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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Happy Birthday, Stevie Wonder

Gina Pietsch, Berlin

 

Eine Hommage

 

Eine Legende, eine Ikone – ein Wunder an Kraft, Meisterschaft, Dichtkunst, außerge­wöhnlichen Fähigkeiten seiner faszinierenden Stimme, Beherrschung vieler Instrumen­te, besonders aber dem Klavier – und alles zusammengefasst mit sozialem Bewusst­sein, hatte ihren 75. Geburtstag am 13. Mai 2025. Geboren als Stevland Hardaway Judkins wurde er beispiellos als Künstler, Komponist, Songwriter, Multiinstrumentalist in einem Riesensprektrum von Genres der Pop-, Rhythm & Blues-, Soul-, Funk- und Rockmusik. Ab 1970 war er mit über 100 Millionen verkauften Platten und 25 Grammys einer der erfolgreichsten Rock- und Soul-Künstler der USA, einer mit einem gewaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Black Music, das aber gerade auch wegen seines enor­men Engagements für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit.

Er begann als Wunderkind und blieb ein Wunder der Populärkultur, machte sie zur Hochkultur durch Widerstandsfähigkeit und Kreativität. Er war Träumer von einer besse­ren Welt und er nutzte seine Musik dazu, diese zu erschaffen.

Little Stevie

1950 wurde er in Saginaw, Michigan, geboren als das fünfte Kind von Lula Mae Harda­way. Ein »Frühchen« war er und im Inkubator mit Sauerstoff überbehandelt, so dass eine Frühgeborenen-Retinopathie zum Grund seines Blindseins wurde. Als er vier war, ließ sich die Mutter von seinem Vater scheiden und fing mit ihren drei Kindern in Detroit ein neues Leben an. Hier begann Stevies musikalische Reise beim Gospelge­sang im Chor der Whitestone Baptist Church.

War es die Musik oder der Lebensmut der Mutter, jedenfalls wird seine Lebensge­schichte ein Beweis für seine Kraft und sein Talent, trotz Blindheit in einer legendären Karriere einer der größten sozial engagierten Rockpoeten der Welt zu werden.

Mit zehn Jahren gründete er mit seinem Freund ein Gesangsduo »Stevie und John«, kur­ze Zeit später entsteht sein Debüt-Album »The Jazz Soul of Little Stevie«. Er lernte, wo er konnte, man hört es, wenn er Bob Dylans »Blowin’ in the Wind« singt. Sein Talent allein hätte ihn also ausfüllen können, aber – schon mit zwölf fand er wichtig, seine akademi­sche Bildung zu fördern und meldete sich an der Michigan School for the Blind an.

Immer noch als Zwölfjähriger schloß er sich der Motortown Revue an, die ganz Amerika durchquerte, eine selten gute Gelegenheit als Schwarzer Künstler in dieser Zeit wichtig zu werden. Mit 21 hat er bereits sein 13. Studioalbum produziert und die Texte der Songwri­terin Syreeta Wright, die seit 1970 seine Frau war, vertont: »Where I’m Coming From«.

Besser blind als schwarz

Unmöglich ist, hier alles aufzuzählen, was er schuf bis auf den heutigen Tag, aber auch schon vor dem ersten seinen Meister-Alben TALKING BOOK. SUPERSTITION stand da ganz an der Spitze, einer von Stevies vielen Chartstürmern. Das beginnt mit dem hinrei­ßenden Love-Song YOU ARE THE SUNSHINE IN MY LIFE und endet mit dem nicht min­der schönen I BELIEVE (WHEN I FALL IN LOVE IT WILL BE FOREVER). Ihr merkt, ich war in all diese Songs verliebt. Sein Publikum wächst an, besonders seit der großen Tour­nee, die er nun mit den Stones zusammen unternimmt.

