Hintergründe und Urheber des Zweiten Weltkriegs
Prof. Dr. Stefan Doernberg, Berlin
Der 1. September 1939 gilt mit vollem Recht als das erinnerungswürdige Datum, an dem durch das faschistische Deutschland der längerfristig vorbereitete Zweite Weltkrieg entfesselt wurde. Unerwartet war das damals nicht. Bereits seit einigen Jahren beunruhigte die wachsende Gefahr eines neuen Weltkriegs die Öffentlichkeit vieler Länder. In der Sowjetunion, in der unsere Familie politisches Asyl gefunden hatte, war das sehr deutlich zu spüren. Allgemein herrschte die Auffassung vor, daß der Aggressor Hitlerdeutschland sein würde. Nach meiner Erinnerung gab es damals zugleich die Meinung, daß bereits de facto, wenn auch mehr schleichend, ein neuer Weltkrieg ausgebrochen sei. Dies belegten unterschiedliche, darunter durchsichtig getarnte militärische Aktionen aggressiver Mächte. Ein gewisser Streitpunkt war höchstens, ob der Ausbruch dieses neuen Weltkrieges bereits mit der Aggression Japans gegen China Anfang der dreißiger Jahre eingeleitet wurde oder erst 1936 die offene Einmischung Deutschlands und Italiens in den spanischen Bürgerkrieg und dann 1939 die Zerschlagung der Tschechoslowakei im Herzen Europas und die parallelen militärischen Aktionen Japans gegen die Mongolei und die UdSSR im Fernen Osten als Beginn des neuen Weltkrieges zu deuten seien.
Dabei ging man von der vorherrschenden Auffassung aus, daß wie schon früher die systemimmanente Expansionspolitik kapitalistischer Staaten in Kriegsakte münden könnte und selbst ein weiteres Weltgemetzel nicht zu vermeiden sei. Ein offenes Geheimnis war es schließlich, daß sich die Aggressionspolitik der faschistischen Machthaber vor allem gegen die Sowjetunion richtete. Hitler hatte es bekanntlich nie verschwiegen, daß er den sozialistischen Staat als seinen Todfeind ansah, ihn vernichten will und auch vor dem Völkermord nicht zurückschreckte. Doch die Ziele des deutschen Imperialismus waren weiter gesteckt. Deutschland sollte nicht nur zur uneingeschränkten Vormacht in Europa werden, sondern strebte auch nach der Weltherrschaft. Heute belegen auch archivalische und andere Quellen mehr als ausreichend, daß die Entfesselung eines neuen Weltkriegs zu den primären Zielsetzungen des "Dritten Reichs" gehörte und aktiv durch das Großkapital und die Führungskräfte der Wehrmacht gefördert wurde. (Siehe dazu auch den Beitrag von Wolfgang Biedermann, in "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE", Heft 8/2009).
Dazu trugen bereits frühzeitig Erkenntnisse in vielen europäischen Ländern bei. Sie mündeten in erste Vereinbarungen zur Bildung eines kollektiven Sicherheitssystems, so zu entsprechenden Abmachungen der Sowjetunion mit der Tschechoslowakei und Frankreich über gegenseitigen Beistand bei der Abwehr einer deutschen Aggression. Sie hätten 1938 wirksam werden können und nicht nur die Aggressionsabsichten Hitlers gegen die Tschechoslowakei durchkreuzt, sondern auch dazu beigetragen, die dann 1939 erfolgte Entfesselung des neuen Weltkriegs zu verhindern.
Appeasement-Politik gescheitert
Das Münchner Komplott der Regierungschefs von Großbritannien und Frankreich mit Deutschland und Italien wies in eine andere Richtung, begünstigte sogar, wie es sich recht bald zeigte, neue Aggressionsgelüste der faschistischen Machthaber. Ein halbes Jahr später erfolgte die Zerstückelung der Tschechoslowakei, wobei der westliche Teil von der Wehrmacht besetzt und zu einem Protektorat von Deutschland erklärt wurde. Fast zur gleichen Zeit wurde das Memelgebiet Litauens von Deutschland annektiert. Die Ausgangspositionen für die Entfesselung eines Krieges, ganz besonders auch gegen die Sowjetunion, hatten eine neue Qualität erreicht.
