Helene Weigel
Gina Pietsch, Berlin
Der brotbackenden, netzestrickenden, suppenkochenden Kennerin der Wirklichkeit eine Hommage anlässlich ihres 50. Todestages am 6. Mai 2021
Sie war eine Frau mit einem guten, jüdischen Gesicht, um dessen Schönheit oder Nichtschönheit sich die Leute streiten. Ich fand sie immer selten schön, und groß, nicht nur in ihrer Kunst sondern auch von Gestalt. Jedenfalls war das so, als ich sie als junge Studentin das erste Mal im Coriolan, im Goldkleid und im nach Brecht 1000-Dollar-Gang als Volumnia über die Bühne schreiten sah. Anschließend beim Publikumsgespräch saß ich ganz vorn und konnte kaum glauben, dass sie so klein war. Wie Brecht sie beschrieben hatte, wusste ich damals noch nicht:
Sie ist von kleinem Wuchs, ebenmäßig und kräftig. Ihr Kopf ist groß und wohlgeformt. Ihr Gesicht schmal, weich, mit hoher, etwas gebogener Stirn und kräftigen Lippen. Ihre Stimme ist voll und dunkel und auch in der Schärfe und im Schrei angenehm. Ihre Bewegungen sind abgestimmt und weich. Wie ist ihr Charakter? Sie ist gutartig, schroff, mutig und zuverlässig. Sie ist unbeliebt.
Am 12. Mai 1900 kam sie zur Welt, in der Wiener Hessgasse, hatte gute Eltern, einen Prokuristen und eine Händlerin, ein progressives Gymnasium mit klugen Lehrern, einen Theaterdirektor, der in ihr eines der größten dramatischen Genies, das jemals geboren wurde, sah. Nach ihrem Debüt in Frankfurt am Main spielt sie vornehmlich in Berlin bei Jeßner und anderen Größen 83 Rollen, 49 bis zur Begegnung mit Brecht. Ab der Arbeit mit ihm freilich war sie an den großen Berliner Bühnen nicht mehr gefragt. Das erstaunt, denn noch 2 Jahre vorher wird ihr von der Berliner Volkszeitung bescheinigt, wahrscheinlich die ursprünglichste und reichste Schauspielkraft zu sein, die wir überhaupt haben.
Mit 27 wird sie als Schankwirtin Leokadja Begbick im Stück »Mann ist Mann« erstmals Lieder ihrer großen Liebe singen, des Dichters Bertolt Brecht, der schon 3 Jahre Vater ihres Sohnes ist.
Ich rede von der wichtigsten Frau, die je Brecht gespielt hat, Darstellerin der Brechtschen Mütter Theresa Carrar, Pelagea Wlassowa, Anna Fierling, Natella Abaschwili, Volumnia Coriolan und Frau Flinz. Und zu all dem ist sie Intendantin, Mutter, Liebende und Ehefrau.
Diese Ehe dürfte sich von der normalen bürgerlichen unterschieden haben. Wir haben es zu tun mit einer emanzipierten Frau, die das Haar kurz trug, rauchte, ihr eigenes Geld verdiente – in den Anfängen ihrer Beziehung zu Brecht mehr als er. Weibliche Unterwerfung hatte sie nicht nötig, weder aus ökonomischen Gründen noch aus anderen. Wir reden freilich nicht von Schmerzlosigkeit, diese Liebe und Ehe betreffend, die offen zu sein hatte, wenn sie haltbar sein wollte. Und sie war es, weil klug und distanzsetzend gelebt, andere Beziehungen respektierend, ja, oft sogar fördernd. Freilich sagt sie zu diesem Thema: Das hat alles sehr, sehr wehgetan, Das war nit einfach etwa.
