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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Gedenktafel oder Provokation?

Dokumentation

"Neues Deutschland", 4. März 2013:

Eine Gedenkplakette am Karl-Liebknecht-Haus in Berlin, der Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei, soll künftig an die Verbrechen des Stalinismus erinnern. Die Parteispitze kommt mit dieser Initiative einem Wunsch der Berliner VVN-BdA nach. [...]

Am Montag will sich der Geschäftsführende Parteivorstand erstmals mit dem Anliegen beschäftigen.

Das Anliegen war im Dezember 2010 von einem Arbeitskreis der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BDA) an die Partei herangetragen worden. Der Arbeitskreis, 2008 von Vereinsmitgliedern und Historikern auf Anregung von Hinterbliebenen der Repressalien ins Leben gerufen, hatte auf einer Konferenz eine entsprechende Initiative beschlossen. Die Parteispitze der LINKEN hatte allerdings zu diesem Zeitpunkt mit internen Problemen zu kämpfen, die eine Debatte über ein so brisantes Thema ungelegen erscheinen ließen.

Eine solche Debatte scheint allerdings auch jetzt unausweichlich. [...] Widerspruch könnte es über die Auswahl des Ortes für die Gedenktafel geben, die von Coppi und Münz-Koenen [1] so begründet wird: "Das Karl-Liebknecht-Haus erschien uns deshalb geeignet, weil sich dort zwischen 1926 bis 1933 das Zentralkomitee der KPD befand. Dort haben auch Heinz Neumann, Hugo Eberlein, Hermann Remmele, Hans Kippenberger und andere gearbeitet, die in der Sowjetunion dem NKWD zum Opfer fielen." [...] Von Uwe Kalbe, Seite 5 ("Politik")

"Neues Deutschland", 5. März 2013:

Linken-Spitze einhellig für Gedenken an Opfer des Stalinismus - Berlin (nd). Der Geschäftsführende Vorstand der Linken hat sich am Montag für eine Gedenktafel ausgesprochen, mit der die Partei an ihrer Bundesgeschäftsstelle in Berlin an die Opfer des Stalinismus erinnern will. Er freue sich, dass diesem Anliegen einstimmig Rechnung getragen worden sei, so Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn im Sozialen Netzwerk Facebook. Er erinnerte zudem an eine Formulierung des früheren PDS- und Linken-Chefs Lothar Bisky, der 1995 erklärt habe, es sei "auch Pflicht, jene zu ehren, die von Stalin umgebracht wurden, zumal wir die einzigen sein werden, die den zahlreichen kommunistischen Opfern Stalins wenigstens ein geistiges Denkmal setzen werden".

Die Idee der Gedenktafel war im Dezember 2010 von einem Arbeitskreis der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BDA) an die Partei herangetragen worden. Sie soll die Inschrift tragen: "Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden."

Bundessprecherrat der KPF am 7. März 2013:

Eine Art Moratorium wäre vernünftig

Offener Brief an den Parteivorstand und den Bundesausschuss der LINKEN

Noch vor der Installierung des "Steins des Anstoßes" im Jahr 2006 auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde hatte die Kommunistische Plattform den Vorschlag der Genossen Prof. Dr. Heinrich Fink und Dr. Andrej Reder unterstützt, stattdessen im Friedhofsrondell eine Gedenktafel anzubringen, welche an die unter Stalin in der Sowjetunion inhaftierten Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten erinnert - besonders an jene, die ermordet wurden.

Wir rufen dies heute ins Gedächtnis, damit niemand auf die Idee kommt, uns zu unterstellen, wir wären gegen das ehrende Andenken an Erich Birkenhauer, Hans Bloch, Hugo Eberlein, Leo Flieg, Hans Kippenberger, Hans Knodt, Heinrich Kurella, Heinz Neumann, Hermann Remmele, Heinrich Süßkind, Albert Zwicker und so viele andere. Wir befürworten diese Ehrung.

Nun hat der Geschäftsführende Parteivorstand der LINKEN am 4. März 2013 beschlossen, eine entsprechende Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus anzubringen. Dieser Beschluss wirft zumindest zwei Fragen auf. Zum einen: Warum hat der Geschäftsführende Parteivorstand diesen Beschluss gefasst, wissend, dass es in der LINKEN nicht wenige Genossinnen und Genossen gibt, die - u.E. aus guten Gründen - diese Ehrung befürworten, allerdings nicht am Karl-Liebknecht-Haus, sondern auf dem Friedhof der Sozialisten.

