Gegen politisches Versagen
Dr. Artur Pech, Mitglied des Ältestenrates der Partei Die Linke
Nach der Satzung der Linken berät der Ältestenrat »aus eigener Verantwortung oder auf Bitte des Parteivorstandes zu grundlegenden und aktuellen Problemen der Politik der Partei. Er unterbreitet Vorschläge oder Empfehlungen und beteiligt sich mit Wortmeldungen an der parteiöffentlichen Debatte.« Jetzt treffen die vorgezogenen Bundestagswahlen Die Linke in kritischer Lage. Anders, als manche Erzählungen glaubhaft machen wollen, liegen die Ursachen für die Krise der Linken ganz wesentlich in der Politik, mit der Die Linke bereits seit längerer Zeit in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Das ist nicht nur ein Problem der Wahrnehmung, sondern Folge der eigenen Politik. Wahlanalysen, die sich weitgehend losgelöst von den grundsätzlichen Prozessen der gesellschaftlichen Veränderungen auf globaler Ebene, in Europa, aber auch in der EU oder in Deutschland oberflächlich an demoskopischen Betrachtungen zu Wählerwanderungen festmachen, werden den Anforderungen sozialistischer Politik nicht gerecht und laufen letztlich auf eine Spielart bürgerlicher Politik hinaus. Die Vorherrschaft des Kapitals des (»Werte«–) Westens neigt sich dem Ende zu. Dafür stehen wirtschaftliche Bedeutungsverluste, gleichzeitige politische (Regierungs-) Krisen in den USA, den Hauptändern Westeuropas und als Reaktion darauf Demokratieabbau und Militarisierung. Auf die weltweite Veränderung der ökonomischen Gewichte wurde bisher keine Antwort gefunden.
Entscheidende Aspekte hatte der Ältestenrat bereits in seinem Bericht an die Delegierten der ersten Tagung des 8. Parteitages (Erfurter Parteitag) deutlich gemacht. Ich verzichte auf eine letztlich formale Aktualisierung und verweise auf den Text[1]. Er macht die Dimension der politischen Versäumnisse in Der Linken der letzten Jahre deutlich. Auch der neu berufene Ältestenrat hatte im Dezember 2022 den Parteivorstand aufgefordert, eine Analyse der politischen Ursachen für die Niederlagen der Partei in den zurückliegenden Jahren durchzuführen. Die fortdauernde Unterlassung dieser Arbeit ist eine wesentliche Seite des fortschreitenden Bedeutungsverlustes der Linken und auch durch aufopferungsvolle Basisarbeit und tausende Haustürgespräche nicht auszugleichen. Auch ich kann das in einem kurzen Text nicht leisten. Auf ein existenzielles Problem will ich jedoch über die für den Erfurter Parteitag benannten Probleme hinaus hinweisen: Wir leben in Zeiten des Krieges. Die Hauptsache ist es, der Eskalation der Kriege entgegenzutreten, zu verhindern, dass sie in eine allgemeine Katastrophe ausufern. Nur wenn das gelingt, können alle anderen wichtigen Fragen angegangen werden. Sonst erledigen sie sich von selbst.
Die Argumentation, in der Friedensfrage sei unsere Wählerschaft gespalten, deshalb stellen wir sie zurück und konzentrieren uns auf die Punkte, in denen wir uns einig sind, offenbart ein instrumentelles Verhältnis zur existenziellen Frage von Krieg und Frieden.
Solche Betrachtungen verkennen nicht nur den historischen Kontext, sie haben auch aktuell eine verheerende politische Wirkung, führen objektiv zu einer Schwächung der Friedensbewegung und überlassen die Friedenfrage mindestens zu Teilen rechten Demagogen.
Die Einheit der Arbeiterbewegung – die zweite (sozialistische/sozialdemokratische) Internationale zerbrach mit dem ersten Weltkrieg. Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt, sind in aktuellen Entwicklungen Ähnlichkeiten nicht zu übersehen. Linke Parteien beurteilen die gegenwärtigen Kriege unterschiedlich, ergreifen mehr oder weniger direkt in diesen Kriegen unterschiedlich Partei und auch innerhalb dieser Parteien gibt es keineswegs einheitliche Positionen.
Es geht bei der Frage von Krieg und Frieden aber nicht nur, nicht einmal in erster Linie um das Schicksal der Parteien. Es geht buchstäblich um die Existenz der Völker, nicht nur Europas. Da verbietet es sich, die Stellung zu dieser Frage aus wahltaktischen Erwägungen heraus zu bestimmen oder aus solchen Gründen unter »ferner liefen« einzuordnen. Dass bei redlichem Bemühen eine in der Partei breit getragene Übereinstimmung erreicht werden kann, hat der Beschluss »Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus« gezeigt.
Es gehört zum Allgemeinwissen, dass die zweite Internationale mit dem Beginn des ersten Weltkrieges an der Frage von Krieg und Frieden zerbrach. Weniger bekannt, aber gerade in der heutigen Lage sehr bedeutsam, sind die vorangegangenen Auseinandersetzungen um die Haltung der Sozialdemokratie zum Angriffskrieg auf dem Essener Parteitag der SPD im Jahre 1907. Da bezog Karl Kautsky – auch er wurde sieben Jahre später zum Anhänger der »Vaterlandsverteidigung« in der Auseinandersetzung mit August Bebel noch die Position:
»Wir haben uns nicht von dem Gesichtspunkte leiten zu lassen, ob Angriffs- oder Verteidigungskrieg, sondern davon, ob ein proletarisches oder demokratisches Interesse in Gefahr ist.«[2]
Es liegt nicht in unserer Macht zu beschließen, welche Fragen wichtig sind. Wir können nur festlegen, wie wir uns zu den existenziellen Fragen verhalten. Und da geht es zuvörderst um die Wiederherstellung des Friedens in Europa und im Nahen Osten. Da muss die Linke auch in Zeiten des Wahlkampfes Partei ergreifen – gegen den Krieg, für die Wiederherstellung des Friedens und nicht für den Sieg einer Kriegspartei – mit welchen Mitteln auch immer. Denn wir leben in Zeiten realer Kriege, die schnell zu einer allgemeinen Katastrophe eskalieren können und nicht in Zeiten einer abstrakten Kriegsgefahr, der in ferner Zukunft durch allgemeine Abrüstungspläne begegnet werden könnte. Krieg dem Kriege – das muss unsere Losung bleiben!
Anmerkungen:
[1] 8. Parteitag, 1. Tagung der Partei DIE LINKE, Erfurt, 24. bis 26. Juni 2022, Antragsheft 3, Seite 11, https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteitag/erfurter-parteitag-2022/.
[2] Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Essen, 15. bis 21. September 1907. Berlin 1907, Verlag: Buchhandlung Vorwärts, Seite 261.
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