Man müsste eigentlich jeden Wonder-Song beschreiben. Wie viele waren es? Ich hab die Zahl nicht gefunden, rechne aber mit einer fünfstelligen und bestimmt mit einer hohen dreistelligen an außerordentlich hochwertigen Songs. Ich bleib also mal bei den Alben, die meine favourites wurden, schon, da ich als DDR-Bürgerin ja auch nicht so einfach an alle Alben herankam. Eins meiner liebsten war das nach Talking Book übernächste 1974: FULFILLINGNESS’ FIRST FINALE; ein Geniestreich auf diesem Album und eigentlich mein Stevie-Lieblingssong überhaupt THEY WON’T GO WHEN I GO, sehr traurig, hinreißend schön, mit illustren Höhen in Stevies Stimme. Der Autounfall, den er 1973 hatte, und der ihn 5 Tage ins Koma fallen ließ, kann der Hintergrund dieses Songs sein, den er zusam­men mit Yvonne Wright schrieb. Stevie spielte den Song 2009 auf der Gedenkfeier für Michael Jackson. Natürlich erinnert er an Chopin und seinen berühmten Trauermarsch. Für Stevie ist es eine große, auch dramatische Klage über lügnerische Freunde, über blu­tende Herzen und traurige Augen. »Und sie werden nicht gehen, wenn ich gehe«, singt er ergreifend. Das Lied ist hinreichend interpretiert worden. Ich halte nicht für unmöglich, dass es für den Künstler im Zusammenhang steht mit den vielen Schmerzen, die er bei seinen schwarzen Brüdern hat miterleben müssen. In einem seiner vielen berühmten Witze hat er, über seine Blindheit befragt, mal so gesagt: besser blind als schwarz.

In seinem Meisteralbum SONGS IN THE KEY OF LIFE hören wir, wie sehr das alles ihn sel­ber betraf. Hass hat oft versucht, mein Herz zu brechen. Die Liebe braucht heute Liebesingt er in LOVE’S IN NEED OF LOVE TODAY, und in VILLAGE GHETTO LAND beschreibt er genaustens das Fehlen von Liebe und sozialer Gerechtigkeit. In BLACK MAN sagt er’s besonders deutlich: Der erste Mann, der starb für die Flagge, die wir jetzt hochhalten, war ein schwarzer Mann, der Boden, auf dem wir mit einer Flagge in der Hand stehen, gehörte zuerst dem roten Mann, der Führer eines Schiffes auf der ersten Kolumbusreise, war ein brauner Mann, die Eisenbahnen für Züge kamen auf Gleisen, die vom gelben Mann gelegt wurden. Es ist Zeit, dass wir lernen, dass diese Welt für alle Menschen geschaffen wurde.

So hat die Süddeutsche Zeitung recht, wenn sie 2010 schreibt,dass man hier von ei­nem schwarzen Opus Magnum sprechen kann, wie es in der populären Musik des 20. Jahrhun­derts vor allem seit Duke Ellington kein zweites gibt.Diese »Songs in der Tonart des Lebens«ergeben musikalisch ein äußerst ambitioniertes Album und das bestverkaufte in der Karriere von Wonder. Alle Stücke sind aus Wonders Feder, er sang und spielte rund ein Dutzend Instrumente selber und wurde durch 130 Musiker, auch Herbie Hancock, unterstützt. Die Aufnahmen zum Album nahmen zwei Jahre in Anspruch. Man könnte aber auch von jedem Titel dieses Doppelalbums schwärmen, SIR DUKE oder IF IT’S MAGIC. Elton John sagte zu dem Album: Wo auch immer ich auf der Welt bin, nehme ich immer eine Kopie von »Songs in the Key of Life« mit. Für mich ist es das beste Album, das je gemacht wurde, und ich bin immer noch beeindruckt, wenn ich es höre.

Komme ich wieder einmal zu einem meiner Stevie-Highlights – aus dem Jahre 1979 THE SECRET LIFE OF PLANTS, eine Hommage an die Natur, eine Hoffnung, sie zu erhalten, aber auch ein Vorstoß in die Welt der elektronischen Musik. Die Musik war genau so schön wie das Foto auf dem Cover, das den blinden aber so wunderbar lachenden Stevie Wonder zeigt. Ein Jahr später die mit Platin ausgezeichnete Single HAPPY BIRTHDAY, die Hymne von Stevies Kampagne, Martin Luther Kings Geburtstag zum Nationalfeiertag zu erklären.

