Internationaler Militärgerichtshof für den Fernen Osten
Rolf Berthold, Berlin
Im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag der Kapitulation Japans im II. Weltkrieg am 2. September 2015 [1] wurde auch dem asiatischen Schauplatz des II. Weltkrieges größere Aufmerksamkeit gewidmet. Allein China hatte 35 Millionen Opfer zu beklagen. Am 1. Januar 1942 schlossen sich 26 gegen die Achsenmächte kämpfende Staaten zu den »United Nations« zusammen, zu denen auch asiatische Staaten gehörten. Aus dieser Organisation entstand nach Ende der II. Weltkrieges die UNO. Am 20. Oktober 1943 wurde in London auf einer Beratung von 17 Staaten der United Nations eine Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen gebildet, die von den faschistischen Staaten Deutschland und Japan gegen die Vereinten Nationen begangen wurden, es wurden Beweise gesichert und eine Liste von Kriegsverbrechern angelegt. Am 30. Oktober 1943 wurde in Moskau von den Außenministern der Sowjetunion, der USA und Großbritanniens im Namen von 32 alliierten Staaten das Manifest über die strenge Bestrafung von Kriegsverbrechern veröffentlicht. Am 1. Dezember 1943 wurde im Kairoer Manifest der USA, Chinas (Republik China unter Tschiang Kaischek) und Großbritanniens erklärt, dass ein Ziel des Krieges in der Beendigung der japanischen Aggression besteht. In der Potsdamer Erklärung der USA, Großbritanniens und Chinas vom 26. Juli 1945 wird die unverzügliche bedingungslose Kapitulation Japans gefordert, niemand habe die Absicht, die japanische Nation zu versklaven oder ihren Staat zu vernichten, aber Kriegsverbrecher müssten nach dem Gesetz bestraft werden.
Nach der Kapitulation Japans mit der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde bildeten die Alliierten den internationalen Militärgerichtshof für den Fernen Osten, um die japanischen Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Die Verhandlungen dauerten vom 19. Januar 1946 bis zum 12. November 1948 und fanden in Tokio statt.
Außer dem Tokioter Prozess gegen die Kriegsverbrecher der Kategorie 1 fanden noch weitere Prozesse gegen japanische Kriegsverbrecher statt, so der Kriegsverbrecherprozess von Guam (1945-1949, Prozess wegen Kriegsverbrechen während des Pazifikkrieges), der Kriegsverbrecherprozess von Yokohama (1946-1949, wegen Kriegsverbrechen während des Pazifikkrieges), der Kriegsverbrecherprozess von Chabarowsk (1949, Verhandlungen gegen Mitglieder der japanischen Kuantung-Armee), Prozesse vor 49 Militärgerichten in Nanjing, Hongkong und Singapur gegen japanische Kriegsverbrecher der Kategorien 2 und 3, allein vom 16. Dezember 1945 bis 1. Mai 1946 hatte die Regierung der Republik China in insgesamt 10 Städten, darunter Beiping (Beijing), Shenyang, Nanjing, Shanghai und Taibei Militärgerichte gegründet, die gegen japanische Kriegsverbrecher prozessierten. 1956 fand ein Prozess in Shenyang statt. Es war der erste von China unabhängig geführte Prozess gegen japanische Kriegsverbrecher. In dem Prozess waren 28 Personen angeklagt, darunter 8 von der Sowjetunion an China ausgelieferte Kriegsverbrecher, wie der Generalleutnant Suzuki Keiku.
Tokioter Prozess
Der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten setzte sich aus 11 Richtern aus 11 Ländern zusammen. Dies waren China, die USA, Großbritannien, Frankreich, die Sowjetunion, Kanada, Holland, Australien, Neuseeland, Indien und die Philippinen. Am 29. April 1946 wurde Anklage erhoben. Auf der Anklagebank saßen drei ehemalige Ministerpräsidenten, zwei ehemalige Generalstabschefs, mehrere Minister, Generale und Inhaber höchster Ämter in der japanischen Regierung und dem japanischen Militär, alles Kriegsverbrecher der Kategorie 1. Die Hauptanklagepunkte waren: Verbrechen gegen den Frieden, das Führen eines Angriffskrieges, das Führen eines unprovozierten Krieges, Vernachlässigung der Pflicht, Gräueltaten zu vermeiden.
