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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

IG Auschwitz

Dr. Ronald Friedmann, Berlin

 

Im historischen Rückblick verwundert es kaum, dass die Führungsetage der IG Farben in den ersten Wochen des Jahres 1941 entschied, einen lange geplanten vierten Produktionsstandort – neben Schkopau, Hüls und Ludwigshafen – in unmittelbarer Nähe des kleinen Ortes Auschwitz, dem vormaligen polnischen Oświęcim, zu errichten. Umfangreiche und bereits gut erschlossene Rohstoffvorkommen, ausreichend Wasser und eine ausgezeichnete Verkehrsanbindung waren im oberschlesischen Raum gegeben, der nach dem deutschen Überfall auf Polen im Herbst 1939 als deutsches »Siedlungsgebiet« dem »Reich« zugeschlagen worden war. Billige Arbeitskräfte in beinahe beliebiger Zahl würde das nahegelegene Konzentrationslager liefern.

Standortfindung im Krieg

Doch tatsächlich hatte man an der Spitze der IG Farben, der 1925 mit Sitz in Frankfurt am Main gegründeten »Interessen-Gemeinschaft Farbenindustrie AG«, zunächst erwogen, einem anderen Standort den Vorzug zu geben. Im Herbst 1939 hatte der Unternehmensverbund in Rattwitz bei Breslau mit dem Bau einer Buna-Fabrik zur Herstellung synthetischen Gummis auf der Basis von Kohle begonnen. Mehr als 4 Millionen Reichsmark waren bereits in das Vorhaben geflossen. Allerdings waren die Arbeiten im Sommer 1940 wieder eingestellt worden, weil nach dem militärischen Sieg über Frankreich nun andere, lukrativere Standorte im Westen des deutschen Herrschaftsbereichs diskutiert werden konnten. Da jedoch Großbritannien, anders als das besiegte Frankreich, der deutschen Aggression weiterhin Widerstand entgegensetzte, musste man bei der Entscheidung über den Standort einer so kriegswichtigen Produktionsanlage wie einer Buna-Fabrik die Möglichkeit von Bombenangriffen ins Kalkül ziehen. Daher richtete sich die Aufmerksamkeit der maßgeblichen Führungskräfte der IG Farben wieder auf den oberschlesischen Raum.

Den entscheidenden Anstoß gab Otto Ambros, Vorstandsmitglied der IG Farben. Er hatte Ende Dezember 1940 mehrere mögliche Standorte in Oberschlesien besichtigt und war dabei auf Auschwitz aufmerksam geworden. Das Reichswirtschaftsministerium hatte umgehend mögliche Bedenken wegen der enorm hohen Investitionskosten ausgeräumt und unter anderem massive Steuervergünstigungen zugesagt. Tatsächlich war das Vorhaben »IG Auschwitz«, wie es nun genannt wurde, mit geplanten Ausgaben von 600 Millionen Reichsmark eines der teuersten Investitionsprojekte des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg.

Das neue Werk sollte, ohne die als Arbeitskräfte fest eingeplanten KZ-Häftlinge, mehr als 15.000 Beschäftigte haben, die aus allen Teilen Deutschlands kommen und mit ihren Familien künftig in der Stadt Auschwitz und deren unmittelbarer Umgebung leben würden. Die 11.000 vormaligen polnischen Einwohner, in der Mehrzahl Juden, so verkündete es Ambros bereits am 16. Januar 1941, müssten in kürzester Zeit ausgesiedelt werden, »so dass die Stadt für die Belegschaft der Fabrik zur Verfügung stünde«. [1] Dazu allerdings brauchte man Unterstützung von höchster Stelle. Und diese Unterstützung kam.