Zum anderen: Warum wurde dieser Beschluss auf Initiative eines Arbeitskreises der Berliner VVN-BdA gefasst, ohne sich zuvor mit jenen, nicht zuletzt namhaften Mitgliedern dieser Organisation auf Bundesebene, zu konsultieren, die ihre Schwierigkeiten mit dem vorgesehenen Ort haben.

Dieser Mangel an demokratischer Entscheidungsfindung in einer so subtilen politischen Frage muss nun Diskussionen provozieren, die ein halbes Jahr vor den Bundestagswahlen so überflüssig sind wie ein Kropf. Ohne Not hat der Geschäftsführende Parteivorstand diese Situation herbeigeführt, flankiert von einem ND-Artikel, der noch vor der Beschlussfassung für druckausübende Öffentlichkeit sorgte, auf der Basis von Informationen, deren Quelle im Verborgenen bleibt.

Wir meinen: Dennoch ist es nicht zu spät, der Vernunft eine Chance zu geben. Der Parteivorstand der LINKEN sollte über eine Art Moratorium bis zum 22.09.2013 nachdenken, d.h. darüber, alle Aktivitäten im Kontext mit der Gedenktafel bis dahin ruhen zu lassen. Nach den Bundestagswahlen müssten in geeigneter Weise sowohl die Berliner Parteibasis als auch der Bundesvorstand der VVN-BdA befragt werden, wo die Gedenktafel angebracht werden sollte. Die Entscheidung über den Ort wäre danach gegebenenfalls neu zu treffen.

Dr. Andrej Reder, Berlin, am 7. März 2013

An den Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE,

Genossen Matthias Höhn - Betr.: Ehrentafel am Karl-Liebknecht-Haus

Sehr geehrter Genosse Höhn, den beiden Mitteilungen im "Neues Deutschland" habe ich entnommen, dass der Geschäftsführende Vorstand der Partei DIE LINKE einer Gedenktafel zugestimmt hat, die die genannten Opfer Stalinistischer Repressionen ehrt.

Als Mitbetroffener und als ehemaliges Mitglied des Arbeitskreises bei der VVN-BdA, der seinerzeit an den Formulierungen des Tafeltextes und der Begründung maßgeblich mitgearbeitet hat, bin ich selbstverständlich auch weiterhin der Meinung, dass sowohl der ermordeten als auch der überlebenden Opfer Stalinscher Verbrechen würdig gedacht werden muss. Dennoch lehne ich die nunmehr getroffene Entscheidung aus folgenden Gründen ab:

1. Bereits in meinem Schreiben vom 17. September 2010 an die damalige Parteivorsitzende, Genossin Gesine Lötzsch, habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Aussage am Ende des Tafeltextes falsch ist, weil sie nicht den Tatsachen, nicht der Wahrheit entspricht. Denn der Text suggeriert faktisch, dass die Tausenden Betroffenen, die "willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt", letztendlich auch alle ermordet wurden. Dafür gibt es keine Belege, und es kann sie auch nicht geben. Darauf habe ich auch zuvor im Arbeitskreis aufmerksam gemacht. In einer E-Mail am 21. 10. 2010 an Hans Coppi hat selbst Frau Inge Münz-Koenen zu Recht festgestellt: "Die Tausenden beziehen sich aber auf die Verfolgten." Am Ende des Textes hätte es somit nach dem Wort "verbannt" folgerichtig "viele von ihnen ermordet" oder "bzw. ermordet" heißen müssen. (Ausführliche Begründung in meinem o. g. Brief). Damals bat ich die Parteiführung um Sorgfalt bei ihrer Entscheidung. Eine Reaktion darauf gab es leider zu keinem Zeitpunkt.

2. Sosehr ich für ein ehrendes Gedenken deutscher Kommunisten und Antifaschisten, die in der Sowjetunion Opfer geworden sind, bin, sosehr wende ich mich gegen die Instrumentalisierung eines solchen Vorhabens im antikommunistischen Zeitgeist hierzulande. Der besagte Arbeitskreis bei der Berliner VVN-BdA hat bedauerlicherweise nichts dazu beigetragen, dass ein solcher Missbrauch vermieden wird. Vielmehr wurde Mitte vergangenen Jahres in unmittelbarer Nähe des Karl-Liebknecht-Hauses in Berlin eine Lesung veranstaltet, um Druck auf die Partei DIE LINKE auszuüben. Diesem Druck wird mit der jetzigen Entscheidung nachgegeben.