Sieben der 25 Angeklagten, darunter der ehemalige Ministerpräsident Hideki Tojo, wurden zum Tode, 16 zu lebenslänglicher Haft, einer zu 20-jähriger Haft und einer zu 7-jähriger Gefängnisstrafe verurteilt. Die Todesurteile wurden am 23. Dezember 1948 vollstreckt.
In den Prozessen gegen Kriegsverbrecher der Kategorie 2 und 3 wurden zwischen Oktober 1945 und April 1951 in 2.244 Verfahren insgesamt 5.700 Angehörige des japanischen Militärs angeklagt. Gegen 984 Angeklagte wurde die Todesstrafe verhängt und in 920 Fällen vollstreckt.
Eine besondere Rolle spielte in den Prozessen das Massaker von Nanjing, bei dem japanische Truppen Ende Dezember 1937/Anfang 1938 innerhalb von 6 Wochen 300.000 Zivilisten und Kriegsgefangene ermordeten und 20.000 Frauen vergewaltigten. Hinzu kamen unvorstellbare Menschenversuche. Während des II. Weltkrieges führten etwa 20.000 japanische Ärzte Experimente an zahlreichen Menschen, vor allem chinesischen Zivilisten, aber auch philippinischen, indonesischen und vietnamesischen Zivilisten sowie amerikanischen, britischen und australischen Kriegsgefangenen durch. Entvölkerung ganzer Landstriche, der Einsatz biologischer und chemischer Kampfstoffe sowie die rücksichtslose Ausbeutung der okkupierten Länder, Terror gegen die Zivilbevölkerung und lokale Massaker gehörten zu den japanischen Verbrechen.
Am 8. September 1951 wurde von den USA und ihren Verbündeten, allerdings ohne die UdSSR und die VR China, der Friedensvertrag von San Francisco mit Japan unterzeichnet. Durch die Wiedererlangung der staatlichen Selbständigkeit Japans nach Inkrafttreten des Friedensvertrages ging 1952 die Zuständigkeit für den Strafvollzug aller auf japanischem Territorium inhaftierten Kriegsverbrecher auf die japanische Zivilverwaltung über. Bis 1958 wurden alle verbliebenen Verurteilten entlassen.
Verantwortung des Kaisers nicht benannt, keine Vertreter der Wirtschaft angeklagt
In einem Grundsatzartikel der Beijinger Renmin Ribao vom 21. August 2015 über die historische Bedeutung des Prozesses von Tokio wird auf zwei wesentliche Mängel hingewiesen: Die japanischen Kriegsverbrechen wurden nicht in ihrer Gesamtheit behandelt. Die Anwendung biologischer und chemischer Waffen, die Verbrechen der Einheit 731 [2], Zwangsprostitution, Zwangsarbeit usw. wurden nicht in erforderlichem Maße in die Untersuchungen und Urteilsfindung einbezogen. Es wurde in diesem Zusammenhang auch darauf verwiesen, dass keine Vertreter der Industrie und der Wirtschaft angeklagt waren. Auch ehemalige Kolonien Japans, wie Korea, waren bei den Richtern nicht vertreten, die japanische Kolonialpolitik war nicht Gegenstand der Anklage. Insgesamt stand der Pazifikkrieg stärker im Mittelpunkt des Prozesses als der Krieg auf dem asiatischen Festland.