Wirtschaftliche Macht der SS

Bereits am 18. Februar 1941 wandte sich Hermann Göring, zu dessen zahlreichen Funktionen in der Führung des »Dritten Reiches« die Leitung der sogenannten Vierjahresplanbehörde [2] gehörte, mit einem Schreiben an den »Reichsführer SS« Heinrich Himmler, der zugleich »Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums« war. Himmler wurde aufgefordert, die Stadt Auschwitz umgehend von der gesamten, insbesondere jüdischen Bevölkerung räumen zu lassen. Lediglich die arbeitsfähigen polnischen Einwohner, nicht aber deren Familien, sollten in der Stadt verbleiben dürfen und gemeinsam mit KZ-Häftlingen als Zwangsarbeiter beim Bau der neuen Produktionsanlage der IG Farben eingesetzt werden. Am 26. Februar 1941 gab Himmler in einem nahezu wortgleichen Schreiben diese Anweisung an seine Unterstellten vor Ort weiter.

Himmler war bereits seit Mitte der dreißiger Jahre bemüht gewesen, die SS nicht nur zu einer militärischen und paramilitärischen »Elitetruppe« aufzubauen. Er wollte darüber hinaus die Zuständigkeit der SS für die übergroße Mehrzahl der Konzentrationslager nutzen, um gestützt auf die Arbeitskraft der KZ-Häftlinge »seiner« Organisation wirtschaftliche Macht, insbesondere in der Rüstungsproduktion, zu sichern. Er sah nun die große Chance, durch die enge Zusammenarbeit mit der IG Farben diesem Ziel deutlich näher zu kommen.

Am 1. März 1941 besuchte Himmler erstmals das KZ Auschwitz. Nur Monate zuvor, im Herbst 1940, hatte er eine Visite noch kurzfristig abgesagt, weil das Lager zu diesem Zeitpunkt für die SS keine besondere Bedeutung hatte. Das hatte sich mit der Entscheidung der IG Farben für Auschwitz als neuem Produktionsstandort grundsätzlich geändert, und Himmler selbst erklärte nun den gesamten Komplex Auschwitz zu einem unmittelbaren »Interessengebiet der SS«.

Im Ergebnis von Himmlers Besuch in Auschwitz wurden der IG Farben zunächst 10.000 KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte zugesagt, von denen etwa Tausend sofort zum Einsatz kamen. Der Kommandant des Lagers, Rudolf Höß, erhielt die Weisung, die Aufnahmekapazität des KZ in kürzester Zeit auf 30.000 Häftlinge zu erweitern. Möglich wurde das, weil die Leitung der IG Farben zu einem Tauschgeschäft mit der SS bereit war – die SS erhielt Baumaterial aus dem Kontingent der IG Farben, die SS lieferte KZ-Häftlinge. Das Reichswirtschaftsministerium in Berlin hatte dem Projekt der IG Farben bereits die höchste Dringlichkeitsstufe zugesprochen, wie sie nur für »kriegsentscheidende« Vorhaben vorgesehen war. Damit war die Zusage verbunden, für das Unternehmen alle erforderlichen Baumaterialien umgehend bereitzustellen.

Unklar ist, ob bereits im Rahmen des KZ-Besuches vom Himmler in Auschwitz am 1. März 1941 der Befehl erging, auf dem Gebiet des Dorfes Brzezinka, das nun den Namen Birkenau tragen musste, ein weiteres Lager für zunächst 100.000 Kriegsgefangene [3] zu errichten oder ob dieser Befehl erst zu einem späteren Zeitpunkt erteilt wurde. Tatsache ist, dass im Frühjahr 1941 bei Birkenau mit dem Aufbau des Lagers Auschwitz II begonnen wurde, das ab Herbst 1941 vor allem als Vernichtungslager diente.

Nur wenige Wochen nach der grundsätzlichen Einigung zwischen IG Farben und SS, am 7. April 1941, fand in Kattowitz, dem heutigen Katowice, die Gründungssitzung der »IG Auschwitz« statt. Die IG Farben drängte nun auf größte Eile, denn für den Bau des neuen Buna-Werkes waren nur drei bis vier Jahre vorgesehen:  Bereits im Verlaufe des Jahres 1943 sollte die erste von mehreren geplanten Fabriken am Standort Auschwitz mit der Produktion von synthetischem Gummi beginnen.

Trotz gnadenloser Ausbeutung ...

