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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Herzlichen Glückwunsch, lieber Moritz, zum Geburtstag!

Am 23. Februar 2017 wird Genosse Professor Moritz Mebel 94 Jahre alt.

Die GBM veröffentlichte im Oktober 2016 in der »Schriftenreihe zur Kultur« (Nr. 37) [1] eine Broschüre über diesen wunderbaren Menschen und Kommunisten. Aus dieser dokumentieren wir einen von Moritz Mebel stammenden Ausschnitt aus dem von Hans-Dieter Schütt im Jahr 1999 herausgegebenen Buch »Rot und Weiß« [2]:

»Bei aller Kritik, die DDR bleibt mit dem verbunden, worauf ich stolz bin. Ich bereue nichts, was ich im Leben getan habe. Ich sehe keinen Grund, aus meiner Biografie auszusteigen. Beim Rückblick muß man leider sagen: Wir haben überall Feinde gesucht. Und sie leider auch dort gefunden, wo gar keine waren. Man mag mir Naivität vorwerfen – aber ich habe nichts von dieser flächendeckenden Überwachung gewußt. Mal ganz abgesehen davon, daß heute die Sinnlosigkeit dieser ausgeuferten Apparates unbestritten ist. Ich würde allerdings auch gern mal die Dossiers des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes einsehen. Also: Heute, mit Abstand, kann ich ganz anders kritisieren als vor zehn Jahren. Und zum anderen denke ich, daß Macht und Korrumpierbarkeit einen Zusammenhang bilden, der gesellschaftsübergreifend ist. Das ist eine Erkenntnis, die ich am bittersten finde. Aber noch einmal: Ich wende mich gegen Erinnerungen, die im Nachhinein mit besserem Wissen angehäuft werden – und dann wird verwundert gefragt, wieso man nicht schon damals ... Wieso nicht? Weil jede Lebenssituation aus unendlich vielen Faktoren besteht, die auf das Denken und Handeln einwirken.

Man kann mit seinem Leben haargenau auf einer historischen Tendenz liegen, aber es ist auch Leben möglich, das gänzlich diametral dazu verläuft. Ich blicke auf mein Leben zurück und sage: Ich bin meinen Überzeugungen treu geblieben. Aber natürlich hat sich vor dem Hintergrund vieler Tatsachen mein Politikverständnis verändert. Meine Einschätzung des Nichtangriffspaktes und des Freundschaftsvertrages zwischen Hitlerdeutschland und der Sowjetunion zum Beispiel wäre eine ganz andere gewesen, wenn ich damals gewußt hätte, daß es ein Geheimpapier über – vereinfachend gesagt – die Aufteilung der Welt zwischen Berlin und Moskau gegeben hat. Oder nehmen Sie die Überwindung der Spaltung der deutschen Arbeiterklasse – das haben doch nach dem Krieg viele Menschen als zwingende Notwendigkeit gesehen. Jetzt höre ich ständig etwas von Zwangsvereinigung! Ich habe den Druck einer Zwangsvereinigung nie gespürt, jedenfalls nicht im Regierungsbezirk Halle-Merseburg, wo ich damals tätig war. Für mehr kann ich nicht sprechen. Man hat fast 700.000 SPD-Mitglieder und 600.000 Kommunisten zur Vereinigung gezwungen? Wenn's einem nicht paßte, haute man damals ab mit der S-Bahn! Was heißt hier: gezwungen? Mich als Kommunist für die Art der Vereinigung damals entschuldigen? Da sehe ich keine Veranlassung, wenn ich von meinen Erfahrungen ausgehe. Nein, man muß nicht über jeden Stock springen, den die Sozialdemokratie einem heute hinhält. Die SPD verlangt von mir, ich soll mich entschuldigen für das Unrecht, das wir den Sozialdemokraten angetan haben? Mit Entschuldigungen für geschichtliche Abläufe ist es eine sehr fragwürdige Sache. Das ist meistens mit alten und neuen Beschuldigungen, mit Errichtung neuer ideologischer Barrieren verbunden. Ich glaube schon für mich, aus der Geschichte gelernt zu haben. Und ich halte eine politische Zusammenarbeit mit linken Sozialdemokraten und linksgerichteten bürgerlichen Kräften für dringend nötig – mit all denen, die gegen den Einsatz deutscher Soldaten, unter welchen Vorzeichen auch immer, außerhalb der Bundesrepublik, gegen die ungezügelte Herrschaft des Kapitals, gegen Rassismus und Antisemitismus sind.