Die Zugeständnisse der europäischen Westmächte wurden als Appeasement-Politik bezeichnet, als eine Befriedungspolitik zur Verhinderung eines Krieges hingestellt. Sie sollten zumindest einen Zeitgewinn für eine spätere Abwehr weiterer deutscher Aggressionspläne ermöglichen. Dabei waren sie nicht nur ein eindeutiger Verstoß gegen das Völkerrecht, da das Diktat von München die Souveränität der CSR brüskiert hatte. Nicht grundlos konnte die Befriedungspolitik auch als ein Versuch aufgefaßt werden, weitere Aggressionspläne der faschistischen Achsenmächte, falls ihre Durchsetzung nicht zu verhindern sei, zumindest ostwärts zu kanalisieren. Die weitgehend antisowjetische Haltung von Großbritannien und Frankreich nach 1917 rechtfertigte diesen Verdacht. Die internationale Lage hatte sich Ende 1938 und noch mehr im Frühjahr 1939 weiter bedrohlich zugespitzt. Am 11. April 1939 wurde dann der mit dem Kodebegriff "Fall Weiß" versehene Plan zum Angriff der Wehrmacht auf Polen verabschiedet. Nach heutigen Erkenntnissen dürfte dies den Geheimdiensten anderer Staaten nicht entgangen sein. Aber selbst damals machten die öffentlich propagierten Forderungen nach einem Anschluß von Danzig wie weitere deutsche Gebietsansprüche unmißverständlich deutlich, daß dem Expansionsdrang des deutschen Imperialismus keine Grenze gesetzt ist.
Eine Abkehr von der gescheiterten Befriedungspolitik und die Hinwendung zur Schaffung eines kollektiven Systems der europäischen Sicherheit hätte auch 1939 die akute Gefahr eines Krieges abwenden, zumindest aber ihr Ausmaß vermindern können. Anzeichen dafür gab es. Sowohl Großbritannien als auch die Sowjetunion unterbreiteten Vorschläge zum Abschluß von Verträgen über den gegenseitigen Beistand zur Abwehr von Aggressionsakten. Während aber die von London formulierten Passagen recht allgemein waren, beharrte man in Moskau darauf, daß in der immer mehr zugespitzten Situation jetzt unbedingt konkrete Verpflichtungen erforderlich seien. Erfahrungen der letzten Jahre, auch die einseitige Nichteinhaltung bestehender Beistandspakte und Vereinbarungen durch die Westmächte, hatten die Notwendigkeit einer solchen Konkretisierung, darunter militärischer Verpflichtungen, deutlich unterstrichen. Zudem gab es unterschiedliche Hinweise, daß die britische Regierung ein höchst gefährliches Doppelspiel betrieb. Gegenüber der Sowjetunion beteuerte sie ihr Interesse an einem gemeinsamen Verteidigungsbündnis als Antwort auf die unverhüllten Aggressionsabsichten der faschistischen Mächte, insbesondere Deutschlands. Zugleich wies sie im Parlament auf die Bereitschaft hin, unter entsprechenden Bedingungen konstruktive Gespräche mit der deutschen Regierung über deren territoriale und andere Forderungen an Polen wie auch weitere Länder aufzunehmen. Einzige Voraussetzung sei, daß Berlin vorher, sei es auch nur durch eine unverbindliche mündliche Erklärung, einen Verzicht auf die Anwendung militärischer Gewalt verkündete.
