Gemeinsam kämpfen für eine gestärkte LINKE im nächsten Bundestag
Sahra Wagenknecht, Rede auf dem Wahlprogrammparteitag am 20./21. Juni 2009 in Berlin
Liebe Genossinnen und Genossen, was wir derzeit erleben, ist keine Konjunkturdelle, sondern eine tiefe Systemkrise, und sie ist das Ergebnis einer jahrelangen Politik der Liberalisierung, Privatisierung und Lohndrückerei, die eben jenem entfesselten Kapitalismus den Weg bereitet hat, der heute Millionen mit dem sozialen Absturz bedroht.
Dennoch gibt es kaum Gegenwehr. Unser EU-Wahlergebnis war kleiner, als wir erhofft hatten. Daraus müssen wir Schlußfolgerungen ziehen, aber es sollten auch die richtigen sein. Nichts ist absurder als die Interpretation, wir hätten wegen angeblich zu radikaler Positionen Wähler verloren. Wären Beliebigkeit und Verwaschenheit ein Erfolgsrezept, dann hätte die SPD ein Glanzergebnis einfahren müssen.
Das Problem lag doch vielmehr darin, daß die meisten, die mit gutem Grund die heutige EU der Konzerne und Kapitalfreiheiten als Bedrohung empfinden, bei der Wahl schlicht zu Hause geblieben sind, weil es uns nicht gelungen ist, ihnen das Gefühl zu geben, daß eine Stimme für die LINKE eine wirkungsvolle Form des Aufbegehrens ist.
Immer mehr Menschen in diesem Land wenden sich angewidert ab vom eingefahrenen Politbetrieb, weil sie einfach zu oft erlebt haben, daß Parteien vor der Wahl schöne Losungen auf ihre Plakate drucken, die sie selber nicht ernst nehmen. Eine besonders hemmungslose Form dieses Wahl-betrugs erleben sie ja gerade wieder bei der SPD.
Diese Menschen können wir nur erreichen, wenn sie deutlich spüren, daß die LINKE eben nicht eine Partei wie alle anderen ist, daß wir mehr sind als ein gefälliges Gewürzkorn in der neoliberalen Einheits-suppe, in der die SPD längst untergegangen ist, daß wir auf Gegenwehr setzen und auf Druck und jedenfalls nicht auf Bündnisse mit gebrochenen Politkarikaturen a lá Müntefering, Steinmeier und Nahles, mit denen linke Politik eben nicht zu machen ist.
Daß unsere politischen Gegner sich be-mühen, linke Alternativen als populistisch zu denunzieren, um die eigene Kapitalhörigkeit zum Sachzwang zu verklären, ist weder neu noch erstaunlich. Staunen muß man allerdings über Leute in unseren eigenen Reihen, die sich nicht zu schade sind, diesem Populismusgerede auch noch die Stichworte zu liefern.
Und dabei hat doch gerade die Krise überdeutlich gezeigt, wie verlogen das jahrelange Geschwätz über leere Kassen und öffentliche Sparzwänge war. Wer 480 Milliarden aus dem Hut zaubern kann, um sie in maroden Banken zu versenken, und gleichzeitig die Forderung nach einem ALG II von 500 Euro für populistisch erklärt, der beweist doch letztlich nur, in wessen Diensten er Politik betreibt – und davon sollten wir uns nun wirklich nicht beeindrucken lassen.
Ich frage mich auch, weshalb einigen von uns grundlegende Kapitalismuskritik nicht schmeckt? Zu den Ursachen der Krise gehören wesentlich die bestehenden wirtschaftlichen Macht- und Eigentumsverhältnisse, denn sie sind es, die es überhaupt erst möglich machen, daß die Eigentümer das von den Beschäftigten geschaffene Betriebsvermögen erst im Renditewahn verzocken und ihnen dann auch noch die Konsequenzen der Katastrophe aufladen können. Frau Schickedanz wird auch nach Schließung der letzten Karstadt-Filiale kein Hartz IV beantragen müssen.
Und deshalb gehört es zur Tagespolitik, darauf hinzuweisen, wie Wirtschaft grundsätzlich anders funktionieren kann, ohne Kapitalismus und damit auch ohne Ausbeutung und Profiterpressung.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben doch auch eine verdammte Verantwortung. Die Konzepte für die nächste und noch ungleich brutalere Agenda 2020 liegen längst in den Schubladen und warten nur, daß der Wahltag vorbei geht. Wollen wir ihre Umsetzung wirklich verhindern, brauchen wir eine deutlich gestärkte LINKE im nächsten Bundestag, und wir brauchen weit mehr Gegenwehr und französische Verhältnisse außerhalb der Parlamente. Laßt uns gemeinsam dafür kämpfen.