Geschichtsklitterung in der Gedenkstätte "Roter Ochse" in Halle
Erklärung
In der Gedenkstätte „Roter Ochse“ Halle (Saale) sind seit kurzem Karteikarten mit Namen, Fotos und anderen personenbezogenen Daten von Mitarbeitern unserer ehemaligen Diensteinheit veröffentlicht. Der Leiter der Gedenkstätte André Gursky erklärte dazu: „Es kann nicht sein, daß in der Gedenkstätte die Täter aus der NS-Zeit benannt werden, die aus der Stasi-Zeit aber nicht.“ (Mitteldeutsche Zeitung vom 31. 7. 2007)
Ehemalige Mitarbeiter der Untersuchungsabteilung (Abteilung IX) der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Halle erklären hierzu:
Unsere Tätigkeit als staatliches Untersuchungsorgan erfolgte auf der Grundlage der Verfassung und der Strafprozeßordnung der DDR.
Wir stehen zu unserer Tätigkeit und Verantwortung als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit zum Schutze der DDR, in der auf deutschem Boden der legitime Versuch unternommen wurde, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, eine antifaschistische, dem Frieden verpflichtete Gesellschaft ohne kapitalistische Ausbeutung und soziale Not. Dieser Staat wurde seit seinem Bestehen von seinen Gegnern, die sich mit einer sozialistischen Perspektive in Deutschland nicht abfinden wollten, unerbittlichen bekämpft und bedurfte des Schutzes. Deshalb haben wir uns für den Dienst im Ministerium für Staatssicherheit verpflichtet. Wir stehen aber auch zu unserer Verantwortung dafür, daß dieser Versuch im Kampf der gesellschaftlichen Systeme vorerst gescheitert ist. Wir stehen zu unserer Verantwortung gegenüber den Bürgern der DDR, deren in diesen Staat gesetzte Hoffnungen letztendlich nicht erfüllt wurden und die sich seit Jahren einer Kriminalisierung ihrer Biografie ausgesetzt sehen. Wir werden uns aber auch nicht vor den ständigen Versuchen, unsere Vergangenheit und uns persönlich zu diskriminieren und zu kriminalisieren, beugen.
Seit dem Ende der DDR wird versucht, diesen Staat, in dem Antifaschismus von der ersten Stunde an Staatspolitik war, damit zu delegitimieren, daß er mit dem deutschen Nazi-Staat gleichgesetzt wird. Staatlich gefordert und unterstützt wird hier Geschichtsklitterung betrieben. Bemühungen um eine objektive Darstellung der Geschichte werden von den systemkonformen Medien trotz der viel gepriesenen Pressefreiheit nicht zugelassen. Nunmehr erfährt die Meinungsmanipulation eine Steigerung dahingehend, daß wir als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit mit faschistischen Mördern und Verbrechern des Nazistaates gleichgesetzt werden, mit Verantwortlichen für die Millionen Toten des 2. Weltkrieges, für die auf der faschistischen Rassentheorie beruhenden industriellen Vernichtung von Millionen Menschen, für das unsägliche Leid, das über die Völker Europas und der Welt gebracht wurde.
Wir verwahren uns dagegen, gleichgesetzt zu werden mit Leuten, die dieses faschistische Regime aktiv unterstützt haben und dafür nach internationalem und nationalem Recht verurteilt wurden. Warum wird in der Gedenkstätte „Roter Ochse“ verschwiegen, daß vom Bezirksgericht Halle mehrere Nazitäter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind und die Bearbeitung der dem vorausgehenden Ermittlungsverfahren durch die Untersuchungsabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit erfolgte? Warum wird verschwiegen, daß auch im Bezirk Halle durch das Ministerium für Staatssicherheit und seine Untersuchungsabteilung mehrfach und konsequent gegen alle Versuche der Verherrlichung des Faschismus und der Verbreitung faschistischen Gedankengutes vorgegangen wurde? Die Ermittlungsakten liegen vor und dürften bekannt sein, nur passen sie nicht in das verordnete Schema.
Jüngsten Veröffentlichungen ist zu entnehmen, daß die Geschichtsklitterung in den so genannten Stasi-Gedenkstätten weiter in dem Sinne forciert werden soll, diese vollständig auf die Totalitarismusdoktrin, also die Gleichsetzung von Nazistaat und DDR, einzuschwören. Dies und die von uns persönlich als Diskriminierung empfundene Gleichsetzung mit faschistischen Tätern der Nazizeit ist politisch verantwortungslos, denn damit werden die Verbrechen der Nazizeit relativiert. Sie sind nicht relativierbar. Wer das dennoch tut, macht sich mitverantwortlich für das Erstarken neofaschistischer Organisationen in diesem Lande und die zunehmende Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung.
Wir fordern: Schluß mit den Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen über die DDR und ihre Schutz-, Sicherheits- und Justizorgane. Schluß mit der davon bestimmten Gedenkstättenpolitik. Schluß mit der gesetzwidrigen persönlichen Diskriminierung von Angehörigen der Untersuchungsabteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit.
Ein erster Schritt zu einer ausgewogenen Geschichtsdarstellung in den Gedenkstätten sollte sein: Den Besuchern wird neben den dort bereits angebotenen Publikationen auch vor Ort der Zugriff auf Literatur ermöglicht, in der ehemalige Mitarbeiter der Schutz-, Sicherheits- und Justizorgane der DDR über ihre Tätigkeit berichten und informieren.
Halle, 8. September 2007,
Jürgen Stenker, zuletzt Leiter der Untersuchungsabteilung in Halle, Michael Kommol, zuletzt Referatsleiter in der Untersuchungsabteilung in Halle sowie weitere ehemalige Mitarbeiter der Untersuchungsabteilung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Halle, deren Zustimmung vorliegt.
Die Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH) e.V. schließt sich mit ihrer Solidaritätserklärung (18. 9. 2007) dem Protest und dem in diesem Zusammenhang erhobene Forderung „in vollem Umfange an. Wir wenden uns entschieden gegen die Praktiken in der Gedenkstätte 'Roter Ochse' in Halle und in anderen 'Gedenkorten' sogenannter doppelter Vergangenheit, das faschistische Kriegs- und Mörderregime zu verharmlosen. Wir bekunden unsere feste Solidarität mit allen, die sich gegen die Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen über die DDR, ihre Schutz-, Sicherheits- und Justizorgane und besonders über die Untersuchungsabteilungen oder Untersuchungshaftanstalten des MfS zur Wehr setzen. Immer mehr Menschen in Ost und West empören sich über die von der Gleichsetzung der DDR mit der faschistischen Diktatur bestimmte 'Gedenkstättenpolitik'. Der öffentliche Protest ist um so notwendiger, da diese Art der 'Geschichtsaufarbeitung' im Zeichen der Totalitarismusdoktrin offenkundig zu einer tragenden Säule der Gedenkstättenkonzeption der Bundesregierung werden soll. Es darf und kann nicht sein, daß nach dem Muster der Gedenkstätte ‚Roter Ochse’ in Zukunft Gedenkstättenpolitik betrieben wird.“