In Wirklichkeit gingen die Sondierungen jedoch viel weiter. Intern wurden im Juli und August zusätzlich Vorschläge erörtert, die auf einen Pakt hinausliefen, der die Abgrenzung oder Aufteilung der Interessensphären zwischen beiden Mächten vorsehen sollte. In London war man bereit, Osteuropa einschließlich der UdSSR als Interessensphäre des Deutschen Reiches anzuerkennen, wenn die Machthaber in Berlin sich von einer Einmischung in anderen Staaten des Kontinents distanzierten. Darüber hinaus könnte nach britischen Vorstellungen auch eine Abgrenzung der Interessensphären in Afrika Gegenstand weiterer Verhandlungen sein. Der Kreml hatte von diesem Doppelspiel und dessen Gefährlichkeit Kenntnis genommen, darunter auch durch Berichte des sowjetischen Botschafters in London Iwan M. Maiski. Nach Kriegsende wurden dann viele Details der damaligen Verhandlungen bekannt, an denen engste Mitarbeiter des britischen Premiers Chamberlain wie Beauftragte von Göring, so der Staatsrat Wohlthat aus dem Amt für den "Vierjahresplan", oder von Ribbentrop, darunter der deutsche Botschafter in London Herbert von Dirksen mitwirkten. Sie sind seit vielen Jahrzehnten genauso veröffentlicht wie der "Fall Weiß" oder der 1940 verabschiedete "Plan Barbarossa" zum Überfall auf die UdSSR und andere Dokumente aus der Zeit der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs. [Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, herausgegeben vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, Bd. I und II (Das Archiv Dirksens), Moskau 1949. Documents on German Foreign Policy 1918-1945 (DGFP), ser.D, vol.I, Wahington 1949. Dokumenty i materialy kanuna vtoroi mirovoi voiny, t.I, Moskau 1948. Documents on British Foreign Policy 1919 –1939 (DBFP), third series, London 1957.]
Notlösung
Den ganzen Sommer lang gingen die Verhandlungen 1939 zwischen der UdSSR, Großbritannien und Frankreich über eine Zusammenarbeit zur Abwehr einer drohenden deutschen Aggression weiter. Erst nach längeren Aufforderungen erklärten sich London und Paris Ende Juli bereit, bevollmächtigte Vertreter nach Moskau zu entsenden, um die notwendigen militärischen Aspekte des geplanten Bündnisses zu beraten und zu vereinbaren. Die hierzu schließlich entsandten Delegationen erhielten den Auftrag, ein langsames Tempo bei den Verhandlungen einzuschlagen, ja nichts zu überstürzen. Bezeichnenderweise begannen sie den Weg nach Moskau auf einem langsam fahrenden Dampfer, trafen erst am 11. August in Moskau ein. Dann erwies sich, daß beide Leiter keinerlei Vollmachten für die Unterzeichnung eines Abkommen hatten, also nur Sondierungsgespräche führen konnten. Zudem bestand die polnische Regierung darauf, daß die Truppen der Sowjetunion auch bei einem deutschen Überfall auf Polen weiter auf sowjetischem Boden verblieben. Damit wäre es möglich gewesen, daß die Wehrmacht nach einem Durchmarsch durch Polen den Krieg unmittelbar auf das Territorium der UdSSR ausgedehnt hätte.
Und das in einer Situation, da sich die Sowjetunion de facto bereits im Zustand eines nicht erklärten Krieges befand. Nach provokatorischen Überfällen 1938 hatte Japan vom besetzten Nordchina her die Mongolei und die mit ihr verbündete UdSSR im Sommer 1939 mit erheblichen militärischen Kräften, darunter Panzern, angegriffen. Die seit Wochen anhaltenden Kämpfe hatten schon viele Opfer gefordert. Die Gefahr eines Zweifrontenkrieges schwebte über der UdSSR. Dabei konnte man sich nicht sicher sein, wie sich die europäischen Westmächte in den nächsten Wochen und Monaten verhalten würden. Großbritannien hatte im Juli 1939 eine Vereinbarung mit Japan getroffen, in der die japanische Besatzungspolitik in China, auch ihre "Neuordnung im Fernen Osten", als legitim bezeichnet wurde. Die Zeit drängte auf Entscheidungen, auch nicht erwünschte, da mit wachsenden Gefahren für den Frieden und ganz unterschiedlichen Varianten schon in nächster Zeit gerechnet werden konnte.
Erst als die Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich eindeutig in eine Sackgasse geraten waren und sich die Sowjetunion mehr und mehr international isoliert fühlen mußte – das in einer unberechenbaren Situation, da ihre Sicherheit im Westen wie im Osten bedroht war – zog der Kreml eine unerwartete, durchaus nicht erwünschte Notlösung vor. Von deutscher Seite waren seit dem Mai 1939 mehrfach Verhandlungen über eine Erweiterung der Wirtschaftsbeziehungen und darüber hinaus einen politischen Kompromiß vorgeschlagen worden. Die UdSSR zog jedoch weiter den positiven Abschluß der Verhandlungen über eine den Frieden sichernde Zusammenarbeit mit den Westmächten vor. Erst am 15. August signalisierte sie die Bereitschaft, über einen Nichtangriffsvertrag mit Deutschland zu verhandeln. Die ersten Entwürfe konnten aber schon vier Tage später ausgetauscht werden. Und am 23. August 1939 wurde dann der Nichtangriffsvertrag zwischen beiden bisher extrem verfeindeten Staaten samt einem geheimen Zusatzprotokoll in Moskau unterzeichnet.