Sind wir beim Jahre 1932, der Uraufführung der »Mutter«. Da hat sie auf der Bühne, in der Rolle des Dienstmädchens an ihrer Seite, die junge Frau, die bald die vielleicht wichtigste Geliebte und Mitarbeiterin ihres Mannes wird, die Arbeiterin aus Berlin Lichtenberg und angehende Schriftstellerin, die wunderbare Margarete Steffin. Weigels Wlassowa war ein Triumph für sie und sie spaltete Publikum und Presse. Von Alfred Kerr war es nicht anders zu erwarten. Für Stanislawski fechtend, lobt er Gorki und macht Brecht nieder, nennt es ein Idiotenstück, das Stück eines primitiven Autors. Aber Helene Weigel macht beinah die schlappen Inhaltlosigkeiten wett. Sie ist einfach herrlich: in Milde, Zäheit, dazwischen Freundlichkeit … Es gibt kaum Schöneres.
15.000 Berliner Arbeiterinnen sahen das 1932. Es war, wie wenn sie mit den »Wiegenliedern für Arbeitermütter« auftrat, die Brecht und Eisler für sie geschrieben hatten und wegen derer sie im Februar 33 von der Bühne weg verhaftet wurde. »Die Kunstkenner blieben weg«, sagt Brecht,
»und statt ihrer kamen die Polizisten«. Und weiter: Als sie ihren einstigen Ruhm ganz aufgegeben und verloren hatte, begann ihr zweiter Ruhm, der unten, bestehend im Gedenken weniger und verfolgter Menschen, zu einer Zeit, da sehr viele verfolgt wurden.
Sie selber mussten fliehen am Tag nach dem Reichstagsbrand. Da begann die über 15 Jahre gehende unfreiwillige Reisezeit durch sieben Länder, Ausländer-Dasein mit allem, was man sich negativ denken kann. Brecht, der ihre einzige größere Aufgabe im Exil, die Theresa Carrar, als das Beste und Reinste, was bisher an epischem Theater irgendwo gesehen werden konnte, empfand, versucht in allen Exilländern vergeblich, sie in irgendeine Rolle zu bringen – bei Fritz Lang in Amerika kleinste Rolle im »Siebten Kreuz«, von Gustav von Wangenheim im Dimitroff-Film in der Sowjetunion abgelehnt wegen ihres jüdischen Gesichts. Ihre Freundin Anna Seghers preist ihre Stimme an, Kann man mit dieser Stimme doch Stumpfe erregen und Feinde unsicher machen und die Unsrigen stärken.
Alles vergeblich. Und sie? Schickt Care-Pakete nach Deutschland an hungernde Künstler.
Ich glaub nicht, dass der Humanismus etwas anderes ist, als daß man Leuten hilft. So einfach scheint das. Aber natürlich litt sie unter der Aussperrung. Wir erfahren es aus Briefen an Piscator, Suhrkamp, Busch.
Für ein aufklärendes Theater
Über die Rolle, die die bedeutendste ihres Lebens wurde und die am 11. Januar 1949 im Deutschen Theater ihren Weltruhm begründete, ist viel geschrieben worden. Sie nimmt das Schau im Wort Schauspielerin immer sehr wichtig, als das Zur-Schaustellen der Gefühle. Da nützt mir das Seelenleben ganz wenig, wenn ich es nicht ausstellen kann. Im »Zur-Schaustellen der Gefühle« ist sie eine beneidenswerte Erfinderin, weltberühmt geworden ist ihr »stummer Schrei« als sie die Salven hört, mit denen ihr Sohn Schweizerkas erschossen wird. Als zuletzt auch die stumme Kattrin stirbt, singt sie »Eia popeia«, die Melodie von ihr selber ausgedacht, anrührend warmherzig, beinahe die Händlerin vergessen lassend, weil der Schmerz zu groß war.
Was wir heute den berühmten Courage-Effekt nennen, hatten die Hennigsdorfer Arbeiter, die die ersten waren, die das Spiel der Weigel sahen, zur großen Freude von Brecht durchaus verstanden, zornig waren sie, dass die Händlerin, der der Krieg die Kinder nimmt, nichts daraus lernt. Auch die Mehrzahl der Kritiker sahen das so. Ausgenommen freilich Fritz Erpenbeck und seine Clique, die geschult im sowjetischen Exil in der Zeit Stalins, Mündigkeit fürchtend, Experimente aller Art ablehnend und sie gleichsetzend mit Volksfremdheit.
