Heinrich Heine über den Kommunismus
Franz Mehring
Franz Mehring [1] notierte im Vorwort zur vierbändigen Heine-Ausgabe des Vorwärts-Verlags Berlin 1911:
In dem »Vorwort zur französischen Ausgabe der Lutetia«, wenige Monate vor seinem Tode, der am 17. Februar 1856 eintrat, hat Heine auch sein letztes Wort über den Kommunismus gesprochen.
Es lautete: »Nur mit Abscheu und Grauen denke ich an die Epoche, wo diese finsteren Bilderstürmer zur Herrschaft gelangen werden; mit ihren schwieligen Händen werden sie ohne Erbarmen die Marmorbildsäulen der Schönheit zerbrechen, die meinem Herzen so teuer sind; sie werden all jenes phantastische Flitter- und Spielwerk der Kunst zerstören, das der Dichter so sehr liebte; sie werden meine Lorbeerhaine fällen und an ihre Stelle Kartoffeln pflanzen; die Lilien, die nicht spannen und nicht arbeiteten und doch so herrlich gekleidet waren wie König Salomon in all seiner Pracht, sie werden aus dem Boden der Gesellschaft ausgerauft werden, es sei denn, daß sie etwa die Spindel zur Hand nehmen wollen; die Rosen, die müßigen Bräute der Nachtigallen, wird das gleiche Los ereilen; die Nachtigallen, diese unnützen Sänger, werden verjagt werden, und ach! Mein Buch der Lieder wird dem Gewürzkrämer dienen, um daraus Tüten zu drehen, in die er Kaffee oder Tabak schütten wird für die alten Weiber der Zukunft. Ach! Ich sehe dies alles voraus, und ich werde von einer unsagbaren Trauer ergriffen, wenn ich an den Untergang denke, mit dem das siegreiche Proletariat meine Verse bedroht, die mit der ganzen alten romantischen Welt untergehen werden. Und dennoch, ich gestehe es freimütig, übt dieser Kommunismus, der allen meinen Interessen und Neigungen so feindselig ist, auf meine Seele einen Zauber aus, dessen ich mich nicht erwehren kann; zwei Stimmen, die sich nicht beschwichtigen lassen wollen und die im Grunde vielleicht nur diabolische Anreizungen sind – aber wie dem auch sei, ich werde von ihnen beherrscht, und kein Bannwort kann sie bezwingen. – Denn die erste dieser Stimmen ist die Stimme der Logik. Der Teufel ist ein Logiker, sagt Dante. Ein schrecklicher Syllogismus hält mich umstrickt, und wenn ich den Satz nicht widerlegen kann, daß alle Menschen das Recht haben, zu essen, so muß ich mich allen seinen Folgerungen unterwerfen. Indem ich daran denke, laufe ich Gefahr, den Verstand zu verlieren, ich glaube, alle Dämonen der Wahrheit im Triumph um mich tanzen zu sehen, und zuletzt bemächtigt sich eine großherzige Verzweiflung meines Herzens, und ich rufe aus: Sie ist seit lange gerichtet, verurteilt, diese alte Gesellschaft. Geschehe ihr, wie recht ist. Werde sie zertrümmert, diese alte Welt, wo die Unschuld umkam, die Selbstsucht gedieh, wo der Mensch ausgehungert wurde durch den Menschen! Mögen sie vom Grund bis zum Gipfel zerstört werden, diese übertünchten Gräber, in denen die Lüge und die Ungerechtigkeit hausten. Und gesegnet sei der Gewürzkrämer, der aus meinen Gedichten Tüten drehen wird, um Kaffee oder Tabak hineinzuschütten für die armen, alten, guten Weiber, die sich in dieser gegenwärtigen Welt der Unbill vielleicht solche Annehmlichkeiten versagen mußten – fiat justitia, pereat mundus! (Gerechtigkeit geschehe, mag auch die Welt zugrunde gehen!) - Die zweite der gebieterischen Stimmen, die mich bestrickten, ist noch mächtiger und dämonischer als die erste, denn es ist die Stimme des Hasses, des Hasses, den ich einer Partei widme, deren furchtbarster Gegner der Kommunismus und die aus diesem Grunde unser gemeinsamer Feind ist. Ich spreche von der Partei der sogenannten Vertreter der deutschen Nationalität, jenen falschen Patrioten, deren Vaterlandsliebe nur in einer einfältigen Abneigung gegen die Fremde und gegen die Nachbarvölker besteht, die jeden Tag ihre Galle namentlich gegen Frankreich ausschütten. Ja, diese Überbleibsel oder Nachkommen der Teutomanen von 1815, die ihr altes Kostüm ultradeutscher Narren nur modernisiert haben und sich ein wenig die Ohren stutzen ließen – ich habe sie mein ganzes Leben lang verabscheut und bekämpft, und jetzt, wo das Schwert der Hand des Sterbenden entfällt, fühle ich mich getröstet durch die Überzeugung, daß der Kommunismus, der sie zuerst auf seinem Weg findet, ihnen den Gnadenstoß geben wird; nicht durch einen Keulenschlag, sondern durch einen einfachen Fußtritt wird der Riese sie zertreten wie eine Kröte. Das wird sein Anfang sein. Aus Haß gegen die Partisanen des Nationalismus könnte ich die Kommunisten fast lieben. Wenigstens sind es keine Heuchler, die nur das Christentum und die Religion auf den Lippen führen; die Kommunisten haben zwar keine Religion (kein Mensch ist vollkommen), die Kommunisten sind selbst Atheisten (was gewiß eine große Sünde ist), aber als Hauptdogma bekennen sie den absolutesten Kosmopolitismus, eine allgemeine Liebe für alle Völker, eine brüderliche Gütergemeinschaft zwischen allen Menschen, freien Bürgern dieses Erdballs. Dieses Grunddogma hat einst auch das Evangelium gepredigt, und in Wahrheit sind die Kommunisten viel bessere Christen als die sogenannten deutschen Patrioten, diese bornierten Kämpfer einer exklusiven Nationalität!«
Wie spiegelt sich doch in diesen letzten Worten Heines, was ihm an dichterischem Seherblick gegeben war und was nicht! Die Todfeinde seines Lebens bluten heute noch an den Wunden, die ihnen sein gutes Schwert geschlagen hat, aber es sind die Kommunisten, die sein Grab vor ihrem Ansturm schützen.
Anmerkung
[1] Geboren vor 170 Jahren, am 27. Februar 1846, gestorben am 28. Januar 1919.