und der Chipkarteninitiative für die Umsetzung solcher praktischen Handlungsansätze zu wirken. Der Abend in der Roten Insel war nicht der Abschluß nach einem mißglückten Versuch, die Probleme der Motardstraße auf die Tagesordnung des Landesparteitages vom 11. März 2007 zu setzen, sondern der Anfang, gemeinsam mit Bündnispartnern flüchtlingspolitisch aktiver zu werden.

Ausgehend hiervon wurden am 7. Mai unter Teilnahme von Vertretern des Flüchtlingsrates, der Chipkarteninitiative, sowie der Linkspartei.PDS Bezirksverbände Marzahn-Hellersdorf, Tempelhof-Schöneberg sowie Spandau weitere gemeinsame Schritte zur Veränderung der Situation in der Motardstraße beraten und über erste bereits vollzogene informiert. Aus den Ausführungen des stellvertretenden Bezirksvorsitzenden der Linkspartei.PDS Hellersdorf Marzahn Norbert Seichter wurde deutlich, daß die Bezirksbürgermeisterin Genossin Dagmar Pohle Schritte in die notwendige Richtung eingeleitet hat. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf würde ab sofort keine Flüchtlinge mehr in das Wohnheim in der Spandauer Motardstraße schicken, so sagte er. Auch für die 56 vom Bezirk dorthin abgeschobenen Bewohner gäbe es jetzt eine Einzelfallprüfung, ob sie in eine Wohnung ziehen dürften. Auf der Zusammenkunft am 7. Mai wurde zugleich darüber diskutiert, daß sich die Linkspartei.PDS nunmehr in Pankow und Mitte gegen das Sachleistungsprinzip stark machen müsse. In beiden Bezirken stellt nicht unsere Partei die Sozialstadträte, aber die Einweisung in die Motardstraße sind ebenfalls hoch. In Treptow-Köpenick, von wo 17 Flüchtlinge dorthin abgeschoben wurden, gibt es eine Linkspartei-Sozialstadträtin. Auch hier muß der Druck aus der eigenen Partei wachsen.

Und noch etwas: In der TAZ vom 9. Mai 2007 wird in großer Bescheidenheit darauf verwiesen, eine TAZ-Veröffentlichung vom 18. April sei der faktische Auslöser der richtigen Schritte Dagmar Pohles in punkto Motardstraße gewesen. Es kann schon sein, daß auch dieser Artikel eine Rolle spielte. Die Auseinandersetzungen in der Linkspartei begannen Wochen zuvor. Es dürfte nicht übertrieben sein einzuschätzen, daß es ausschlaggebend war, daß Genossinnen und Genossen innerhalb der Linkspartei sich – gemeinsam mit Bündnispartnern – in praktischer Solidarität übten. Internationalismus beginnt im Alltag und vor der eigenen Haustür.

Die Autoren Carsten Schulz, Bezirksvorsitzender der Linkspartei.PDS Tempelhof Schöneberg, und Ellen Brombacher, Mitglied des Berliner Flüchtlingsrates, sind beide Mitglieder des KPF-Landessprecherrates Berlin.

 

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