Noch ein Beispiel, das mir einfällt. Ich kam mit der Roten Armee in die Tschechoslowakei, ich weiß, was die Sudetendeutschen litten. Aber die Mehrheit dort hatte einst die Henlein-Partei gewollt, und sie hatten einst über ihre angebliche Befreiung durch die Nazis gejubelt. Jetzt stellen sie Opferansprüche, und den Jubel damals will niemand gehört, geschweige denn inszeniert haben.

Es gibt unzählige Wahrheiten eines Lebens, und der Richtspruch der Geschichte muß mit Bewertungen des persönlichen Lebens nicht übereinstimmen. Vergangenheit kann man nicht bewältigen, man kann sie höchstens analysieren – und versuchen, zu verstehen, unter Berücksichtigung damals herrschender politischer Konstellationen im eigenen Land und in der Welt. Retrospektive Einschätzungen müssen sich vor Besserwisserei hüten. Freilich auch vor Verwässerungen unliebsamer Wahrheiten, die inzwischen ans Tageslicht kamen … Keine Gesellschaftsordnung sollte in dem Wahn leben, daß in ihre Fundamente keine Irrtümer eingemauert seien. Doch wenn Vernunft nicht siegt, geht die Menschheit unter - sie stirbt eines biologischen Todes. Angesichts der globalen Erfahrungen wehre ich mich gegen die Verabsolutierung des kapitalistischen Systems. Genauso, wie ich mich inzwischen gegen die Verabsolutierung des Gedankens wehre, daß der Kommunismus die planbare Endphase der menschlichen Entwicklung sein soll. Das war offenbar ein großer lrrtum. Wo haben wir nur die Dialektik gelassen? …

Hier zeigte sich deutlich auch mein eigener Opportunismus, denn mit unserer Wirtschaftspolitik und insbesondere mit der offiziellen DDR-Haltung gegenüber der Sowjetunion und dem Genossen Gorbatschow war ich nicht einverstanden. Im Plenum aber schwieg ich. War es Feigheit? Oft haben wir zu Hause, mit Sonja, im Kreise der Familie und mit Freunden, darüber gesprochen, ob ich nicht aufstehen sollte, gerade im Plenum des ZK. Ich kannte doch die Probleme im Gesundheitswesen und in der Wissenschaftspolitik, ich wußte doch um die Stimmung der Mitarbeiter. Gemeinsam kamen wir immer wieder zu dem Schluß, daß die allgemeine Lage dieses Aufweichen der eigenen Reihen wohl nicht gestatte. Nur zu leicht habe ich mich, aus heutiger Sicht, vom Falschen überzeugen lassen. Die weltweiten Auseinandersetzungen beider Systeme immer vor Augen, wurde unbedingte, aber allgemeine Solidarität mit dem Grundprinzip wichtiger als konkrete Arbeit an konkreten Verhältnissen. Das betraf auch die Freundschaft zur Sowjetunion, dortige Mißstände und Fehlentscheidungen (Einmarsch in Afghanistan, Personenkult um die Generalsekretäre, Liebäugeln mit der BRD auf Kosten der DDR, Antisemitismus und russischer Nationalismus) …

Es ist leider so, daß erst der größere Abstand mehr Klarheit bringt. Erinnern ist etwas, das nur in der Bewegung, als Prozeß, verstanden werden kann. Zu jeder Zeit erinnert man sich anders und an anderes. Aber keine neue Wertung oder Erinnerung macht das vorhergehende Gedachte unwert. Jede Erinnerung hat recht, weil sie an unverwechselbare, bei jedem Menschen anders reflektierte Zeiten, Räume und Umstände gebunden ist. Es sei wiederholt: Ich habe keinen Grund, aus meiner Biografie auszusteigen; ich habe ehrlich gelebt, für meine Ideale gekämpft und vielen Menschen aufgrund meines Berufes helfen können. Lassen sie mich unsere Gespräche mit einem Zitat von Benjamin Franklin beschließen: ›Nichts schmerzt so sehr wie fehlgeschlagene Erwartungen, aber gewiß wird auch durch nichts ein zum Nachdenken fähiger Geist so lebhaft wie durch sie erweckt, die Natur der Dinge und seine eigene Handlungsweise zu erforschen – um die Quelle seiner vorigen Voraussetzungen zu entdecken und womöglich künftig richtiger zu handeln.‹«

Anmerkungen

[1]  Herausgeber: Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde, Arbeitskreis »Kultur« (V.i.S.d.P) / Freundeskreis »Kunst aus der DDR«, Weitlingstraße 89, 10317 Berlin, (neu seit Dezember 2016: Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin), Tel 030/5578397, E-Mail: gbmev@t-online.de, Redaktion: Martina Dost.

[2]  Hans-Dieter Schütt, »Rot und weiß«, Gespräche mit Moritz Mebel, Karl Dietz Verlag Berlin 1999, S. 125 ff.