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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Ihre Ehre heißen sie immer noch Treue

Reiner Kotulla, Leun

Wenn Soldaten in einen Krieg ziehen, stellen sie sich doch sicher die Frage, warum und wofür sie ihr Leben aufs Spiel setzen werden? Dieser Frage, unter anderem, ging Stefan Klein für die Süddeutsche Zeitung nach. Seine Reportage [Klein, Stefan: Zwei von 4397, in: Süddeutsche Zeitung, 12./13. Juni 2010, Seite V2/4-5.] bietet aufschlußreiche Einsichten.

Der Reporter begleitet zwei junge Männer, beide 22 Jahre alt, der eine Robert S., Hauptgefreiter, der andere Daniel K., Obergefreiter. Es ist davon auszugehen, daß Stefan Klein diese Auswahl nicht zufällig getroffen hat. Robert und Daniel stehen für viel junge Männer, die als einfache Mannschaftsdienstgrade in Afghanistan Kriegsdienst leisten.

Hier soll nicht der Ort sein, sich mit dem Soldatenalltag im Feldlager bei Kundus zu beschäftigen. Darüber kann man in besagter Reportage nachlesen.

Vielmehr soll der eingangs gestellten Frage nachgegangen und der ideelle Hintergrund hervorgehoben werden, der die beiden Gefreiten bewogen hat, freiwillig in den Krieg zu ziehen. Dazu seien die entsprechenden Aussagen des Textes zunächst kommentarlos zitiert.

1. Daniel K.: "Aber Daniel K. wollte schon immer zur Bundeswehr. (…) Für ihn (den Hauptschüler und Fleischfachverkäufer, d.V.) ist Soldat der Traumberuf. Er hält Ordnung in seinem Zimmer und legt später viel Wert darauf, sonntags mit gebügelter Uniform in die Kaserne zurückzukehren. (…) Dann die Vorbereitungen auf Afghanistan: Organspendeausweis, Patientenverfügung, Lebensversicherung. (…) Die Großmutter kann es nicht mit ansehen. (…) 'Oh Gott', sagt die Großmutter, 'der Bub will dahin, und jetzt passiert da so viel. (…) 'Ja', sagt der Bub, er wolle dahin, und jetzt gebe es kein Zurück mehr. Er sei kein Weichei. (Abends schaut er sich Kriegsfilme an, d.V.) (…) Daniel K. hat die Kette (den Rosenkranz, d.V.) im Fahrzeug aufgehängt. (…) Sie soll ihn und die anderen Insassen beschützen. Soll Tod und Unheil abwehren. Es ist ein Rosenkranz, den ihm seine Freundin zum Abschied geschenkt hat. (…) Daniel K. sagt: 'Ich bin Optimist, ich gehe davon aus, daß wir heil nach Hause kommen. (…) Es ist die Generation Playstation, die gestern noch mit dem Joystick Superhelden dirigiert hat und heute mit todbringenden Waffen hantiert. (…) Er werde alles tun, was man von ihm verlange. (…) Der Lohn dafür heißt Auslandsverwendungszuschlag und besteht aus 110 Euro am Tag. Er findet, daß man sich nicht verrückt machen darf. Daß man funktionieren und jederzeit in der Lage sein muß, sein Bestes zu geben. (…) Er sagt, wenn getötet werden muß, wird getötet, und da wird es auch keine Hemmungen geben. (…) Die wichtigste Eigenschaft sei für einen deutschen Soldaten in Afghanistan: Glauben an die Sache. (…) Denkt er an Zuhause (…) die Tätowierungen, die er sich machen lassen wird. Auf den einen Oberarm soll ein religiöses Symbol, auf den anderen ein Motiv der Maorikrieger. (…) Die Gefallenen sind für ihn Helden, und er empfinde Wut und Haß (auf die Taliban, d.V.), und er weiß auch, wofür sie gefallen sind: Für ihr Vaterland.

