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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Hochrüstung muss verhindert werden

Egon Krenz, Dierhagen

 

Rede auf der Friedenskundgebung am 8. September 2018 beim Pressefest der DKP

 

Liebe Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, zunächst sei mir ein persönliches Wort gestattet: Als Kommunist ohne Parteibuch gratuliere ich den Genossinnen und Genossen der DKP und der SDAJ sehr herzlich zum ehrwürdigen Alter eines halben Jahrhunderts. Seit ihrer Gründung habe ich deren Höhen und Tiefen erlebt, mich über Erfolge gefreut und über unnötige Richtungskämpfe geärgert.

Geschichtlich bedeutend bleibt für mich: In der Frage aller Fragen, im Ringen um die Erhaltung des Friedens, waren und sind DKP und SDAJ ein zuverlässiger Teil der weltweiten Friedensbewegung. Für sie ist Krieg keine Schicksalsfrage, sondern eng mit ihrem Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung verbunden.

Immer standen und stehen sie in solidarischer Verbundenheit mit allen, die jede Art von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit ablehnen. Dieses wunderbare Friedensfest beweist es erneut.

Es spricht für die Mobilisierungskraft Eurer Mitstreiter, dass 30.000 Unterschriften für den Aufruf der Friedensbewegung »Abrüsten statt Aufrüsten« gesammelt wurden. Es berührt mich sehr, wie wichtig Euch das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland ist. In einem weltbekannten, sehr emotionalen Friedenslied fragt der Dichter: »Meinst du, die Russen wollen Krieg?«

Jedes Jahr am 9. Mai, dem »Tag des Sieges« der Sowjetunion über die Hitlerbarbarei, antworten Millionen Russen darauf: Wir wissen, was Krieg bedeutet. Wir wollen mit allen Völkern in Frieden leben. Unter dem Motto »Das unsterbliche Regiment« gehen sie auf die Straße mit den Portraits ihrer gefallenen Freunde und Familienangehörigen.

Unter den Demonstranten auch Präsident Wladimir Putin, der das Porträt seines Vaters trägt. Über 27 Millionen Sowjetbürger waren es, die ihr Leben für die Freiheit der Deutschen vom Faschismus gaben. Das berührt noch heute fast jede russische Familie.

Auch wenn die deutsche Schuld nicht durch heutige Generationen verursacht wurde, so darf sie doch niemals vergessen oder relativiert werden. Jede verantwortungsvolle deutsche Regierung müsste sich eigentlich von selbst fragen:

Müssen wir nicht allein schon aus historischen Gründen den Beziehungen zu Russland eine Sonderstellung einräumen? Ähnlich wie es die Bundesrepublik beispielsweise mit Israel macht.

Doch was erleben wir tatsächlich? Die Herrschenden hierzulande verbreiten eine gefährliche Russophobie. Sie können offensichtlich nicht regieren, ohne alte und einseitige Feindbilder über Russland zu verbreiten.

Dabei – das wissen nicht nur Kommunisten, das wusste schon der eiserne Kanzler Bismarck – ging es Deutschland immer dann am besten, wenn es gute Beziehungen zu Russland pflegte.

Ich hätte mir 1990 nicht vorstellen können, dass es wieder ein Deutschland geben würde, in dem regierungsamtlich erklärt wird, man müsse »Russland bestrafen«. Undenkbar damals auch für mich, dass Deutschland Sanktionen gegen ein Land verhängt, das Jahrzehnte zuvor durch Deutsche in Schutt und Asche gelegt worden war.

Verantwortungsvolle Politik muss endlich Schluss machen mit Sanktionen! Schluss mit unwahren Beschuldigungen der Russischen Föderation!

Ich spreche hier nicht über gewonnene Erkenntnisse aus Akten. Ich bin bin auch kein »Verschwörungstheoretiker«, wie Kritiker der Politik der Bundesregierung oft genannt werden. Ich spreche aus eigenem Wissen und Erleben, weil ich an manchen dieser Prozesse selbst teilgenommen habe:

1989/90 hat die NATO, einschließlich die Bundesrepublik Deutschland, der Sowjetunion Sicherheitsgarantien zugesichert, wenn sie denn der deutschen Einheit zustimmen würde. Ohne diese wäre es wohl nicht zur deutschen Einheit gekommen.

Als ich am 1. November 1989 in Moskau mit Gorbatschow sprach, sagte er, es werde keine deutsche Einheit geben, solange die NATO und der Warschauer Vertrag existieren. Später ist er eingeknickt. Hat leichtgläubig den Sicherheitsgarantien der NATO vertraut.

Aufgelöst wurde einseitig der Warschauer Vertrag. Die NATO blieb und versprach, sich nicht nach Osten auszudehnen, wovon man angeblich nichts mehr wissen will. Zu diesem Versprechen gehörte sogar, dass nach der deutschen Einheit NATO-Truppen selbst auf dem Territorium der DDR nicht stationiert werden sollten.

Was ist aus all diesen Zusicherungen geworden? NATO-Truppen, einschließlich die deutsche Vorhut, stehen wieder an Russlands Grenzen. Damit hat die NATO nicht nur ihr Versprechen gebrochen. Nicht nur Völkerrecht verletzt, sondern die russische Seele tief ins Herz getroffen.

Es ist nämlich das unsägliche Datum des Überfalls der deutschen Truppen auf die Sowjetunion, an dem sich die Russen ein Versprechen gaben, das über Generationen fortbesteht und ihnen heilig ist: Niemals wieder sollte zugelassen werden, dass ausländische Truppen so nahe ihrer Grenze stehen wie an jenem 22. Juni 1941. Doch, was erleben wir gegenwärtig?