3. Die Verbrechen an deutschen Kommunisten und Antifaschisten sind nicht in Deutschland, sondern in der Sowjetunion verübt worden. Es wäre gerade in der jetzigen Zeit ein falsches Zeichen, wenn die Linkspartei an ihrer Zentrale die KPD faktisch dafür im Nachhinein in Haftung nehmen würde. Nicht nur die kommunistische und antifaschistische Haltung der überlebenden Opfer der Repressionen lassen außerdem ernsthaft daran zweifeln, ob Heinz Neumann, Hugo Eberlein, Hans Kippenberger und andere, die ebenfalls im KLH gearbeitet haben, oder anderweitig im antifaschistischen Kampf aktiv waren, die Entscheidung des Geschäftsführenden Vorstandes der Linkspartei heute mittragen würden. In Ge-sprächen mit mir hat sich 2010 der Antifaschist und Kommunist Walter Ruge (NKW-D-Strafsache Nr. 8403 des Jahres 1941), bis zu seinem Tod 2011, Mitglied der Linkspartei in Potsdam, mir gegenüber für eine Ehrung der Opfer, aber strikt gegen eine Ehrentafel am KLH ausgesprochen.

4. All jene, die mit uns die Auffassung teilen, dass ein ehrendes Gedenken des genannten Personenkreises erfolgen muss, könnten sich vielleicht dazu verständigen und Möglichkeiten ausloten, ob eine solche Tafel an der Mauer im Friedhof der Sozialisten an der Seite von August Bebel, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg angebracht werden könnte. Das würde auch voll und ganz dem ursprünglichen Grundanliegen entsprechen, auf das sich die Mitglieder des Arbeitskreises seinerzeit geeinigt hatten.

5. Als Mitglied der Partei DIE LINKE und als Mitglied der VVN-BdA möchte ich schließlich darauf hinweisen, dass die Entscheidung seinerzeit von gut zehn Mitgliedern des Arbeitskreises bei der VVN-BdA und jetzt von einigen verantwortlichen Mitgliedern der Linkspartei gefasst wurden. Das hat bereits jetzt bundesweit nicht nur positive Resonanz ausgelöst. Da weder im Landes- bzw. Bundesausschuss der VVN-BdA noch in erweiterten Führungsgremien der Partei dazu ein Meinungsbildungsprozess unter Einbeziehung auch "Andersdenkender" je stattgefunden hat, bitte ich den Geschäftsführenden Vorstand, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken und erforderliche Schritte einzuleiten.

Für eine Reaktion wäre ich Dir dankbar und verbleibe mit solidarischen Grüßen

Andrej Reder, geb 1936, Sohn von Gabriel Lewin, NKWD- 44. Strafsache Nr. 974 des Moskauer Gebietes 1938 und Strafsache 2864 des MfS der UdSSR/Südkasachstan 1949.
P. S.: Dieses Schreiben beabsichtige ich ebenfalls dem Bundesvorsitzenden und dem Berliner Landesvorsitzenden der VVN-BdA zur Kenntnis zu geben.

Hanna Tomkins, Berlin, 10. März 2013

An den Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE

Genossen Matthias Höhn, aus Pressemitteilungen habe ich erfahren, dass am Karl-Liebknecht-Haus eine Gedenktafel für die Opfer des Stalinschen Terrors angebracht werden soll. Hierzu möchte ich folgendes mitteilen.

Ich bin eine der 5 Personen, die im Dezember 2010 den Vorschlag des "Arbeitskreises zum Gedenken an die in der sowjetischen Emigration verfolgten, deportierten und ermordeten deutschen Antifaschisten" für eine Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus mit unterschrieben hatte.

Schon anlässlich der Tagung "Das verordnete Schweigen. Deutsche Antifaschisten im sowjetischen Exil" hatte ich zu dem Problem "Würdiges Gedenken" Stellung genommen und vorgeschlagen, auf dem Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde eine Tafel aufzustellen. Der Vorschlag wurde leider nicht diskutiert.