2. Robert S. "schreibt nach Hause: 'Heute geht es zur Gesprächsaufklärung, wird gefährlich. Haben Dienstgrade, die wegen heute nen Abschiedsbrief schreiben. Hoffe, daß alles gut geht.' Der Vater in der Oberpfalz liest die Mail mit Empörung. Er war selber jahrelang bei der Bundeswehr und kann nicht verstehen, daß Vorgesetzte gegenüber ihren Soldaten Angst zeigen. Er findet das nicht in Ordnung. In der Familie von Robert S. sind sie alle im Schützenverein, auch die Frauen. Als Robert geboren wird, vor 22 Jahren, da meldet der Vater auch ihn sofort im Schützenverein an. Er findet, das sei er seinen Schützenkameraden schuldig. S. (der Vater von Robert, d.V.) ist Jäger und Waffensammler, einmal liebäugelt er mit dem Erwerb einer P38, der alten Wehrmachtspistole. Aber S. zögert zu lange, und da schnappt ihm ein anderer das Sammlerstück vor der Nase weg. Dann ist Weihnachten, alle versammeln sich vor dem Baum und der Krippe, und da steht Robert und überreicht dem Vater feierlich die Pistole, die er sich gewünscht hat. Über seinen Sohn sagt S., in die Militärlaufbahn habe er ihn nicht gedrängt. (…) Rober S. hat auch einen Rosenkranz mitgebracht. Er sagt, er habe ihn immer bei sich. 'Du Papa, wie schreibt man ein Testament?', fragt Robert seinen Vater, nachdem ihm nahegelegt worden ist, die Sache zu regeln. Er hinterlegt es beim Pfarrer. (…) Im Übrigen sei er sicher: 'Mir kann nichts passieren, und mir wird auch nichts passieren. (…) 'Ich frage dich jetzt das letzte Mal', sagt S. zu seinem Sohn Robert, als er ihn am 20. April vor der Kaserne in Oberviechtach absetzt. Es ist der Tag vor dem Flug nach Afghanistan, 'Wenn du nicht willst, dann sag ´es, und ich regle das.' Robert schüttelt den Kopf. Er wäre ein Feigling, wenn er seine Kameraden jetzt im Stich ließe. Der Vater sagt: 'Ich bin stolz, daß du das durchziehst.' In der Familie S. haben sie anscheinend immer alles durchgezogen. In der Ecke des Wohnzimmers findet sich, sauber gerahmt, eine kleine Ahnengalerie. Da sind sie abgebildet, in Uniform: Roberts Ururgroßvater, sein Urgroßvater, sein Großvater, sein Vater, alle Soldaten. Daneben hängen die Orden. Vier Generationen und ganz oben, auch in Uniform, der Vertreter der fünften: Robert S. (…) Robert S. sagt: 'Ich bin hier, um meinem Volk zu helfen.' (…) Der Vater schickt Ratschläge: 'Sei auf der Hut. Versetz dich in die Denkweise des Feindes. Mach es wie ich auf der Jagd. Der Kopfschuß ist auf kurze Distanz das Beste. Deine Ehre heißt Treue. Vergiß das nie!'" [A. a. O.]

Soweit aus Stefan Kleins Reportage. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler führte den Satz: "SS-Mann, deine Ehre heißt Treue" 1932 als SS-Wahlspruch ein, der von da an schrittweise auf die Koppelschlösser aller SS-Verbände geprägt wurde. Durch die Gleichsetzung der Begriffe "Ehre" und "Treue" wurde ein Treuebruch zu einem Ehrverlust. Der Begriff "Ehre" verlor dadurch seinen moralischen Inhalt. Denn die Ehre eines Soldaten, der sich aus Ehrgefühl weigern könnte, an einem Kriegsverbrechen teilzunehmen, spielte im Ehrgefühl der SS keine Rolle mehr. Es zählte allein der blinde Gehorsam.

Wissen die Väter, die heute diesen Wahlspruch an ihre Söhne weitergeben, daß gemäß des bundesdeutschen Strafgesetzbuches, § 86a, die Verwendung von Kennzeichen und Symbolen verfassungswidriger Organisationen, wozu auch die Schrift auf dem Koppelschloß der SS gehört, in Deutschland verboten sind?

Blinder Gehorsam, Gottvertrauen via Rosenkranz, Vaterland, Ehre, Treue und die Absicht, nicht als ein Weichei zu gelten, scheinen das Bewußtsein bundesdeutscher Soldaten zu prägen. Wo ist denn da der sogenannte Staatsbürger in Uniform, der geschworen hat, Recht und Freiheit tapfer zu verteidigen? Wo auch, denn überall dort, wo deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kriegseinsatz sind, geht es, wenn überhaupt, um Recht und Freiheit, dann um das der Herren und Damen des internationalen Finanz- und Industriekapitals, denn Krieg ist deren Fortführung der Profitmaximierung mit anderen Mitteln. Und weil er das ausgeplaudert hat, mußte er gehen, der Bundespräsident.