Den deutschen Überfall auf Polen, der in die Entfesselung eines Weltkriegs mündete, konnte der Nichtangriffspakt nicht verhindern. Doch er hatte insgesamt mehr positive als negative Folgen für den weiteren Kriegsverlauf, trug auf seine Weise dazu bei, daß die Aggressoren ihre verbrecherischen Pläne schließlich nicht verwirklichen konnten. Das dürfte für das Zusatzprotokoll ebenfalls gelten, wenn auch nicht für einige seiner Formulierungen, die für einen sozialistischen Staat von Anfang an unhaltbar waren. Die Vereinbarungen vom 23. August 1939 führten dazu, daß die Sowjetunion nicht schon damals, und das unter äußerst negativen Bedingungen und mit wahrscheinlich katastrophalen Folgen, unmittelbar in den Weltkrieg verwickelt worden wäre. Ohne auf Beistand rechnen zu können, hätte sie Hunderte Kilometer näher an Moskau und anderen Zentren einer militärischen Übermacht gegenübergestanden als das dann zwei Jahre später der Fall war. Und sie wäre nicht nur rein militärisch schwächer gewesen. Die Wehrmacht hatte ja 1939 selbst die nur drei Wochen vorher unterzeichnete Zusage, die deutsche Interessensphäre an der Weichsel zu begrenzen, gebrochen und war bis zu 300 Kilometer weiter nach Osten in Richtung Minsk und Kiew vorgestoßen. Um so weniger hätte es eine Sicherheit gegeben, daß sie ohne den Vertrag an der Westgrenze der Sowjetunion Halt gemacht hätte.
Nur einen Tag vor der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Vertrages hatte Chamberlain am 22. August direkt Hitler ein dringendes Angebot zu dringend gewünschten Verhandlungen übermittelt, die inhaltlich an das vorjährige Komplott von München anknüpften. Sie sollten nicht nur zur Verhinderung militärischer Konflikte führen, sondern darüber hinaus einen recht breit gefächerten Problemkreis der internationalen Beziehungen betreffen, um Vereinbarungen zu ermöglichen, die im gegenseitigen Interesse liegen. Hitler legte das am gleichen Tag in einer Ansprache vor der deutschen Generalität als einen weiteren Hinweis aus, daß Großbritannien Polen militärisch nicht zu Hilfe kommen würde. Er sollte Recht behalten, wie unlängst der Stellvertreter des Chefs des russischen Generalstabs in einem Beitrag zur Situation bei Beginn des Zweiten Weltkriegs bemerkte.
Militärisch waren bereits alle Vorbereitungen für den Überfall auf Polen getroffen. Über 50 Divisionen der Deutschen Wehrmacht, darunter 8 Panzerdivisionen sowie 2.000 Flugzeuge, standen für den Krieg bereit. Es fehlte nur der Vorwand, der dann mit dem vorgetäuschten Überfall auf den Sender Gleiwitz gefunden wurde, worauf die deutsche Wehrmacht angeblich nur "zurückgeschossen" hätte.
Großbritannien und Frankreich forderten am 3. September von Deutschland nur die Andeutung, seine Truppen von polnischem Boden wieder zurückzuziehen. Erst nach der Ignorierung dieses Angebots erklärten sie, daß sie sich im Kriegszustand mit dem Deutschen Reich befinden. Am 4. September fielen einige britische Bomben auf Wilhelmshaven, vom 5. bis zum 25. September wurden dann 18 Millionen Flugblätter abgeworfen. Frankreichs Unterstützung für den überfallenen Verbündeten war noch geringer. Die als "drolliger" oder "komischer" Krieg in die Geschichte eingegangene Antwort auf den deutschen Überfall auf Polen dauerte bis zum Frühsommer 1940 an, eigentlich bis zum direkten deutschen Angriff auf Frankreich.