Auf weiteren Zusammenkünften des Arbeitskreises hatte ich auch eine andere Möglichkeit eines würdigen Gedenkens vorgeschlagen: die notwendige Aktualisierung des 1991 beim Dietz-Verlag erschienenen Nachschlagewerkes "In den Fängen des NKWD" mit mehr als 1100 Kurzbiographien von deutschen Opfern des Stalinschen Terrors. Leider wurde auch dieser Vorschlag abgelehnt und schließlich einigte man sich auf den Vorschlag einer Tafel am Karl-Liebknecht-Haus, den ich auch unterschrieben hatte.

Nachdem der Arbeitskreis beschlossen hatte, eine Wanderausstellung mit Fotos und Lebensläufen deutscher Opfer des Stalinschen Terrors zu organisieren, hatte ich an der Arbeit des Arbeitskreises nicht mehr teilgenommen, weil ich dieses Vorhaben aus politischen Gründen nicht billigen konnte.

Auch die am 25. Juli 2012 am Luxemburgplatz, fast vor dem Karl-Liebknecht-Haus, stattgefundene öffentliche Verlesung der Namen deutscher Kommunisten und Antifaschisten war meiner Meinung nach keine Ehrung der Betroffenen. Meine Eltern, beide waren über USP und Spartakusbund seit Gründung der KPD deren Mitglieder und hätten einer solchen "Ehrung" im jetzigen Deutschland niemals zugestimmt und ich war froh, dass es mir gelungen war, zu veranlassen, dass der Name meiner Mutter nicht vorgelesen wurde.

Diese Veranstaltung sollte offensichtlich lediglich dazu beitragen, dass die vorgeschlagene Tafel am Karl-Liebknecht-Haus in Bälde angebracht wird.

Mit einem Schreiben vom 3. August 2012 an die beiden Vorsitzenden der Linkspartei Katja Kipping und Bernd Riexinger hatte ich darum gebeten, meine Unterschrift aus dem Antrag am Karl-Liebknecht-Haus eine Tafel für die erwähnten Opfer anzubringen, zu tilgen. Eine ausführliche Begründung für diese meine Entscheidung hatte ich dem Schreiben beigefügt. Das Schreiben hatte ich persönlich im Sekretariat des Vorstandes am 9. August 2012 abgegeben.

Eine Reaktion auf dieses Schreiben hatte ich natürlich erwartet, aber stattdessen kamen nun die erwähnten Pressemitteilungen.

Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass von einem "Wunsch der Berliner VVN-BdA" eine Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus anzubringen, wie in dem Artikel vom 4. März 2013 gesagt wird, kann doch wohl keine Rede sein, denn mir ist ein entsprechender Beschluss des Landesvorstandes der VVN-BdA nicht bekannt. Bei dem Antrag handelt es sich lediglich um den Vorschlag eines kleinen Arbeitskreises, dem auch Hans Coppi angehört.

Wie in meinem Schreiben vom 3. August 2012 dargelegt, möchte ich nochmals betonen, dass eine Tafel für die deutschen Opfer des Stalinschen Terrors neben den zwei vorhandenen Tafeln (Ernst Thälmann und ZK der KPD) zu Missdeutungen führen kann und eine solche Tafel höchstens im Haus, aber nicht am Haus angebracht werden darf.

Zum Abschluss möchte ich noch den Wunsch aussprechen, dass ernsthaft darüber beraten wird, wo eine solche Tafel angebracht werden soll und in Betracht gezogen wird, dass der Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde doch der beste Ort für die Ehrung dieser Kommunisten und Antifaschisten wäre.

Mit solidarischem Gruß, Hanna Tomkins.

Hanna Tomkins übersiedelte im Jahre 1957 aus Kasachstan in die DDR.

Die Zeitung "junge Welt" zitiert am 18. März 2013 aus einer Mitteilung des Ältestenrats beim Vorstand der Partei DIE LINKE nach einer Beratung am 7. März 2013, in der es heißt: "Die Entscheidung über eine Gedenktafel, die vor allem auf den Antrag eines Arbeitskreises bei der Berliner VVN - BdA zurückgeht, findet Zustimmung auch bei anderen Betroffenen. Der Ort des Gedenkens wird jedoch in Zweifel gezogen. Die Realisierung des Beschlusses sollte bis nach der Bundestagswahl ausgesetzt und dann in breiter Meinungsbildung die Entscheidung über den Ort geprüft werden."

Anmerkung:

[1] Der VVN-Landesvorsitzende Hans Coppi und die Medienwissenschaftlerin Inge Münz-Koenen.