Wir sind alle eins ...

Stevie Wonders politisches Engagement für soziale Gerechtigkeit in seinen Songs hört nicht auf, eine ergreifende Reflexion über den Vietnamkrieg bietet FRONT LINE und die ergreifende Ode an Rassenharmonie von Paul McCartney EBONY AND IVORY, die sie aber beide zusammen singen. McCartney ist nicht der einzige Künstler, mit dem Stevie eng zusammen gearbeitet hat, Elton John gehört dazu, Bruce Springsteen, Dionne War­wick, Whitney Houston, Andrea Bocelli, Céline Dion, Sting.Meist ist diese Zusammenar­beit motiviert durch Stevies unerschütterliches Engagement für Gerechtigkeit und Gleichheit. Für Letzteres wurde der Künstler vom Sonderausschuss der Vereinten Natio­nen gegen Apartheid geehrt. Natürlich ist das nicht die einzige Auszeichnung, die die Musiklegende erhielt. Ehrendoktor wird er an sechs Universitäten. Im Jahr 1985 nahm er im Namen von Nelson Mandela den Oscar für den besten Originalsong I JUST CALLED TO SAY I LOVE YOU an, was die südafrikanische Regierung dazu führte, ihn aus allen Radiosendern des Landes zu verbannen. Wonders soziales Engagement bleibt auch im nächsten Jahrtausend präsent. 2020 prodziert er zwei Singles, CAN’T PUT IT IN THE HANDS OF FATE und WHERE IS OUR LOVE SONG, die mit sozialbewusstem Texten und dem dazugehörigen Funk als Erlös der größten amerikanischen Hungerhilfe-Organi­sation Feeding America zugute kam. Die Lebenslage der Unterpriviligierten lässt ihn nicht los bis heute. 1995 wird er in TAKE THE TIME OUT aufrufen, den auf der Straße liegenden Mann und die im Müll wühlende Frau und den in der Kälte barfuß laufenden Jungen nicht zu übersehen: Strecken Sie Ihre Arme aus und umarmen Sie jemanden. Sei es der König oder ein Obdachloser. Wir sind alle eins unter der Sonne. Das zu hörenim Album COVERSATION PEACE, das wie für unsere heutige Kriegszeit geschrieben scheint. Stevie erinnert an die sechs Millionen Juden, die im Holocaust umgekommen sind und an die hundertfünfzig Millionen Schwarzen während der Sklaverei. Und er for­dert für uns, was wir täglich sagen: Es gibt keine Chance auf Welt­rettung ohne die Gespräche über Frieden.

So liebevoll er zu den Armen der Welt stand, so liebevoll wird er als Vater seiner neun Kinder und drei Ehen geschildert. ISN’T SHE LOVELY auf dem legendären Album SONGS IN THE KEY OF LIFE von 1975 war es, zu dem ihn die Freude über die Geburt seiner Tochter Aisha Morris inspirierte.

Stevies Denkungsart kommt von seiner baptistischen Erziehung und seiner Zugehörig­keit zu schwarzen Kirchen. Er hat sein Leben lang große Ehrfurcht vor Martin Luther King, dessen Wonderscher Geburtstags-Song HAPPY BIRTHDAY von Millionen von Men­schen gesungen wird und der auch die Geburtstagsfeiern in meiner Familie einleitet.

Es ist die in solchem Ausmaß ungeheuer seltene Meisterschaft als Dichter, Komponist, Sänger, Instrumentalist, Produzent, als einer der einflussreichsten, beliebtesten, größten Musiker aller Zeiten und politischer Mensch, dessen Leben und Wirken Beweis für die Kraft der Hoffnung, der Liebe und des menschlichen Geistes ist.

 

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