Im Frühjahr 1941 waren etwa tausend KZ-Häftlinge für die IG Farben in Auschwitz im Einsatz gewesen, im darauffolgenden Jahr war diese Zahl auf etwa zweitausend gestiegen. Auf dem »Höhepunkt« der Zusammenarbeit von IG Farben und SS im Spätsommer 1944 mussten mehr als 11.000 KZ-Häftlinge auf den Baustellen des Buna-Werkes Zwangsarbeit verrichten. Doch ihre Arbeitsleistung blieb, entgegen den Erwartungen, wegen der extremen Ausbeutung während der Arbeit und der unmenschlichen Lebensbedingungen im KZ außerordentlich niedrig. Von den 35.000 KZ-Häftlingen, die bei der IG Farben insgesamt zum Einsatz kamen, starben mindestens 25.000. [4]

Zunächst hatten die KZ-Häftlinge täglich zu Fuß eine Strecke von jeweils sieben Kilometern vom Lager zur Baustelle und von dort zurück ins Lager zurücklegen müssen, was die ohnehin entkräfteten Menschen weiter auszehrte. Um ein Minimum an Arbeitskraft zu erhalten, ließ die IG Farben ab Sommer 1942 ein eigenes Lager für »ihre« KZ-Häftlinge errichten: Monowitz – oder auch Auschwitz III – war das erste von einem Privatunternehmen initiierte und finanzierte Konzentrationslager. [5]

Trotz der gnadenlosen Ausbeutung zehntausender KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter erwies sich das Vorhaben »IG Auschwitz« als ein kompletter Fehlschlag. Zu keinem Zeitpunkt des Krieges wurde in Auschwitz synthetischer Gummi produziert. Angesichts des unaufhaltsamen Vormarsches der Roten Armee kamen im Verlaufe des Jahres 1944 alle Baumaßnahmen schrittweise zum Erliegen. Im Januar 1945, nur Tage vor der Befreiung des KZ Auschwitz durch sowjetische Truppen, verließen die letzten Mitarbeiter das Werkgelände in Richtung Westen.

In den Jahren 1947 und 1948 fand vor einem US-amerikanischen Militärgericht in Nürnberg der Prozess gegen die IG Farben und ihr Spitzenpersonal statt. Zu den Angeklagten gehörten auch Otto Ambros und der Leiter des IG Farben-Werkes in Auschwitz, Walter Dürrfeld. Beide wurden zu Haftstrafen von jeweils acht Jahren verurteilt, den höchsten Strafen, die in diesem Verfahren verhängt wurden. Auf Drängen der Bundesregierung wurden sie allerdings, wie zahlreiche andere Nazi- und Kriegsverbrecher auch, bereits 1951 wieder aus dem Gefängnis entlassen. Anschließend konnten sie ihre berufliche Laufbahn ungestört fortsetzen.

Und auch das: Die von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1945 verfügte Liquidation der IG Farben wurde in der Bundesrepublik erst 2012 abgeschlossen.

 

Anmerkungen:

[1]  So zitiert in: Sybille Steinbacher, Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte, Verlag C.H.Beck, München 2015 (eBook).

[2]  Mit dem 1936 begonnenen Vierjahresplan sollte Deutschland die wirtschaftliche und militärische Kriegsfähigkeit erlangen. Dazu zählten u.a. der Auf- und Ausbau der Rüstungsindustrie als auch Bestrebungen, Deutschland von (Rohstoff-) Importen unabhängig zu machen.

[3]  Dass tatsächlich vorgesehen war, in Auschwitz II Kriegsgefangene unterzubringen, ist nicht dokumentiert. Möglicherweise ging es nur darum, durch die Verwendung dieses Begriffes die »Kriegswichtigkeit« des Vorhabens zu betonen und so die Zuteilung knapper Ressourcen zu erwirken.

[4]  Berücksichtigt man die vielen Zwangsarbeiter aus allen Teilen des von Deutschland besetzten Europa, dann steigt die Zahl der Todesopfer auf den Baustellen der IG Farben in Auschwitz auf mindestens 40.000. Vgl. dazu: Handelsblatt, Düsseldorf, 18. August 2011.

[5]  Sybille Steinbacher, a.a.O.

 

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