Weigel, als zukünftige Intendantin des Berliner Ensembles, braucht einen langen Atem, aber sie hat ihn, gelernt in 15 Jahren Aussperrung aus ihrem Beruf und natürlich als Courage in 405 Aufführungen. In dieser ihrer wichtigsten Rolle, singt sie das »Lied von der großen Kapitulation«. Aber sie kapitulierten nicht, so traurig die Buckower Elegien in ebender Zeit manchmal klingen. Solange Brecht noch da war, machten sie weiter, als einzige anknüpfend, dort, wo sie 33 in der Arbeiterkulturbewegung aufgehört hatten, Profis, die ohne Arroganz mit Laien zusammenarbeiten, mit der Reichel, der Thalbach, die ohne Ausbildung am BE aufgenommen werden, mit Manne Krug, dem sie den Start zur Karriere ermöglicht. Sie selber, 22 Jahre lang »Mutter des Ensembles«, die sich um »jeden Dreck kümmerte«. Den Neuen im Ensemble hilft sie beim Wohnungsbeschaffen, den großen Alten, die aus dem Westen kamen und das nicht selten mit Aussperrung zu Hause zu bezahlen hatten, hilft sie, ihre Entscheidung zu erleichtern. Das kostet Devisen, die beschafft, viele Zigarretten, die geraucht, viele Patiencen, die gelegt werden mussten. Und da sind tausend weitere Mühen der Schauspielerin, Intendantin, Frau des Dichters und Mutter zweier seiner Kinder. Sie, immer an tausend Stellen zugleich, sucht Möbel zusammen fürs Theater, Rustikales für die Kantine, Barockes fürs Foyer. Jährlich packt sie 150 Weihnachtspäckchen, einmal mit 6 Meter grünem Cordsamt pro Nase, so dass das ganze Ensemble in Grün geht. In Amerika mit Bespitzelung durch das FBI trainiert, wird sie es nun durch das MfS und den mit Parteiauftrag bestückten Brecht-Kontrolleur Wilhelm Girnus. Der nimmt die Weigel gleich mal dazu. Und so hat sie bald das Stigma weg, eine »unzuverlässige Person« zu sein, die den Dichter editiert, der zum sich selber führen aufgehetzt hatte. Paul Verner, damals erster Sekretär der Bezirksleitung der SED Berlin, hatte bei einer Zusammenkunft die Genossen schon mal gefragt: »Wie erreichen wir, daß Helene Weigel aus der Leitung des Berliner Ensembles ausscheidet (weggeekelt wird)?« Da muss sie nicht selten die List der Anna Fierling ausnutzen. Im Courage-Kostüm stürzt sie in Grothewohls Büro, um sich wieder mal zu beschweren, über schlechte Babynahrung, über ungesunde Kinderschuhe.
Um die Kinder wird es ihr immer gehen, auf der Bühne und im Leben. An die Leitung des VEB Kinderstrickwarenfabrik in Ebersbach schickt sie ein Kinderhemdchen mit der Frage, ob das bei uns nicht nachgemacht werden könnte, weil es, wo auch immer aufgetrieben, leicht über den Kopf zu ziehen geht … und ihr das Allerhübscheste und Praktischste schien, was ich gesehen habe.
Als sie am 3. April 1971 im französischen Nanterre das 208. Mal als Pelagea Wlassowa auf der Bühne stand, hatte ihr der Darsteller des Pawel aus Freude über das Wiedersehen in stürmischer Umarmung zwei durch den Krebs im Lungensystem in Mitleidenschaft gezogene Rippen gebrochen. Sie spielte ihre »Mutter« mit großen Schmerzen zu Ende und stand in einem Meer von Rosen, das nach zwanzigminütigem Beifall die französischen Bühnentechniker auf sie regnen ließen.
Dann die letzte Verbeugung in Paris vor ihren Zuschauern.
Am 6. Mai 1971 starb sie.
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