NATO-Osterweiterung – ein provozierender Faktor

Auf deutschem Territorium rollen wie in diesem Sommer regelmäßig amerikanische Panzer in Richtung russischer Grenze.

Ist es da verwunderlich, dass sich die Russen von der NATO betrogen fühlen? Ist es verwunderlich, dass sich Putin gegen diese Politik wehrt?

Die Herrschenden in Deutschland wischen solche Fakten und Zusammenhänge einfach vom Tisch. Leider auch der aktuelle Außenminister. Sie unterstellen gar, Russland sei aggressiv und verändere die europäische Nachkriegsordnung. Sie wollen weismachen, dass die Wiederkehr der Krim ins russische Mutterland schuld an der Zuspitzung sei.

Sie setzen dabei auf das Vergessen. Denn ihre Ausdehnung nach Osten war lange Realität als die Volksbefragung auf der Krim begann.

Die NATO ist seit ihrer Gründung russlandfeindlich. Auch in der Neuzeit. Schon vor 17 Jahren – da war an die Konflikte in der Ukraine nicht zu denken – forderte Präsident Putin vor dem Deutschen Bundestag in den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland eine neue Seite aufzuschlagen.

Er nannte auch die Bedingungen dafür. Man müsse sich, sagte er, »von den Stereotypen und ideologischen Klischees des kalten Krieges befreien«.

Das aber tat weder die NATO noch die deutsche Regierung. Daher legte Putin am 10. Februar 2007 auf der Münchener Sicherheitskonferenz nach. Er bezeichnete die NATO-Osterweiterung als das, was sie tatsächlich ist: »ein provozierender Faktor«.

Er beklagte, dass der Westen »Russland ständig Demokratie lehren will«, während der Westen selbst keine Lust zum Lernen hat.

Nichts hat sich seitdem in den Beziehungen zu Russland zum Guten gewendet. Im Gegenteil: Die neue Militärdoktrin meint gar, Russland sei für Deutschland kein Partner mehr. Ja, was dann? Etwa Feind? Das wäre verhängnisvoll!

Zudem erleben wir eine Aufrüstung wie nie zuvor seit dem Ende der Systemauseinandersetzung. Die NATO-Staaten haben ihre Militär-Ausgaben deutlich gesteigert. Sie geben aktuell 900 Milliarden Dollar aus. Russland 66,3 Milliarden. Der Vergleich zeigt eindeutig, wer das Wettrüsten anführt.

Die Bundesregierung folgt dem außer Rand und Band geratenen US-Präsidenten mit der Forderung, zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung für Rüstungsausgaben zu planen. Das wären aktuell 30 Milliarden zusätzlich.

Diese Hochrüstung muss verhindert werden. Sie dürfen damit nicht durchkommen.

Für ein gerechtes und friedliches Deutschland

Noch ein Wort in eigener Sache: Bald werden es 30 Jahre her sein, seit die DDR von der politischen Landkarte verschwunden ist.

Je mehr die DDR von den Herrschenden und ihren Medien, ja von einer ganzen Anti-DDR-Industrie, in die historische Schmuddelecke gestellt wird, erinnern sich immer mehr Ostdeutsche daran, dass sie gern in diesem Land gelebt haben, sich sicher und geborgen fühlten, während sie sich inzwischen oft als Bürger zweiter Klasse sehen.

Es muss Schluss damit sein, allein die DDR für alles Ungemach des Kalten Krieges, der von beiden Seiten geführt wurde, verantwortlich zu machen. Die DDR-Geschichte kann nur im Vergleich mit der bundesdeutschen Entwicklung verstanden werden. Notwendig ist, endlich die Wahrheit über die Spaltung Deutschlands aufzudecken. Dabei würden dann auch die Machenschaften der alten Bundesrepublik zur Sprache kommen.

Eine unter den vielen Ursachen für die fundamentale politische Krise, die die Bundesrepublik gegenwärtig erlebt, ist in Ostdeutschland der ungerechte Umgang mit DDR-Biografien, ist die Negierung von Lebensleistungen von Generationen, ist die Folge der oft kriminellen Tätigkeit der Treuhand.

Niemand kann ernsthaft bestreiten: Die DDR ist der bisher einzige deutsche Staat und ihre Armee die einzige deutsche Armee, die nie einen Krieg geführt haben.

Wenn ich mir etwas für die Zukunft Deutschlands wünschen könnte, käme ich aus aktuellem Anlass – auch mit Blick auf Ereignisse in Chemnitz – auf einen Text von Bertolt Brecht, den er 1950 schrieb.

Nach allem, was ich darüber weiß, hat er wohl damals mit der Perspektive eines einheitlichen Deutschlands davon geträumt, dass dieser Text zur deutschen Nationalhymne hätte werden sollen: Ungeachtet dessen enthält er viele gute Wünsche für Deutschland, die hoch aktuell sind.

»Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Dass ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.
Dass die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie anderen Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
Anderen Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.«

Mögen von diesem Friedensfest neue Impulse ausgehen. Stehen wir gemeinsam ein für ein gerechtes und friedliches Deutschland, das nicht über und nicht unter anderen Völkern steht, das frei ist von Ausländerhass und dem Frieden, der Menschlichkeit, der Sicherheit und dem Zusammenhalt seiner Bürger verpflichtet ist.

 

Mehr von Egon Krenz in den »Mitteilungen«: 

2017-09:  Die Unverletzlichkeit der Grenzen – Bedingung für den Frieden

2016-06:  Zum Wohnungsbauprogramm der DDR

2016-04:  Auch in Deutschland sind Alternativen zum Kapitalismus möglich