Als Hauptproblem wurde in obigem Artikel hervorgehoben, dass die Verantwortung des japanischen Kaisers für den Krieg in dem Prozess nicht behandelt wurde. Der japanische Kaiser war der höchste Verantwortungsträger im japanischen System des Krieges. Ohne die Verantwortung des Kaisers zu benennen und zu beurteilen, kann die japanische Kriegsschuld nicht gründlich aufgedeckt werden. Damit steht auch die Tatsache im Zusammenhang, dass sich japanische Gerichte nie mit japanischen Kriegsverbrechen beschäftigten. In Japan wurden und werden die Kriegsverbrecher nicht als Straftäter im Sinne des innerstaatlichen Rechts betrachtet. Diese Handhabung der Kriegsverbrecherfrage hatte weitreichende Folgen. Alle inhaftierten Kriegsverbrecher erhielten nach Inkrafttreten des Friedensvertrages ihre von den Urteilen der Militärgerichte aberkannten bürgerlichen Ehrenrechte zurück. Bereits vor ihrer Entlassung konnten sie das aktive Wahlrecht ausüben und nach ihrer Entlassung unbeschränkt öffentliche Ämter ausüben. Ihre Pensionsansprüche wurden in voller Höhe unter vollständiger Anrechnung der Haftzeiten anerkannt. Der letzte japanische Kriegsverbrecher wurde am 29. Dezember 1958 aus der Haft in Japan entlassen. Heimlich wurden in die Namensrolle des Yasukuni-Schreines in Tokio im Oktober 1978 die im Tokio-Prozess zum Tode verurteilten Hauptkriegsverbrecher eingetragen und zu »Schutzgöttern der Nation« erklärt. Der Yasukuni-Schrein war 1869 als Heiligtum für die im Krieg und für den Kaiser Gefallenen errichtet worden. Zum Jahrestag der Kapitulation Japans wird er regelmäßig von Kabinettsmitgliedern und anderen japanischen Politikern zu einem »ehrenden Gedenken« aufgesucht. In den vom japanischen Kultusministerium bestätigten Geschichtsbüchern für die Schulen und Universitäten werden die Gräueltaten der japanischen Armee im II. Weltkrieg entweder verharmlost oder ganz verschwiegen.
Zu den gravierendsten japanischen Aktionen zur Geschichtsrevision gehört die 2015 vom Parlament beschlossene Verfassungsänderung, nach der die Festlegung, dass japanische bewaffnete Kräfte nur zur Verteidigung innerhalb des japanischen Territoriums agieren dürfen, gestrichen wurde. Der damit zugelassene Auslandseinsatz, d.h. die Durchführung von Aggressionen bzw. Teilnahme an solchen, wurde von der Delegation unter Leitung von Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Besuch in Japan Anfang 2015 ausdrücklich begrüßt.
Die Versuche der japanischen Regierung zur Revision der Geschichte stoßen auf Proteste der chinesischen Regierung und auch von Regierungen anderer asiatischer Länder sowie breiter Kreise der japanischen Öffentlichkeit. Sie sind Hindernisse für eine Verbesserung der chinesisch-japanischen Beziehungen.
Anmerkungen:
[1] Siehe: Rolf Berthold, »Der antijapanische Widerstandskrieg des chinesischen Volkes und seine Rolle im II. Weltkrieg« in Mitteilungen, Heft 9/2015, S. 7 ff. – Red.
[2] Die berüchtigte Einheit 731 war auf die Versuche mit biologischen Kampfmitteln an Kriegsgefangenen und Zivilisten in China spezialisiert. Die Behandlung dieser Tatsache wurde auf dem Tokioter Prozess von den Amerikanern verhindert, da sie offensichtlich an den Ergebnissen dieser Versuche interessiert waren.
Mehr von Rolf Berthold in den »Mitteilungen«:
2015-09: Der antijapanische Widerstandskrieg des chinesischen Volkes und seine Rolle im II. Weltkrieg
2014-05: 7. Mai 1954: Kapitulation Frankreichs in der Schlacht von Dien Bien Phu
2010-08: China wird niemals Vorherrschaft und militärische Expansion anstreben