Die Alleinschuld
Bei einem Rückblick auf die Situation vor 70 Jahren sollte folgendes hervorgehoben werden: Urheber der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, dieser schlimmsten Katastrophe des 20. Jahrhunderts, war eindeutig das faschistische Deutschland.
Seine politische und militärische Führung hatte planmäßig darauf hingearbeitet, wurde uneingeschränkt vom Großkapital im Interesse seiner expansionistischen Profitgier unterstützt. In dieser Hinsicht hatten beide Weltkriege des 20. Jahrhunderts ähnliche Ursachen. Sie waren auch insofern zunächst vergleichbar, da es in ihnen zunächst um eine neue Aufteilung der Welt in Interessensphären, einschließlich der Absatzmärkte für das eigene Kapital wie die territoriale Umstrukturierung der Ausbeutungsgebiete in den kolonialen, halbkolonialen und sonstigen abhängigen Ländern ging. Aus diesem Grund war es durchaus richtig, den Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium als systemimmanente Ursache des Krieges zu bezeichnen und beide Seiten für das anbrechende Weltgemetzel verantwortlich zu machen. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, daß dem faschistischen Aggressor schon insofern die Alleinschuld an der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs 1939 zukam, weil er nicht nur den Überfall auf Polen, sondern auch die folgenden Angriffe auf Dänemark und Norwegen, danach auf Frankreich, Belgien und die Niederlande sowie auf Jugoslawien und Griechenland und schließlich auf die Sowjetunion als den Hauptfeind längerfristig geplant und mit perfektionistischer Gründlichkeit vorbereitet hatte. Das gilt auch für den jeweiligen Zeitpunkt, schon für den 1. September 1939, an dem spätestens der Angriff auf Polen als Beginn eines Blitzkriegs erfolgen sollte. Die anderen Mächte wollten in der damaligen Situation zumindest dem Absturz in einen Weltkrieg vorbeugen. Ein wesentlicher Unterschied zum Weltkrieg 1914/18 bestand weiter darin, daß der Weltkrieg 1939/45, obwohl er als Auseinandersetzung zwischen kapitalistischen Mächten begonnen hatte, für die überfallenen Völker zu einem nationalen Befreiungskampf um die eigene Existenz wurde.
Eine weitere Überlegung bietet sich an. Alle damaligen Politiker gingen von einer falschen Einschätzung des bevorstehenden Kriegsverlaufs aus. Hitler dachte, einen Zwei-Fronten-Krieg verhindern und die überfallenen Staaten einzeln in Blitzkriegen besiegen zu können. Schon die Niederlage vor Moskau hatten er und die führenden Militärs nicht erwartet, erst recht nicht die Wende von Stalingrad, in deren Folge der Zwei-Fronten-Krieg, wenn auch verspätet, massiv zur Tatsache wurde. Verwiesen sei aber auch darauf, daß die Staatsmänner der späteren Antihitlerkoalition die furchtbare Gefahr, die der Vernichtungskrieg der faschistischen Aggressoren für die weitere Existenz der menschlichen Zivilisation insgesamt heraufbeschwor, in ihrem Ausmaß nicht voll erkannt hatten. Auch die real erreichte militärische Stärke des faschistischen Deutschlands wurde von ihnen unterschätzt. Bei einer anderen Erkenntnis hätten die Bemühungen um eine Antihitlerkoalition schon damals zum Erfolg geführt. Auch diese Lehre sollte man nicht vergessen. Dies um so mehr als Fehleinschätzungen und abenteuerliche Handlungen beim Stand der heutigen Rüstungstechnik zu noch schlimmeren Folgen führen können als der Weltkrieg von 1939–1945.
Stefan Doernberg, Jahrgang 1924, erwarb als Emigrant in Moskau das Abitur, meldete sich am Tag des deutschen Überfalls freiwillig zur Roten Armee und nahm als Leutnant an der Befreiung der Ukraine, Polens und Berlins teil. Ab 1945 in Deutschland Dolmetscher und Redakteur. Studium der Geschichte, in der DDR Professor, Institutsdirektor und Botschafter. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ältestenrates der Partei DIE LINKE. Seit 2008 Vorsitzender der DRAFD (Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung "Freies Deutschland" e.V.). – Zwischenüberschriften: Redaktion.
Mehr über Stefan Doernberg in den »Mitteilungen«: